Über die Natur und Eigenschaft der helligen Weisheit.
Mai 1839
Der Weisheit Wesen und Wohnen ist bei Gott (Weish.8.3). Sie ist eingesetzt von Ewigkeit, vor Erschaffung der Erde. Da die Tiefen noch nicht waren, da war sie schon bereitet, und da die Brunnen noch nicht quollen, war sie bei Gott. Der Herr hat sie gemacht im Anfang seiner Wege, ehe Er etwas machte (Spr.8.22-24).
Die Weisheit ist das höchste und reinste Wesen, das aus dem göttlichen Urwesen ausgeflossen ist.
Der Geist spricht:
Steige hinunter,
Zur niedrigsten Einfalt mit Bücken und Beugen,
So triffst du den Grund der verborgenen Weisheit;
Da wird sanft dich umwehen ihr liebliches Hauchen
Im göttlichen Winde.
Höre, spricht ein Cherub, du musst wissen, daß diejenige Weisheit, von der jener heilige Sänger im Buch der Weisheit Kap.7.8 & 9 spricht, nicht das ewige Wort selbst ist, wie man glauben könnte und manche wirklich glauben. Diese Weisheit ist von dem ewigen Worte, von Gott in seiner heiligen Dreieinheit, der unanfängli
chen Urweisheit, als ein von demselben ausgeflossenes Wesen unterschieden, dabei aber doch so innig und unzertrennlich mit dem ewigen Worte verbunden, wie der Verstand mit der Seele des Menschen verbunden ist.Diese von Gott, der heiligen Urweisheit, ausgeflossene Weisheit, von der hier geredet wird, ist die Leiblichkeit des reinen, göttlichen Urwesens der göttlichen Dreieinheit. Ohne diese göttliche Leiblichkeit würden selbst die Cherubim und die stillen Geister der Ewigkeit, ungeachtet ihrer hohen Reinheit, das göttliche Urwesen in seinem hehren, tiefen, über alle geschaffene Kreatur erhabenen Urgrunde nicht sehen und nicht fassen können; denn auch die den heiligen Urthron, den Thron aller Throne, zunächst umgebenden Geister der stillen Ewigkeit, die in stiller Anbetung vor demselben stehen, können den göttlichen Urgrund nur durch die göttliche Leiblichkeit (oder den leiblichen Ausfluss der heiligen Dreieinheit) begreifen.
Diese ausgeflossene Weisheit ist das Aushauchen der göttlichen Kraft, ein Strahl des Allmächtigen. Gott hat sie erwählt als seine Braut.
Bei der Schöpfung ist sie Gottes Mitarbeiterin gewesen; sie ist dies auch jetzt noch und wird es sein in allen Dingen, die Gott bis ans Ende der Tage, ja bis in alle Ewigkeiten wirken wird.
Ob nun gleich hier gesagt wird, diese Weisheit sei Gottes Gespielin und Braut, so soll man sich darum doch nicht vorstellen, als bestehe sie in einer Bildlichkeit, wie die Engel und die hinübergegangenen menschlichen Seelen. Nein, sie ist unbildlich; sie ist die höchste lebendige, göttliche Kraft,
die Mutter aller übrigen göttlichen Kräfte. In ihr ist Gott unmittelbar der Geist. Sie ist zugleich die Quelle aller Weisheit; darum mag sie auch billig und mit Recht eine Mutter genannt werden, weil sie die Quelle aller Lebens- und Verstandeskräfte ist. Sie ist ein hehres, heiliges Wesen, in dessen Tiefe der heiligste Cherub nur gebückt schauen kann. Es ist daher sehr ungeziemend, von ihr ein Bild zu machen, als wäre sie eine figürliche Person, wie sie denn von gewissen Menschen unter dem Namen Sophia also dargestellt wird. Ihre Tiefe ist unergründlich; ihr Leben und Odem, ihr wirkendes Wesen, geht ungehindert durch die ganze himmlische und materielle Schöpfung Gottes, und ob sie sich gleich durch den ewigen Geist der heiligen Dreieinheit vollkommen in einer Seele ausgebären kann, wie dies in der heiligen Maria, der Mutter des Herrn, geschah, so bleibt sie doch in ihrer unermesslichen Ausdehnung, was sie gewesen ist, und kann nicht abnehmen, so wenig die heilige, göttliche Dreieinheit in den Himmeln nach der Eigenschaft des Sohnes eine Abnahme erlitt, da sie sich in der heiligen Maria als Gottes- und Menschensohn ausgebar.Ihr nach Wahrheit und Weisheit dürstenden Seelen, wollt ihr wissen, was die göttliche Weisheit eigentlich in ihrem Grunde und in ihrem Verhältnis zu dem unerschaffenen Ungrunde der heiligen Dreieinheit wesentlich ist? Wisset: Sie ist die göttliche Sonne, ein hehrer Abglanz und Wiederschein der göttlichen Majestät, und die Leiblichkeit des reinen, immateriellen Urwesens Gottes. Umgeben mit diesem göttlich-geistleiblichen Lichtausfluß, leuchtet Gott in der Majestät und Eigenschaft des SOHNES den Geistern des Himmels als die Sonne der Geisterwelt.
Merket weiter: Von Christo, der Sonne der Geisterwelt, haben stufenweise alle übrige unzählige Sonnen der hohen und reinen Himmelskörper ihr Licht und ihre Kraft. Von einer dieser Sonnen erhält die Sonne, die unsere Erde erleuchtet, ihre Kraft und ihr Licht; denn das Niedere wird, nach dem Stufengange der göttlichen Ordnung, immer vom Höheren gesegnet (Hosea 2,21-22).
Die Weisheit ist also, wie sie im Buch der Weisheit (Kap.7,22-28) beschrieben steht, ein Abglanz der göttli
chen Majestät. Sie sieht alles, sie durchdringt alles, sie geht durch alle Geister des Universums, weil sie nächst dem dreieinigen Wesen Gottes die erste Quelle aller Geister ist; ja die Hölle selbst ist vor ihrem Lichtglanz nicht verborgen, obgleich die Hölle und die Finsternis sie nicht begreifen noch fassen können.Auch ist diese heilige Weisheit in ihrer mütterlichen Eigenschaft die göttliche Haushälterin, die alles weislich ordnet nach Zahl, Mass und Gewicht, und darum auch die heilige Salbung solcher Seelen, die sie über alles lieben. Eine Seele, die diese göttliche Eigenschaft nicht besitzt, ermangelt der göttlichen Haushälterin und wird daher bei allen sonstigen Gaben, die Gott ihr schenkt, ungeordnet und unweislich handeln und von dem ihr anvertrauten Pfunde niemals eine gute, Gott wohlgefällige Anwendung machen, obgleich es ihr übrigens nicht an natürlicher Vernunft fehlen mag.
Die Weisheit ist, wie gesagt, in ihrer Natur, nach ihrem unveränderlichen Grund und Wesen, das sie bei Gott hat, unbildlich; sie hat keine Form, wie die Engel haben, und doch kann sich das göttliche, dreieinige Wesen mitteIst ihrer mütterlichen, bildenden Eigenschaft in den Liebhabern der Weisheit auf verschiedene Weise, nach Verhältnis der sieben göttlichen Grundkräfte, leibhaftig verklären und durch sie mit ihnen, nach der besonderen Eigenschaft und Lage eines jeden reden; ja Gott spricht durch sie sogar auf öffentlicher Strasse zu den Menschen (Spr.8,1-3).
Sie ist eine wirkliche Mutter, ja die treueste und zärtlichste Mutter der von ihr geborenen Kinder, und als die Braut des Höchsten ist sie eine treue Ehegattin der erzogenen. Doch warnt der Geist abermal, dass sich der Mensch kein Bild von ihr mache nach seinen eigenen Ideen. Sie ist ein reiner, unbefleckter Spiegel, und die Mutter der Keuschheit; darum lässt sie sich nicht durch menschliche Ideen erfassen und begreifen, und bestraft jeden unreinen Sinn. Denn ihr Eifer für die Reinheit ist fester denn die Hölle, und ihre Flamme ist eine Glut des Herrn. Sie gebiert sich aber fortwährend in reine Seelen und schafft Gottesfreunde und Propheten. Gott liebt auch niemand, er bleibe denn bei der Weisheit (Weish.7,27-28).
Wer nun die Weisheit lieb hat und bei ihr bleibt, und sich von ihr züchtigen und weisen lässt, dessen Seele wird Christus durch diese himmlische Weisheit als eine Braut umfassen, und das dreieinige Wesen wird ihn wieder lieben und Wohnung bei ihm machen. Denn die Weisheit ist von Gott, und bleibt bei Ihm ewiglich, und wer sie lieb hat und sich ihrer Zucht unterwirft, wird auch von Gott erkannt werden und bei Ihm bleiben ewiglich.
Brüder: es ist uns in dieser Eröffnung vieles gesagt worden. Glaubt mir, während ich an diesem Geheimnis
schrieb, stand ich mit Schauer und Schrecken vor dieser göttlichen Tiefe und würde gewiss nach dem Gefühl meiner Unwürdigkeit und im Bewusstsein meiner Unfähigkeit, dieses göttliche Geheimnis einigermassen nach Würden in Worte zu fassen, zehnmal die Feder niedergelegt haben, wenn nicht jener Cherub, der am Pfingsttage 1835 um mich war, laut des damals gegebenen Pfingstliedes, mich von neuem aufgefordert hätte, im Schreiben fortzufahren und keine Mühe zu scheuen.Was mir in jenem Liede von der göttlichen Tiefe zu schreiben gegeben wurde, wobei ich ein hohes, sanftes Gefühl von dem hehren Wesen der göttlichen Ungrundstiefe hatte, das ist hier in dieser Eröffnung, zwar in gedrängter Kürze und so gut es nach der Fähigkeit des unvollkommenen Schreibers hat gegeben werden können, mehr auseinandergesetzt, sofern es nämlich die Eigenschaft der heiligen Weisheit betrifft; denn übrigens sind noch viele Tiefen in Gott und in seinem Reiche, die dem würdigsten Schauer nur nach und nach aufgedeckt werden können.
So nehmet denn mit mir diese Eröffnung in einem demütigen Sinne hin und verherrlichet Gott, der auch selbst den Staub der Erde verherrlichen kann. Amen !