Die Erlösung

bei Swedenborg und Lorber

 

Thomas Noack

 

Die Erlösung ist "die zweite Schöpfung" (GEJ VI.239.4; „Neuschöpfung“ HGT I.25.7) oder – wie Swedenborg sagt - "eine neue Schöpfung des Engelshimmels und der Kirche" (WCR 640). Durch die großen Taten der Erlösung hat sich der unwandelbare Gott gleichsam neu geschaffen. Denn er hat das Menschliche angenommen und durch seine Liebe geheiligt. Daher ist Jesus Christus oder der Gottmensch die nova creatio Dei (= die neue Schöpfung Gottes). Aus dieser Quelle wird ein neuer Himmel und eine neue Erde hervorgehen, - eine neue Schöpfung für die Engel und uns Menschen. "Siehe, ich mache alles neu." (Offb. 21,5).

Die Erlösung ist der eigentliche Zweck der Menschwerdung Gottes. Schon der Name "Jesus" deutet das an. Der Engel des Herrn sagte nämlich zu Josef: "… ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen." (Mt 1,21). Auch später bezeichnet Jesus immer wieder die Rettung als seine Aufgabe, zum Beispiel bei Johannes: "Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird." (Joh 3,17).

Die Erlösung konnte nur von Gott selbst vollbracht werden. Das heißt für Swedenborg und Lorber: kein schon seit Ewigkeiten neben Gott lebender Sohn wurde Mensch, sondern Gott selbst; jener Gott, der im Alten Testament JHWH (= Jehovah) genannt wird. Swedenborg und Lorber beweisen das, indem sie vom Alten Testament ausgehen. Denn Swedenborg zeigt, daß der Jehovah des Alten Testamentes im Neuen stets "Herr" genannt wird. Damit ist für ihn bewiesen, daß der "Herr" niemand anders als Jehovah selbst ist: "Unter dem Herrn als Erlöser verstehen wir Jehovah in Seinem Menschlichen … Er wird aber Herr und nicht Jehovah genannt, weil der Jehovah des Alten Testaments im Neuen Testament stets 'der Herr' heißt". Swedenborg demonstriert das an zwei Stellen, von denen ich hier nur eine wiedergebe: "'Höre, Israel, Jehovah, unser Gott, ist ein Jehovah. Und du sollst lieben Jehovah, deinen Gott, von deinem ganzen Herzen und von deiner ganzen Seele' (Dtn 6,4f). Bei Markus aber sagt Jesus: 'Höre, Israel, der Herr unser Gott, ist ein Herr. Und du sollst lieben den Herrn, deinen Gott, von deinem ganzen Herzen und von deiner ganzen Seele' (Mk 12,29f)." (WCR 81). Auch aus den Lorberschriften geht hervor, daß "Jehova das Fleisch der Menschen

dieser Erde angenommen" hat (GEJ IX.85.4) und somit "der Herr Selbst" in diese Welt gekommen ist (GEJ I.166.10). Im VII. Band des Großen Evangeliums zitiert der Herr acht Stellen aus den Propheten (meist Jesaja), die zeigen, daß der "Messias" (Christus) "Jehovah genannt wird" (GEJ VII.27.12). Diese urchristliche Wahrheit, daß in Jesus der Vater selbst gekommen ist (johanneische Theologie!), ging jedoch schon bald deswegen verloren, weil man den Sohnbegriff nicht mehr verstand. Der "Sohn" bedeutete urprünglich lediglich "das Menschliche, durch das sich Gott in die Welt sandte" (WCR 92ff). Die Vorstellung eines Sohnes von Ewigkeit her ist erst später entstanden. Es ist höchst bedeutsam, dass Swedenborg und Lorber ihre Erlösungslehre aus der urchristlichen Grundlage entwickeln: Jesus ist der Herr (= Jehovah).

 

Drei Aspekte der Erlösung

 

Swedenborg und Lorber fassen das Erlösungswerk unter drei Gesichtspunkten zusammen. Von dieser Übersicht kann man gut ausgehen, wenn man die Gemeinsamkeiten zeigen will; daher soll sie uns als Gerüst dienen.

SWEDENBORG: "Die Erlösung bestand in der Unterjochung der Höllen ( Die Übersetzung von Friedemann Horn gibt "subjugatio infernorum" mit "Unterwerfung der Höllen" wieder. Um die im folgenden zu zeigende Nähe Lorbers zu Swedenborg zu unterstreichen, weise ich darauf hin, daß Immanuel Tafel noch mit "Unterjochung der Höllen" übersetzt hat. "Subjugare" bedeutet wörtlich "unter das Joch schicken", "unterjochen" (von "jugum" = Joch).  ) und im Ordnen der Himmel und so in der Vorbereitung zu einer neuen geistigen Kirche." (WCR 115).

LORBER: "Was übrigens das Werk Meiner Erlösung bedeutet und ist, so sage Ich euch: Fürs erste ist es das allergrößte Werk der ewigen Liebe, da hierdurch Ich der Allerhöchste in aller Fülle Meiner Liebe und in der unendlichen Fülle Meiner Gottheit selbst Mensch, ja euch allen sogar ein Bruder wurde, die ganze Masse der Sünden der Welt auf Meine Schultern nahm und so die Erde reinigte vom alten Fluche der unantastbaren Heiligkeit Gottes; fürs zweite ist es die Unterjochung der Hölle unter die Kraft Meiner Liebe, die früher nur in der Macht der zornergrimmten Gottheit stand und somit entfernt war von allem Einflusse Meiner Liebe, welche aber ist die furchtbarste Waffe gegen die Hölle, da sie das allerblankste Gegenteil derselben ist, wodurch dieselbe auch schon bei der liebevollen andächtigen Nennung Meines Namens in eine ganze Unendlichkeit zurückgetrieben wird; fürs dritte ist sie die Eröffnung der Pforten des Himmels und des ewigen Lebens und der getreue Wegweiser dahin, denn sie versöhnt euch nicht nur wieder mit der Heiligkeit Gottes, sondern sie zeigt euch, wie ihr euch vor der Welt erniedrigen müßt, so ihr wollet erhöhet werden von Gott. Sie zeigt euch ferner, alle Verspottung, Leiden und Kreuz aus Liebe zu Mir und euren Brüdern zu ertragen in aller Geduld, Sanftmut und Ergebung eures Willens, -ja sie lehret euch eure Freunde auf den Händen zu tragen und eure Feinde zu segnen mit der göttlichen Liebe in eurem Herzen. (Die Erlösung, in Hg III, S.18).

Man sieht sofort die Gemeinsamkeiten, aber auch das eigene Profil der beiden Texte. Die Erlösung ist die Unterjochung der Höllen; man beachte, daß hier sogar die Formulierungen identisch sind. Lorber fügt noch hinzu "unter die Kraft Meiner Liebe"; das deckt sich aber in der Sache mit Swedenborg. Die Erlösung erstreckt sich ferner auf den Himmel und die Erde. Swedenborg knüpft hier an die Verheißungen eines neuen Himmels und einer neuen Erde an (Jes 65,17; Offb 21,1). Bei Lorber ist dies mit den Worten ausgedrückt: Die Erlösung ist "die Eröffnung der Pforten des Himmels und des ewigen Lebens und der getreue Wegweiser dahin". Denn hinter den Pforten des Himmels eröffnet sich ein neuer Himmel; und der Wegweiser dahin ist die neue geistige Kirche, von der Swedenborg sprach. Die Texte lassen sich also gut vereinbaren. Auch der erste Gesichtspunkt Lorbers kann bei Swedenborg wiedergefunden werden. Bei Lorber heißt es: Die Erlösung ist "das allergrößte Werk der ewigen Liebe, da hierdurch Ich der Allerhöchste in aller Fülle Meiner Liebe und in der unendlichen Fülle Meiner Gottheit selbst Mensch, ja euch allen sogar ein Bruder wurde, die ganze Masse der Sünden der Welt auf Meine Schultern nahm und so die Erde reinigte vom alten Fluche der unantastbaren Heiligkeit Gottes". Das ist bei Swedenborg "die Verherrlichung". Sie ist gleichsam die Versöhnung der Gottheit mit der Menschheit in der Person Jesu Christi. Davon wird später noch die Rede sein. Das Grundgefüge bei Swedenborg und Lorber ist also erstaunlich ähnlich.

Allerdings haben beide Texte auch ihr eigenes Profil. Swedenborgs Darstellung ist vor allem durch seine Schau der geistigen Welt geprägt und seine Einsicht, daß die geistige Welt die Ursprungswelt aller Erscheinungen auf Erden ist. Daher erwähnt Swedenborg zuerst die Folgen der Erlösung für Hölle und Himmel, also die geistige Welt, und wendet sich erst dann dem Erdengeschehen zu: dort wird infolge des neuen Himmels ein neues, d.h. spirituelles Christentum entstehen. Swedenborg ist ganz der Seher geistiger Realitäten; sein durchdringender Blick sah, daß die Erlösung aus der Tiefe der geistigen Welt kommt; auf der Erde werden wir eines Tages nur die Wirkungen dieses Vorgangs erfahren. Swedenborgs Darstellung ist also dadurch gekennzeichnet, daß sie die drei Daseinsbereiche umfaßt: Hölle, Himmel, Erde.

Bei Lorber liegen die Schwerpunkte woanders. Bezeichnend ist schon der Einstieg: Die Erlösung ist "das allergrößte Werk der ewigen Liebe". Der Ton liegt auf der Liebe. Daher ist auch "die Unterjochung der Hölle" um den Zusatz erweitert "unter die Kraft Meiner Liebe"; und der Text schließt "mit der göttlichen Liebe in eurem Herzen". Diese Gewichtung der Liebe ist das Charakteristikum des Lorberwerkes. Zweitens fällt der Dualismus von Gottheit und Liebe auf; um ihn zu verstehen, muß man die Anfangskapitel der Haushaltung Gottes kennen. Dort wird die Gottheit von der Liebe unterschieden; es heißt: "Die Gottheit war von Ewigkeit her die alle Unendlichkeit der Unendlichkeit durchdringende Kraft und war und ist und wird sein ewig die Unendlichkeit Selbst. In der Mitte Ihrer Tiefe war Ich von Ewigkeit die Liebe und das Leben Selbst in Ihr" (HGt I.5.2). Das erinnert an Swedenborgs Unterscheidung von esse (= Sein) und essentia (= Wesen). Die gesamte Erlösung beruht –wie es die Folgekapitel der Haushaltung und die Lorberschrift "Der Schwache" zeigen - auf dieser Differenzierung innerhalb des Göttlichen. Ich kann das hier nicht ausführen, aber es lohnt sich, diesen Spuren nachzugehen. Und schließlich drittens spielt in Lorbers Zusammenfassung des Erlösungswerkes sein Verständnis der Materie hinein. Denn mit der Reinigung der Erde "vom alten Fluche der unantastbaren Heiligkeit Gottes" (vgl. HGt I.9.20) ist gemeint, daß das Sein in der Materie (also das Leben in einem materiellen Körper) nach der Verherrlichung Jesu nicht mehr ein Hindernis zur Erreichung der reinen Geistzustände (= Himmel) ist. "Nach der alten Ordnung konnte niemand in die Himmel kommen, der einmal in der Materie gesteckt ist" (GEJ IV.109.4). Das ist nun nicht mehr der Fall. Auch "die Unterjochung der Hölle" bezieht sich bei Lorber nicht nur auf die jenseitigen Höllen, sondern hat durchaus auch eine sehr diesseitige Bedeutung: "Der Leib … ist … die Hölle im engsten Sinne; die Materie aller Welten aber ist die Hölle im weitesten Sinne, in die der Mensch durch seinen Leib gegeben ist." (GEJ II.210.8). Das Materieverständnis gehört zu den eigensten Bereichen der Offenbarung durch Lorber. 

Schon dieser Überblick zeigt, daß es wesentliche Gemeinsamkeiten im Erlösungsverständnis bei Swedenborg und Lorber gibt und doch auch beide Offenbarungen ihr eigenes Profil haben. Der Schwerpunkt bei Swedenborg liegt in der Schau und den Visionen der geistigen Welt; bei Lorber kommt ergänzend noch das umfassende Verständnis der materiellen Welt hinzu, das so bei Swedenborg nicht zu finden ist. Wir werden sehen, daß auf diese Weise unterschiedliche Sichtweisen des Erlösungswerkes möglich werden, die dieses große Geheimnis vollständiger erfassen als es jeder Einzeloffenbarung für sich genommen möglich wäre. Die Erlösung als "das allergrößte Werk" umfaßt Himmel und Erde; mit Swedenborg und Lorber können wir beide Aspekte einigermaßen deutlich wahrnehmen.  

Die Unterjochung der Höllen  

Erlösung ist die Rettung aus einer Gefahr und daher grundsätzlich so wie bei Swedenborg zu definieren: "Erlösen bedeutet von der Verdammnis befreien, vom ewigen Tode erretten, der Hölle entreißen und die Gefangenen und Gebundenen der Hand des Teufels entwinden." (WCR 118). Oder mit den Worten Lorbers gesagt: Der Herr ist in die Welt gekommen, "um euch zu erlösen aus dem Joche des Satans und dessen ewigem Verderben" (GEJ I.166.10). Wer also von Erlösung spricht muß zunächst die Finsternis beim Namen nennen; jene Finsternis, aus der uns nur das göttliche Licht erlöst, wie es unvergleichlich schön Jesaja geweissagt hat: "Das Volk, daß im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht; über die, welche im Lande des Todesschattens wohnen, scheint es hell." (Jes 9,1). Die Besessenheitsphänomene zur Zeit Jesu sind nicht mythische Sprache, die es zu entmythologisieren gilt, sondern reale Übergriffe höllischer Geister. Die Ankunft des Gottesreiches zeigte sich in Jesu Macht über die Teufel, denn Jesus sagte: "Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen." (Lk 11,20). Die Erlösung besteht also in der Macht über alles Dämonische. Das war auch die Überzeugung des jungen Christentums; dort wurde die Heilstat Christi "von der Vorstellung eines Kampfes zwischen Gott und dem Teufel aus begriffen. Jesus hat die Fesseln des Teufels zerrissen, die Hölle niedergetreten ( Swedenborg und Lorber sprechen von der Unterjochung der Höllen) und die Menschheit vom Tode befreit und ihr den Weg zur Auferstehung in seiner Nachfolge gewiesen."( Hans Lietzmann, Geschichte der alten Kirche, 1953, Bd.II, S.118) Man muß darauf so deutlich hinweisen, weil in der abendländischen Tradition mehr und mehr die Genugtuung in den Vordergrund getreten ist, das blutige Opfer und die Versöhnung des erzürnten Gottes. Swedenborg und Lorber hingegen stehen mit ihrer Auffassung dem griechischen Denken näher; dazu Michael Schmaus: "Während die abendländische Theologie … seit Anselm von Canterbury den Kreuzestod mehr als Genugtuung, als Wiederherstellung der verletzten Ehre Gottes, als Sühne der Gott angetanen Beleidigung verstand, erklärte ihn die griechische Theologie mehr als Sieg Christi über den Satan" ( Michael Schmaus, Katholische Dogmatik II/2, 1955, S.320)Genau das ist auch der Ansatzpunkt bei Swedenborg und Lorber.

SWEDENBORG: "Die Erlösung selbst war eine Unterjochung der Höllen"(WCR 115).

LORBER: "Was … das Werk Meiner Erlösung bedeutet und ist, so sage Ich euch: ... fürs zweite ist es die Unterjochung der Hölle ( auch in GEJ III.25.7 heißt es, daß Gott mit dem Satan in einem "Unterjochungskampfe" ist) unter die Kraft Meiner Liebe" (Die Erlösung, in Hg III, S.18). "Die Erlösung … besteht … in dieser Meiner Menschwerdung, durch welche die so überwiegende Macht der alten Hölle gänzlich gebrochen und besiegt ist." (GEJ VI.239.5). Ich Selbst mußte in die Materie herabkommen, "um dieses alte, aber notwendige Gericht mit aller Meiner Fülle zu durchbrechen und dadurch der sich selbst geschaffenen Hölle einen Damm zu setzen, den sie nimmerdar also durchbrechen wird, wie es bis jetzt der Fall war. Ich, der Allerheiligste, mußte Mich mit der Unheiligkeit der menschlichen oder geschöpflichen Schwachheit ( Vgl. den Lorbertext "Der Schwache") bekleiden, um Mich der Hölle wegen ihrer Besiegung als starker Held nahen zu können." (GEJ VI.240.3).

Obwohl Swedenborg und Lorber beide von der "Unterjochung der Hölle(n)" sprechen, haben sie je eigene Gesichtspunkte, die ihnen wichtig sind. Denn für Swedenborg ist die Hölle eine jenseitige Wirklichkeit; für Lorber aber hat sie auch eine diesseitige Bedeutung. Swedenborg hebt vor allem die Versuchungen hervor; der Sieg über die höllischen Mächte konnte nur durch Versuchungen errungen werden: "Die Unterjochung der Höllen … geschah durch die gegen sein Menschliches zugelassenen Versuchungen und durch die ständig errungenen Siege." (HG 10828). Dieser Gedanke tritt bei Lorber schon deswegen nicht so sehr in den Vordergrund, weil er im Großen Evangelium hauptsächlich die äußeren Ereignisse berichtet; Versuchungen aber sind innere Ereignisse. Von ihnen weiß naturgemäß Swedenborg als der Ausleger des inneren Sinnes mehr zu berichten. Das Besondere bei Lorber ist die Beschreibung des Zusammenhanges zwischen der Hölle und der Materie (= Welt). Wir lesen: "… die Welt und die Hölle sind geradeso eins, wie da eins sind Leib und Seele." (GEJ VI.240.6). Oder: "Der Leib … ist … die Hölle im engsten Sinne; die Materie aller Welten aber ist die Hölle im weitesten Sinne, in die der Mensch durch seinen Leib gegeben ist." (GEJ II.210.8). Deswegen ist die Unterjochung der Hölle, die am Kreuz ihren Höhepunkt erreichte, nicht nur als Sieg über die jenseitigen Todesmächte zu verstehen, sondern auch als Sieg des Geistes über die Materie; war sie vor Ostern das Gefängnis des Geistes, so ist sie nun der Weg in den obersten Himmel, denn Gott selbst hat diesen Weg gebahnt.

Die eigenen Schwerpunkte bei Swedenborg und Lorber stellen keinen Widerspruch dar. Denn wenn durch Lorber geoffenbart wird, daß die Materie quasi eine Hölle ist, dann heißt das nicht, daß die Schöpfung böse ist; im Gegenteil, sie ist "gut Gott gegenüber" (GEJ V.230.1), aber sie kann im Menschen eine böse Wirkung entfalten: "Böse der Wirkung nach ist sie nur den Menschen gegenüber, weil diese der Seele und teilweise sogar dem Fleische nach die Bestimmung haben, als aus dem Tode erweckte Wesen sich für ewig mit dem reinen, positiven Geiste aus Gott zu vereinen, ohne dadurch je mehr ihre absoluteste Freiheit und Selbständigkeit einzubüßen." (GEJ V.230.1). Diese Überlegungen sind auch Swedenborg nicht fremd. Hinzuweisen ist auf seine Auslegung des Sündenfalls (Genesis 3). Die Schlange dort bezeichnet "das Sinnliche des Menschen" (HG 194). Damit ist im Grunde ähnlich wie bei Lorber gesagt, daß das Hingeordnetsein des Menschen zur Welt der Wirkung nach böse sein kann. Außerdem schreibt Swedenborg: "… wer die Welt und nicht zugleich auch den Himmel in sich aufnimmt, der nimmt die Hölle auf." (HH 313). Die Welt kann sich also im Menschen böse auswirken; lediglich das Gehaltensein des Menschen durch die himmlischen Mächte verhindert, daß die Welt den Menschen zu einem "weltlichen" Leben verführt. Auch Swedenborg zufolge besteht somit ein gewisser Zusammenhang zwischen der Welt und der Hölle. Deswegen konnten die einst von der Schlange verführten Menschen (Genesis 3) nur durch den Gott in Schlangengestalt erlöst werden (vgl. Num 21,9 und Joh 3,14).

Umgekehrt fehlt auch bei Lorber nicht der Gedanke der Versuchungen. Der vielleicht markanteste Text in dieser Hinsicht findet sich in der "Jugend Jesu".

LORBER: "Wie lebte denn nun Jesus, der Herr, von Seinem zwölften Jahre bis zu Seinem dreißigsten Jahre? Er fühlte in Sich fortwährend auf das Lebendigste die allmächtige Gottheit; Er wußte es in Seiner Seele, daß alles, was die Unendlichkeit faßt, Seinem leisesten Winke untertan ist und ewig sein muß. Dazu hatte Er den größten Drang in Seiner Seele, zu herrschen über alles. Stolz, Herrschlust, vollste Freiheit, Sinn fürs Wohlleben, Weiberlust und dergleichen mehr, also auch Zorn waren die Hauptschwächen Seiner Seele. Aber Er kämpfte aus dem Willen der Seele gegen alle diese gar mächtigsten, tödlichsten Triebfedern Seiner Seele. Den Stolz demütigte Er durch die Armut; aber welch ein hartes Mittel war das für Den, dem alles zugehörte, und Er aber dennoch nichts 'Mein' nennen durfte! Die Herrschlust bändigte Er durch den willigsten Gehorsam zu denen, die wie alle Menschen gegen Ihn wie gar nichts waren. Seine ewige, allerhöchste Freiheit bestürmte Er eben damit, daß Er Sich, wenn schon endlos schwer, den Menschen wie ein sklavischer Knecht zu den niedrigsten Arbeiten gefangen gab. Den stärksten Hang zum Wohlleben bekämpfte Er durch gar oftmaliges Fasten - aus Not, und auch aus dem freien Willen Seiner Seele. Die Weiberlust bekämpfte Er durch nicht selten schwere Arbeit, durch magere Kost, durch Gebet und durch den Umgang mit weisen Männern … Da Er  ferner die Bosheit der Menschen mit einem Blicke durchschaute und sah ihre Hinterlist und Heuchelei, Verschmitztheit und ihre Selbstsucht, so ist es auch begreiflich, daß Er sehr erregbar war und konnte leichtlichst beleidigt und erzürnt werden; aber da mäßigte Er Sein göttliches Gemüt durch Seine Liebe und darauf erfolgte Erbarmung. Und also übte Er Sein Leben durch lauter schwerste Selbstverleugnungen, um dadurch die zerrüttete ewige Ordnung wiederherzustellen. Aus dem aber läßt sich leicht ersehen, wie Jesus als Mensch die achtzehn Jahre unter beständigen Versuchungen und Bekämpfungen derselben zubrachte." (JJ 299.1ff).

Diese Beschreibung liegt ganz auf der Linie Swedenborgs. Denn schon er hatte gesagt, daß die Versuchungen beim Herrn "vom ersten Knabenalter bis zur letzten Stunde in der Welt" (HG 1690) zugelassen wurden.

Nur durch die Annahme einer menschlichen Natur konnten die Höllen unterjocht werden. Denn nur das Menschliche ist versuchbar. Das ist der Gedanke Swedenborgs: "Daraus läßt sich ersehen, warum der Herr in die Welt kam und den eigentlich menschlichen Zustand mit seiner Schwachheit annahm; denn nur so - nämlich in seinem Menschlichen –konnte er versucht werden und durch Versuchungen die Höllen unterjochen" (HG 2795). Swedenborg begründet dies damit, daß nur beim Menschen Geister aus der Hölle und aus dem Himmel anwesend sind. Das bedeutet, daß es nur im Menschen zu einem Kampf zwischen Himmel und Hölle kommen kann. Wenn Gott also die höllischen Mächte unterjochen wollte, dann mußte er den Kampfplatz aufsuchen, also Mensch werden. Daß die Menschwerdung die Voraussetzung dafür war, daß Gott gegen die Höllen kämpfen konnte, geht auch aus den Lorberschriften hervor. Im Großen Evangelium legt der Herr alttestamentliche Bibelstellen aus, die genau dies zeigen.

LORBER: "Die Erlösung aber besteht … in dieser Meiner Menschwerdung, durch welche die so überwiegende Macht der alten Hölle gänzlich gebrochen und besiegt ist. Solches hat schon der Prophet Jesaias angezeigt, als er im 63. Kapitel, Vers 1-9 sagte: 'Wer ist Der, so von Edom kommt, besprengt das Gewand aus Bozra, ehrenwert in Seiner Kleidung, einherschreitend in der Größe Seiner Kraft? - Ich, der Ich rede in der Gerechtigkeit, groß zum Retten! Warum bist Du rötlich in Deinem Gewand und Dein Gewand wie das des Treters einer Kelter? Die Kelter trat Ich allein und vom Volke kein Mann mit Mir! Deshalb zertrat Ich jene (die Hölle) in Meinem Zorn (Gerechtigkeit) und zerstampfte sie in Meinem Grimme (die höchste Ordnung der göttlichen Weisheit). Darum ist gespritzt der Sieg auf Mein Gewand (der Lehre und des Glaubens Wahres) ( Swedenborg: "Das Wahre des Glaubens wird mit Gewändern verglichen" (HG 1073)); denn der Tag der Rache ist in Meinem Herzen und das Jahr Meiner Erlösten ist gekommen. Heil brachte Mir Mein Arm (das Menschliche des Herrn); zur Erde niedersteigend, machte Ich ihre (der Hölle) Besiegung. Er sprach: Sieh, Mein Volk sind jene Kinder (von der Hölle verführt), darum ward Ich ihnen zum Erlöser, ob Meiner Liebe und ob Meiner Milde habe Ich sie erlöst.' … [Es folgen weitere Stellen mit einer kurzen Auslegung und dann die zusammenfassende Bemerkung:] Dergleichen Stellen gibt es noch eine Menge, in denen dargetan ist, daß Ich hauptsächlich nur darum im Fleische in diese Welt gekommen bin, um den zu gewaltigen Übergriffen der Hölle für ewig Einhalt zu tun." (GEJ VI.239.5-9 und 13).

Interessant ist der Vergleich dieser Auslegung mit derjenigen Swedenborgs. Die Grundaussage ist nämlich völlig identisch: das Menschliche des Herrn erkämpfte den Sieg über die Hölle. Nach Swedenborg kann man aus Jesaja 63,1-5 erkennen, "daß der Herr in der Welt allein gegen die Höllen gekämpft und sie besiegt hat." (HG 8273). Aus dem Lorbertext ist zu entnehmen, daß der "Arm" "das Menschliche des Herrn" bedeutet. Dieselbe Auffassung finden wir auch bei Swedenborg: "Sein [Gottes] Menschliches heißt auch im Worte Arm Jehovahs (Jes 40,10f; 53,1)." (WCR 84).

Der Sieg über die Todesmächte wurde nicht nur für die Menschen, sondern auch für die Engel errungen. Auch in diesem nicht unwichtigen Punkt stimmen Swedenborg und Lorber überein. 

SWEDENBORG: "Ohne die Erlösung hätte kein Mensch gerettet werden können, und auch die Engel wären nicht unversehrt (in statu integritatis) geblieben." (WCR 118).

LORBER: "Ihre [= der Höllengeister] Verstellungskunst geht so weit, daß sie sogar die Engel verführen könnten, und Ich bin hauptsächlich darum im Fleische dieser Erde gekommen, um der Hölle für ewig einen Damm zu setzen, den sie in alle Ewigkeit nimmer wird überwältigen können." (GEJ VI.239.1). 

Der neue Himmel und die neue Kirche 

Der Sieg über die Höllen war die Vorbedingung für die neue Schöpfung. Die Voraussagen des neuen Himmels und der neuen Erde (Jes 65.17; Offb 21.1) hat man bisher zu wörtlich genommen und auf das materielle Universum bezogen. Doch der Himmel ist nicht der sichtbare Himmel über unseren Köpfen, sondern die Lebenswirklichkeit der Engel; und die Erde ist nicht der Boden unter unseren Füßen, sondern ein Bild für die Grundlagen unserer geistigen Existenz. Ich habe das ausführlich in "Die Gotteslehre aus den Himmeln: Swedenborg und Lorber über das

neue Jerusalem" (siehe "Das Wort" 6, 1997, 371-382) dargestellt und muß es daher hier nicht wiederholen. Die folgenden Zitate belegen nur noch einmal, daß die Erlösung nach Swedenborg und Lorber auch eine Neuordnung des Himmels und der Erde war.

SWEDENBORG: "Die Erlösung bestand … im Ordnen der Himmel und so in der Vorbereitung zu einer neuen geistigen Kirche." (WCR 115). "Die Erlösung wird vollbracht durch die Gründung eines neuen Himmels und einer neuen Kirche." (WCR 182).

LORBER: "Was … das Werk Meiner Erlösung bedeutet und ist, so sage Ich euch: ... fürs dritte ist sie die Eröffnung der Pforten des Himmels und des ewigen Lebens und der getreue Wegweiser dahin …" (Die Erlösung, in Hg III, S.18). "Alle alte Ordnung der alten Himmel samt den Himmeln hört auf, und es wird nun auf die Grundlage der nun durch Mich gesegneten Materie eine neue Ordnung und ein neuer Himmel gemacht, und die ganze Schöpfung, wie auch diese Erde, muß eine neue Einrichtung bekommen. Nach der alten Ordnung konnte niemand in die Himmel kommen, der einmal in der Materie gesteckt ist; von nun an wird niemand wahrhaft zu Mir in den höchsten und reinsten Himmel kommen können, der nicht gleich Mir den Weg der Materie und des Fleisches durchgemacht hat." (GEJ IV.109.3f). 

Die Verherrlichung des Herrn 

Swedenborg macht einen Unterschied zwischen der Erlösung und der Verherrlichung. Deswegen fehlte oben, in seiner Zusammenfassung des Erlösungswerkes die Verherrlichung. Dort hieß es lediglich: "Die Erlösung bestand in der Unterjochung der Höllen und im Ordnen der Himmel und so in der Vorbereitung zu einer neuen geistigen Kirche." (WCR 115). Zur Unterscheidung dieser beiden Vorgänge schreibt Swedenborg:

SWEDENBORG: "Das Kommen des Herrn in die Welt, durch das Er die Menschen und Engel errettete, hatte zwei Ziele: die Erlösung und die Verherrlichung Seines Menschlichen. Beide sind voneinander zu unterscheiden, bilden aber doch im Hinblick auf die Rettung des Menschengeschlechtes ein Ganzes. In den vorhergehenden Abschnitten wurde gezeigt, daß die Erlösung im Kampf mit den Höllen und ihrer Unterwerfung sowie in der darauffolgenden Neuordnung der Himmel bestand. Die Verherrlichung aber war die Vereinigung des Menschlichen des Herrn mit dem Göttlichen Seines Vaters, die nach und nach vollzogen und durch das Leiden am Kreuz vollendet wurde." (WCR 126). Daher kann Swedenborg den Zweck der Menschwerdung doppelt bestimmen: "Der Herr von Ewigkeit, welcher Jehovah ist, kam in die Welt, um die Höllen zu unterjochen [= Erlösung] und Sein Menschliches zu verherrlichen." (WCR 2).

Die Verherrlichung war die völlständige Vergöttlichung des Menschen Jesus von Nazareth. Auch das Große Evangelium kennt diesen Gedanken:

LORBER: "Ich werde nun auch dieses Menschliche ... noch auf dieser Welt ... ganz in Mein Urgöttliches verkehren und sodann auffahren zu Meinem Gott, der in Mir ist" (GEJ VI.231.6). LEOPOLD ENGEL ( Im folgenden beziehe ich mich mehrfach auf den XI. Band des Großen Evangeliums, der jedoch nicht durch Jakob Lorber, sondern durch Leopold Engel empfangen wurde. Dieser Wechsel des Offenbarungsempfängers bedingt gewisse Unterschiede, deren genaue Untersuchung sehr interessant wäre, auch im Hinblick auf ein vertieftes Verständnis darüber, wie Offenbarungen zustande kommen und welche Bedingungen dabei eine Rolle spielen. Ich kann diese Untersuchung aber hier nicht durchführen und betrachte daher den XI. Band als zum Großen Evangelium gehörig, zitiere Leopold Engel aber an zweiter Stelle, nach Jakob Lorber.) : "Daher sprach Ich nach des Judas Fortgang: 'Nun ist des Menschen Sohn verklärt ("Verklären" und "verherrlichen" sind die beiden Übersetzungen des johanneischen Wortes "doxazein"), und Gott ist verklärt in Ihm. Ist Gott verklärt in Ihm, so wird Ihn Gott auch verklären in Sich Selbst und wird Ihn bald verklären!' [Joh 13.31f] Das heißt also: Der Menschensohn wird wahrhaft Gottes Sohn sein, und der Vater wird Sich bald für alle Ewigkeit mit Ihm vereinen." (GEJ XI.71)(  Auch Swedenborg hat diese Stelle aus dem Johannesevangelium (Joh 13,31f)mehrfach ganz ähnlich ausgelegt: "Hier wird die Verherrlichung sowohl von Gott Vater als auch vom Sohn ausgesagt … Dies bedeutet soviel als 'vereinigt werden'" (WCR 128). Die Verherrlichung also - wie bei Lorber - als Vereinigung.) Im Hinblick auf seine bevorstehende Passion sagte der Herr: "Siehe, was jetzt in Meiner Seele vorgeht, davon wird nie ein Menschenherz etwas erfahren; denn jetzt muß der Menschensohn sich aufschwingen zum Gottessohne!" (GEJ XI.46, S.116). Die Zeit der Abgeschiedenheit in Ephrem (vgl. Joh 11,54) diente dem Herrn dazu, um seinen "Erdenmenschen für die schwere Zeit vorzubereiten und  für die Umwandlung zum ewigen, unveränderlichen Christus geeignet zu machen" (GEJ XI.47, S.118). Durch "die Unterscheidung des Sohnes vom Vater" wollte der Herr vor Ostern ausdrücken, "daß der Leib noch nicht verklärt war, sondern noch der Erde angehörte." (GEJ XI.48, S.122).

Die Vereinigung des Göttlichen und des Menschlichen in Jesus Christus kann im Großen Evangelium auch mit dem Bild einer Brücke ausgedrückt werden. "Es muß ... ein Weg gezeigt, eine Brücke geschlagen werden, über welche es möglich ist von der Materie zum Geiste zu gelangen!" "Darin aber, daß nun dieser Weg, der direkt zu Gott führt, eröffnet ist, und darin, daß dieser Weg von dem Menschensohne Jesus, der dadurch zum Gottessohne ward, erfüllt wurde, liegt die Erlösung." (GEJ XI.75). Jesus ist also die Brücke vom Göttlichen zum Menschlichen und umgekehrt. ( Dieser in Jesus Christus gelungene Brückenschlag von der Materie zum Geist bedeutet zugleich, daß es nun einen Weg vom Vollendungszustand der alten Schöpfung (Paradies oder Wiedergeburt der Seele; vgl. GEJ VIII.34.15) zum Vollendungszustand der neuen Schöpfung (Himmel oder Wiedergeburt des Geistes) gibt. Daher kann Zorels geistiger Führer sagen: "Mein Freund sagt, dies sei noch lange kein Himmel, sondern das sei das Paradies. In den Himmel wäre bis jetzt noch kein Sterblicher gekommen; denn dahin sei bis jetzt noch keine Brücke erbaut worden." (GEJ IV.53.4). Erst durch die Erlösung und die Verherrlichung wurde eine Brücke zwischen dem Paradies und dem Himmel erbaut. Und deswegen konnte Jesus selbst sagen: "Nach der alten Ordnung konnte niemand in die Himmel kommen, der einmal in der Materie gesteckt ist; von nun an wird niemand wahrhaft zu Mir in den höchsten und reinsten Himmel kommen können, der nicht gleich Mir den Weg der Materie und des Fleisches durchgemacht hat." (GEJ IV.109.4). "Sei getrost; denn darum bin Ich ja Selbst in diese Welt gekommen! Bisher hat es an wohlgebahnten Wegen gemangelt, und die Himmel waren getrennt von der Erde; nun aber wird ein gerechter und fester Weg gebahnt werden, und die Himmel werden mit der Erde verbunden werden …" (GEJ II.133.2). Zum Begriff "Brücke" vgl. auch GEJ I.81.10). 

Swedenborgs Christologie der Verherrlichung geht auf das Johannesevangelium zurück. Dort wird "verherrlichen" in einer ganz bestimmten Bedeutung verwendet. Diese wiederum beruht auf der alttestamentlichen Vorstellung der Herrlichkeit Jehovahs (Ex 24,16; Jes 40,5; 60,1 usw.). Darunter ist nach Swedenborg "der Lichtglanz" der göttlichen Sonne bzw. "das Göttlich-Wahre" (HG 8267, 8427, 5922) zu verstehen. Verherrlichen oder verklären bedeutet also: dem göttlichen Licht gleich werden. Und da dieses Licht ewig aus dem Feuer der Liebe hervorgeht und Liebe und Weisheit in Gott eins sind, bedeutet verherrlichen auch: in das Feuer der Liebe übergehen. Swedenborg schreibt: "Verherrlichen heißt göttlich machen." (NJ 294). Das bedeutet, daß der Mensch Jesus zum Ebenbild der göttlichen Liebe und Weisheit wurde. Doch dieser Prozeß konnte nur stufenweise geschehen. Nicht ohne Grund heißt es im Johannesevangelium, daß das Wort (= die Weisheit) Mensch wurde. Die Liebe hielt sich gewissermaßen zunächst zurück. Oder anders gesagt: es geschah eine gewisse Trennung von Liebe und Weisheit. Man bedenke, was das heißt. In Gott sind Liebe und Weisheit eins; aber zum Zwecke der Menschwerdung mußte sich die Weisheit aus dem Schoß der Liebe lösen. Daher konnte auch die Verherrlichung nur stufenweise erfolgen. Das heißt, Jesus wandelte sich zunächst in das Bild der göttlichen Weisheit hinein (= Gesetzeserfüllung), um diese dann mit der Liebe zu verbinden. Daß Gott als das ewige Wort der Weisheit Mensch wurde konnte der zu Jesu Lebzeiten schon uralte Rael noch von einem alten Weisen in Ägypten erfahren: "Der Geist der Weisheit steigt hernieder, gesandt von der ewigen Liebe, und er wird ausstreuen das hellste Licht." (GEJ XI.20, S.54). Die sukzessive Vereinigung des Menschlichen mit dem Göttlichen deutet Swedenborg an, wenn er schreibt: "Die Verherrlichung des Herrn schritt vom Wahren zum Guten des Wahren und endlich zum Guten fort" (HG 4538). Die Verherrlichung kann daher auch beschrieben werden als die Einswerdung von Liebe und Weisheit. In Christus "erst ward Vater und Sohn wieder eins oder - was dasselbe ist - die göttliche Liebe und die göttliche Weisheit." (Sch. 17.4). "Als der Herr in der Welt war, war er das göttliche Wahre [= Weisheit]; das göttliche Gute in ihm [= Liebe] war damals der Vater. Aber durch seine Verherrlichung wurde der Herr auch seinem Menschlichen nach das göttliche Gute." (HG 8724).

Da verherrlichen und vergöttlichen gleichbedeutend sind, ist klar, dass Jesus seinen Weg als Mensch begonnen hat. Er mußte sich erst - wie es bei Lorber einmal heißt - "die Würde eines Gottes erwerben" (GEJ VI.90.12). Er mußte also den Weg der Vergöttlichung gehen. Dies belegen eindrucksvoll die folgenden Stellen aus dem Lorberwerk: "Ich selbst habe müssen, so gut wie ein jeder andere ordentliche Mensch, erst an einen Gott zu glauben anfangen und habe Ihn dann stets mehr und mehr mit aller erdenklichen Selbstverleugnung auch müssen mit stets mächtigerer Liebe erfassen und Mir also nach und nach die Gottheit erst völlig untertan machen." (JJ Vorrede 1). "Um das richtig zu fassen, muß man Jesum nicht abgeschlossen als den alleinigen Gott ansehen; sondern man muß sich Ihn als einen Menschen darstellen, in Dem die alleinige ewige Gottheit Sich gerade also untätig scheinend einkerkerte, wie da in eines jeden Menschen Wesen der Geist eingekerkert ist." (JJ 298.4-5). "Dieser kaum dreißigjährige Sohn des Zimmermanns Joseph dem Außen nach  trat demnach Sein Lehramt vollkommen als Mensch und durchaus nicht als Gott an. Die Gottheit trat in Ihm nur bei Gelegenheiten in dem Maße wirkend auf, als Er als Mensch durch Seine Taten dieselbe in Sich flott machte; aber ohne Taten tauchte die Gottheit nicht auf." (Sch 8.9). Auch Swedenborg betont: Jesus war "seinem Menschlichen nach ein Kind wie jedes andere Kind, ein Knabe wie jeder andere Knabe und so weiter." (WCR 89).

Durch die Verherrlichung wurde der unschaubare Gott zu einem schaubaren und somit verbindbaren Gott. Daher sagte Jesus: "Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen." (Joh 14,9). Und: "Ich und der Vater sind eins." (Joh 10,30). Das heißt, in Jesus Christus ist uns der unschaubare Gott zugänglich geworden. Deswegen bekannte die Urchristenheit: "Er [Jesus Christus] ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes" (Kol 1,15). Swedenborg und Lorber haben diese Lehre zu neuer Kraft erweckt.

SWEDENBORG: "Bis jetzt wissen sie noch nicht, daß der eine Gott, der un-schaubar ist, in die Welt kam und ein Menschliches annahm, nicht allein um die Menschen zu erlösen, sondern auch um schaubar und damit verbindbar zu werden" (WCR 786). Man soll sich nicht unmittelbar an Gott den Vater wenden, "weil dieser unsichtbar und daher unzugänglich und unverbindbar ist. Aus diesem Grunde kam Er selbst in die Welt, um sich sichtbar, zugänglich und verbindbar zu machen" (WCR 538). "Jehovah Gott, der Schöpfer und Vater genannt wird, stieg auch deswegen herab und nahm ein Menschliches an, damit man herantreten und sich mit ihm verbinden kann." (WCR 107).

LORBER: "Ich war wohl schon von Ewigkeit her in Mir Selbst in aller Macht und Herrlichkeit, aber Ich war dennoch für kein geschaffenes Wesen ein schau- und begreifbarer Gott … Aber von nun an bin Ich allen Menschen und Engeln ein schaubarer Gott geworden und habe ihnen ein vollkommenstes, ewiges und selbständig freiestes und somit wahrstes Leben gegründet, und eben darin auch besteht Meine eigene größere Verherrlichung, und so denn auch die eurige." (GEJ VIII.57.14). ENGEL: "Das Unschaubare wird zum Schaubaren nur in Jesus, und diese Vereinigung beider in der Menschenform ermöglicht das Herantreten des Geschöpfes an den Schöpfer, das Aufgehen der Materie in den Geist, die Rückführung der entstandenen Sündenfolge aufwärts über die Scheidewand von Materie und Geist … hinweg." (GEJ XI.75). 

Die Interpretation des Kreuzes

Seit Paulus steht das Kreuz im Mittelpunkt des Christentums. Paulus hat nämlich das Heil ausschließlich an den Tod und die Auferstehung Christi geknüpft. Mit Paulus beginnt die Konzentration auf das Kreuz. Das ist nicht verwunderlich; denn Paulus hatte das Phänomen Jesus Christus in der Rückschau zu interpretieren; und in dieser Retrospektive drängte sich ihm das Kreuz als hermeneutischer Schlüssel auf. Anders sah das für den Augenzeugen und Begleiter Jesu, für Johannes aus. Das Kreuz ist für ihn nur als ein Bestandteil des Lebens Jesu zu verstehen. Das Kreuz ist die Erhöhung Jesu (Joh 3,14; 8,28; 12,32.34), womit die Kreuzigung als Einswerdung mit dem Vater im Himmel gedeutet ist. Diese Vereinigung strebte Jesus aber sein ganzes Leben hindurch an: "Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat" (Joh 4,34). Das Kreuz ist also nur der Höhepunkt dieser Entwicklung. An die jo-hanneische Tradition anknüpfend, grenzen Swedenborg und Lorber die Bedeutung des Kreuzes ein.

SWEDENBORG: "Das Leiden am Kreuz war nicht die Erlösung." (WCR 126ff). "Es ist ein grundlegender Irrtum der Kirche zu glauben, das Leiden am Kreuz sei die Erlösung schlechthin gewesen" (WCR 132). "Die Erlösung und das Leiden am Kreuz sind zwei verschiedene Dinge." (WCR 581).

LORBER: "O ja, die Menschen brauchten sich auch gar nicht an Meinem Fleische zu vergreifen und würden darum doch das ewige Leben ihrer Seele überkommen können …" (GEJ VII.51.3). Vgl. auch GEJ VIII.149.5-9. ENGEL: "Das Sterben Jesu ist die Besiegelung des unbedingten Gehorsams. Es wäre nicht notwendig gewesen" (GEJ XI.75).

Swedenborg interpretiert das Kreuz als Versuchung und daher als Mittel der Vereinigung mit dem Vater (= Urgöttlichen). Er schreibt: "Das Leiden am Kreuz war nicht die Erlösung, sondern die letzte Versuchung, die er als der größte Prophet auf sich nahm, sowie das Mittel zur Verherrlichung seines Menschlichen, das heißt zur Vereinigung mit dem Göttlichen seines Vaters." (WCR 126). Versuchungen sind Angriffe "gegen die Liebe eines Menschen" (HG 1690). Die Liebe des Gottmenschen war "die Liebe zum ganzen Menschengeschlecht" (HG 1690), d.h. es war die göttliche Liebe oder - mit den Worten Jesu - der Vater. Als sich der Menschensohn selbst noch am Kreuz für diese Liebe entschied, da vereinigte sich der Vater (= die ewige Liebe) ganz und gar mit Jesus; der Menschensohn wurde wahrhaft zum Gottessohn; er wurde in die divina essentia (= das göttliche Wesen) aufgenommen. Die Versuchungen vollbrachten dieses Wunder; sie waren "das Mittel der Vereinigung" (HG 4961); das Kreuz als die äußerste Versuchung war somit das Mittel der äußersten Vereinigung. Auch für Lorber ist das Kreuz der Höhepunkt der Vergöttlichung.

LORBER: Die "volle Einung der Fülle der Gottheit mit dem Menschen Jesus" ist "erst durch den Kreuzestod völlig erfolgt" (JJ Vorrede 2). "Aber Ich habe solches Leben aus Gott nicht etwa vom Mutterleibe aus in diese Welt gebracht! Der Keim lag wohl in Mir, aber er mußte erst entwickelt werden, was Mich nahezu volle 30 Jahre Zeit und Mühe gekostet hat. Nun stehe Ich freilich als vollendet da vor euch und kann euch sagen, … daß der Geist in Mir völlig eins ist mit dem Geiste Gottes … Dieser Geist [Gottes in Mir] ist wohl Gott, doch Ich als purer Menschensohn nicht; denn wie schon gesagt, so habe Ich als solcher auch, jedem Menschen gleich, durch viele Mühe und Übung erst Mir die Würde eines Gottes erwerben müssen und konnte Mich als solcher erst einen mit dem Geiste Gottes. Nun bin Ich wohl eins mit Ihm im Geiste, aber im Leibe noch nicht; doch Ich werde auch da völlig eins werden, aber erst nach einem großen Leiden und gänzlicher und tiefst demütigender Selbstverleugnung Meiner Seele." (GEJ VI.90.11-12).

Am Kreuz erreichte die Vergöttlichung auch den Leib Christi. Das leere Grab ist der Beweis dafür, daß es prinzipiell möglich ist, die Materie zu vergöttlichen. Dieser Gesichtspunkt ist besonders im Lorberwerk gegeben. Aber auch nach Swedenborg ist der Auferstehungsleib irgendwie aus dem zuvor materiellen Leib Christi hervorgegangen; die Materie muß also grundsätzlich der Vergöttlichung fähig sein. Dieser Gedanke kann bei Swedenborg jedoch nicht so sehr zur Geltung kommen, weil bei ihm die Lehre von den getrennten Graden des Seins vorherrschend ist. Dieser Linie folgend müßte man annehmen, daß die Materie als der alleräußerste Grad des Seins niemals vergeistigt oder gar vergöttlicht werden kann. Wie ist dann aber der Auferstehungsleib zu erklären? Die Swedenborgschriften geben dazu keine klare Antwort. Bei Lorber ist die Ausgangslage anders: "Die Materie ist … nichts anderes als ein gerichtetes … Geistiges" (GEJ IV.103.4). Während Swedenborg also das Getrenntsein der Grade betont, könnte man mit Lorber sagen, dass Materie und Geist nur verschiedene Erscheinungsformen oder Aggregatzustände desselben Seins sind. Ich glaube, man muß beide Sichtweisen haben, um in dieser schwierigen Frage nicht einseitig zu werden. Lorber also kann deutlicher als Swedenborg das Eindringen des Geistes Gottes in die Materie zur Sprache bringen.

LORBER: "… durch diesen Leib habe Ich alles Gericht und den Tod über Mich genommen, und es muß dieser Leib dem Tode auf drei Tage gegeben werden, damit eure Seelen fortan das ewige Leben haben mögen! Denn dieser Mein Leib ist der Stellvertreter eurer Seelen; auf daß eure Seelen leben, muß er das Leben lassen, und das von ihm gelassene Leben wird ewig zugute kommen euren Seelen. Am dritten Tage aber wird auch dieser Mein Leib das Leben ganz verwandelt wiedernehmen, und die Überfülle Meines ewigen Geistes wird dann dringen in euch und wird euch leiten in alle Wahrheit 13 . In solcher Wahrheit erst werdet ihr gleich Meinem Leibe verwandelt werden in euren Herzen und in euren Seelen, und ihr werdet euch selbst nehmen das ewige Leben aus der Überfülle Meines Geistes frei und unabhängig, und also werdet ihr erst wahrhaft Kinder Gottes werden, sein und bleiben für ewig." (GEJ III.226.6-9). "Ich als der alleinige Träger alles Seins und Lebens muß nun auch das, was von Ewigkeiten her durch die Festigkeit Meines Willens dem Gerichte und dem Tode verfallen war, erlösen und muß eben durch das Gericht und durch den Tod dieses Meines Fleisches und Blutes in das alte Gericht und in den alten Tod eindringen, um so Meinem eigenen Gottwillen jene Bande insoweit zu lockern und zu lösen, wegen der in sich reif gewordenen Materie der Dinge, auf daß dadurch alle Kreatur aus dem ewigen Tode zum freien und selbständigen Leben übergehen kann." (GEJ V.247.5). "Darum mußte Ich Selbst die Materie anziehen, mit ihr das Gericht, und muß es durchbrechen, damit Ich dadurch für alle Gefallenen zur Eingangspforte ins ewige Leben werde, wenn sie durch diese Pforte zum Leben eingehen wollen. Darum auch bin Ich die Tür zum Leben und das Leben Selbst. Wer nicht durch Mich eingeht, der kommt nicht zum Leben im Lichte der ewigen Wahrheit und der Freiheit, sondern bleibt gefangen im Gerichte der Materie." (GEJ VIII.35.10). ENGEL: "Wisse nur, daß, da Ich die Menschen zu erlösen niederkam, diese Erlösung nicht nur geistig, sondern auch ganz grob materiell geschehen wird, weil … Materie und Geist innig zusammenhängen und erstere erst aus letzterem entstanden ist! Der Geist will aber in der ersteren untergehen; daher muß die Materie gesprengt und, um errettet werden zu können, wieder geistig werden. Und das ist die Erlösung der Form [= Menschenform] …" (GEJ XI.25).

Diese Worte sagen, daß es einen Zusammenhang zwischen dem Kreuz und der Materie gibt. Ihnen liegt, wie schon gesagt, der Materiebegriff bei Lorber zugrunde: "Die Materie ist … nichts anderes als ein gerichtetes … Geistiges" (GEJ IV.103.4). Materie, Gericht und Tod; diese Begriffe gehören zusammen. Denn die Materie ist der gerichtete Zustand des Geistigen; und alles Gerichtete ist tot, weil zum Leben die Freiheit gehört. Der Tod Jesu bahnte der dem Tode verfallenen Schöpfung den Weg ins Leben; selbstverständlich meinen hier die Begriffe Tod und Leben nicht nur den biologischen Tod und das biologische Leben. Das wahre Leben ist die Gemeinschaft mit dem Geiste Gottes in der Liebe. Jesus Christus wurde durch das Kreuz "die Tür zum Leben und das Leben Selbst. Wer nicht durch Mich eingeht, der kommt nicht zum Leben …" (GEJ VIII.35.10; vgl. Joh 10,9). Hier ist die Nähe zur johanneischen Theologie zu beachten. Denn der johanneische Jesus ist gekommen, um der Welt 13 "Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen ist, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten" (Joh 16,13). das Leben zu geben; Leben ist der wichtigste Heilsbegriff in den johanneischen Schriften. Der Leib Christi ist der sichtbare Ausdruck dafür, daß Gott selbst in den Tod der Welt eingedrungen ist und somit die Welt von innen heraus belebt hat. Der Leib Christi muß "das Leben lassen, und das von ihm gelassene Leben" (GEJ III.226.7) wird unseren Seelen zugute kommen. Man fühlt sich an das Johanneswort erinnert: "Größere Liebe hat niemand als die, daß er sein Leben hingibt für seine Freunde." (Joh 15,13). Diese Hingabe des Lebens meint den Kreuzestod nicht nur als ein äußeres Geschehen, sondern deutet ihn. Der Tod Christi wird zum Zeichen dafür, daß Gott sein Leben ausgehaucht bzw. der toten Schöpfung eingehaucht hat.

Obwohl die Erlösung und das Leiden am Kreuz "zwei verschiedene Dinge" sind (WCR 581) und somit das Sterben Jesu für die Erlösung des Menschengeschlechtes "nicht notwendig" gewesen wäre (GEJ XI.75), hat der Tod Christi - da die Höllen ihn nun einmal wollten - einen tiefen Sinn: die Verherrlichung des Menschlichen oder die totale Vereinigung mit dem Urgöttlichen des Vaters (vgl. WCR 126). Jesus, der Gesalbte Gottes, stand, bevor er zu dem schrecklichen Leiden endgültig Ja sagte, tatsächlich vor der Wahl, ob er der größte Prophet der Menschheit oder das Antlitz Gottes, ja Gott selbst sein wollte. Als er auf dem Ölberg stand und Jerusalem, die Stadt seines Leidens, vor sich sah, da trennte sich die Gottheit vom Menschensohn und stellte ihn vor die Wahl: "Willst du als Mein Sohn aufgehen in dem Vater … Oder willst du als Sohn des Menschen dieser Menschheit allein angehören und nur von dieser Welt bleiben? Du kannst sein ein Herrscher der Welt und bleiben ein Erlöser der Welt; aber du kannst auch sein ein Wegweiser zu Mir, der da führt zu Gottes innerstem Herzen, indem du völlig in Mir aufgehst und damit ein Herrscher des Lebens in allen Ewigkeiten wirst … So wähle denn jetzt, wo dir vor Augen liegt, was dir am Leibe geschehen wird, ob du den Weg neben Mir oder den Weg in Mir wandeln willst; denn die letzte Entschließung ist da!" (GEJ XI.65). Die Christenheit hat zu allen Zeiten gewußt, daß der Tod Christi eine freiwillige Entscheidung war; aber hat sie auch immer gewußt, was das bedeutet? Swedenborg und Lorber sind sich einig darin, daß es am Kreuz um die Vergöttlichung des Messias ging. Lorber jedoch zieht diese Linie bis zum Allerletzten aus. 

Die Abgrenzung gegenüber der alten Lehre 

Die alte Erlösungslehre hatte zu sehr den zornigen Gott und die blutige Versöhnung in den Mittelpunkt gestellt. Swedenborg beschrieb diese Lehre mit den folgenden Worten:

SWEDENBORG: "Es gibt gegenwärtig keine Lehre, die die Bücher der Ortho-doxen mehr füllte, in den Bildungsanstalten eifriger gelehrt und von den Kanzeln herab häufiger gepredigt würde als die folgende: Gott Vater, erzürnt über das menschliche Geschlecht, hat es nicht allein aus Seiner Gegenwart verstoßen, sondern zur allgemeinen Verdammnis verurteilt, also mit dem Fluch belegt. Weil er aber gnädig ist, hat Er Seinen Sohn bewogen oder erweckt, herabzusteigen und die beschlossene Verdammnis auf sich zu nehmen, um auf diese Weise den Zorn Seines Vaters zu versöhnen, da dieser nur so und nicht anders den Menschen wieder mit einiger Gunst anblicken konnte. Der Sohn hat dies auch wirklich getan, hat sich, die Verdammnis des menschlichen Geschlechts auf sich nehmend, von den Juden geißeln, ins Angesicht speien und dann wie ein von Gott Verfluchter kreuzigen lassen (Dtn 21,23). Der Vater aber war, nachdem dies geschehen, versöhnt und hat aus Liebe zum Sohn die Verdammnis zurückgezogen, freilich nur von denen, für die der Sohn einsteht, der so auf ewig zum Mittler vor Seinem Vater geworden ist." (WCR 132).

Das ist die Lehre von der stellvertretenden Genugtuung (satisfactio vicaria); sie wurde namentlich von Anselm von Canterbury (1033/4 -1109) in seinem Hauptwerk Cur deus homo entwickelt und ist spätestens seit dem Konzil von Trient die offizielle Lehre der katholischen Kirche. Swedenborg und Lorber decken jedoch die Mängel dieser Theorie auf. Denn erstens geht sie davon aus, daß der Vater und der Sohn zwei verschiedene Personen sind. Wir haben aber gesehen, daß Jehovah selbst Mensch geworden ist. Zweitens wird die biblische Rede vom Zorn Gottes so wörtlich genommen, daß die Genugtuung sogar als "die Wiedergutmachung einer Beleidigung" (Ludwig Ott, Grundriß der katholischen Dogmatik, 1981, S.225) definiert werden kann. Was aber, wenn Gott überhaupt nicht zornig sein kann? Wenn der Zorn Gottes nur eine Metapher ist? Und das ist tatsächlich der Fall: "So ihr leset von einem Zorne Gottes, da sollet ihr darunter verstehen den ewig stets gleichen und festen Ernst Seines Willens; und dieser Ernst des Willens in Gott ist aber ja eben der innerste Kern der allerreinsten und allermächtigsten Liebe" (GEJ IV.141.3)( Vgl. auch GEJ IX.30.3 und HGt II.231 ("die geschaffenen Dinge … sind der Zorn Gottes").  Auch Swedenborg betont mehrfach, "dass Jehovah keinen Zorn hat", weil er "die Liebe selbst" ist (HG 6997). Daher  kann die Erlösung nicht in der Besänftigung des erzürnten Gottes, sondern nur in der Unterjochung der Höllen bestehen.( Anzumerken ist freilich, daß auch Lorber in HGt I.8ff im Zusammenhang der Erlösung vom Zorn der Gottheit reden kann. Das ist jedoch nie so naiv wie in der klassischen Erlösungslehre zu verstehen.) Und schließlich drittens stellt die Genugtuungslehre das Leiden am Kreuz zu sehr in den Mittelpunkt. Swedenborg sagt jedoch: "Es ist ein grundlegender Irrtum der Kirche zu glauben, das Leiden am Kreuz sei die Erlösung schlechthin gewesen; zusammen mit dem Irrtum, es seien drei göttliche Personen von Ewigkeit, hat er die ganze Kirche zugrunde gerichtet, so daß in ihr kein geistiger Überrest mehr vorhanden ist." (WCR 132). Zwischen den beiden Irrtümern besteht ein Zusammenhang. Denn erst auf dem Boden der Trinitätslehre (drei göttliche Personen!) konnte die Lehrmeinung entstehen, daß der Sohn den Zorn des Vaters besänftigen kann.

Ein auffallender Unterschied gegenüber der abendländischen Tradition besteht auch darin, daß die Erlösung bei Swedenborg und Lorber ontologisch gedacht ist und nicht - wie im Abendland üblich - formaljuristisch. Sowohl die Versöhnung der Menschheit mit Gott als auch die Sünde sind in Kategorien des Seins gedacht. Denn die Versöhnung ist die Verschmelzung des Göttlichen mit dem Menschlichen in der Person Jesu Christi. Er ist die leibhaftige Versöhnung der bislang getrennten Pole des Geistes und der Materie; in ihm ist die Schöpfung mit ihrem Urgrund versöhnt. Und ferner ist die Materie (Lorber) oder zumindest das Sein in der Sinnlichkeit (Swedenborg) der sichtbare und handgreifliche Ausdruck des Abfalls von Gott. Aber seit der Verherrlichung ist das Sein in der Materie kein Hindernis mehr für das Sein in Christus. Die unendliche Kluft zwischen den sündhaften Sein und dem wahren Sein ist durch Jesus Christus überbrückt worden. Das alles zeigt ganz deutlich, daß die Neuoffenbarung eine ontologische Erlösungslehre vorlegt. Sie steht der griechischen Theologie näher als der uns bekannten abendländischen. Denn die "Theologie der griechischen Kirchenväter sieht … die Sünde vor allem als eine Störung und Verwirrung der Seinsordnung … Die … abendländische Erklärung … sieht in der Sünde vor allem eine Störung der Rechtsordnung".(17 Michael Schmaus, Katholische Dogmatik II/2, 1955, S.357f.) 

Erlösung und Wiedergeburt 

Obwohl uns Jesus Christus erlöst hat, sind wir nicht automatisch erlöst. Denn seine Erlösung ist nur eine prinzipielle; d.h. die Gefängnistore sind nun zwar offen, aber aus unseren Zellen trägt uns keine göttliche Macht gegen unseren Willen hinaus. Was nützt die prinzipielle Befreiung, wenn kaum jemand von ihr Gebrauch macht? 2000 Jahre danach sieht das Antlitz der Menschheit immer noch nicht sehr erlöst aus. Ja, wir erfahren sogar, daß "der Herr auch gegenwärtig eine Erlösung vollbringt" (WCR 115). Man muß also klar zwischen der Erlösung und der Wiedergeburt (= individuelle Erlösung) unterscheiden.

SWEDENBORG: "Man darf nämlich nicht glauben, daß durch die einmal in der Welt vollbrachte Erlösung künftig alle erlöst worden seien. Vielmehr erlöst der Herr fortwährend alle die, welche an Ihn glauben und nach Seinen Worten tun." (WCR 579c).

LORBER: "Aber es wird die Erlösung für den Menschen nur dann eine wahre und wirksame sein, so er die dazu angezeigten Mittel ganz genau und getreu anwenden wird …" (GEJ V.204.10).

Die individuelle Erlösung ist "die Wiedergeburt des Geistes" (Die Erlösung, Hg III, S.9).

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Siehe auch Wort-Heft 3/4 2001, herausgegeben vom Lorber-Verlag, Bietigheim, Postfach 1851, 74308 Bietigheim

Homepage von Thomas Noack:

www.neuoffenbarung.ch 

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J. Lorber: 'Himmelsgaben' Bd. 03, S. 075


   

KapitelinhaltDer ,Sehr Schwache' (Der siebente Jünger) {6. Dezember 1840, Vormittag von 1/2 10 bis 3/4 12 Uhr}

Aus der CD von Gerd Gutemann

http://www.j-lorber.de/

 

Schreibende: C. L., S., And. u. Ans. H.

Heute offenbarte der Herr Nachstehendes durch den Mund Seines Knechtes, nachdem früher das Nebenwort "An den sehr Schwachen" (Siehe Kundgabe vom 4. Novernber 1840 (,Himmelsgaben', Band 1, S. 187 ff}., gelesen wurde:

   01] Ihr werdet alle doch wohl verstehen, daß nicht Ich als das allerhöchste Wesen, als Gott von Ewigkeit und als Vater aller Menschen, Geister und Engel solche Dinge, wie die eben erwähnten es sind, in der Wirklichkeit selber begehe, um Mir hernach in eurem Angesichte gleich einem Doppelgänger solche Vorwürfe zu machen und Mich gewisserart Selbst zu ermahnen, Mich in allem diesem zu bessern, das Ich doch niemals begangen habe. So ihr über dieses wenig Gesagte nachdenket, - wird euch nicht von selbst die fast undenkliche Frage sich aufwerfen: Ja, kann denn Gott auch sündigen, da Er doch Gott ist, wie in Seinem Heiligtums so auch in Seiner Weisheit und ebenso in Seiner Liebe? Woher demnach eine solche Beschuldigung gegen Sich Selbst? Allein, saget ihr nicht selbst, daß Meine Wege unergründlich und Mein Rat unerforschlich ist? Ja, seht, so ist es auch! Es hat von der ganzen Ewigkeit her noch nie jemand Meinem Rate beigewohnt, und keines Engels Auge wird je schauen die geheimen Wege Meiner Weisheit und Meiner Liebe.
   02] Damit ihr aber diesen siebenten Jünger wohl begreifen möget, so will Ich auf einen kurzen Augenblick eure Gefühle zurückführen in die große Zeit der Menschwerdung Meiner Liebe. Und wie von dort aus alles Licht und alle Hilfe in die Welt gekommen ist, so soll auch eben dieses Licht euch wohl erleuchten das Inwendige einer kleinen Haselnuß, die Ich, euer Vater, in diesem siebenten Jünger oder in dem Sehr Schwachen euren Zähnen zum Aufknacken unterschoben habe.


   03] So fraget auch da Meine Liebe: Du reinstes Wesen Gottes, das nie auch nur des allergeringsten fehlerhaften Gedankens fähig ist, wie ist es und wie war es möglich, Dich vom Vater zu trennen, um Dich mit allen Sünden und mit aller ihrer Scheußlichkeit auf der Welt zu beladen, um Deinem Vater oder der Heiligkeit Gottes zu erscheinen in einem ärgeren Lichte als derjenige selbst, durch den alle Bosheit in die Welt gekommen ist? - Wie konntest Du zum Mörder aller Mörder werden? Wie konntest Du zum Ehebrecher aller Ehebrecher werden? Wie konntest Du zum Lügner aller Lügner werden? Ja, wie konntest Du zum größten Verächter der Heiligkeit Gottes werden? Ja, wie konntest Du alle großen und kleinen Sünden auf Dich nehmen vom Anfange der Welt und bis ans Ende derselben, da Du doch die Liebe Gottes Selbst warst, und der Vater in Dir, wie Du im Vater, und der Gott in Dir, wie Du in Gott? Und wie konnte die Gottheit vor aller Welt aus den Himmeln bei Deiner Taufe im Jordan zu Dir sagen: Das ist Mein geliebter Sohn, an dem Ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören!? -
   04] Sehet, ihr könnt da denken, wie ihr wollt, so werdet ihr nichts Verständliches herausbringen. Und wird euch nicht, je tiefer ihr die Sache verfolgt, auch um desto rätselhafter werden, so ihr das recht ans Licht ziehet und so recht tief in euch denket, wie es möglich ist, daß gerade das allerreinste Wesen Gottes, ja das Leben in Gott Selbst, welches ist das Leben alles Lebens und das Licht alles Lichtes, sich wohl so arg beladen mochte mit dem Tode alles Todes und mit der Finsternis aller Finsternis? -
   05] Sehet, wenn ihr das begreifen könnet, so wird euch diese kleine gebotene Haselnuß so leicht verständlich vorkommen, als wäre sie ganz enthüllt vor euer Herz gelegt worden. Allein, das ist der große Schritt, den ein jeder in seinem Herzen zu machen hat und helfe, der ewigen Liebe das Kreuz tragen, damit er dereinst Teil haben möchte an dem großen Werke der bis jetzt noch immer unbegriffenen Erlösung, der Überwindung des Todes und der Auferstehung. Darum habet acht und begreifet zuerst dieses große Geheimnis, und ihr werdet darinnen jede einzelne Pore des Sehr Schwachen hell erleuchtet erblicken. -
   06] Daß die Welt von Anbeginn in allerlei Argem war, wißt ihr; - und durch wen und wie sie in solches gekommen ist, wißt ihr auch. Aber wie die Welt in ihrem Argen hätte bestehen können vor Gott, das ist eine andere Frage. Sehet, die Welt war also tot in ihrer Bosheit und konnte sich somit unmöglich mehr selbst richten nach der unantastbaren Heiligkeit Gottes. Sie mußte daher beständig aus der Barmliebe Gottes gerichtet werden, damit sie bestehen mochte als das wenigstens, was sie war; aber saget ihr selbst, wie ist ein gerichtetes Ding, ist es tot oder lebendig? –

07] Da kann Ich euch nichts anderes sagen, als euch mit einer Frage behilflich entgegenkommen: Ist ein Automat tot oder lebendig? Eure Antwort kann unmöglich anders ausfallen, als daß ihr saget: Ein Automat ist tot, und seine Bewegung ist nichts als eine künstliche Richtung des Mechanikers. Und sehet, gerade so verhielt es sich auch mit der argen Welt vor der Erlösung. Sie war bloß ein durch Meine Barmliebe immer gerichteter Automat. Aber so ihr einen sonst recht possierlich schönen Automaten vor euch hättet, dem die Kunst des Bildners sowohl, als die des Mechanikers alles gegeben hätte, daß ihm nichts abginge als nur das selbständige Leben, um ein Mensch in aller Vollkommenheit zu sein, - ja würdet ihr da nicht sehnlichst wünschen nicht nur das künstliche Leben diesem Automaten, sondern ein wirkliches selbständiges Leben? Und wäret ihr fähig, wie Ich es bin, so würdet ihr euch mit eurem Leben im Geiste selbst hineinziehen in den Automaten und würdet somit alle seine Mängel und innerlichen Gebrechen notwendig an euch ziehen und euch gewisserart mit denselben bekleiden.
   08] Sehet, wie war es denn nun da zu tun, da Ich nur allein das Leben bin und das Leben habe in und aus Mir, um der beständig zu richtenden Welt ein wahres freies und nicht bloß mechanisches Leben zu geben?
   09] Sehet, da mußte die Liebe sich trennen von Gott oder der urewigen heiligen Kraft, aus der sie ewig geboren ward und die Kraft Gottes ewig aus ihr. Also dieses ewige Leben aus sich selbst oder aus der urewigen Kraft Gottes mußte einen Bruch machen mit Gott und mußte sich niedersenken zur toten Welt und anziehen das Sterbliche derselben, damit das Sterbliche dadurch die Sterblichkeit verliere und wieder frei lebendig werde in und aus dem Leben aus Gott, welches ist das Leben alles Lebens, da Gott Selbst ist in diesem Leben und das Leben selbst in Gott. Und so ist aber das Leben von Gott ausgegangen, hat sich mit der Sterblichkeit des Fleisches bekleidet, damit dadurch alles Fleisch möchte frei lebendig werden in sich durch das Leben aus Gott, wie Gott Selbst lebendig ist von Ewigkeit durch dasselbe ewige Leben der Liebe in Sich. -
   10] Sehet, das ist nun das große Geheimnis, warum die Liebe Gottes im Menschen sich selbst gemacht hat zur allerartigen Verbrecherin und Sünderin, damit da nicht nur ein Fleisch, sondern alles Fleisch mit dem Leben aus Gott durchwirket werden mochte. Und diese nun so mit aller Schuld überladene Liebe mußte sich dann im Gegensatze vor der Heiligkeit Gottes vermöge der an sich genommenen allgemeinen Schuld oder Sterblichkeit eben auch bis auf den alleräußersten Punkt aller Punkte demütigen und mußte ertragen jeden erdenklichen Vorwurf, um dadurch sich mit Gott wieder vereinigen zu können, wie auch alles das dem Vater oder der Heiligkeit Gottes lebendig wieder anheimzustellen, was zwar lebendig dereinst aus Gott gegangen ist, aber sich tot gemacht hat durch die eigenwillige und hochmütige Losreißung von Gott - oder von Seiner ewigen Ordnung.

11] Sehet, nachdem ihr dieses doch so ziemlich mochtet begriffen haben, so will Ich euch nun auch ein wenig mit den Vorwürfen bekannt machen, die Mir da notwendigerweise von der Heiligkeit Gottes gemacht wurden, damit ihr da etwas erfahret, was die Welt bis zur gegenwärtigen Minute noch nicht erfahren hat. -
   12] Ihr wißt, daß alles, was da erschaffen wurde in der ganzen Unendlichkeit, laut des Zeugnisses Meines lieben Johannes durch Mich gemacht und erschaffen wurde. Nun nehmet aber die böse gewordene Welt, die dadurch von der Heiligkeit Gottes immer verdammt ward, daß Ich als der Hervorbringer solcher Verdammlichkeit somit auch von der Heiligkeit Gottes diesen Vorwurf notwendig teilen mußte, da die Welt und alles, was in ihr ist, nicht durch sich, sondern durch Mich einzig und allein ins Dasein gerufen wurde. Da also die Welt schnurgerade entgegen war der Heiligkeit Gottes, wie war hernach das Bestehen der Liebe, die solches hervorgerufen hatte, das die Heiligkeit Gottes verdammen mußte, anders als ein selbstverdammliches? - Nun denket euch all die namenlosen Taten der Menschen. Sehet, aller dieser Taten wegen mußte Ich verdammt sein von der Heiligkeit Gottes, weil die Taten selbst verdammt waren als Erscheinungen in der Welt, die aus Mir hervorgegangen ist. Was war da zu tun?
   13] Sehet, nur zwei Wege standen Mir offen, nämlich der Weg nach oben, und der Weg nach unten, das heißt: Ich kehre zu Gott zurück, werde Eins mit Ihm und vernichte durch die Kraft Seiner Heiligkeit alles das, was aus Mir hervorgegangen ist - oder aber Ich trenne Mich mit allem Vorwurf beladen, mit der höchsten Verdammlichkeit, von Gott, belebe und heilige da Meine Werke und tue in Meiner unendlichen Demütigung Genüge der ebenso unendlichen Heiligkeit Gottes. -Sehet, wenn Ich nicht die ebenso unendliche Liebe selbst wäre, wie Gott die unendliche Heiligkeit selbst ist, so hätte Ich freilich das erste getan. Allein Meine Liebe vermochte das Unaussprechliche aussprechlich zu machen, verleugnete ihre Heiligkeit und machte sich unheilig, da sie sich belastete mit aller Schuld, und somit auch mit des Todes schwerster Bürde.

14] Allein, ihr wißt die Begebenheit, als Ich in dem Garten Gethsemani an dem sogenannten Ölberge zu Gott, von dem Ich Mich der Welt wegen getrennt habe, betete. Sehet, da erst erwachte vollends die große Blindheit Meiner Liebe und sah mit dem entsetzlichsten Grauen zwischen Sich und Gott die unendliche Kluft; allda bereute Ich im Ernste, daß Ich Gott verließ und zum toten Werke Meiner eitlen Lust Mich gewendet habe, - und damals stand die ganze Schöpfung in der großen Schwebe zwischen Sein und dem ewigen Nichtmehrsein. Denn entweder trinke Ich den Kelch, so besteht die Welt und alles, was auf ihr ist - oder Ich setze den Kelch zur Seite und die Welt und alles unter ihr wird zunichte in dem Augenblick, da Ich den Kelch zur Seite setze.
   15] Aber sehet, eben da, wo die Liebe und das Leben in der unendlichen Entfernung von Gott schwach geworden ist, da erbarmte sich Gott Seiner Liebe selbst, stärkte Sie und gebot Ihr, den vorgesetzten Kelch zu leeren, und sprach insgeheim zu Ihr: "Noch sind zwischen Mir und Dir die Extreme der Unendlichkeit nicht berührt; daher senke Dich hinab in die äußerste Tiefe des Todes, welcher ist die äußerste Grenze im Gegensatze zu Meiner Heiligkeit, damit Ich Dich da wieder erfassen kann, da der ewige Kreis Meiner Heiligkeit sich schließt." - Sehet, so ging Ich dann geduldig diesem Ziele entgegen, allwo Ich in dieser unendlichen Entfernung von Gott am Kreuze ausrief: Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du Mich verlassen?" - und ferner: "Es ist vollbracht!" und "In Deine Hände empfehle Ich Meine Seele" - oder die Seele alles Lebens, oder die Seele, aus der alles, was da ist, hervorgegangen ist. -
   16] Sehet, nun werdet ihr, so ihr dieses ein wenig bedenket, wohl einsehen, wie Ich bei euch Sündern der Sehr Schwache bin, und wie Ich Mir noch immer muß von der Heiligkeit Gottes an eurer Statt in irgend einer vorgestellten menschlichen schwachen Beschaffenheit Vorwürfe machen lassen, um euch jeden sonderheitlich neuerdings wieder zu erlösen und einzuführen lebendig in die Heiligkeit des Vaters. Sehet, ein solcher Mensch, dessen Ich Mich bediene und gewisserart seine Wesenheit anziehe, um dadurch eure Mängel verhüllt zu tragen, gleicht dem Simon von Cyrene und könnte ebenfalls großen Lohn erreichen, so er Mir willig auf eine kurze Zeit nur hätte das Kreuz ein wenig tragen helfen. Allein der Mensch ist schwach und fürchtet jede Last, am allermeisten aber die Last des Kreuzes; und daher bleibt Mir denn wieder nichts anderes übrig zu tun, als was Ich dereinst tat, nämlich für alle das Kreuz Selbst zu schleppen.

17] Es muß euch demnach in dem Nebenworte an den 'Sehr Schwachen' ebensowenig beirren das persönlich anpassend Scheinende, als es euch beirren möchte, so ihr zum Beispiel die ganze Lebensgeschichte des Hohenpriesters Kaiphas oder die des Pilatus, oder die des Iskariot, oder sogar die eines römischen heidnischen Kaisers Nero, und anderer ähnlicher größerer und kleinerer Sünder nicht zu gedenken, vernehmen möchtet; denn sehet, mit allen diesen Vorwürfen mußte Ich Mich von jeher beladen lassen. Und ebenso bin Ich nun für euch wieder beladen mit allen euren Schwächen und Mängeln und trage sie für euch in dieser euch etwas fremdartigen Umhüllung, damit, wie ihr schon wißt, euch nicht Schaden geschehe an eurer Seele, so ihr wissentlich, das heißt, eurem Fleische nach gleich einem Judas Iskariot mit Mir in die geheimnisvolle Schüssel des zu bewirkenden Lebens greifen möchtet.
   18] So ihr aber wollt, so nehmet dieses Nebenwort unter dem Namen des ,Sehr Schwachen' zu euch; gehet es - wohlgemerkt! - in eurem Herzen von Punkt zu Punkt durch und erkläret es euch nach dem, was ihr jetzt vernommen habt. Ich habe euch nun gegeben den Schlüssel gleich einem Petrus zu Meinem Reiche. Dieser ,Sehr Schwache' ist Mein verhülltes Reich in euch. Eröffnet es mit diesem Schlüssel, und ihr werdet Wunder schauen, und wahre geistige Wunder in und an euch entdecken.
   19] Sollte jemandem darinnen trotz alles seines Prüfens noch immer etwas verhüllt erscheinen und hart, wie einst den Aposteln die euch bekannte harte Lehre, so wendet euch in aller Liebe zu Mir, und seid versichert, daß Ich euch nicht im Stiche lassen werde. Denn nun sage Ich nicht mehr: Gehet zu Meinem Knechte und vernehmet in diesem Punkte durch seinen Mund Meine Gnade, sondern nun sage Ich: Kommet treuen Herzens zu Mir, damit Ich Selbst euch die Gnade gebe und euer Mund ebenfalls ausspreche das geheiligte Verständnis eures Mir zubereiteten Herzens. Obschon es euch freisteht, sich zu erkundigen beim Knechte, so werdet ihr aber doch aus seinem Munde nichts erfahren als das, was Ich in euch durch eure Liebe zu Mir Selbst aussprechen werde Amen. Das sage Ich der Wahre Siebente Amen. - -