Wie kann der Mensch den Eingang in das Paradies und den Genuss vom Baume des Lebens wieder erlangen?
August
1838Frage: Nach Offenbarung 22,2 soll bei der Offenbarung des neuen Jerusalems und der erneuerten Erde jeder Monat seine Früchte bringen am Holz des Lebens. Wäre es nicht möglich, dass auch jetzt schon gottselige Seelen hienieden in gewissem Masse, nach Verhältnis ihres Gnadenstandes, zu einer solchen Fruchtbarkeit gelangen könnten, und was wird dazu erfordert, dass eine Seele jeden Monat ihre Früchte zum Lobe Gottes bringe, die ins ewige Leben wirken (Joh.6,27)?
Antwort: Es gibt schon im Natürlichen mancherlei Arten von Bäumen und jeglicher trägt Früchte nach seiner Art. Kein Baum aber kann Früchte hervorbringen, er werde denn aus der Erde und aus der Luftregion durch Regen, Tau, Licht und Sonnenschein ernährt und erhalten. Ebenso kann der Mensch keine unvergängliche Früchte bringen, er ziehe denn aus Gott, in dem seine Seele gegründet stehen soll, seinen Saft, werde von der himmlischen Luft, vom Odem Gottes belebt, begossen mit dem Wasser des Heiligen Geistes und empfange täglich den Tau des heiligen Leibes und Blutes Jesu zu seiner Nahrung.
Der Lebensbaum Christus, als das lebendige Wort, ist jedem Menschen eingepflanzt; von Ihm soll der Mensch Speise zum ewigen Leben empfangen. Allein obgleich dieser Baum, als das eingepflanzte Wort, in jedem Menschen steht, so sind es doch immer nur sehr wenige, die ihn finden. Denn seit dem Falle unserer ersten Eltern, durch den sie nicht allein des äußeren, sondern auch des inneren Paradieses verlustig worden sind, steht der Cherub mit der Flamme des schlängelnden, wirbelnden Schwerts vor dem Eingang des Paradieses, in dessen Mitte das ewige, lebensvolle Wort als der Baum des Lebens gepflanzt ist, und der Mensch steht nun nach diesem Falle außerhalb des Paradieses in Gut und Böse, halb im Fluch, halb im Segen. Wessen Herrschaft er sich unterwirft, dessen Knecht ist er (Röm.6,16).
Frage: Wie kann nun ein Mensch den Baum des Lebens wieder finden?
Antwort: Unser Heiland spricht deutlich (Joh.3,3): "Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, es sei denn daß jemand wiedergeboren werde, sonst kann er das Reich Gottes nicht sehen." Der dieses spricht, ist eben derjenige, der dir, oh Mensch, als dein Erlöser seine Hand reichen will, damit du wieder in das Paradies gelangen könnest.
Suche das Paradies nicht in Asien, wo es einst stand, oder gar in der Sonne, wohin einige es setzen, indem sie meinen, Adam sei aus der Sonne in den Mond und aus dem Mond zu seiner Strafe auf die Erde verwiesen worden; sondern suche es nach den Worten Christi, als das Reich Gottes, in dir. In dem Mittelpunkt deiner Seele steht der Lebensbaum, das ewige Wort, und das , Paradies, als die verborgene Perle. Christus reicht dir seine Hand; Er hat dir den Eingang gebahnt durch seine Menschwerdung, durch seine Aufopferung in den Willen des Vaters, durch sein Leiden und Sterben und durch seine Auferstehung. Aber merke wohl, den Cherub mit dem Schwerte, das als ein schlängelnder Feuerstrahl sich hin und her windet, darfst du nicht umgehen. Es ist bei weitem nicht genug, dass du das Leiden und Sterben deines Heilandes bildlich betrachtest, dich dabei der Gnade, die dem Schächer am Ende seines Lebens widerfahren, vertröstest und mit diesen Betrachtungen als in einer Prozession um das Himmelreich herumgehest, um dir einen breiteren und bequemeren Weg ausfindig zu machen. Deine Mühe wäre vergebens, denn auf diese Weise kannst du bis an das Ende deines irdischen Lebens um das Paradies herumgehen und doch dein eigentliches Ziel verfehlen; ja du wirst alsdann beim Eintritt in die geistige Welt dein eigenes Feuer, das du ungetötet mit hinüber nimmst, dort wieder finden, und erfahren, wie in diesem Feuer, das dir nach dem Grunde seiner Natur den Eingang in das Paradies verschließt, der Engel der Gerechtigkeit sich an dir rächen wird. Unter aller Gewissensangst über das Verfehlen deines Ziels wirst du dann noch froh sein, wenn du zu deiner Reinigung in einem Mittelorte stehen darfst, in dem du schon hienieden zu deiner Läuterung lebtest, ohne ihn aber recht wahrzunehmen; dort wirst du diesen Mittel- oder Reinigungsort aber in einem verschärften Grade antreffen als hienieden und in demselben unter Strafe, Trost und Belehrung harren müssen, bis du dich genugsam unter den Engel der Gerechtigkeit gedemütigt hast und fähig geworden bist, eine nach dem Maße deines gereinigten Zustandes höhere Seligkeit zu erlangen.
Der Apostel Petrus spricht in seinem ersten Brief (Kap.5,6): "Demütiget euch unter die gewaltige Hand Gottes." Was ist jener Cherub anders als eine gewaltige Hand der göttlichen Gerechtigkeit, unter die sich jeder durch die Gnade erweckte Mensch, der ins Paradies einzugehen und vom Baume des Lebens zu essen verlangt, hienieden beugen und demütigen muß.
Wie einst der Erzvater Jakob mit dem Engel rang, so müssen wir auch mit diesem Cherub ringen und kämpfen, bis die Morgenröte anbricht, und ihm das Schwert nehmen.
Frage: Wie ist es uns aber möglich, dem mächtigen Engel das Schwert zu nehmen?
Antwort: Durch Beugen und Erniedrigen wird es dir möglich; dadurch, daß du seiner Hand stille hältst, wenn er dir alles abschneidet, was nicht in das Reich Gottes taugt. Sobald er mit dem Abschneiden, mit dem Entblößen fertig ist, fällt ihm sein Feuerschwert von selbst aus der Hand, weil es in dem Wasser der Sanftmut erlischt. Auf diese Weise hast du ihm dann das Schwert, das in deinem eigenen, herumwirbelnden Feuer besteht, genommen; denn der Engel der Gerechtigkeit, der dieses dein Feuer als ein Schwert regiert, ist alsbald versöhnt, wenn dein eigener unreiner Feuerwille im Leiden und Sterben und in der Sanftmut Jesu erloschen ist.
Alle die Begebenheiten und Gegenstände, die uns in der Heiligen Schrift als hier oder dort geschehen oder vorhanden geschildert werden, sind nach der Miniatur (im verkleinerten Maß-Stabe) auch wesentlich in uns enthalten. So verhält es sich mit dem Paradiese, dem Engel mit dem bIoßen Schwert, wie auch mit dem Lebensbaum, zu dem wir nur durch das Verdienst der Menschwerdung Jesu den Zutritt erhalten; denn wenn wir uns mit Ihm in seinen Tod begraben lassen, so wird uns auch das neusakramentliche Essen von diesem Lebensbaum zuteil.
Die enge Pforte, die zu diesem Lebensbaum führt, ist auch in dir, oh Mensch; unter anhaltendem Gebet und durch Selbstverleugnung mußt du sie durchdringen. Unter dieser engen Pforte sind die finstern Pforten des Todes verstanden, die Jesu schon in Gethsemane den starken Angstschweiß auspressten, und die Er nach seinem Abscheiden von der Welt, als Er in die untersten Örter der Erde hinabfuhr, durchdringen musste.
Magst du, nach deinem Teil, auch durch das Meer
der Angst, über den Bach Kidron gehen und auf eine leidende Weise an der Hand deines Erlösers dein eigenes Feuer durchdringen, so wird der Lebensbaum voll herrlicher Früchte vor dir stehen, und du wirst von der Lebensquelle trinken, deren Wasser Gott den Überwindern zu geben verheißen hat; denn dein eigenes Feuer, welches zwischen Gott, dem Paradiese und dir eine Scheidewand bildete, ist nun durchbrochen.Denke aber nicht, mein Leser, du werdest die enge Pforte, die ins Paradies führt, wie den Eingang in einen Lustgarten so bald durchgehen können. Ohne langwierige Leiden und viele innere Schmerzen kann dir der Eingang in das Paradies nicht geöffnet werden. Es
wird ein männlicher Mut und eine bis ans Ende ausharrende Treue dazu erfordert, und das Leiden und Sterben Jesu muss dir den Durchbruch verschaffen. Hast du diesen erlangt, dann kannst du auch für andere Seelen, wie für dich, nach Joh.6,27 Speise des ewigen Lebens wirken und trägst, weil du als ein Zweig in den Lebensbaum eingepfropft bist, alle Monate Früchte zum Lobe Gottes und seiner Gemeinde.Frage: Werden viele oder nur wenige bei ihrem Leben hienieden durch die enge Pforte in das übernatürliche Leben der Gnade eingehen?
Nach den Worten unseres Heilandes (Luk.13,24) antworte ich: "Ringet darnach, dass ihr durch die enge Pforte eingehet, denn viele, das sage ich euch, werden trachten, wie sie hineinkommen, und werden es nicht tun können." Damit will uns der Heiland sagen, daß viele derjenigen, welche durch die enge Pforte einzugehen trachten, sie darum nicht finden werden, weil sie sich die Bedingung nicht gefallen lassen, die darin besteht, ihr eigenes Leben in der Natur zu verlieren, damit sie das übernatürliche Leben der Gnade finden mögen.
Frage: Ist denn das Wirken für das Reich Gottes eines solchen, der noch nicht durch die enge Pforte in das übernatürliche Leben der Gnade eingegangen ist, folglich nicht vom Baum des Lebens ißt, ganz unnütz oder unfruchtbar?
Die Antwort auf diese Frage werden wir leicht finden, wenn wir betrachten, daß, welcher Eigenschaft der Boden oder die Erde ist, ebenso auch die Früchte sind, die daraus hervorgehen. Steht der für das Reich Gottes Wirkende noch auf dem Boden seiner eigenen alten Natur, noch ausserha1b des übernatürlichen Lebens der Gnade, welches im innern Grunde des Gläubigen das paradiesische Leben ist, so trägt er nach dem Baume der Erkenntnis des Guten und des Bösen vermischte Früchte; denn weil er noch nicht vom Baume des Lebens ißet, von dem das lebendige Brot kommt, so kann er auch noch keinen Samen des Lebens ausstreuen, sondern sein Same ist nach Art der Frucht, die er selber genießt. Da aber Gott nach seiner Allgegenwart auch außerhalb des Paradieses ist, weil Er alles erfüllt, auch alles Menschliche zu einem guten Zweck zu benutzen weiß, so richtet Er auch den guten, obgleich noch natürlichen Sinn eines für das Reich Gottes Wirkenden zum Besten, damit diejenigen, welche noch nicht durch die enge Pforte in das Paradies oder in das Reich Gottes eingegangen sind, nicht verderben, sondern nach ihrer Art und ihrem Hunger Speise erhalten und Zeit gewinnen mögen, endlich den Baum des Lebens zu finden durch den, der uns in seinem Wort durch die enge Pforte eingehen heißt.
Nicht selten geschieht es aber, daß solche Werkzeuge, die in einem großen Eifer und mit hinreißender Beredsamkeit Seelen für das Reich Gottes werben, gerade diejenigen, welche hineinwollen, nicht hineinlassen, sondern in den Mitteln aufhalten, während sie selbst auch nicht hineinkommen.
Indessen läßt sich das Paradies, als das sich offenbarende Reich Gottes, auch bei demjenigen, der mit großem Ernst durch die enge Pforte eingegangen ist, in seinem äußern Menschen nicht also fühlbar verspüren, daß er es betasten könnte; sondern es ist und bleibt bis zu seinem Ausgange aus dieser Zeit in seinem innern Grunde in Christo verborgen, und dem äußern Menschen wird von Zeit zu Zeit nur soviel aus dem inwendigen Grunde mitgeteilt, als er zum Dienste Gottes und des Nächsten bedarf.
Auch ist das Paradies noch nicht die höchste Stufe der Seligkeit; diese besteht vielmehr in der Vereinigung mit dem dreieinigen Wesen in Christo Jesu, die Er uns durch seine Himmelfahrt, als den Eingang in das Heiligtum, gebahnt hat. Daher wiederhole ich hier die Schlußworte des mir am 8. Februar 1834 gegebenen Liedes "Beuge dich, beuge dich", welche also lauten:
Selig sind, die als des Lammes Kinder
Durch sein Blut gesiegt; als Überwinder
Werden sie mit Ihm und mit den Seinen
Fröhlich sich im Paradies vereinen.
Doch sie sollen weiter noch gelangen,
Wohin Jesus ihnen vorgegangen:
Zu der Gottheit innerem Heiligtume,
Ihm zum Ruhm, ja zu des Vaters
Ruhme.
Durch den Geist des Lichts erweckt, der in unsere nahe bevorstehende Zeit der Verwirrung, die als ein höherer Grad der Versuchungsstunde anzusehen ist, hineinblickt, wo in den Gemütern derjenigen Menschen, welche nicht ihr eigenes Feuer überwunden haben, und durch dasselbe in die Liebe eingedrungen sind, die Reizbarkeit zum Zorn auf den höchsten Grad gesteigert sein wird (denn Gott wird durch des Schwertes Schärfe in der Natur, durch Entzündung der unreinen Luft in grimmiger Schärfe, nach dem Zeugnis von Ja und Amen, entweder Gott in seiner Liebe loben, oder Ihn und das Heilige lästern muss), finde ich mich gedrungen, noch folgende Strophe aus jenem Liede zum Schluss dieser Abhandlung beizufügen:
Jetzt gilt's Ernst; denn wer nun nicht wird siegen,
Der muß in dem Feuer dann erliegen.
Jetzt gilt´s Ernst! 0h lasset alles stehen,
Wollt ihr nicht in Sodom untergehen.
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