Der große Morgen“ von Philipp Otto Runge
Das unvollendete Gemälde von Philipp Otto Runge ist ein herrlichstes künstlerisches Vermächtnis von Liebe, Farbe , Form und Musik. Hier wird ein schlichtes Naturerlebnis zum Naturmythos, zum himmlischen Symbol der Menschwerdung und ewigen Wiedergeburt. Der gottwortkundige Beschauer entdeckt in diesen lieblichen Teilbildern die unmißverständlichen Symbole aus Böhmes Schriften.
Mit dieser Darstellung eines lichtgetränkten Weltbeginns in Unschuld schuf der Maler die Verherrlichung oder Vergöttlichung seiner Kunst, ein Bild der Unberührtheit von irdischer Not und menschlicher Trübsal, die Fata Morgana einer erlösten Seele.
Der „Signatstern“
über den drei „Königsengeln“, der „Lilienkelch“, die
„Rose“, der „Morgen“ mit dem „Kinde“, und schließlich
„Aurora“, die reine Jungfrau, sie alle tragen den Stempel des großen
Propheten: „Der große Morgen“ Ein
mystisches Sinnbild ewiger Gottoffenbarung und göttlicher Wiedergeburt.
Da wird christliche Mystik im flammenden Morgenlicht der Aurora, in Farbenharmonie, die wie Musik auf den Betrachter wirkt, vorgestellt.
Jörg Traeger, der bekannte Runge-Forscher, beurteilt dieses Bild folgendermaßen:
„Was der Impressionismus an Augenerfahrung brachte und der Symbolismus an Lebensmystik, was die abstrakte Kunst für die Befreiung der Farbe leistete und der Surrealismus für die Freisetzung einer träumerischen Bildlogik - bei Runge ist all dies in organischer Einheit vorweggenommen.“
Es ist überaus bedauerlich, daß dieses Gemälde nicht nur unvollendet blieb, sondern auch noch durch ein unglückseliges Familienmitglied der Rungeschen Familie in neun Teile zerschnitten wurde.
Runge wollte dieses Bild mit entsprechenden Rahmenleisten vollplastisch schnitzen; eine Idee, welche erst im Jugendstil wieder künstlerische Bedeutung erlangen sollte.
Hätte der Maler den „Großen Morgen“ in dieser Weise vollenden können, so wäre das Werk, welches seiner Zeit weit vorausgeeilt war, ein unübertreffliches Juwel göttlicher Bildkunst geworden.
Vielleicht sollte gerade das unvollendete Werk mit seinen neun Teilen darauf hinweisen, daß kein Mensch die Wiedergeburt hier vollenden kann ?
Bevor wir dem inneren Sinn dieses Bildes gemeinsam nachspüren wollen, hören wir das Urteil des weltbekannten Dichters Rainer Maria Rilke:
„Das große Wunder des Sonnenaufganges ist so nicht wieder gemalt worden. Das wachsende Licht, das still und strahlend zu den Sternen steigt und unten auf der Erde das Kohlfeld noch ganz vollgesogen mit der starken tauigen Tiefe der Nacht, in welchem ein kleines nacktes Kind - der Morgen - liegt. Da ist alles geschaut und wiedergeschaut. Man fühlt die Kühle von vielen Morgen, an denen sich der Maler vor der Sonne erhob und, zitternd vor Erwartung, hinausging, um jede Szene des mächtigen Schauspiels zu sehen und nichts von der spannenden Handlung zu versäumen, die da begann. Dieses Bild ist mit Herzklopfen gemalt worden.“
Zum Innenbild:
Das Haar der Aurora züngelt wie Feuer hernieder. Mit der erhobenen Rechten hält sie eine Locke, einer Fackel gleich, über ihr Haupt. Ihr entspringt die weiße Lilie. Auf dem Kelchrand sitzen drei Kinderpaare. Über ihnen blicken drei Cherubsköpfe auf den Morgenstern in der Mitte. Den aufbrechenden Knospen der Lilie entschweben musizierende Engelskinder als Sinnbild der Harmonie der Sphären. Gemäß der symetrischen Gesamtkomposition setzt sich der Bogen, den sie bilden, nach unten fort in den Rosengenien. Der Kreis schließt sich in dem Säugling auf der blühenden Wiese. Er liegt genau in der Mittelachse, ordnet sich so der weiblichen Gestalt der Morgenröte, der Lilie und dem Stern zu. Die Ankunft des Lichtes ist gleichbedeutend mit dem Beginn des Lebens, zugleich auch mit dem Erwachen zur Seligkeit nach dem Tode.
Zum Außenbild:
Das Außenbild deutet diese paradiesische Symbolik als Aufstieg der christlichen Seele zur ewigen Herrlichkeit Gottes. Unten streben von der verfinsterten Sonnenscheibe - einem Sinnbild des Todes Christi - je eine weibliche und eine männliche Kinderfigur spiegelgleich ins Dunkle nach außen. Hier reicht ihnen ein Kind die Hand, das in den Wurzelfasern der Amarylliszwiebel wie in einem Käfig sitzt. Damit wird auf die platonische Vorstellung vom irdischen Leib als Kerker der Seele angespielt. Auf halber Höhe entfaltet sich jeweils die Amaryllis zu voller roter Blüte.. In ihrem Kelch sitzt ein Kind, das, von oben her beschienen, die Arme sehnsüchtig zu der Lichtquelle emporhebt. Diese wird darüber links und rechts von einem kindlichen Engel angebetet, der, auf weißer Lilienblüte kniend, sich ehrfürchtig zur Mitte hin verneigt. Von dort beleuchten weiße Strahlen die unzähligen Cherubsköpfe, die in konzentrischen Kreisen den für den Betrachter unsichtbaren Sitz des ewigen Gottes umgeben.
Binnen- und Außenbild , die in enger Sinnbeziehung aufeinander abgestimmt sind, werden getrennt durch eine gemalte schwarze Rahmenleiste.
Sinnbild für die gesamte Runge-Kunst ist das Kind. So auch hier. Für Runge war das Kind einmal Entfaltung des menschlichen Bewußtseins und andernteils Symbol Christi.
Wir spüren an dem unmündig lallenden Kleinkind, welches hier im Morgen liegt, unsere eigene Seele, die in das Angesicht Gottes blickt, die im ewigen Morgen das Licht der Liebe erschaut.
Wir sehen die Hilfsboten, die Engel der Himmel, die da zur Erde gestiegen sind, um mit den göttlichen Rosen der Liebe und den Lilien der Weisheit das menschliche Bewußtsein im Geiste zu wecken. Wie auf Wolken (=Gottwort im Buchstaben) schweben sie zur Seele und bringen ihr den ewigen Duft göttlicher Liebe und Weisheit. Daß es gerade vier Boten sind, gleich den vier musizierenden Engeln über der Jungfrau, scheint ein stiller Hinweis auf die vier Evangelisten zu sein, und für Kenner der Neuoffenbarung ein Sinnbild der vier Groß-Seher : Eckehart, Böhme, Swedenborg und Lorber.
Das eine urgöttliche Wort hat sich im Heruntersteigen vom höchsten der Himmel in vier Elemente der Natur, in vier Sphären des Geistes geteilt.
Böhme- und Lorber-Kenner wissen das Geheimnis der Urschöpfung, wissen, wie da aus dem „Einen“ drei wurden und dann sieben.
Das Eine, das Urgöttliche, hier als Stern (bei Böhme: Signatstern) dargestellt, wurde zu drei Fürstenhierarchien, durch die drei Engel unterhalb des Sternes, versinnbildlicht.
Aus den Dreien wurden sieben Hierarchien gestaltet, das sind die sechs Engel im Lilienkelch und der siebente, größte Engel: „Satana“, der hier durch „Aurora“ verkörpert wird. -
Böhme, wie Lorber offenbaren uns, daß Satana der herrlichste und schönste aller Urgeschaffenen war.
In diesem Bilde kann man die Jungfrau „Aurora“ als die „ungefallene Satana“ oder als die „Heimgekehrte“ betrachten. Die Brandfackel (aus ihrem Haar gebündelt) wird zum Sinnbild des Lichtes (Luzifer = Lichtträger), die in der verklärten „Aurora“ zum Morgen des neuen Himmels wird.
Mit den flammenden Rosenfackeln der beiden weiblichen Engel (an den Bildrändern), wiederholt sich die Geste der Lichtspendung Auroras.
Die „Rose“ als Symbol mystischer Liebe wird einesteils von den stehenden Engeln dem Morgenlichte zugewandt, andernteils aber von den knieenden Engeln als Gabe dem Säugling entgegengehalten.
Sind es nicht die irdischen Sendboten Gottes, die in uns durch ihre Wortoffenbarungen die göttliche Liebe erwecken?
Sind nicht die Propheten der Neuoffenbarung solche Engelsboten, die uns den ewigen Gottmorgen verkünden ?
Sind nicht unsere helleren Liebesgedanken (=Lilien) und reineren Willensregungen (=Rosen) unsichtbare Himmelsboten aus Gottbereichen, die den schlafenden Gottgeist in uns erwecken ? Wird da nicht in unserem Unterbewußtsein ein neuer, ewiger Gottmorgen geboren?
Steigt da nicht die verklärte „Aurora“ der reinsten Gotterkenntnis aus dem Morgen der Liebe in unser Bewußtsein ? Da jubeln die himmlischen Musikanten - aus den Knospen der reinen Unschuld (=Lilie) geboren - in unser menschliches Gemüt und regen es zur Liebe an. Die Zeit der „Lilien“ ist angebrochen, von der schon Böhme verkünden durfte.
Wer versteht die Lilie und ihre Zeit ?
Ist nicht die „Lilienzeit“ die göttliche Reinheit und Unschuld, die Christus-Erweckung im Seelengrunde, die der Herr durch Lorber den „Tag der Eingeburt“ nannte ?
Geht nicht in dieser hochheiligen Zeit innermenschlichen Gottbewußtseins der Signatstern der göttlichen Gnadensonne auf ?
Wird da nicht aus dem „Göttlich Einen“, dem Geistfunken des himmlischen Vaters im Herzen des Menschen, der n e u e Geist aus Gott geboren ?
Ja, das ist ein neuer Morgen, da der ewige Sohn geboren wird !
Aus „Göttlichen Gnadenfunken“ (=Stern) werden belebt die drei obersten Engel.
Der erste der drei ist der menschliche Geist (=Geburtsgeist), der zweite reine Engel ist die geläuterte Seele und der dritte ist der auferstandene Körper.
Da werden die drei Kinderpaare im Lilienkelch zum Symbol verklärter Nachwesen des Menschen. In der Anbetung des Lichtes, aus der Lilie unserer himmlischen Unschuld und Reinheit wurden sie lebendig.
Da erwacht die Seelenbraut „Aurora“, die Mutter des ewigen Gott-Sohnes im Herzen des Menschen. Hier wird wahrlich Christus noch einmal Mensch, damit das letzte der Kindlein, inmitten vom sonnig vergoldeten Kohl, lebendig werde in reinster Gottart.
Da ertönt die himmlische Symphonie durch vier Engels-Chöre und so auch durch vier göttliche Sendboten der neuen Schöpfung. Es erquillt die ewige Wahrheit von Liebe und Licht in Rosen und Lilien zum Menschen hernieder. Der neue, ewige Gottmorgen vertreibt mit himmlischer Glorie Nacht und Finsternis. Ein taufrischer heiliger Gott-Tag beginnt sein nie endendes Liebeleben.
So lebt Christus im Seelengrunde als einiger Sohn seines Vaters. So wurde Christus als neues, göttliches Bewußtsein unbemerkt im Seelengrunde jedes Menschen eingelegt.
So wird allzeit Christus in dir geboren, wenn deine Augen offen und deine Arme ausgebreitet sind zu empfangen die Zeit der Lilien; wenn du riechst den Duft der Rose und wenn deine Lunge frei die Morgenluft Aurorens atmet, und dein unsterbliches Sohnherz dem ewigen Vater entgegenpocht in voller Hingabe unsterblicher Jesu-Liebe. -
Auszüge aus den Büchern von Karl Dvorak „Apokalypse des Herzens“ und „Wissenschaft der Entsprechungen - Geheimsprache Gottes“