Das Gewissen im Menschen.
Den 1. Oktober 1847.
Dem heiligen Bunde, welchen Christus in diesen Tagen mit seiner Gemeinde geschlossen hat, stehen viele Hindernisse entgegen, zum Teil äussere, zum Teil aber und hauptsächlich innere Hindernisse, die in den Gliedern der Gemeinde selbst liegen. Die Hindernisse, welche von außen herkommen, würden bald beseitigt sein, wenn nur diejenigen einmal weggeräumt wären, die sich innerhalb unsrer eigenen Grenzen befinden, dh. wenn der Durchbrecher aller Bande sein in mehreren Gliedern schon begonnenes Werk in den übrigen ebenfalls beginnen, und in allen bis zur Vollendung fortführen könnte.
Man fürchtet sich gar zu sehr vor dem schwierigen Beruf eines Bergknappen. Man mag nicht im Innern der Erde graben, nämlich nicht mit vollem Ernst nach der wesentlichen Erkenntnis seiner selbst trachten, mit welcher doch die wesentliche Erkenntnis Gottes und unseres Heils in so genauer, ja in einer unzer-
trennlichen Verbindung steht, und die auch allein geeignet ist, uns zu dem heiligen Bunde mit Gott zu führen.
Der Bund Gottes mit den Menschen ist schon geschlossen, und durch die Menschwerdung Jesu Christi und sein vollbrachtes Opfer schon besiegelt worden. Von Gottes Seite mangelt also gar nichts an diesem Bunde; aber von des Menschen Seite, in ihm und durch ihn, muss derselbe nun auch bestätigt werden. Und dazu ist gerade die wahre und richtige Selbsterkenntnis erforderlich, aus welcher die reine Gotteserkenntnis wachstumlich hervorgehen muss, wodurch wir uns dann aus Liebe angetrieben fühlen, in der Nachfolge des Lebens und des Leidens Jesu zu wandeln.
Je mehr wir in diesen Stücken wachsen, desto mehr werden wir mit Gott, dem höchsten Gut, vereinigt werden. In dieser Vereinigung eben besteht der eigentliche Bund mit Gott; durch sie wird er versiegelt und vollendet.
Der Apostel spricht an einer Stelle (l.Petr.3,21) vom Bunde eines guten Gewissens mit Gott. Über diesen Worten dachte ich vor einigen Tagen bei einer gewissen Veranlassung nach. Ich legte mein Bergknappen-Kleid an und grub nach, bis ich an den Ort kam, wo das Gewissen liegt. Es liegt sehr tief, und darum ist es kein Wunder, dass man es nicht mit Händen greifen kann.
Ich fragte das Gewissen, was es da in der Tiefe mache, und wer es eigentlich sei. Es sagte mir: Ich bin Gottes Wort, rein und unschuldig, wie ich von Gott ausgeflossen bin. Ich bin Gottes Statthalter im Menschen.
Ich fragte: Bist du auch in allen Menschen, ohne Ausnahme, rein? Es antwortete mir: Ja, in allen, ohne Ausnahme; nicht allein in denen, die sich zu Christo bekennen, sondern auch in Juden und Heiden.
Ich fragte ferner: Wenn du Gottes Statthalter im Menschen bist, warum schweigst du dann so viel zu dem Bösen? Seine Antwort war: Ich rede ja und rede frei; aber es gibt nur wenig Menschen, die mich hören wollen. Ich rede, und rede abermals zu dem Menschen, und zeige ihm an, was er nach Gottes Wort und nach den Gesetzen der Natur zu tun oder zu lassen habe; aber die meisten Menschen verstopfen ihre Ohren gegen mich, weil meine Stimme gegen ihren Eigenwillen spricht. Durch ihr fortgesetztes Widerstreben werden dann ihre Ohren immer mehr taub, so dass sie endlich unfähig werden, meine Stimme noch zu hören. Das ist das Gericht der Verstockung, das solche Menschen sich selbst zuziehen, das sie dann hindert, Gottes Wort zu vernehmen, wenn sie es gleich in der Bibel oder in andern geistlichen, christlichen Schriften lesen. Ja, mancher schreibt noch wichtige, Wahrheit enthaltende Bücher über das Reich Gottes und Jesu Christi, und ist dabei doch taub gegen das Wort Gottes, das in ihm liegt. Darum mag er auch den nicht hören, der aus diesem in ihm liegenden Worte Gottes redet, oder lässt dessen Worte wie einen vorübergehenden Schall dahinfahren. Ich liege bei den meisten Menschen im Grabe, verwahrt von sieben Wächtern ihres Eigenwillens. Wenn sie mich nun bis zu ihrem Tode in diesem Grabe verschlossen halten, so stehe ich dann doch aus demselben auf, und rede fürchterlich mit ihnen, als Richter, besonders mit solchen, denen alle möglichen Mittel zu ihrem Heil dargeboten waren, ja, denen sogar die Pforte zum neuen Reich aufgetan war. In denen aber, die mich jetzt schon, bei ihrem Leben hienieden, auffordern, frei mit ihnen zu reden, stehe ich auch jetzt schon auf, rede mit ihnen nach Gottes heiliger Sprache, und verkündige ihnen die wesentliche Vergebung ihrer Sünden, um deswillen, dass sie mich, als das wahre Wort Gottes, hören, ja weil sie mich noch dazu auffordern, bei ihres Leibes Leben in ihnen aufzustehen, damit sie den heiligen Willen Gottes also tun möchten, wie Gott ihn getan haben will. In einem solchen Menschen, und durch ihn, werde ich, als Gottes Wort, zu seiner Zeit also reden, d aß
selbst die Grundfesten des neuen Tempels davon erzittern werden. Ich werde mich nicht scheuen, die Widerspenstigen und Heuchler, mögen sie nun hohen oder niedrigen Standes sein, in einer Weise anzureden, dass sie die Worte zu hart finden und den Tempel darob verlassen werden.
Aber sanft und mild wird der Hirtenstab Jesu in dem Worte der Wahrheit sich hinneigen zu denen, die zu rechter Zeit der Hirtenstimme Gehör gegeben, und das Wort in Treue in ihrem Herzen bewegt haben, bis es zu einer lebendigen Kraft wurde, durch welche sie den Verkläger überwunden haben.
Nun, Geliebte, hat der Bergknappe wieder aus seiner unterirdischen Mine ein Wort vernehmen lassen. Gehen wir die Bedingungen des Bundes ein, von dem er redet, so haben wir den Bund, den unsre Feinde wider uns schliessen möchten, nicht zu fürchten. Zu ihnen heisst es dann: Beschliesset einen Rat, aber es
werde nichts daraus!
Wir lassen dieser Eröffnung als Anhang eine andere über den gleichen Gegenstand folgen, welche der Verfasser schon im September 1831 vom Geiste Gottes empfing.
Den Ursprung des Gewissens müssen wir suchen in der Erkenntnis, die Gott dem Genusse von der Frucht des verbotenen Baumes im Paradiese beilegte, der ein Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen genannt wird. Wir sehen, wie gleich nach dem Fall Adam und Eva, von diesem Richter aufgeschreckt, sich ihrer Blöße schämen und sich verbergen.
Das Gewissen war das Überbleibsel des herrlichen Ebenbildes Gottes, welches Adam verloren hatte. Es war aber zugleich eine Gnadentüre, die Gott dem Menschen offen ließ, als eine Möglichkeit der Rückkehr zu Gott. Somit kann das Gewissen eine göttliche Kraft genannt werden, die Gott als seinen Statthalter in die menschliche Seele gesetzt hat, durch welche der Mensch befähigt wird, das Gute und das Böse zu erkennen.
Als Adam noch in seinem ursprünglichen Stande der Unschuld allein im Willen Gottes ruhte, besaß er wahrscheinlich diese Kenntnis noch nicht, oder sie war wenigstens noch nicht in ihm offenbar geworden. Gott knüpfte ja selbst das Offenbarwerden dieser Kenntnis an den Fall des Ungehorsams. Wenigstens ist dieser Statthalter Gottes in Adam erst durch den Ungehorsam Adams zu einem Richter geworden.
Es gibt keinen Menschen auf Erden, ja sogar keinen Teufel, der nicht mit dieser geistigen, göttlichen Kraft, mit diesem Statthalter, begabt wäre; sonst könnte Gott die Welt nicht richten.
Durch diese Kraft kann selbst der natürliche Mensch erkennen, was gut oder böse ist, was er zu tun oder zu lassen hat.
Das Gewissen verbietet das Böse und befiehlt das Gute, nach der ihm inwohnenden Erkenntnis, dass das Böse böse und das Gute gut ist. Wenn wir dieses Gesetz beobachten, so werden wir nach der göttlichen Verheißung leben.
Dem, der sich retten lassen will, ist dieser innere Richter ein göttlicher Helfer und Retter. Dem, der nicht will, ist diese geistige Kraft ein Peiniger.
Gott wird dereinst die Menschen durch Jesum Christum vermittelst ihres eigenen Gewissens richten; denn Er hat dasselbe als einen Vertreter seiner Gerechtigkeit in die menschliche Seele gesetzt.
Der Heide, der das Gesetz Gottes, das Gott durch Mose gegeben, und durch Christum bestätigt und vervollkommnet hat, nicht kennt, wird dereinst durch sein Gewissen gerichtet werden (Röm.2,15-16).
Ein Mensch aber, der in der Christenheit geboren, von dem göttlichen Gesetz und dem Glauben an Jesum Christum unterrichtet worden ist, dessen ungeachtet aber dem Gewissen kein Gehör gibt, das Gesetz und das Wort Gottes nicht beobachtet, und die Stimme unseres guten Hirten und Erlösers nicht hören und annehmen will, wird einst ein strengeres Gericht erfahren als ein Heide.
Ein solcher Mensch wird erstens durch die Kraft seines eigenen Gewissens gerichtet werden, und zweitens durch das Wort, das Christus zu uns geredet hat (Joh. 12, 48).
Das Gewissen ist das Recht und die Gerechtigkeit in der Seele, und Christus, der Herr, ist das Licht in ihr. Darin besteht also das Licht und Recht, oder das eigentliche Urim und Thummim in der Seele.
Je mehr der Mensch auf die Stimme seines Gewissens merkt und ihm gehorcht, desto mehr wird der Geist Gottes ihn durch dasselbe unterrichten, desto vernehmlicher und klarer wird seine Stimme sich in der Seele hören lassen. Je mehr aber der Mensch ermangelt, der Stimme seines Gewissens zu gehorchen, je mehr er es also übertäubt, desto mehr wird es schweigen und sich zurückziehen, bis endlich der Mensch in eine gänzliche Verstockung fällt, und von einer Finsternis in die andere versinkt.
Ist einmal der Mensch in einen solchen beweinenswerten Zustand geraten, so erkennt er die Sünde nicht mehr als Sünde, sondern heißt nun das Böse gut und das Gute bös.
Das Gewissen, das eigentlich das Recht oder der Richter im Menschen ist, wird dann zu seiner Zeit über einen solchen verstockten Sünder das Gericht ausüben. Unter diesem Gericht ist indessen nicht das Schlussgericht zu verstehen, das Christus am Ende halten wird.
Sehr genau ist der Mensch an das Gesetz seines Gewissens gebunden, dass er danach tue. Aber die Beobachtung des Gesetzes nach der Stimme des Gewissens, durch welches jeder natürliche Mensch geleitet werden kann, vereinigt uns noch nicht mit Gott. Es hat nur die Verheißung dieses irdischen Lebens, und nicht die Verheißung der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche allein dem Glauben zugerechnet wird. Denn wenn wir auch alles getan haben, was wir zu tun schuldig waren, so müssen wir doch sprechen: Wir sind unnütze Knechte. Wir müssen, wie Christus uns gesagt hat, von neuem geboren werden, so wir anders das Reich Gottes sehen wollen.
Durch die Wiedergeburt wird das Gewissen eines wiedergeborenen Menschen noch viel reger, edler und vollkommener, als es in dem natürlichen Zustand desselben war; denn es ist nunmehr erleuchtet durch Jesum Christum, der das wahrhaftige Licht ist, und die Seele weiter führt, als das Gesetz des Gewissens nach dem vorigen Zustand des Menschen ihn leiten konnte. Dieses Gesetz des Gewissens steht in der Eigenschaft und der Ordnung des alten Bundes, unter der Regierung des Vaters, und öffnet der Seele den Weg zum neuen Bund.
Der Vater regiert in dem Gewissen des wiedergeborenen Menschen in der Eigenschaft und Kraft der Gerechtigkeit, der Sohn in der Kraft des Lichts, und der Heilige Geist in der Kraft der Liebe. Diese drei sind durch die Wiedergeburt der Seele in ihr eins geworden.
Der wiedergeborene Mensch ist nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade. Aber auch im Stand der Gnade treibt das Gewissen den Menschen an, den Willen Gottes immer vollkommener zu erfüllen. Denn die Gnade führt uns zur evangelischen Vollkommenheit (Matth. 16,24- 25; 19,16-21).
Das Gewissen, als das Gesetz in unserem Gemüt, ist der Treiber nach dem Gesetz des alten Bundes; aber die Wiedergeburt ist der neue Bund, welcher uns in Christo und durch Ihn gegeben worden ist.
Frage: Hebt etwa der neue Bund das Gesetz des Gewissens auf, so dass der wiedergeborene Mensch nicht mehr an dieses Gesetz des Gewissens gebunden wäre, weil er unter der Gnade steht?
Antwort: Jesus Christus ist nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen (Matth.5,17-20), und nicht allein es zu erfüllen, sondern es noch vollkommener zu machen (Matth.5,21/22/27/28). Denn die Gnade fordert, dass der Mensch alles verlasse, was er in seiner Eigenheit besitzt (Luk.14,33).
Frage: Es gibt Seelen, welche glauben, der Mensch, der unter der Gnade steht, habe nicht mehr nötig, es mit dem Gesetz so genau zu nehmen, weil ja Christus es erfüllt habe. Ist dem also?
Antwort: Wer das glaubt, ist im Irrtum, denn die Gnade hat keine Schonung für den alten Menschen. Im Gegenteil lehrt uns das Evangelium, dass sie eine gänzliche Verleugnung und Absterbung verlangt {Luk. 14,26-27), und uns auffordert, den heiligen Fussstapfen unseres Erlösers nachzufolgen.