Edith Mikeleitis
„Das ewige Bildnis“
( Jesus läßt Edith Mikeleites Blicke in das Leben von Jakob Böhme werfen )
Dichter
Flockenfall verschleierte die novemberliche Landschaft und gab dem Auge nur
einen kleinen Umkreis frei. Das Bild schien immer dasselbe, so viele Meilen die
Pferde auch schon zurückgelegt hatten.
Die beiden
abgetriebenen, aber edlen Pferde, die sich auf dem weichen und von Holzfuhren
ausgegleisten Weg durch ein Tal des Riesengebirges Schritt für Schritt gegen
Wind und Schnee durchkämpften und nur noch mühsam vorwärtsstolperten, trugen
zwei von Müdigkeit gebeugte Gestalten. Die Reiter hockten verloren im Sattel,
den Kopf vorgeschoben, die Hände um die Zügel verkrampft, den Blick starr
geradeaus gerichtet. Der Bach, dessen Quelle sie entgegenstrebten, rauschte
dumpf und voll neben ihnen im Übermaß seines vom Gebirge herabstürzenden
Wassers.
Obwohl die
Reiter dunkle Mäntel mit Kapuzen trugen, die ihre Gesichter halb verbargen,
konnte man doch an Mund und Kinn erkennen, daß sie noch sehr jung waren. Ihre
weichen Gesichtszüge verrieten ihre Untauglichkeit zum Kriegshandwerk, und, sie
wagten viel, wenn sie sich in diesen wilden Zeiten auf den Landstraßen zeigten.
Die geistige Befreiungstat Luthers lag hundert Jahre zurück, aber erst jetzt
brachen überall, gleich lange verborgenen und unterdrückten Krankheitsherden,
Hader, Zwist, dumpfer Groll, leidenschaftliche Parteinahme auf und ergossen sich
über die in suchender Not aufgepeitschten Menschen deutschen Blutes. Ihr
innerstes Teil, ihrer Seelen Heil oder Unheil, schwankte gefährlich im
Meinungsstreit der Großen. Sie waren zum freien Denken und zum furchtlosen
Nachspüren der Wahrheit aufgerufen worden, aber damit hatte man auch der Zügellosigkeit
und dem Irrtum Tür und Tor aufgesperrt.
Den beiden
Reitern schien endlich Erlösung aus der grauen Eintönigkeit ihres Ritts zu
winken, als sie rasch sich nähernde Huftritte hörten, die im Wind bald
deutlicher, bald schwächer ihnen entgegenhallten. Doch anstatt Ermutigung und
Freude zu zeigen, spannten sich ihre Gesichter. Sie hielten ihre Pferde an, und
in ihre Augen trat ein gehetzter Ausdruck. Besonders die Züge des jüngeren
Reiters, sehr zarte und schöne Züge, verzogen sich zu einem ängstlichen und
unmännlichen Weinen, und sein Blick irrte hilfesuchend zu dem älteren Gefährten.
Dessen größere und härtere Ruhe mochte dem Jüngeren Trost geben, denn er drängte
sein Pferd näher heran, als suche er Schutz. Obwohl auch weich und zart, waren
des älteren Reiters Züge dennoch völlig anderer Art: groß, aufgeschlossen,
von einer schweren Schönheit und verhaltenen Leidenschaftlichkeit. Die Augen,
denen eine helle, in ihrer Tönung zwischen dem Blau des Wassers und dem des
Himmels eigentümliche Färbung alle Frische und Ursprünglichkeit der Natur
gab, schienen in ihrer Lebendigkeit ein außerordentliches Schicksal anzukündigen.
Der Altere
reichte seine kräftige und schlanke Hand, die trotz Nässe und Kälte ohne
Handschuh war, dem verängstigten Gefährten wie zum Bund. Dann spähte er durch
den nicht enden wollenden Schneewirbel nach den sich nähernden Reitern aus.
Aber erst kurz vor ihnen tauchten die Fremden sichtbar auf, fünf verwegene
Gestalten in einer zusammengewürfelten, abenteuerlichen Kleidung, wie sie der
Zufall und das wilde Leben der Straße ergeben. Ihre Gesichter, vom Elend und
von Ausschweifungen ausgezehrt und zu Fratzen verzerrt, hoben sich witterernd,
als sie den beiden zaghaften Reitern nahe gekommen waren. Tieren der Wildnis
gleich spürten sie gewissermaßen, ohne zu sehen, ob ihnen Gefahr drohte oder
nicht. Als sie sich mit Ohren, Augen und Gefühl davon überzeugt hatten, daß
sich hinter den wehrlosen Gestalten keine Feinde verbargen, begannen sie ihr
unheimliches Spiel mit ihnen zu treiben.
Sie stellten
sich mit ihren Pferden im Halbkreis auf und betrachteten die beiden zwinkernd
und höhnisch. Sie schienen kaum zu erwarten, daß sich die herrenmäßig
gekleideten Jünglinge zur Wehr setzen würden, denn sie ließen die
abenteuerlichen Waffen, womit sie sich herausfordernd ausstaffiert hatten, ruhig
an ihren Plätzen. Da
sich im
Hintergrund ein bewaldeter Hang befand, brauchten sie auch keine Flucht ihrer
Opfer zu fürchten, die unter den Blicken der Verwegenen erbleichten und ihre Köpfe
tief über die Hälse ihrer Pferde neigten.
So verharrten
Opfer und Peiniger eine Weile schweigend, ehe
der eine der Burschen den Bann mit einem unflätigen Fluch brach. "Des
Satans Hure hole mich, wenn diese Herrchen nicht verkleidete Frauenzimmer
sind", schrie er und schlug seinem Gaul schallend auf den in der Nässe
dampfenden Hals.
Die beiden
eingeschüchterten Reiter duckten sich noch tiefer, als fiele sogleich der
Schlag der Vernichtung auf sie, aber sie setzten sich noch immer nicht zur Wehr.
Das war für die
Wegelagerer das endgültige Zeichen für den Beginn ihrer grausamen Quälerei.
Sie sprangen johlend und schauerlich fluchend von ihren Pferden, schüttelten
sich, um ihre steifgewordenen Glieder für den Spaß zu lösen, und bedrängten
endlich zerrend und die Umhänge der beiden Opfer lüftend die Mädchen.
Die jüngere der
beiden ergab sich sofort und ohne Widerstand. Sie fiel gleichsam in sich
zusammen, ein armes, vor Todesangst ohnmächtiges Geschöpf, dem Körper und
Seele nicht mehr gehorchten. Wie ein lebloses Bündel sank sie vom Pferd und dem
Anführer der räuberischen Horde in die Arme, die sich in brünstiger Gier um
sie schlossen. Die anderen Burschen blickten scheel auf ihren Anführer, wagten
aber nicht, ihm die Beute zu entreißen, sondern stürzten sich mit dumpfem von
schwelender Brunst entzündetem Geschrei auf die andere, mit der sie sich ein
ebenso leichtes Spiel erwarteten.
Aber als gäbe
ihr die größte Gefahr Kraft und Besinnung, erlangte sie durch heftige und
geschickte Gegenwehr so viel Freiheit, daß sie sich auf dem Pferde halten
konnte. Das Tier schien zu ahnen, daß es nun auch an ihm läge, etwas
Furchtbares, sich dunkel Herabsenkendes zu verhüten. Es spannte seine
Aufmerksamkeit bis zum äußersten. Die vier Gesellen stutzten einen Augenblick.
Das schenkte dem
verzweifelten Mädchen die Geistesgegenwart, diesen einzigen Augenblick der möglichen
Rettung zu benützen, ihr Pferd herumzureißen und ihm die
Es mochten
Minuten, es mochten Stunden vergangen sein - sie wußte es nicht. Aber sie spürte
die hell in sie einbrechende Gewißheit einer Errettung, und das Glück, vor
einem neuen Leben zu stehen und, ausgezeichnet durch Gnade, fortan weiterleben
zu dürfen. Die Vorsehung wollte nicht ihren Untergang, sondern ihr erfülltes
Geschick.
Der frühe Abend
senkte sich schon über den Kamm des Gebirges, als das Mädchen endlich die Zügel
wieder anzog und langsam und gedankenschwer den Berg hinanzureiten begann. In
ihr kämpften wühlender Aufruhr mit einer heiligen Stille der Seele, zwei
gegeneinander streitende Naturen gleichsam, die ihr niemals vorher so deutlich
gewesen waren. Zum erstenmal sah sie sich selber, als stünde sie vor sich und sähe
sich durch die einsame Landschaft reiten. Wer war sie? Ein Mädchen ohne Namen,
eine Waise, die soeben ihre Herrin und Freundin Gundula von Reichenau in den Händen
der Räuber zurückgelassen hatte. Was sie einzig besaß, war ihre ungewöhnlich
gute Erziehung, die sie, die Tochter des Vogts, mit dem Schloßfräulein
zusammen genossen hatte, weil sie des Fräuleins tiefe Neigung besessen, seitdem
sie sich beide als Kinder zum erstenmal begegnet waren.
Das Mädchen
erschauerte. Plötzlich wurde ihr das grauenvolle Bild der vergewaltigten
Freundin wieder zur peinigenden Gegenwart. Sie sah die kleine, schmächtige
Gestalt ihrer Herrin Gundula in den Armen der räuberischen Gesellen, deren
wilder Atem die Ohnmächtige bedrängte. Überwältigt von Sorge und Mitleid um
die Gefährtin, hielt das Mädchen ihr Pferd an und wandte sich zurück. Hinter
ihr im Osten lag schon die beginnende Schwärze der Nacht, und die abfallende
Ebene dehnte sich in ein unbekanntes, hügeliges Land hinein. Wie sollte sie
jetzt und unbeschützt den Weg zurückfinden? Und hatten die Räuber Gundula
nicht längst verschleppt, .wenn sie sie überhaupt am Leben gelassen?
Unschlüssig
verharrte sie rückwärtsgewandt. Da sah sie einen menschlichen Schatten sich
auf sie zu bewegen. Von Schreck gelähmt, rührte sie sich nicht. Doch bald
erkannte sie erleichtert, daß dieser Mensch nur ein Fußgänger war. Fast ohne
eigenen Willen erwartete sie den rasch Herankommenden, der sich allmählich
deutlicher vom Hintergrund unterschied. Er war mittelgroß und schlicht
gekleidet.
In allen seinen
Bewegungen lag etwas Vertraueneinflößendes
Als er so nahe
herangekommen war, daß sie sein Gesicht unter dem breiten Wetterhut erkennen
konnte, wurde ihr plötzlich gut und warm im Herzen. Ohne noch ein Wort von
jenem Unbekannten vernommen zu haben, wußte sie sich bei ihm heimatlich
aufgehoben. Mit einer unwillkürlichen Bewegung schob sie ihre Kapuze vom Kopf,
so dass ihr schweres, rotbraunes Haar sichtbar wurde, darunter die breite Stirn
und die hellen Augen sich leuchtend im Untergangslicht der hinter dem dünner
fallenden Schnee noch sichtbaren Sonne abhoben. Ohne den Schritt zu
beschleunigen, näherte sich der Fremde der Reiterin und nahm grüßend den Hut
ab.
Für kurze Zeit
sah sie sein Gesicht in allen Zügen deutlich, ein schmales, blasses Gesicht mit
einer knochigen und breiten Stirn, die vom gescheitelten schlichten und
halblangen Haar dunkel eingerahmt war. Nichts in diesem Gesicht schien ungewöhnlich.
Nur die großen und seltsam erglühten Augen strahlten in einem Licht, wie es
das Mädchen noch niemals wahrgenommen hatte, ein von innen erwachsenes Licht,
dem die Tiefe alles Lebendigen wie ein Geheimnis eingewoben war.
Das Mädchen
neigte sich zu dem Fremden nieder und zeigte in die westliche Ferne. "Könntet
Ihr mir den Weg nach Seifershau wohl beschreiben?" bat sie in fremd
klingendem, weichem Deutsch, das gleichwohl reiner und klangvoller war als die
Sprache dieses schlesischen Gebietes.
Der Fremde lächelte.
"Ihr seid auf dem Wege dorthin, wie ich auch", sagte er. Über ihre Männerkleidung
schien er sich nicht zu verwundern, waren doch die Zeiten voll des Überraschenden,
weil nirgends noch neue Gesittung und Ordnung wuchsen, sondern sich das Alte,
Abgelebte in einem freudelosen Taumel dem Abgrund zu bewegte.
Freudig glänzte
ihr Gesicht auf, und hatte sie soeben erst dem Grauen und dem Tode in die
uralte, drohende Maske geblickt, so öffnete sich ihr Herz jetzt einer Hoffnung
zum Leben, wie sie nur nach überstandener Gefahr möglich wird. Aufatmend, aus
der bangen Einsamkeit erlöst, strich sie sich das verwehte Haar aus der Stirn.
"Will dort
meine Verwandtschaft suchen", murmelte sie, und sie wußte selber nicht,
warum sie dem Wanderer eine Erklärung gab, nach welcher er doch nicht gefragt
hatte. Seine forschenden, aber beinahe kindhaft arglosen Augen ruhten gütig auf
ihr. Er nickte. So setzten sie sich beide wieder in Bewegung, das Mädchen ihr
Pferd zu langsamem Schritt zwingend, der Fremde nebenher schreitend.
"lst's noch
lang bis dahin?" fragte sie nach einer Zeit des Schweigens, als der Weg
eintönig bergan führte und keinerlei menschliche Behausung sich zeigte.
Er wies nach
vorn, und als sie schärfer hinsah, bemerkte sie im Dämmerlicht dicht vor ihnen
einen breiten Gebäudehaufen sich lagern, den sie für Felsen gehalten hatte.
"Das ist
der Edelhof der Herren von Seifershau", sagte ihr Begleiter, und er fügte
mit einem freudigen Klang in der Stimme hinzu: "Dem jungen Herrn spielt der
Wind einer künftigen Zeit um die Stirn. . . Die neue Zeit sucht keinen
Ausweg... Sie sucht des Herzens Abgrund in seiner Wahrheit. . ."
Verwundert hörte
ihm das Mädchen zu. Sie hatte noch niemanden solche Worte sprechen hören.
Hatte der Pfarrer zu Hause einmal außerhalb seiner Predigt versucht, geistlich
zu werden, so war ihnen allen das
Lachen angekommen über den falschen und gleisnerischen Ton, der das Leben zu
verhöhnen schien, das gute Leben, dem sie alle im Schloß Reichenau inmitten
des reichen böhmischen Landes so inbrünstig zugetan gewesen waren. Doch diesem
Mann hier stand der edle Ton seiner Rede wie der einfache Ausdruck seines
Wesens an und erweckte das Verlangen nach der Fülle seiner Gedanken.
Was mochte über
sie gekommen sein, daß sie, ohne ihr willentliches Dazutun, sich plötzlich mit
der so unglücklich verlorenen Freundin gleichsetzte und von deren Seifershauer
Verwandten sprach, als seien es ihre eigenen? "Haltet Ihr so viel von
meinem Vetter Gerhard, daß Ihr solche hohen Worte für ihn findet?" fragte
sie leise und wie traumverloren.
Ihres seltsamen
Begleiters Augen richteten sich ihr mit plötzlich hartem und tiefem Glanz zu:
"Er ist ein Streiter für ein künftiges Menschenreich, dem der Adel der
innersten Wahrhaftigkeit auf dem Wappen geschrieben stehen wird", sagte er
ernst, und darauf schwieg er in sich versunken.
Sie erschrak. Er
sprach von Wahrhaftigkeit, und sie glitt soeben fast ohne ihr Dazutun in die
erste große Lüge ihres Lebens. Meine Herrin Gundula ist tot, dachte sie
erschauernd. Ich will fortan ihren Namen und ihr Schicksal an mich nehmen!
Zugleich kam ihr eine Gelassenheit ins Herz, als sei es nicht sie selber,
sondern ihres Schicksals vorgezeichneter Weg, der sie fortan durch ein
unbegreifliches, aber ihr aufgetragenes Los bis zu einem noch unbekannten, aber
schönen Ziel führen würde.
Sie bogen in
eine mit alten, seltsam windgeformten Buchen bestandene Allee ein, die auf das
breite und gewaltige Hoftor zuführte. Es war schon geschlossen, und es bedurfte
starken Klopfens und Sichkenntlichmachens des hier bekannten Wanderers, ehe es
sich schwer und wuchtig öffnete. Ein Wächter führte die beiden Einlaß
Begehrenden in das Haus.
In der weit sich
öffnenden Halle, die man nach dem Durchschreiten eines kleinen Flurs betrat, saßen
vor einer offenen Feuerstelle drei Menschen. Ein alter Mann mit einem seltsam
gezwirbelten, abstehenden Bart mochte der Hausherr und Vater des jungen Mannes
sein, dem ein schweres Buch auf den Knien lag, darin er nachdenklich blätterte.
Neben ihm in einem Lehnstuhl lag reglos eine bleiche, alte Frau. Nur ihre
dunklen Augen schienen das Leben umher gierig einzusaugen.
Als die beiden
Ankommenden in der Tür erschienen, sprang der Sohn erkennend und mit einem glücklichen
Laut der Überraschung auf, um den Wanderer zu begrüßen. Die Fremde neben ihm
streifte er nur mit einem raschen, verwunderten Blick, fragte aber nicht,
sondern konnte sich nicht genugtun, dem schlichten Mann seine Freude zu
bezeigen, fast wie ein Sohn oder mehr noch wie ein verehrender Schüler.
"Meister Böhme",
sagte er mit einer tiefen, wohllautenden Stimme, "den ganzen Tag schon
warte ich auf Euch, und gerade jetzt hatte ich die Hoffnung auf Euer Kommen
aufgegeben!"
Böhme sah den
jungen Mann freundlich an und gab ihm die Hand, gleich darauf aber wies er auf
seine Begleiterin. "Schenkt zuerst Eurer jungen Verwandten Eure
Aufmerksamkeit, Herr Gerhard", sagte er mahnend, denn ihm wollte der
Zustand des übermüdeten Mädchens bedenklich erscheinen.
Erstaunt blickte
Gerhard in das Gesicht der Reiterin; die er vorher im dämmerigen Schein des
Feuers für einen Mann gehalten hatte. Zögernd streckte er ihr die Hand hin,
fragend suchte sein Blick in ihren Zügen nach einer Ähnlichkeit, einem
Anhaltspunkt für sein Gedächtnis, das ihn hier gänzlich verließ.
Das Mädchen
erwachte wie aus einem Traum. Ihre hellen Augen richteten sich langsam auf
Gerhard, schienen sich in seinem Gesicht festzusaugen wie in einer vertrauten
Landschaft und hafteten endlich in seinen Augen. Dann nahm sie seine breite,
aber edle Hand, die sich um ihre kalte schloß.
So standen sie
wortlos, seltsam durchschauert von einem ungewissen und unbestimmten Gefühl,
das sich schwer und unausweichbar auf sie senkte gleich einem ewigen Leben oder
einem Tode. Beides wog schwer und süß.
Dann war alles
vorüber und sank unter im aufkommenden Gespräch
mit dem Alten, der nun hinzutrat, die Reiterin prüfend musterte und mißtrauisch
ihren Anzug betrachtete, der abenteuerlich genug aussah, verregnet, schmutzig
und mit allen Zeichen eines .langen, rastIosen Straßenlebens.
"Wer ist
dieses Mädchen?" knurrte der Alte mit einer mürrischen Stimme.
"Eine
Verwandte, die bei Euch Schutz sucht", sagte Böhme und wandte sich danach
der Hausfrau zu, die ihn mit den heißen Blicken einer Kranken empfing.
"Mit Euch
geht nun das Ketzertum im Hause wieder an", sagte sie leise und böse mit
einer zerbrochenen und heiseren Stimme, die sich dennoch überdeutlich in die
Stille einfraß, als ihr eine heimliche Kraft gegeben.
Böhme schienen
diese Worte tief zu treffen. Plötzlich zerfiel sein Gesicht. Aus der schönen
Sicherheit seiner Züge trat eine verborgene Unruhe der Seele hervor, jedoch
keine zerstörerische, sondern eine tieffassende Bewegtheit seines kämpfenden
und ringenden Geistes.
»Wer in Gott
bleibt, ist kein Ketzer", sagte er leise, als hätte er damit schon zuviel
an einen Menschen verraten, dem die inneren Sinne nicht dafür aufgeschlossen
waren.
"Ketzer
bleibt Ketzer", murrte die Frau und suchte mit ihrem böse gewordenen Blick
ihren Sohn und die Fremde, der noch immer kein Wort über die Lippen gekommen
war.
"Woher ist
dieses Mädchen?" fragte die Hausfrau mißbilligend, weil ihr die stumme
und seltsam anmutende Gestalt verdächtig erschien. Ihre der kleinlichsten
Ordnung ergebene Natur nahm Anstoß am Anzug und an der sichtbaren Befangenheit
der Fremden, deren Verstörung und Erschütterung sie nicht begriff.
Endlich löste
sich die Erstarrung des Mädchens. Sie nahm mit einer verlorenen Bewegung den
Umhang von ihren Schultern, legte ihn auf einen Stuhl und ging zögernd auf die
Hausfrau zu. Als diese keinen
Versuch machte, ihr zu helfen und ihr auch nicht die Hand entgegenstreckte,
verneigte sich das Mädchen mit einer ihr eigentümlichen stolzen Anmut und
sagte leise: "Wollt verzeihen, Muhme, daß ich so spät und unangemeldet in
Euer Haus komme wie eine Landstreicherin. Aber mein Vater, Graf Heinrich von
Reichenau, ist vor wenigen Wochen
Damit zog sie
einen eng zusammengefalteten Brief aus der Innentasche ihrer Jacke und gab ihn
der Frau. Schon während sie sprach, wurden die Augen der Hausherrin milder und
milder, so daß sich ihr kleinliches Gesicht verschönte und belebte. Bei der
Nachricht vom Tode ihres Bruders schloß sie für eine kurze Weile die Augen,
ehe sie
Ruhig stand das
Mädchen neben ihr und wartete. Im .Schein des lebendig flackernden Feuers
konnte man jetzt ihr Gesicht in allen Einzelheiten anschauen. Sie hielt den
Blicken der drei Männer unbeweglich stand, die zuhörend näher getreten waren
und sie betrachteten. Schön und groß gebildet waren ihre Züge, gekrönt von
einer breiten Stirn, die zu leuchten schien, weil die Haut darüber so weiß und
glatt gespannt war. Die schweren Wellen des rötlich braunen Haars fielen halb
aufgelöst und naß über ihre Schultern und gaben dem Antlitz einen dunklen,
schimmernden Rahmen.
Gerhard von
Seifershau lehnte sich an einen Schrank, der seitlich an der Wand stand. Er
blieb im Halbdunkeln, während das Mädchen im vollen Schein verharrte. Niemals
hatte ihn ein Frauengesicht tiefer ergriffen, und schon jetzt, nach den wenigen
Augenblicken ihrer Gegenwart, erfüllte sich der Raum um ihn mit einer
gespannten Lebensluft.
Er hörte wie im
Traum das Mädchen sagen: "Meine Freundin Verena war die Tochter unseres
Vogts, und sie wurde mit mir zusammen erzogen. Auch sie wollte Schutz bei Euch
suchen, aber sie ist heute bei einem Überfall durch Räuber verschleppt oder getötet
worden!"
Hier schien ihr
die Stimme zu versagen, doch sogleich raffte sie sich zusammen und hob wie in
einem unbezwingbaren Entschluß den Kopf: "Ich vermochte sie nicht zu
retten. Ich konnte nur fliehen, und jetzt bin ich hier. Die Hausfrau forschte
eindringlich weiter, indem sie die Verwandte neben sich auf einen Stuhl zog, und
so löste sich Satz für Satz von des Mädchens Seele, wahrheitsgetreu bis
in die nur widerstrebend aufgedeckten Einzelheiten des Erlebnisses. Endlich
schwieg die Fremde erschöpft wie nach einer großen Anstrengung. Ihr Kopf war
ermüdet zur Seite gesunken, ihre Augen lagen tief in den Höhlen, und in ihren
Zügen zeigte sich die lange Entbehrung von Schlaf und Nahrung.
Der Gast, den
Gerhard Seifershau mit Meister Böhme angeredet hatte, war aufgestanden, hatte
sich neben die.Erschöpfte gestellt und ihre wie leblos hängende Hand in seine
genommen. Prüfend hielt er sie eine Zeitlang und forschte in dem halb ohnmächtigen
Gesicht.
Die anderen
sahen betreten zu. Es mochte ihnen erst jetzt zum Bewußtsein kommen, wieviel
dem Mädchen in dieser Stunde zugemutet worden war, hungrig, naß und überanstrengt
wie sie war.
Ohne die anderen
zu beachten, hatte Böhme sich lange und tief über die Fremde gebeugt. In
seinen blassen Zügen, von äußerer Armut ausgemergelt und vorzeitig gealtert,
spielten die Gedanken für den, der zu lesen vermochte, mit großer
Deutlichkeit. Er schien über einem Geheimnis zu lauschen, das die aufgebrochene
Seele dieses Mädchens ihm offenbarte. Er sagte nichts. Nur konnte er sich von
dem
Endlich richtete
sich das Mädchen auf. Eine Welle von Scham flog über ihr Gesicht, als sie die
Augen der Anwesenden so aufmerksam auf sich ruhen fühlte, aber es war eine
stolze Scham, aus Einsamkeit und innerster Selbstverantwortung geboren. Fast
unwillig schüttelte sie den Kopf und erhob sich.
"Verzeiht",
murmelte sie und wandte sich zumeist an Böhme, der wieder ganz in sich
versunken und teilnahmlos war. "Nicht oft verläßt mich die Kraft,
aber.."
Hier stockte sie
und nahm Gerhards Bitte dankbar an, der Beschließerin in ein anderes Zimmer zu
folgen, um ihre durchnäßten Kleider zu wechseln.
Nach ihrem
Weggang erwog der alte Seifershau die Suche nach der verlorengegangenen
Gespielin der Nichte und erwog einen Plan nach dem andern, um ihn gleich darauf
zu verwerfen.
Nur Böhme und
der junge Seifershau schwiegen. Im Gesicht Gerhards, das aus Gegensätzen sich
zum schönen Ganzen zwang, lag eine verwunderte Spannung, ein Hinhorchen auf
Stimmen, die aus ihm in sein Bewusstsein dringen wollten.
"Warum rührt
uns plötzlich fremdes Leben so urmächtig an, daß unseres eigenen Lebens Sinn
darüber nichtig wird?" fragte er und so leise, daß die beiden laut
redenden Alten ihn nicht hören konnten.
Böhme
antwortete nicht sogleich. Seine Augen, darin alle Glut. eines wachen und tief
sich gründenden Geistes gesammelt war, ruhten in einer weglosen Ferne, als
suchten sie dort eine Antwort. "Da alle Wesen aus einem Anfang gekommen
sind, das ist aus dem Urgrund des Schöpfers, so ist ihnen auch ein sehnliches
Verlangen nacheinander als nach dem Widerspiel ihrer Selbst mit auf den Weg
gegeben. Um so mehr sie sich vom Anfang entfernen und in die Einsamkeit des
Ungestalteten sich einbohren müssen als in eine feindliche Natur, um so
sehnlicher ist ihr Begehr nach einer Seele, die ihnen verwandt ist."
Still hörte der
junge Seifershau zu. Dann fragte er suchend: "Kommen alle Wesen aus einem
Anfang, so sind sie sich alle verwandt und müßten gleichermaßen aufeinander
wirken. Aber sie sind sich abstoßend und fremd, und nur selten blitzt die Liebe
in ihnen auf."
Böhme lächelte.
Dies Lächeln flog über den Ernst seiner Züge wie helle und wärmende Sonne,
machte den schlichten Mann schön und vertraut. "Es sind der Gedanken des
Schöpfers so viele, wie es Geschöpfe gibt", sagte er, "und sie
suchen ihren Weg verschieden. Auf dem Weg ist es dunkel, und sie stoßen sich
aneinander in der Finsternis. Doch manchmal leuchtet das Herz Gottes aus ihnen,
und sie erkennen sich. . ."
Aber die
Gelassenheit, mit der Böhme sprach, schien ihm nicht völlig aus der Seele zu
kommen; denn als er geredet hatte, bewölkte sich sein Gesicht. Düsternis verhängte
seine offenen Züge. Er schien von Grund aus verändert, so dass der junge
Seifershau erschrocken auf ihn sah und schwieg.
Ihm kam wieder
des seltsamen Mannes innerste Macht zum Bewußtsein, der, ein Schuster aus der
Stadt Görlitz, nicht nur ihm, sondern den Besten des Landes das Herz bewegte
und in der dunklen, gespensterhaft gottlosen Gegenwart wie ein Licht leuchtete,
das seine Kraft und seinen Schein aus der Wirrnis und Unvernunft, aus der
Das Eintreten
zweier Mägde, die den Abendbrottisch richteten, störte das Gespräch zwischen
den beiden Männern. Der alte Seifershau war dröhnenden Schritts durch die
Halle gegangen, um einen schmächtigen Mann zu holen, der eingetreten, aber zögernd
in der Tür stehengeblieben war. Als das Männchen, dem stechende Augen und ein
fadendünn gedrehter langer Schnurrbart das Aussehen eines Zigeuners gaben,
Jakob Böhmes ansichtig wurde, verzog sich sein Gesicht zu einem höhnischen
Grinsen, um gleich darauf die würdige Miene eines überlegenen
anzunehmen. Er ging auf Böhme zu, reichte ihm die dürre und nach scharfen
Essenzen riechende Hand, musterte den anderen spöttischen Blicks und sagte mit
einer hohen, durchdringenden Stimme, die sich häßlich in die Ohren zwang:
"Seht, der ohne Zweifel gelehrte und weise Jakob Böhme aus Görlitz! Ein
seltner Gast fürwahr! Nimmt sich auf den Höfen der Edlen nicht übel aus, mein
ich, wenn ihm auch die Gelehrtheit der Schulen ein Dorn im Auge ist!"
Jakob Böhme war
dem feindlichen Manne mit ruhigem und kühlem Blick begegnet, hatte ihm auch
seine Hand gereicht, keines Schusters Hand, sondern die Hand eines
Warum beflügelt
Eure Zunge heute nicht der heilige Geist, der Euch doch sonst so reichlich
heimsucht, daß Ihr Euch seiner Gemeinschaft wie kein anderer in deutschen
Jakob Böhme lächelte.
"Magister Lapus", sagte er leise, "mit wem der Geist Umgang hat,
dem soll man keine gefährlichen Fragen stellen, denn es könnte sich der Geist
gegen den Frager hinwenden als eine feurige und feindliche Gewalt, davor der Spötter
erzittern müßte!"
Das war ohne Schärfe
gesagt. Dennoch drang die leise Mahnung wie ein Stachel in den anderen ein, der
sich mit teuflisch verzogenem Gesicht nicht eines Keifens in seiner Stimme
enthalten konnte und zeterte: "Man möchte meinen, daß Ihr in die Welt
gekommen seid, um die hohen Schulen und Kirchen mit dem Schusterhammer
totzuschlagen!“
Böhme strich
sich sinnend über die Stirn. In ihm mochten die Worte des Magisters mehr aufrühren
als Abwehr und Zorn, denn ihm hatte die seltsame Verkehrung seiner Stellung in
dieser Welt, die ihm aufzwang, höhere Erkenntnis zu haben als die Gelehrten,
schon Jahre des Friedens zerstört, hatte ihn oft genug befangen und angstvoll
gemacht und ihm nicht zuletzt das Verbot des Magistrats von Görlitz
eingebracht, seine Gesichte und Erleuchtungen jemals wieder aufzuschreiben.
Darum begegnete
er dem gehässigen Anwurf des Lapus nicht heftig, wie es seine Natur verlangte,
sondern überging dessen Reden stillschweigend. Auch kam ihm der Eintritt des
fremden Mädchens zu Hilfe, die sich so frei und aufrecht trug, als habe ihr
niemals vorher Schwäche das Haupt gebeugt.
In den
Frauenkleidern der Hausherrin, die ihr zu kurz und zu eng waren, sah sie dennoch
anmutig und schön aus. Selbst der alte Seifershau verkniff die Augen wohlgefällig
bei ihrem Anblick, während der Lapus tänzelnd und süßlich auf sie zuging und
ihr seine Wohlerzogenheit und Welterfahrenheit durch eine Willkommensrede
bewies.
Aber Gundula sah
den Magister verwundert an wie eine unbegreifliche Erscheinung, hatten ihr doch
dieser Tage gedrängte und furchtbare Erlebnisse die Seele geöffnet, so daß
sie des kleinen Mannes seltsame Verrenkungen und Worte fast ungläubig anhörte
wie eine Komödie am unrechten Ort.
Gerhard von
Seifershau gebot dem Lapus Halt. "Laßt das Geschwätz, Doktor", sagte
er. "Dem Fräulein kann der Sinn nicht nach Eurer Unterhaltung stehen, da
ihr heute die Gefährtin und vor wenigen Wochen der Vater entrissen worden ist!
Zähmt Eure Schwatzlust für eine bessere Gelegenheit!“
Lapus sah den
jungen Herrn feindlich an. Er wollte etwas erwidern, aber dann bewog ihn die
Vorsicht des immer Abhängigen, sich schweigend an seinen Tischplatz zu setzen.!
Die Hausfrau
hatte der neuen und verwandten Hausgenossin Ehre angetan durch einen reich
bestellten Tisch, Wein und Kerzen. Silber und Zinn glänzten auf der weiß
gescheuerten Holzplatte, und die Wachslichter gaben den Gesichtern einen milden
und versöhnlichen Schein, löschten die scharfen Linien in den Zügen der Alten
und ließen das helle Blut in der Haut der beiden Jungen leuchtender aufscheinen.
Der alte
Seifershau legte der Verwandten Brot und Fleisch vor. Ihm mochten in der
vergangenen Stunde Erwägungen und Gedanken von vielerlei Art durch den Kopf
gegangen sein, so daß er jetzt nicht mehr an sich halten konnte und das Mädchen
nach Erbe und Besitz der Güter auszufragen begann, die der Vater ihr
hinterlassen haben mußte, war sie
doch seine einzige Tochter gewesen und somit Herrin von Reichenau.
Nur Jakob Böhme,
dem sich hinter der Stirn der Menschen die Gedanken und Gefühle offenbarten,
als lägen sie offen vor ihm, bemerkte .den tiefen Schrecken, der dem Mädchen
widerfuhr, als der Alte sich im Abwägen ihres Erbes nicht genugtun konnte, lüstern
nach Gold und Besitz, wie er allgemach geworden war, je mehr er sich mit des
Magisters Schwarzen Künsten gemein gemacht hatte.
"Das werdet
Ihr alles für mich ordnen, Oheim"; sagte Gundula leise und gequält.
Auf ihre Worte
folgte Schweigen, denn plötzlich lag über allen der Bann der wilden Zeit,
darin Verbrechen und Tod, Irrsinn und Not umgingen, als habe nur der Teufel,
nicht aber Gott die Welt erschaffen, wie die Kirche es lehrte.
"Der Mensch
ist das größte Geheimnis, das Gott gewirkt hat", sagte Jakob Böhme leise
und mit einem Schauer in seiner Stimme. "Er trägt Gott in sich und den Teufel. Welchem er sich
zuneigt, dessen Gefährte wird er. Darin allein geht seine Freiheit."
"Wie sollte
der sündige Mensch Gott in sich tragen?" fuhr die heisere Stimme der
Hausfrau dazwischen. "Es ist uns vom Doktor Martinus Luther nichts gesagt,
daß der
Der Magister
Lapus, dem sowohl die Lehre Luthers als auch des Böhme eindringliche Worte im
Innersten gleichgültig waren, sagte spöttisch: "Was vermeint Ihr,
Meister, wie müßte das Antlitz Gottes aussehen, wenn jeder stinkende Gauch ihn
in sich trüge? Mir ist der geistlichen Spiegelfechterei Ausgang unwichtig, doch
Euch könnte leicht das kirchliche und das weltliche Gericht treffen, wenn Ihr
solche ketzerischen Reden führt!"
Jakob Böhme sah
den Spötter klar und ruhig an. Dann ging sein Blick zu dem verschlossen und in
sich gekehrt dasitzenden Mädchen. Als sein Auge sie traf, schaute sie auf, und
im Begegnen ihrer Blicke erkannte sie jäh, daß der seltsame Mann um ihr
Geheimnis und um ihren Betrug wußte.
"Dennoch
ist es so", wandte sich Böhme an die Hausfrau. "Wer
Gott nicht in sich trägt, der kann ihn nicht schauen. Es wächst ihm aus uns
sein eigenes Gesicht entgegen, und er gebiert sich aus dem Menschen ewig neu,
bis daß der Mensch seinen Leib vergottet hat und der lautere Geist als die
ewige Gottesfrucht aus ihm scheint und der Welt Zwiespalt in sich erlöst. Nicht
der Leib ist verwerflich, denn er gibt uns die Welt mit ihrer Fülle und Süße
zu kosten und mit ihrer Not und Qual. Allein der böse Geist ist zu verdammen,
der den Leib zum Tier macht!"
Unwillig zuckten
die Züge der alten Frau. "Ihr habt schon einmal des Magistrats Verwarnung
annehmen müssen", sagte sie bissig. "Und der Pfarrer Gregorius
Richter verfolgt Euch nicht umsonst mit Drohung und Schimpf! Denn es wäre
schlecht bestellt um die Sache des Glaubens, sollte Eure lose Lehre allenthalben
Fuß fassen. Die Kirche wäre ausgelöscht, und jedweder Gauch könnte sich
einbilden, er sei Gott!"
"Wenn die
Kirche der Verwandlung nicht mächtig ist, die allein das Signum des Lebens trägt,
so muß sie des Teufels werden. Glaubt nur nicht, daß sich die Wahrheit in ein
armseliges Dogma einschließen ließe gleichwie kein Same in eine Eisenkapsel.
Er muß darin sterben; denn er gehört in fruchtbare Erde, damit er sich dehne
und wachse, Blüte und Frucht
trage. Also auch die Wahrheit. Die Kirche gleicht der eisernen Kapsel, darin man
die köstliche Wahrheit eingesperrt halten will. Doch geht die Wahrheit in der
Macht Gottes so gewaltig einher, daß sie auch das Eisen sprengen wird. Denn der
Sinn dieser Welt ist beschlossen im Sieg des Lebens."
Er hatte zuerst
leise gesprochen, steigerte sich dann aber, je weiter seine Gedanken griffen,
bis zur Leidenschaft. Seine großen Augen erfüllten sich mit einer klaren und
durchsichtigen Glut, die nichts mit der dunklen Bekennerwut jener Fanatiker
gemein hatte, welche allenthalben das tief in der Seele hungernde Volk verstörten
und es in immer größere Ratlosigkeit versetzten.
Der Lapus hob
seinen Becher gegen Jakob Böhme. "Wenn Euch die edle lateinische Sprache
gegeben wäre, könntet Ihr in den hohen Schulen die Doktores das Beten
lehren", sagte er. Seine kleinen schwarzen Augen blinkten listig.
Der junge .Seifershau,
dessen Aufmerksamkeit während des Gesprächs zwischen dem Zuhören und dem
Anschauen Gundulas geteilt war, mischte sich bei des Magisters Worten heftig in
den heimlichen Streit. "Latein! Hättet Ihr soviel Vernunft, wie Ihr Latein
habt, so sollte es angehn", begehrte er auf. "Aber da Ihr in der
Gewalt der deutschen Zunge nichts zu sagen wißt, verbergt Ihr Eure Ohnmacht in
das Gewand einer fremden und toten Sprache! Lernt deutsch, wenn Ihr einem
deutschen Mann antworten wollt, dem das Herz brennt und der Geist die Zunge führt!"
Der Lapus schien
an solche heftigen Ausbrüche des Haussohns gegen sich gewöhnt zu sein und
blickte hilfeheischend zu dem Alten hinüber, der ihm schon oft Schutz gewährt
haben mochte. Auch jetzt grollte der Vater den Sohn an: "Der Magister steht
bei mir im Brot. Der Ruf der chimischen Wissenschaft geht ihm voran und macht
ihn berühmt in allen Landen. Die große Magie der Natur ist ihm ein geöffnetes
Tor. Er wird den Stein der Weisen finden! Die tinctura magna glüht im Feuer wie
eine himmlische Rose. . ."
Gerhard lächelte
zu seinen Worten, wie man bei den Worten eines Kindes lächelt. "Stein der
Weisen, Vater!" sagte er mit leiser Verachtung. "Glaubt Ihr wirklich,
dass die Kräfte der Natur in einem Stein beschlossen liegen, so will ich Euch
die Hoffnung nicht rauben. Aber mir scheint eher, daß die Kräfte der Natur in
Gott beschlossen liegen!"
Jakob Böhme
schwieg. Wie in Fernen getaucht blieben seine Augen abseits, als hätten ihn
seine eigenen Worte weit hinweggeführt von den kleinen Streitereien der
Menschen, weit hinweg zu sich selber und zu seinen brennenden Qualen und Nöten
um Welt und Gott. Der ungewohnte Wein in seinem Blute schien die Schärfe und
Deutlichkeit seiner Gesichte nur zu steigern, so daß er sich vor der Fülle der
ihn andrängenden Erkenntnisse hätte verbergen mögen, anstatt hier im
Angesicht der Menschen Rede und Antwort über Fragen stehen zu müssen, die ihm
selber noch dunkel in der Seele nach Lösung begehrten.
Nur im Antlitz
des Mädchens wachte ein Schein auf, als vernähme sie Klänge nie gehörter
Art, die ihr die Tiefen bewegten. Sie spürte Böhmes Absonderung von dem, was
hier geschah, und sie spürte zugleich ihre Zusammengehörigkeit mit ihm. Schon
jetzt bildete sie mit ihm und Gerhard eine Gemeinschaft, kaum, daß sie den Fuß
über die Schwelle dieses Hauses gesetzt hatte. Das durchlief sie warm und nahm
ihr für Augenblicke das eisige Gefühl eines in ihr selber wohnenden Rätsels,
dem sie Sinn und Ordnung noch nicht geben konnte.
Plötzlich erhob
Jakob Böhme wieder seinen Kopf, und seine Augen trafen mit durchdringendem
Blick den Lapus. " Was mir zu wissen fehlt, ist nicht die Gelehrtheit der
Magister oder die lateinische Rede", sagte er still. "Doch fehlt mir
die Bescheidung. Denn auch die Weisheit der Meister ist mir nicht genug. Bin
ihren Wegen suchend nachgegangen und habe des Eckehard und des Paracelsus Schriften studiert, habe
auch ihrer Erleuchtungen Früchte in mir geschmeckt.
Aber ihre Wege
haben mich nur bis vor das Tor geführt. Dahinter ist mir die Wahrheit in ihrer
Fülle und Pracht noch immer verborgen. . ."
"Die
Wahrheit hat uns der Doktor Martinus Luther genugsam und klar aufgesetzt und
gegeben", eiferte die Hausfrau. "Es braucht nicht der höllischen
Ketzereien des Paracelsus und der Alchimisten!" Dabei streifte ihr böser
Blick den Lapus und ihren über seinen Teller gebeugten Mann.
"Die
Wahrheit hat ein gewaltiges Gesicht. Das solltet Ihr nicht begehren zu
schauen", sagte Böhme
leise. Eine brennende Unruhe erfaßte ihn. Er vermochte plötzlich die Menschen
nicht mehr zu ertragen. Es war, als öffneten sich nach dem kurzen Gespräch mit
den Freunden und nach der seltsamen Begegnung mit dem Mädchen die Abgründe von
neuem, an denen er bisher nachtwandlerisch entlanggefunden hatte, ohne
hineinzustürzen. Diese Menschen hier erwogen noch ein Für und Wider, ihm
selber ging es um Wahrheit oder Tod.
Er stand auf,
verließ die Halle und ergriff draußen Hut und Mantel, um in die Nacht
davonzustürzen. Der junge Gerhard folgte ihm erregt. Er ahnte, daß sich des
Meisters Gemüt in einem unstillbaren Aufruhr befand, denn er selber hatte oft
und oft in den vergangenen sieben Jahren gemahnt, Böhme möchte den Bann
brechen und seine Erkenntnisse wieder aufschreiben trotz des obrigkeitlichen
Verbots. Führte er doch die Schöpfernot, die den Meister mit innerer
Vernichtung bedrohte. Seit Böhmes wunderbarer und gleich einem Himmelsgeschenk
aufgeblühter Schrift "Aurora oder die Morgenröte im Aufgang" hatte
der Meister sich gegen den eigenen fordernden Geist gestellt und einen
verzweifelten, ungleichen Kampf geführt.
Jetzt schien er
am Ende seiner Kräfte.
Aber draußen
heulte der Schneesturm, und das Gebirge war gefährlich, wenn die Nacht jedes
Richtzeichen verbarg.
Gerhard beschwor
den Meister, den Tag abzuwarten und seine Schlafkammer aufzusuchen.
Doch Böhme
legte ihm schweigend die Hand auf die Schulter und sah ihn an. In seinem Blick
gloste die Not der Berufenen, die um die Erwählung ringen. Das gab einen
Abstand, den keine Worte überbrücken konnten. So trat denn der junge Freund
zurück und ließ Böhme in die Nacht hinauseilen.
Auf der Höhe
eines Berges erst hielt Böhme den vorwärts stürmenden Schritt an. Ihn hatte
eine Qual hierhergetragen, die ihn den Sturm, den Schnee und die Anstrengung des
Steigens nicht fühlen ließ. Er wußte kaum, daß er ging, und nur sein wild
klopfendes Herz und der mühsam ein und aus keuchende Atem zwangen ihn endlich,
stehenzubleiben.
Die Nacht war
undurchdringlich. Der Novembersturm blies durch den dünnen Mantel und kühlte
das kochende Blut in einem Augenblick ab. Es ging ihm durch den Kopf, daß er
sich vor Krankheit hüten müsse, denn er war zart. Doch überschwemmte seine
Erregung jeden Gedanken an Vorsicht.
'
Was trieb ihn?
Wer hatte ihn vom Tisch der Freunde verjagt? Wer suchte ihn heim, daß er
nirgends Ruhe und Frieden finden konnte, heimatlos und verfolgt im Lande wie ein
Verbrecher?
Sein Herz
schmerzte. Er spürte, wie eine Macht in ihm wuchs, der er nicht mehr entweichen
konnte. Es schrie in ihm nach Gestaltung: Was er für ewig hatte ertöten
wollen, wollte nun ihn töten. Sieben Jahre hatte er geschwiegen. Sieben Jahre
hatte er, den die inneren Gesichte zerrissen, keine Zeile geschrieben. Nun ging
es um Leben oder Tod. Nicht um den leiblichen Tod allein, sondern um den ewigen
Tod, der im unerfüllten Schicksal beschlossen lag.
Sein erstes Werk
leuchtete als eine Mahnung am Horizont seines Lebens. Man hatte ihn darum geschmäht
und bewundert, verfolgt und geehrt. Segen und Fluch war davon ausgegangen, und
er hatte sich darunter geduckt wie unter einem rasenden Gewittersturm.
Nun stand er
hier unter einem schwarzen, wilden Himmel, die geheimnisvolle Erde mit den Füßen
berührend, ein zwischen aufstrebender Inbrunst und niederhaltender Schwere
hingespannter Leib, ohnmächtig und mächtig zugleich, je nachdem er seinen
Willen auf das Vergängliche oder auf das Unvergängliche richtete.
Inmitten des
treibenden Sturms erfaßte den Einsamen die gnadenlose Not aller Kreatur.
Ausgeliefert und verlassen spürte er das im unendlichen Raum gleich eine
winzigen Fünklein glühende eigene Blut, wie es sich mit seiner
lebenerhaltenden Wärme gegen den eisigen Tod wehrte, der sich mit gierigem
Griff über ihn neigte.
So stehen wir
allein, schrie es in seiner Seele und wo ist Gott? Wir wissen nichts als unseren
irdischen Anfang und unser gewisses Ende, und dazwischen steht die Qual der
irdischen Unvollkommenheit groß mit bleichem, verzerrtem Angesicht, und ist
kein Ausweg aus ihr, es sei denn, daß man die irdische Hülle abwürfe wie ein
lästiges Gewand! Doch das Leben ist herrlich, das wir in uns fühlen und das
wir aus der Vergänglichkeit erretten wollen! Wohin können wir uns vor dem Tod
bergen?
Antwortlos
verharrte die Natur, unsichtbar blieb der Himmel.
Da warf den
verzweifelt Fragenden eine plötzliche Erkenntnis wie ein Blitz zur Erde nieder.
Er vermochte nicht mehr der Nässe und der Kälte zu achten, die in seine
geringen Kleider kroch.. Er lag da wie gefällt, ein im Innersten Getroffener,
dem keine Hoffnung und kein Ausweg beschieden zu sein schienen. Er versteckte
sein Gesicht in die Beugen seiner Arme, und während eine brennende Offenbarung
in ihm aufflammte, umfing seinen Leib eine ohnmächtige Erstarrung, die dem Tode
vergleichbar war.
Er sah über
sich ein furchtbares mitleidloses Antlitz als wie das eines Teufels, doch war
darin auch die Liebesgewalt und das glühende Feuer des Himmels, und beides
stand in einem ewigen Anfang der Schöpfung und sandte ein helles, blendendes
Licht aus als des eindringenden und das Dunkel zerbrechenden Geistes. In diesem
furchtbar-herrlichen Antlitz standen Anfang und Ende, Vergänglichkeit und
Ewigkeit als ineinandergewobenes Ganzes beschlossen, ein Geheimnis und dennoch
eine Offenbarung. Heiliger Grimm und feuriger Schöpferzorn flammten im Urgrund,
wandelten sich in die Glut erschaffenden und verzehrenden Willens und sänftigten
sich im strahlenden Lichtglanz des Geistes.
Hielten ihn, den
ganz Erstarrten und Durchnäßten, die Mächte seiner Vision? Er verging nicht
daran, er spürte seine Glieder wieder, als die Erscheinung verblaßte und ihn
im Dunkel der Nacht zurückließ. Seltsam beschwingt und gestärkt, obwohl ihn
die Haut vor Kälte schmerzte und seine Zähne in der Erregung
aufeinanderschlugen, erhob er sich wie ein Trunkener und wankte den Berg
hinunter.
Eine Erkenntnis
brannte in ihm, die so abgrundtief, so vermessen und erschütternd war, daß er
ihr noch keinen Namen zu geben wagte. Seine Füße fanden den Weg im
Lang und schwarz
war die Winternacht, der Sturm verebbte allmählich, je weiter der Morgen heranrückte,
und sogar schien ein Stern durch die zerreißenden Wolken.
Der nächtliche
Wanderer verhielt den Schritt nicht. Neben ihm rauschte längst der Kemnitzbach,
dessen brausende Wasser ihm die Richtung gaben. In Jakob Böhme wallte der Geist
gleich einem alles durchdringenden Glanz, und sein nahes und vergangenes Leben
stand darin in neuem und erhöhtem Licht.
Er sah den
kleinen, schmächtigen Bauernjungen die Ziegenherde hüten, von einsamen
Gesichten umspült, die sich bald teuflisch verzerrten, bald himmlisch sich in
klares Licht auflösten. Hatte er nicht damals jenes geheimnisvolle Felsenloch
entdeckt und in einem flimmernden Berggewölbe einen Goldschatz gefunden? Es
hatte den unwissenden Knaben mit glitzernder Verlockung gebannt, bis eine Stimme
sich in ihm erhoben hatte, die ihn warnte. Er wußte nicht, warum sie so
eindringlich warnte, denn ihm waren Versuchungen des Reichtums noch fremd. Er wußte
nichts von der Gefahr der Verstrickung in jene Bereiche der Welt, die dem
Menschen so angenehm schmeicheln, um ihn höhnisch als leeren und ganz verarmten
Bettler zurückzulassen. Davon wusste er noch nichts! Dennoch hatte ihn eine plötzliche
Furcht hinaus aus der bedrängenden und bedrückenden Luft dieses gleisnerischen
Schatzes getrieben, und er war geflohen, ohne auch nur eine der alten und
seltsamen Münzen anzurühren, die ihm bettelnd nachzulaufen schienen. Nie hatte
er den Felsenzugang wiedergefunden, soviel er, nachträglich lüstern und
neugierig geworden, auch danach suchte. Aber in ihm hatte seitdem die erste
Erkenntnis des Lebens gestanden: daß es für ihn keinen Weg geben könne, der
nach den Genüssen
Jetzt lebte
dieses Kindererlebnis plötzlich grell wieder in ihm auf. Schon damals hatte die
Sendung über ihm gestanden, ihn begnadend und zugleich ihn immer mit Fluch
bedrohend, ihn auszeichnend und zugleich ihn immer verwerfend, ein göttliches
Geschenk und eine währende Not.
Seitdem ging ein
zweites Leben mit seinem gewöhnlichen immer mit, wohin er sich auch wandte. Ob
er auf der Wanderschaft schlechter Meister Lehrling und Geselle war, ob er
seines Herzens Einsamkeit in der Liebe zu seiner Braut und späteren Frau
Katharina Kunschmann zu ersticken suchte, ob er als ehrsamer Handwerksmeister
auf dem Kirchenstuhl der Görlitzer Stadtkirche saß, oder ob er eifrig und
hingegeben in der Bibel studierte - immer reifte und weste sein zweites Ich in
ihm. Kinder wurden ihm geboren, als Wunder der Schöpfung hingenommen und mit
dem Vorsatz erzogen, sie zu rechtschaffenen Bürgern der Stadt zu machen. Das
Handwerk wurde mit Fleiß betrieben, und äußerlich unterschied sich nichts in
seinem Leben von dem seiner Mitbürger - bis jene Stunde der ersten Erleuchtung
ihn niederwarf, die seines Daseins Fugen auseinanderbrach und ihn in die Reihe
der Gezeichneten berief, in denen Gott sich unerbittlich offenbart.
Ein großes
Weltbild war in ihm wie eine Vision aufgegangen, und die Stimme des Geistes
hatte zu ihm gesprochen, daß er die Feder kaum führen konnte unter der Gewalt
und Erschütterung der einbrechenden Gesichte. Und als die hohen Stunden
verklungen waren, er ausgezehrt und elend wie nach einer schweren Krankheit in
den Alltag zurückfand, hatte er den kostbaren aufgeschriebenen Schatz vor der
Welt verborgen und sich Schweigen darüber auferlegt. Zögernd nur hatte er es
erlaubt, daß sein Freund, der Medikus Kober aus Görlitz, einen Blick
hineinwarf. Und als dieser erste Mitwisser seines Geheimnisses vom Geschauten
und Offenbarten des ungelehrten Schusters tief erschüttert worden war, da hatte
ihn eine große Angst angefallen vor etwas Übergewaltigem, dem nun sein Lauf
gegeben war gleich einem Fluß.
Durch welche
Felsen und Abgründe würde der Strom in ihm sich zwängen müssen, bis er im
einigenden Meer Ruhe fand? In seiner Bedrängnis hatte er sich der Hoffart
angeklagt und hatte wiederum die Schrift verbergen wollen. Doch ohne daß er es
hindern konnte, fand sie Eingang zu vielen Freunden und zu vielen Feinden, so daß
Verehrung und Haß unversehens zu einer Lawine wuchsen, die sein geringes Leben
mitzureißen und zu entwurzeln drohte.
Da erstand ihm
auch sein Lebensfeind. Wie ein Satan fuhr der Pfarrer Gregorius Richter aus Görlitz
öffentlich gegen ihn an und nannte ihn von der Kanzel herab einen Ketzer und
einen Säufer, der die Gesichte seines Rausches zu Papier gebracht habe, um die
Menschheit vom rechten Glauben abzubringen. Das rote, vor Zorn geschwollene
Gesicht des Eiferers erschien dem armen gehetzten Gottsucher wie ein
Strafgericht des Himmels für seine geistige Überhebung, und demütig, weil er
seinen oft über die Welt mit ihrem dumpfen Verstand triumphierenden Geist auch
in seiner Neigung zur Hoffart kannte, stand er danach vor dem berufenen
weltlichen Gericht, dem Rat der Stadt, um sich zu verantworten. Man fand ihn
schuldig. Sein Werk legte die Heilige Schrift aus nach unerhörtem Eigenwillen.
Das Volk tobte gegen ihn. Man nahm ihn in Gewahrsam, um ihn zu schützen.
Welche Flut von
Versuchungen war in den dunklen Tagen seiner Haft über seine Seele
hinweggebraust! Erschauernd fühlte er wieder die Fratzen der eigenen höhnischen
Verspottung, die ihn angrinsten: Siehst du, Narr, wie weit du mit deiner
Erleuchtung gekommen bist? Es ist alles Lug und Trug in dir, und der Geist, der
dir deine Schrift eingab, war des Teufels .Nicht die Wahrheit hast du geschaut,
sondern ein Blendwerk deines Hochmuts! Demütige dich! Bekenne, daß du Unrecht
hast! Nimm alles zurück, was du geschrieben! Verbirg dich vor den im Glauben an
das Wort Starken, denn du bist von Gott verworfen!
Er hatte sein
Gesicht gegen die Gitter des Gefängnisses gepreßt, bis ihm das Blut über die
geplatzte Haut gelaufen war, und er hatte zu Gott geschrien, um die Wahrheit über
sich selber zu erkennen. Nichts hatte sich geregt. In ihm nicht und außer ihm
nicht. Schwer und still, unerleuchtet lag der Himmel über ihm und hieß ihn
einsam sein. Sein guter Geist schwieg.
Als man ihn dann
am anderen Tage gefragt hatte, ob er bereue und zurücknehmen wolle, was er
geschrieben, war seiner Verzweiflung Düsternis plötzlich von ihm gewichen wie
ein böses Gewölk, das ihm die Sonne seines Inneren verhüllt hatte. Klar erhob
sich in ihm das Bewußtsein seiner Wahrheit und der göttlichen Sendung seiner
Offenbarung. Freimütig hatte er die Herren angesehen und ihnen mit schlichten
Worten sein Herz enthüllt, das Gottes Wege rein suchte.
Während er
sprach, bemerkte er die Augen des Bürgermeisters Scultetus forschend und
wachsam auf sich gerichtet, aber nicht voller Mißtrauen, sondern voller
Erkenntnisbegier , und als sich sein Blick in dem des Scultetus verfing, war ihm
eine Bestätigung entgegengeleuchtet, die ihm das fast erstarrte Gemüt erwärmte.
Seitdem hatte er sich unter einem Schutz gefühlt, auch wenn der Magistrat sich
entschlossen hatte, ihm das künftige Aufschreiben seiner Gesichte zu verbieten.
Er hatte das
Versprechen, das er geben mußte, sieben Jahre lang gehalten. Sieben Jahre der
innersten Not und Gewalt gegen sich selber. Sieben Jahre der steten Unruhe und
Getriebenheit, als laste ein Fluch auf ihm. Seine Freunde beschworen ihn, das törichte
Versprechen, das wider den heiligen Geist gerichtet war, zu brechen, aber er kämpfte
erbittert gegen die eigenen Stimmen. Er wollte sein wie einer unter den anderen.
Er wollte sich von dem Bann Gottes lösen.
Aber heute war
sein verborgenes Wesen aufgebrochen. Das Gesicht der geheimnisvollen Fremden,
die er seltsam tief erschaut hatte wie kaum je einen Menschen zuvor, stand in
großen, übernatürlich geweiteten Zügen vor ihm. Aus der Bosheit der Sterne
war eine Schuld über sie verhängt worden, deren Ausmaß ihr Leben bedrohen würde.
Dennoch war sie im Herzen rein. Jäh und unerbittlich wusste
Er wußte nicht,
wie lange er nun schon durch die kalte Nacht ging. Es mochten viele Stunden
gewesen sein, denn der Bach rauschte längst schon beruhigter neben ihm, zum
Zeichen, daß er sich im Tal befand. Aber immer noch hing undurchdringliches
Dunkel über der Erde. Erst als ein kleiner Lichtschein aus einem Hause die
Finsternis zerbrach, spürte er sich plötzlich erschöpft zum Umsinken, konnte
kaum mehr einen Schritt tun und zwang sich mühsam noch bis zu dem erhellten
Fenster, um dort anzuklopfen.
Man öffnete ihm
nicht sogleich. Vielleicht nahm der immer noch ab und zu aufheulende Wind dem
Klopfen seinen Schall, vielleicht fürchtete man in den unruhigen Zeiten
ungebetene Gäste - er mußte lange stehen und warten, ehe sich nach erneutem
Klopfen das Fenster einen Spalt weit öffnete und das bärtige Gesicht eines
Mannes sich zeigte.
Jakob Böhme bot
ihm den Morgengruß und bat um eine Stunde Rast in seinem Hause. Der Mann
betrachtete ihn argwöhnisch. Sein dunkles Gesicht mit den schmalen Augen war
keines Bauern Gesicht, obwohl die hart gearbeiteten Hände das erdgebundene
Tagwerk verrieten. Nur der Schein eines Kienspans beleuchtete matt die beiden Männer,
die sich eine Zeitlang wortlos betrachteten. Endlich schien der Bärtige
Vertrauen zu fassen. Er schloß, undeutlich murmelnd, das Fenster und öffnete
gleich darauf die strohumwundene Haustür, um den Wanderer einzulassen.
Es war nur ein
kleiner und niedriger Raum, in den sie eintraten, aber es schlug dem Übermüdeten
ein warmer Dunst nach Schlaf und frisch gekochter Grütze entgegen, die im Topf
über dem Feuer leise brodelte. Außer dem Mann schien niemand mehr im Hause zu
wohnen. Die bretterne Lagerstatt mußte erst vor kurzem verlassen worden sein,
denn Decken und Kissen lagen noch ungeordnet durcheinander. Auf eine stumme
Aufforderung des Bärtigen hin setzte sich Jakob Böhme auf die Wandbank und stützte
aufstöhnend den Kopf in die eiskalten Hände. Die plötzliche Wärme überwältigte
seinen geschwächten Körper. Er war keines Wortes und keiner Erklärung mächtig.
Sein Gastgeber
setzte wortlos eine Schüssel mit dampfender Grütze vor den Erschöpften und goß
warme Milch darüber. Aber den überanstrengten Sinnen widerstand das Essen. Böhme
winkte nur schwach ab und stammelte eine Entschuldigung. Der andere beachtete
sie nicht, nahm selber eine Schüssel mit dem heißen Morgengericht und setzte
sich essend dem seltsamen Gast gegenüber. Erst nach einer geraumen Zeit sagte
er: "Ihr seht nicht aus wie ein Tagedieb und Rumtreiber und kommt doch nächtlicherweile
vor ein fremdes Haus wie ein Bettler. Ihr seht übel aus und Euer Rock verrät
Euer Gewerbe nicht!“
Obwohl ihm die
Glieder noch immer bebten und er die eingesogene Kälte gleich feuchten Schwaden
aus sich entweichen fühlte, darunter seine Haut unmäßig frierend erzitterte,
zwang sich Böhme zu einer Antwort. "Ich musste die Nacht nutzen, um nach
Hause zu kommen“, sagte er mühsam.
Das war mit
einer schwachen, aber so wohlgebildeten Stimme gesagt, daß der Mann erstaunt
aufsah und den Gast noch einmal mißtrauisch betrachtete. Doch gerieten seine
Augen in Verwirrung vor dem Blick, der ihn traf. Während der erschöpfte Körper
des Wanderers alles Mitleid erheischte, glühten seine Augen in ungebrochener
Kraft und mit einem so lebendigen Feuer; daß sie selbst im trüben Schein des
Kiens ihre Gewalt verrieten.
"Ruht Euch
aus, solang es Euch gefällt“, murmelte der Mann, räumte die Schüsseln ab
und machte sich in der Stube zu schaffen.
Allmählich war
das Dunkel dem grau heraufschimmernden Tag gewichen. Durch die kleinen, dicht
mit Strohgewirk eingerahmten Fenster kroch ein armseliges Licht, das die
Kahlheit des Raums schonungslos enthüllte. Keine frauliche Hand schien hier für
Ordnung und Behagen zu sorgen, von keinem spielenden Kind lagen Sachen umher.
Verkommen und schmutzig starrten die Gegenstände und die Wände, ebenso
verkommen enthüllte sich auch das Gesicht des einsamen Bewohners.
Da ihm gegeben
war, in den Zügen der Menschen wie in einer offenen Schrift zu lesen, gerieten
Jakob Böhmes Gedanken mehr und mehr in den Bann dieses Gesichts. Denn nichts
war ihm zu klein und nichts zu gering, um ihm nicht jene Anteilnahme zu
entlocken, die den zum Leben Erwachten eigen ist.
Trotz der
Verheerung in den Zügen des Mannes glomm etwas in seinen Augen, was von ungründigem
Leben zeugte. Es war, als läge seine Seele unter einem schweren Block gefangen
und verströme ihre Kraft in vergeblichem Widerstand. Böse und gut zugleich,
trotzig und angstvoll in seltsamem Gemisch verwandelte sich dieses Gesicht ständig.
Jakob Böhmes
Erschöpfung wich unter dem erwachten Begehren, dieser Seele Rätsel zu ergründen.
Er erhob sich und ging mit steifen Bewegungen zu dem Wasserfaß, um mit der
Kelle daraus zu schöpfen. Der brennende Durst, der ihn quälte, schien nicht
nur körperlicher Natur; denn er blieb durstig, nachdem er in langen Zügen
getrunken hatte.
"Dank",
sagte er und hing die Kelle wieder auf. " Vermöchte man doch Geist und
Seele ebenso schnell zu laben und zu ernähren wie den Leib aus den
Elementen!"
Der Mann hielt
in seinen Hantierungen inne und schaute verwundert auf. Die Stimme des Fremden
war von solcher tiefen Leidenschaft durchtönt, daß sie kaum zu seinen
schlichten Worten passen wollte. Hatte er in seinem Leben schon eine ähnliche
Stimme gehört? Des Einsamen Augen bohrten sich forschend in das bleiche Gesicht
des Gastes.
"Die
Elemente und die Gestirne sind auch mächtig über Seele und Geist", gab er
fast trotzig zurück, und aus dieser Antwort ersah Böhme einen grübelnden,
sinnierenden Menschen, wie sie in diesem Lande gediehen. Unter dem furchtbaren
Druck einer aufgewühlten und entgotteten Zeit suchten sie Zuflucht in
Aberglauben und Sektierertum.
Böhme schob
sich einen Stuhl dicht ans Feuer, um seine durchnäßten Kleider zu trocknen.
Ihn fröstelte bis ins Mark, und er nahm nun doch mit dankbarem Blick einen
"Das ist
nicht so", begann er dann langsam und mit schwerer Zunge. "Wohl
steht der Leib und des Leibes Willen, die Gestalt und der Begierden Trieb im
Gesetz des Gestirns, das bei der Empfängnis und bei der Geburt mächtig war,
und es müssen unseres Leibes und unserer weltlichen Süchte Befriedigung aus
den Elementen gesogen werden! Dennoch steht unverletzlich in uns das ewige
Bildnis, das aus dem lautersten Geiste Gottes erbildet ist. Es steht außerhalb
der Macht des Gestirns, denn der Mensch ist mehr als das Gestirn!“
Der andere kam näher
und näher, als zöge ihn das geheimnisvolle Wesen des Gastes auch körperlich.
In die glosenden Augen des Horchenden stieg ein dunkles Feuer, und er hielt die
Hand beschwörend gegen den Mund des Sprechenden,
weil ihm die Worte zu schnell an den Ohren vorbeigingen. Sein ungeübter
Verstand vermochte nicht sogleich zu folgen.
"Haltet
ein", sagte er heiser. "Das geht gegen die heilige Astrologia! Was
vermag ein Mensch gegen die Bahnen des Gestirns! Ihr wollt meinen Kopf verwirren
wie die rumstreunenden Prediger eines falschen Gottes, denen das Volk zuläuft
in seiner Not!" Seine dumpfe und schwere Sprache, ungewohnt der Mitteilung,
fand nur mühsam Ausdruck für die Erregung, darin er sich befand. Sein magerer
und schlecht ernährter Körper straffte sich.
Jakob Böhme
begriff die tiefe Aufwallung im Gemüt des Mannes. Das war einer von den in sich
selber Gefangenen, denen das Licht der Sonne nicht mehr ins Herz drang und die
im Dunkel ihres ausweglosen Suchens zu bitteren Hassern werden konnten.
Beschwichtigend
richtete er seine Augen auf den Erregten.
"Die Diener
der gewöhnlichen Astrologie wissen nichts von Gott. Gott ergibt sich nur dem
wahrhaftigen Gemüt." Er
wollte noch mehr sagen, aber er hielt plötzlich inne. Eine tiefe Scheu
verwehrte ihm gerade an diesem Morgen weitere Worte, denn in ihm wuchs und quoll
das Erlebnis der nächtlichen Offenbarung mächtiger empor, je mehr er seines Körpers
wieder Herr wurde.
Der Bärtige
nahm seine Hantierungen von neuem auf.