Geistige Entwicklung von Asmahael als Beispiel für die Eingeburt von Jesus in unsere Seele

(hat hier nichts zu tun mit seelischer Wiedergeburt)

 

Jakob Lorber

(Lebensbeschreibung)

DIE HAUSHALTUNG GOTTES

Band 1 (HGt)

58. Kapitel

[HGt.01_058,01] Und siehe, nach allem dem aber beugte sich Enos nach dem Begehren Adams zur Erde und richtete den Schwarzhaarigen auf und bat darauf Adam und Seth um die Erlaubnis, vor der Abreise von diesem Punkte ein paar Worte aus seinem Anliegen aussprechen zu dürfen.

[HGt.01_058,02] Und es wurde ihm von allen Seiten gewillfahrt, daß er nur reden möchte, wonach ihn verlange.

[HGt.01_058,03] Und siehe, da verneigte sich Enos, dankte für die Erlaubnis und begann dann folgende denkwürdige Rede an alle zu richten, welche also lautete:

[HGt.01_058,04] ,Väter und Kinder! Mir kam soeben ein großer Gedanke in meinen Sinn und haftet nun, ein bleibender Strahl eines heftigen Blitzes, in meiner stark erregten Seele: Ich habe einst geträumt - es war damals, als ich einmal überschlief den Aufgang, daß mir darüber ein kleiner Vorwurf zuteil wurde -, daß wir uns, eben wie jetzt, dahier befanden und betrachteten diese wunderbare Gegend und hatten recht viele Freude über unsere vielen Kinder, die wir eben auch zu einem bevorstehenden Sabbatsopfer einluden. Und siehe da, als wir uns eben so freuten, da kam eine stark leuchtende Gestalt in unsere Mitte, so daß wir uns alle entsetzten ob ihrem starken Lichte! Allein die Gestalt ließ uns nicht zu lange in unserer entsetzten Lage, sondern enthüllte sich bald vor unseren lichtgeblendeten Augen.

[HGt.01_058,05] O Väter und Kinder, diese enthüllte Gestalt war Ahbel und führte einen ähnlichen Menschen vor das Angesicht des Erzvaters und sprach mit gar sanfter Rede:

[HGt.01_058,06] ,Höre Vater! Außer mir ist vom Cahin niemand irgend etwas Arges begegnet, außer daß mein Leib für dich verlorenging. Siehe, ich habe dem Cahin von Herzen alles verziehen und habe das um so leichter tun können, da ich nie einen Groll auf ihn hatte! Und als er sich flüchtete in späterer Zeit vor seinem Sohne Hanoch und gegen Mittag an das Gestade eines allergrößten Gewässers der Erde kam und da verschmachtete vor Hitze, Hunger, Durst und Furcht mit den sehr wenigen geretteten Seinigen, siehe, da kam ich mit der Zulassung des ewigen, heiligen Vaters eigenwillig hinzu, offenbarte mich ihm, fand ihn in Tränen großer Reue, daß er mich bis ins Innerste dauerte, und lehrte ihn dann einen wasserdichten Korb flechten und führte dann ihn und die Seinen über die Wogen in ein fernes, fruchtbares und sicheres Land.

[HGt.01_058,07] Und ich tat desgleichen noch mit mehreren seiner Nachkommen aus Hanoch, die eines besseren Sinnes waren.

[HGt.01_058,08] Doch nie getraute ich mich, auch nur einen aus Hanoch, der großen Stadt Cahins, zu dir, o Vater, zu führen; denn ich kannte wohl deinen gerechten Zorn über das Haupt Cahins. Doch aber wußte ich auch, was der Herr zum Cahin geredet hatte, da dieser über die weite Erde floh voll bitterer Reue, da Er ihn sicherte, sagend: Wer da Cahin totschlägt, soll siebenmal gerochen werden!

[HGt.01_058,09] Nun aber bringe ich dir auch nach dem Willen Jehovas einen Gott suchenden Flüchtling aus der Tiefe; daher gib ihm, was er sucht, und nimm ihn in aller väterlichen Liebe auf; denn auch in seinen Adern kreist dein Blut!

[HGt.01_058,10] Erwecke ihn mit deinem Segen, und der Herr wird deine Kinder erwecken, auf daß sie dann predigen möchten Seinen Namen gar wunderbar den Kindern in der Tiefe zur möglichen Rettung der Erde!`

[HGt.01_058,11] O Väter und Kinder! Und so sehe ich nun denselben Menschen unter uns, wie ich ihn damals sah, und sah auch soeben den leuchtenden Ahbel verlassen diese Stätte, und der Henoch sah es wahrlich auch, darum er schweigsam war. Und so ist mein Anliegen zu Ende; - denket und tut, was euch wohlgefällt! Amen."

[HGt.01_058,12] Und Henoch beteuerte alsogleich die Aussage des Enos mit einem: ,Ja, es war und ist also!"

[HGt.01_058,13] Und siehe, als aber der Adam solches vernommen hatte, da ward er ganz erstaunt und fragte begierig: ,Wo ist Ahbel gestanden?"

[HGt.01_058,14] Enos und Henoch aber zeigten gleichzeitig ein und dieselbe Stelle an, und so glaubte ihnen Adam fest, da sie sich nicht geirrt hatten in der gleichzeitigen Bezeichnung der Stelle, wo Ahbel gestanden hatte seine Treue und Liebe vor Adam.

[HGt.01_058,15] Nach dem aber ließ er sich noch von jedem insgeheim bezeichnen die Gestalt Ahbels; und da die Bezeichnungen auch in diesem Punkte übereinstimmten und gar wohl beschrieben seine Gestalt, da blieb dem Adam kein Zweifel übrig, die volle Echtheit dieses Gesichtes alsogleich anzunehmen.

[HGt.01_058,16] Und auf diese Art überzeugt, rief nun Adam freudig aus: ,O Ahbel, was du mir bringst, nehme ich auf, und wäre es Cahin selbst!

[HGt.01_058,17] Daher bringet ihn her zu mir, den schwachen Schützling Ahbels, auf daß ich ihn segne und ihn aufnehme in unsere Mitte und ihm zeige in mir der Erde ersten nicht geborenen, sondern unmittelbar aus der allmächtigen Hand der ewigen Liebe hervorgegangenen Menschen und die Mutter aller Menschen, die aus mir hervorging, und endlich Den, von dessen Größe, Macht, Heiligkeit und Liebe alle Ewigkeiten und wesenvolle Unendlichkeiten treulich zeugen wie wir alle, da uns gegeben ward ein ewiger Geist aus und von Gott Selbst!"

[HGt.01_058,18] Nach dem brachten sie ihm den Schwarzhaarigen hin, und Adam rührte ihn an und segnete ihn dreimal und fragte ihn um seinen Namen. Dieser aber sprach: ,O großer, erhabener Erstling Gottes, des großen Königs der Erde, du weiser Vater aller Väter der Erde, verzeihe mir armem Flüchtling aus der Tiefe, der ich an der Hand einer lichten Gestalt, den tötenden Händen Lamechs entrissen, hierher geführt wurde! Siehe, ich habe keinen Namen; denn ich war nur ein arbeitender Sklave, und diese haben in der Tiefe keinen Namen, sondern werden allda gerufen gleich den Tieren durch leeres, unartikuliertes Geschrei. Sie dürfen die Sprache nur verstehen, aber nicht reden; wer da je möchte einen verständigen Laut über seine Zunge bringen, der würde darum alsogleich seine Redelust mit dem grausamsten Tode bezahlen müssen!

[HGt.01_058,19] Daher zürne nicht, daß ich armer Sklave dir nicht geben kann, was du von mir verlangst; denn siehe, in der Tiefe geht es gar grausam zu, und es gibt wohl keinen mehr, der da seines Lebens sicher wäre. Denn wohin sich jemand nun fliehend wenden möchte, so wird er alsobald eingeholt von Lamechs Häschern und Kriegsknechten; und da, wo er gefangen wird, wird er auch ohne alle Gnade und Erbarmen auf das grausamste getötet!

[HGt.01_058,20] O du großer Vater der Väter der Erde! Da unten geht es also zu, daß die daselbst verübten Greuel keine menschliche Zunge zu erzählen vermöchte. Die grausame Tötung der arbeitenden stummen Sklaven ist wohl das allergeringste noch; denn es kann doch noch mit einem Namen bezeichnet werden. Aber es werden da auch namenlose Greuel verübt, - doch solche dir zu erzählen, werde ich wohl niemals wagen, damit dadurch die Höhen nicht entheiligt werden möchten! Amen."

[HGt.01_058,21] Als aber Adam mit seinen Kindern solche Erzählung von dem Namenlosen vernommen hatte, da entsetzte er sich gewaltig und wollte schon einen Fluch über die Tiefe aussprechen, allein der Namenlose fiel ihm ins schwere Grimmwort, sagend:

[HGt.01_058,22] ,O halte zurück dieses unheilschwere Wort, du guter Vater der Väter der Erde; denn höre! Die da unten stehen nicht an auf deinen Fluch; denn die haben des Fluches in großer Überfülle. Lamech genügt der ganzen Erde; denn so der große König über den Sternen Seinen bittersten Fluch über die Erde donnern möchte, da brauchte Er der Erde nur noch einen Lamech zu senden, und du, o Vater der Erde, kannst versichert sein, daß, ehe die Sonne hundertmal auf- und niedersteigen möchte, die Erde außer dem Lamech kein lebendes Wesen belästigen würde!

[HGt.01_058,23] Daher, o Vater der Väter der Erde, darüber du fluchen wohl möchtest, o höre, da segne die fluchschwer belasteten Tiefen der Greuel du lieber; denn so du noch mehren da möchtest mit Fluche den finsteren Boden der Greuel, dann wehe, dann wehe den armen und stummen Arbeitern der Tiefe!

[HGt.01_058,24] Ihr reichlich vergossenes Blut schreit schon ohnehin gleich den brausenden Stürmen hinauf zu den Sternen um Rache; und wenn du dazu auch der Tiefe wohl fluchen noch möchtest, dann möchten bald blutige Wogen die heiligen Spitzen der Berge umspülen!

[HGt.01_058,25] O Vater der Väter der Erde, da segne, o segne, wo rechtlich verfluchen du möchtest! Amen."

[HGt.01_058,26] Und siehe, als der Adam solche Bitte vernommen hatte, ward er gerührt und lobte den namenlosen Jüngling und fragte ihn: ,Höre, du armer Sohn aus dem Blute Cahins! Da du in der Tiefe nicht reden durftest, woher hat deine Zunge beinahe Kenans Beugsamkeit erlangt?

[HGt.01_058,27] Denn du sprichst, als wenn du schon von jeher ein geweihter Sänger Gottes unter uns gewesen wärest; und so sind deine Worte wohl gemessen und fassen allzeit den rechten Sinn. Sage mir getreu, woher dir solches geworden ist!"

[HGt.01_058,28] Und siehe, alsbald ermahnte sich der Namenlose und antwortete: ,O Vater der Väter der Erde! Danach du fragest, dich staunend ob meiner gelösten Zunge, des freut sich mein jugendlich Herz, sich zu rühmen vor dir als dem Vater des weisesten Lehrers!

[HGt.01_058,29] O siehe und höre: Der Lehrer, der solches gar weise zu reden mich lehrte, war jener, der treu mich hierher vor dich, Vater der Väter, geleitet! Du kennst ihn und hast ihn schon eher denn die, so dich treulich hier horchend und wartend umgeben, gekannt: es war Ahbel, dein leuchtender Sohn, der, von höherer Liebe durchlebet, mir löste die stockende Zunge, damit ich zu reden vermöchte der Wahrheit gar seltene Formen vor dir wohlgefällig, wie auch vor all deinen von Gnade und Segen erfüllten Nachkommen.

[HGt.01_058,30] O Vater der Väter der Erde, nun weißt du wohl alles, das ehedem fremd dir mocht' klingen; o lasse daher mich, den armen und fremden Entflohnen der Tiefe, allhier auf den heiligen Höhen, zu suchen in euerer Mitte denjenigen mächtigen Herrscher voll Recht und voll Güte, von dem all die Sterne, der Mond und die Sonne so wunderbar zeugen!

[HGt.01_058,31] O Vater der Väter der Erde, sprich liebevoll Amen!"

[HGt.01_058,32] Als aber der Adam solche Rede vernommen hatte, ward er dermaßen gerührt, daß er kein Wort zu reden vermochte, und seine Augen schwammen in freudig mitleidigen Tränen.

[HGt.01_058,33] Endlich aber überwand sich Adam und sprach voll Rührung zum Namenlosen: ,Höre, du lieber Fremdling aus der Tiefe der Greuel, wenn es also mit dir steht, wie du mir durch deine Zunge bestätigend kundgegeben hast, so daß ich nimmer zu bezweifeln vermag, daß es nicht also wäre, wie du es aussagtest, und dir dadurch schon Gott wunderbar eine gar große Gnade erzeigt hat, so ist es ja wohl füglich, daß wir, Seine Kinder, nicht anders handeln werden an dir, wie unser aller großer, heiliger Vater an dir in Seiner unendlichen Erbarmung gehandelt hat; und so geschehe dir, wonach dein Herz dürstet.

[HGt.01_058,34] Und sieh hier an meiner rechten Seite den ebenfalls sehr jungen Henoch! Siehe, der ist nun ein gesegneter Redner Gottes; der soll nun dein fernerer Lehrer in Gott, unserem liebevollsten Vater und Herrn der Unendlichkeit, werden!

[HGt.01_058,35] Und da du ferner keinen Namen hast, so will ich dir einen Namen geben, danach du ,Asmahael` heißen sollst, das ist ,ein getreuer Fremdling, suchend Gott`! Denn hier muß jedes Ding seinen Namen haben und jede Handlung ein Wort und wohl bezeichnet sein jede Beschaffenheit und innehaftende Eigenschaft, und wie, wann, wo, warum, wodurch etwas ist und geschieht, muß da bezeichnet sein genau; daher kann ein Mensch um so weniger ohne Namen umhergehen.

[HGt.01_058,36] Es muß aber jeder Name genau entsprechen dem, der ihn empfing; wer aber einen Namen empfangen hat, der soll treu demselben leben, sonst ist er ein Lügner, da er nicht handelt, danach sein Name lautet. Und so du nun einen Namen hast, so erkenne zuerst denselben, und dann handle getreu danach, sonst wirst du ein Lügner im Angesichte Gottes und aller Seiner Kinder werden und wirst zuschanden werden vor jeglichem Stäubchen, das da allzeit entspricht seinem Namen.

[HGt.01_058,37] Und so segne ich dich noch einmal und sage dir: Asmahael! Ich, Adam, der erste Mensch, der auf dieser Erde hervorging aus der Hand Gottes, des ewigen, heiligen, liebevollsten Vaters, segne dich gleich meinen Kindern, darum du ein treuer Träger sein sollst deines Namens!

[HGt.01_058,38] Und so reiche ich dir meine Hand und erhebe dich herauf zu meinen Kindern.

[HGt.01_058,39] Und nun, meine Kinder, folget meinem Beispiele, und werdet seine Väter, und du, lieber Henoch, werde sein Bruder und Lehrer!

[HGt.01_058,40] Du, Jared, aber sollst ihn beherrschen für immer anstatt des Henoch, der da ein Einwohner meiner Hütte geworden ist!

[HGt.01_058,41] Der Herr eröffne dir dein Herz und alle Sinne deiner Seele zum ewigen Leben deines Geistes in Gott! Amen."

[HGt.01_058,42] Darauf fiel Asmahael alsogleich zu den Füßen Adams nieder, küßte dieselben und dankte überlaut für die so große Gnade, die ihm da zuteil geworden war in der Höhe Meiner Kinder; denn er fing auch alsobald in sich die Wirkung des Segens zu gewahren an, - darum er denn auch also zu jubeln anfing, sprechend:

[HGt.01_058,43] ,Asmahael, gar ein herrlicher Name, den ich wohl unwürdig zu tragen noch bin; doch der Meinung bin ich, daß ein Name, im Anfang gegeben, dem treuen Empfänger gesetzlich die Pflicht, diesen heiligen Richter (ein großes, lebendig Gebot) auferleget, demselben zu folgen, soweit die Erkenntnis nur immer den Pfad mag eröffnen. Und müßte da jemand der Sonne und Sterne gar ferne gelegene Bahnen verfolgen als Träger des bindenden Namens, so müßte er's freulich und treulich erfüllen, darum ihm die Gnade so groß ist geschehen, - und wäre selbst höher gestellet die gnädige Ford'rung des heiligen Namens! O Vater und Väter der Väter der Erde, für den, der gar oft mit dem Tode zu ringen genötiget wurde, o höret, für den ist dem Wege des ewigen Lebens zu folgen fürwahr nicht beschwerlich; und so man im finstersten Schlamme der Greuel der Sünde stets kämpfend sich elend den Weg mußte bahnen zum sparsamsten Lichte und einem noch kargeren Leben, das öfter im zartesten Keime erdrücket vom finstersten Zweifel schon wurde, - o höret, wie leicht ist dagegen zu folgen dem leuchtenden Wege lebendig zum Leben!

[HGt.01_058,44] O herrlicher Name ,Asmahael`, schönster, mich leitender Stern da hinauf zu den ewigen, heiligen Höhen des Lichts und des Lebens; o höret, umsonst wird der Fremdling nicht tragen nun ein solcher Gnade so heilig's Geschenk, amen, amen, da sage ich amen!"

 

59. Kapitel

[HGt.01_059,01] Und als der Asmahael ausgeredet hatte, da erhob sich abermals Adam ganz gerührt und sprach: ,Henoch, siehe, nun kommt die Reihe wieder an dich! Nach allem dem ist es füglich, Worte aus der Höhe zu vernehmen, um danach alles Fernere vollkommen dem Willen des Herrn gemäß handeln zu können. Denn siehe, ich habe das meinige bereits getan nach meinem Liebedünken; allein unsere Liebe ist nicht allzeit rein und daher auch nicht allzeit sicher und daher der Erfolg ihrer Handlung nicht heilig. Daher ist es jetzt ganz besonders an der Zeit, daß du, lieber Henoch, die lebendige Stimme aus dir uns alle wohl vernehmen läßt.

[HGt.01_059,02] Also rede, und zeige uns die gerechten Wege deines Schützlings! Amen."

[HGt.01_059,03] Als aber Adam solches geredet hatte, siehe, da erhoben sich alle und verneigten sich gen Adam und dankten ihm, daß er solches anbefohlen hatte. Besonders aber hüpfte Seth beinahe vor Freuden; denn er war Henochs größter Anhänger und Verehrer seines Wortes, und so konnte er nicht umhin, bevor noch Henoch zu reden anfing, selbem ein paar ermunternde Worte zuzurufen, sagend:

[HGt.01_059,04] ,O lieber Henoch, siehe, wonach mein Herz lange schon sich gewaltig sehnte, das hat die gute und gerechte Ordnung durch meinen Vater und durch euren Vater nun bewerkstelligt! Oh, ich freue mich über die Maßen, in dieser Sache den heiligen Willen zu vernehmen! Denn es ist wahr, wir mögen oft etwas tun, das uns gut dünkt; allein, ob es darum auch schon gut und recht ist, weil es uns also vorkommt, das ist eine ganz andere Frage!

[HGt.01_059,05] Und das ist es eben auch, was du uns zeigen solltest! Und so fange du an, zu reden aus deinem Leben aus Gott in dir! Amen."

[HGt.01_059,06] Und sonach erhob sich Henoch und begann folgende Rede an alle zu richten, nachdem er sich zuvor im Herzen an Mich gewandt hatte, sagend nämlich zuvor in sich:

[HGt.01_059,07] ,O Du überheiliger, liebevollster, großer Vater, Herr und Gott, gib mir Allerschwächstem Deine Gnade, auf daß ich in aller Liebe und Demut vermöchte, getreu zu offenbaren Deinen Willen den Vätern und ihnen aus Dir zu geben in der Fülle, wonach ihr Herz dürstet.

[HGt.01_059,08] O überheiliger Vater, doch nur Dein heiligster Wille geschehe auf ewig! Amen."

[HGt.01_059,09] Und siehe, darauf erweckte Ich den Henoch völlig, und er begann zu reden, wie da folgt, sagend: ,O liebe Väter, daß ihr solches wünschet, ist ja recht und vollkommen billig - denn Gottes Liebe geht über alles, und Seinem Willen sind alle Dinge untertan -; allein, daß ihr mich zu dem berufet, euch zu offenbaren in meiner Schwäche das, was alle Ewigkeiten ewig nicht umfassen und begreifen werden, sehet, liebe Väter, das ist für eure Vaterwürde nicht gerecht und billig!

[HGt.01_059,10] Glaubet ihr denn, daß der Herr ein Zimpferling sei, daß Er einen Menschen minder achte als den andern, so einer wie der andere tun möchte nach Seinem Willen?! O Väter, da irret ihr euch gewaltig, und es ist nicht also!

[HGt.01_059,11] Blicket auf zu den lichten Räumen der Unendlichkeit! Wer unter uns kann sagen, daß er nicht vermöchte, zu erschauen die weiten Ströme des Lichtes und all die Dinge, die vom selben umflossen sind?! Wessen Ohr vernimmt nicht selbst ein leises Lüftchen wehen über ein dürres Laub?! Oder ist wohl einer unter uns, dem da nicht gegeben wären alle Sinne im brauchbarsten Zustande und ein lebendig fühlendes Herz?!

[HGt.01_059,12] So uns aber das alles ohne Unterschied eigen ist, was alles vom Herrn ist, wie sollte denn jemand mehr oder weniger des Herrn sein, so er von Ihm ausgegangen ist und wieder eingehen möchte zu Ihm?! O Väter, sehet, welches Kind möchte da wohl zu euch kommen, sich heiligen Rates zu erholen, daß ihr es nicht anhören möchtet, um ihm zu geben, was ihm frommt?

[HGt.01_059,13] Da ihr aber als gefallene Menschen schon barmherzig seid sogar gegen Fremde, um wieviel mehr wird der allerbeste, heiligste Vater euch tun, was euch frommt, und gerne geben, wofür Er jeden wohl befähigt hat!

[HGt.01_059,14] Daher glaubet nicht, daß ich ein auserwähltes Organ der lebendigen Stimme Gottes bin; o nein, das bin ich nicht, sondern ihr seid es vielmehr! Wendet euch nur zu Ihm, und es wird euch sicher werden, was des Herrn Wille ist! Amen."

[HGt.01_059,15] Nach dem aber schwieg Henoch, in sich und dadurch auch zu Mir gekehrt. Und von Adam bis Jared und Asmahael wußte niemand, was er aus dieser kurzen Rede Henochs machen sollte; und so fragte einer den andern:

[HGt.01_059,16] ,Was soll das heißen? Was wollte Henoch damit sagen: wir vermöchten, gleich ihm, zu sprechen ein Wort des Lebens aus der Höhe Gottes?! Nein, das verstehe, wer es mag; wir verstehen es einmal nicht!"

[HGt.01_059,17] Und also auf diese Art ging das von Mund zu Munde, und es ergriff sie alle hohen Wunders über Henochs für diesmal trockene, gebundene Kürze; sogar dem Seth fiel es gewaltig auf, daß diesmal Henoch sie samt und sämtlich so kurz abgefertigt hatte.

[HGt.01_059,18] ,Denn", sagte der Seth, ,was nützt es uns, so wir auf uns selbst angewiesen sind, indem wir ja ohne Henoch es wissen, was wir vermögen, und wissen es auch, inwieweit uns allen der Herr in Seiner Liebe zugänglich ist, und wieviel wir von jeher von Seiner Stimme vernommen haben! Denn diese ist ein Angehör der Liebe, wie die Weisheit ein Angehör der Gnade ist.

[HGt.01_059,19] Wie kann aber jemand den Herrn zuvor lieben und reden aus Ihm, ehe er notwendig erst die Liebe und das Wort vom Herrn empfangen hat?! Welcher von uns aber kann sich damit rühmen außer Henoch?! Daß ich nicht wüßte, was mir eigen ist!

[HGt.01_059,20] Die Gnade haben wir alle zwar, Gottes Kinder zu sein, wie unleugbar auch unter allen Geschöpfen die ausgezeichnetste Fähigkeit, als Menschen Menschen zu sein, und haben als solche alle dieselben Sinne und gebrauchen dieselben auf ein und dieselbe Weise; aber es frage sich nur ein jeder selbst, ob bei aller dieser Sinnen- und Gnadengemeinschaft wohl auch einen jeden ein und dasselbe gleich auf dieselbe Art vergnügt!

[HGt.01_059,21] Daraus aber wird es ja klar, daß nicht einmal einem jeden gleichviel Gnade, geschweige erst gleichviel Liebe zuteil wird; und das wird noch um so ersichtlicher, so man aus so langer Erfahrung weiß, wie unbeständig die Liebe mit jedem Gegenstande, den sie ergreift, zu Werke geht, und was dazu für Abgezogenheit und große Aufopferung erfordert wird, in was immer für einer Hinsicht liebefest zu werden,

[HGt.01_059,22] obschon ich dadurch nicht sagen will und kann, daß wir darob in der Liebe zum Herrn durchaus nicht fester und fester zu werden vermöchten, - aber das ist einmal gewiß, daß uns nur die Gnade gegeben wird, statt der Liebe aber durch die Gnade allein die Fähigkeit nur, die Liebe uns zu erwerben und sie dann erst in uns aufzunehmen; aber auf ein bloßes Verlangen wird sie uns nimmer zuteil, und möchte dieses Verlangen noch so sehnsüchtig sein. Kurz und gut, so es dem Herrn gefällt, jemandem die Liebe zu geben in der Fülle wie dem Henoch, so ist das eine Barmsache des Herrn, und Er wird niemanden um Rat fragen, wenn Er jemanden damit erfüllen will. Aber höret alle: Regel ist es durchaus keine, und wir können mögen, was wir nur immer wollen, der Herr ist aber dabei doch nur der alleinige Herr und tut und handelt nach Seiner unerforschlichen Weisheit, wie's Ihm wohlgefällt, - wir aber sind nur Zeugen dessen, was Er macht vor uns und für uns.

[HGt.01_059,23] Und du, mein lieber Henoch, fasse wohl diese meine Worte, und danach rede! Denn deine große Bescheidenheit ist mir wohl bekannt, und deine Demut hat dich mir so teuer gemacht; daher brauchst du künftig nicht mehr allzu bescheiden zu werden und uns stets zu zeigen deine große Demut, wenn es sich um einen Dienst handelt, den du Gott und uns, deinen Vätern, schuldig bist. Denn daß du solches alles bist, siehe, das wissen wir schon lange alle, der Herr aber noch unendlichmal besser denn wir, darum Er dir auch die Liebe dauerhaft verlieh; und du brauchst uns darob keine neuen Beweise mehr zu liefern, sondern daß wir dich zu einem Lehrer und Sprecher Gottes beriefen, ist ja nur geschehen zufolge solcher deiner Tugenden. Und so kannst du vor uns reden ohne alle Furcht, wie du schon gar oft in unser aller Angesichte getan hast, -

[HGt.01_059,24] außer, so solches, was du früher redetest, dir vom Herrn zu reden geboten war, so konntest du wohl nicht anders reden und tatest wohl, daß du also geredet hast!

[HGt.01_059,25] Aber wenn ich bedenke, daß du gesprochen hast, uns ermahnend zur Eigenwende nach der Stimme des Lebens aus Gott, siehe, vermöchte da Gott nicht soviel denn du und könnte unsere Herzen gar wohl auf das hinweisen, was du getan hast?!

[HGt.01_059,26] Allein, da du auf diese Art schon zu reden angefangen hast aus Gott, siehe, so genügt es nicht, uns bloß nur trocken hinzuweisen an Den, von dem einem jeden von uns wohlwissend alle Dinge sind, - sondern, da einer zugunsten aller vom Herrn ganz besonders beteiligt wurde, so sollte er in diesem Überflusse auch nach Recht und Billigkeit den in dieser oder jener Hinsicht weniger Beteiligten beispringen; dadurch erst werden wir wahrhaft vor dem Herrn an den Tag legen, daß wir wahrhaft Seine Kinder sind!

[HGt.01_059,27] Siehe, daher haben und müssen auch die Bescheidenheit und die Demut ihre wohlweisen und nützlichen Grenzen haben!

[HGt.01_059,28] Nimm es nur einmal so recht natürlich: Siehe, wenn wir, als uns der Vater kundgab die Schwäche seines Leibes, aus lauter übertriebener Demut uns gescheut hätten, ihm zu gewähren, wonach ihn verlangte in seiner Natur, oh, was würde ihm da wohl unsere übertriebene Demut genützt haben, so sich keiner gewagt hätte, ihm Speise und Trank zu reichen?!

[HGt.01_059,29] O siehe, die wahre Demut muß daher nie aus dem Bereiche der Liebetätigkeit treten, wenn sie dem Herrn wahrhaft wohlgefällig sein soll, und wir sind verpflichtet, darum einander so lange behilflich beizuspringen, solange wir einander nur immer kundgeben, daß wir in diesem oder jenem einander benötigen; was aber die Anweisung an den Herrn betrifft, so ist es ja recht und billig, daß der Stärkere den Schwächeren ermahnt, aber ihn so lange nicht ausläßt, bis der andere spricht: ,Siehe, nun hat der Herr auch mich geweckt!`

[HGt.01_059,30] Henoch, siehe, noch kann dir das keiner von uns sagen, denn wir alle sind nichts vor Gott; daher verbanne dein Unnötiges, und denke an das in der Fülle deiner Liebe, was uns allen vorderhand not tut in dieser Lage, damit wir vollends vermöchten, liebegerecht zu erscheinen vor Gott!

[HGt.01_059,31] O zaudre nicht, und tue Genüge unserer Liebe in Gott! Amen."

 

60. Kapitel

[HGt.01_060,01] Und siehe, nachdem Seth solches geredet hatte, erhob sich Adam und sprach: ,Das Wort des Henoch war ein hartes Wort, und das Wort Seths aber war ein weiches Wort!

[HGt.01_060,02] Ist es aber, daß ihr beide gerecht gesprochen habt, nur der eine hoch, hart und unverständlich, der andere aber sanft und wohlverständlich, so ist von mir aus keiner beschuldigt; aber das ist es: Man gebe den Kindern keine Kost, wofür ihnen die Zähne noch nicht gewachsen sind! Und so ist, Henoch, für diesmal deine Kost zu hart; daher wird es wohl an dir sein, die gereichte Kost so zu erweichen, daß wir sie mit Nutzen werden verzehren können! Amen."

[HGt.01_060,03] Nach dem aber erhob sich abermals der Henoch und fing an, folgende sehr denkwürdige Rede an alle zu richten, sagend nämlich:

[HGt.01_060,04] ,O liebe, wohlachtbare Väter! Was der Vater Seth so wohlmeinend unter mein Angesicht sittlich und voll Würde gesprochen hat, ist ja wahr, gerecht und billig und zeigt klar und deutlich, das des Menschen ist wieder zum Menschen; denn es ist also auch der Wille von oben, und es hat demnach jeder das Recht der Liebe, dem andern in menschlichen Dingen beizuspringen, und das um so mehr zur Zeit der Not und des Verlangens, und da wäre der kaum wert, ein Mensch zu sein, den nur irgendein eitler Grund davon abhielte, zu tun und zu reden, was der Pflicht und Liebe Rechtens ist.

[HGt.01_060,05] Jedoch, o liebe und wohlachtbare Väter, saget oder fraget euch selbst, was in dem Falle zu tun sein dürfte, so mir der Erzvater Adam gegen irgendeine Anfrage der Kinder, um nicht selbst reden zu müssen, eine kurze, harte und tiefbestimmte Antwort an selbe gegeben hätte, die Kinder aber hätten die Antwort nicht verstanden und ich als der Überbringer auch nicht von mir aus bis auf den Grund, sondern nur so viel, als es der Erzvater mir erläutert hätte, unter der Bedingung des Verbotes zwar, einstweilen von der Erläuterung nichts zu melden, damit die Herzen der Kinder in der Sphäre ihres Denkens nicht allzu träge, sondern geweckter und geweckter werden möchten. So dann aber die Kinder ob der etwas dunklen Antwort über mich herfielen und mich nötigten, verständlicher und klarer zu reden, - o Väter, urteilet selbst: Wessen Verlangen steht hier höher, das des Erzvaters - oder das der unzeitig wißbegierigen Kinder?

[HGt.01_060,06] O Väter, ihr könnet nicht umhin, mir hierin vollends beizustimmen, so ich durch meine gerechte Verschwiegenheit das Gebot des Erzvaters wohl verwahren würde bis zur Zeit seines Wohlgefallens, desgleichen ich heute vor dem Aufgange meinem Leibesvater Jared getan habe, da das Wort des Erzvaters höher steht denn all das lüsternste Verlangen aller seiner Kinder! Und so ich verschwiegen war, tat ich nicht der hohen Pflicht, was ihres Rechtes war?!

[HGt.01_060,07] Wie ist's denn aber, da ihr wohl wisset, daß, so ich rede, ich nicht aus mir, sondern aus dem Herrn rede, daß ihr mir dann Vorwürfe machet, als hätte ich geredet aus mir, da ihr doch noch von gestern her den sprechendsten Beweis haben möchtet, wie sichtbar nahe der Herr meine schwache Zunge begleitet hat?!

[HGt.01_060,08] Da ihr aber nun nicht mich, sondern den Herrn durch mich gefragt habt und euch somit nicht an meiner, sondern an des Herrn Stimme gelegen war, so fraget euch selbst, wem der Vorwurf zukommt!

[HGt.01_060,09] Kann ich denn mehr tun, als es des Herrn Wille ist, oder kann ich mehr geben denn so viel nur, als ich selbst empfangen habe?!

[HGt.01_060,10] Und hätte ich es auch empfangen in der Fülle, des Herrn Wille aber hätte mir bestimmte Grenzen angewiesen, euch vorderhand nur so viel zu sagen, als ich eben auch pünktlich getan habe, da eben der Herr solches weise absichtlich von mir verlangt hatte, - und so ich dem Herrn gehorche in aller Furcht und Liebe, o liebe Väter, saget und urteilet selbst, ob ich nicht recht handle, so ich den Willen des Herrn höher halte denn alles nutzlose Verlangen der Menschen, die zusammen gegen Ihn nichts sind und ohne Ihn auch gar nichts vermögen, mit Ihm aber alles!

[HGt.01_060,11] O Väter, sehet, für mich ist der Vorwurf überflüssig wie gegen einen Baum, der keine anderen Früchte bringen kann als die, welche der Herr in ihn gelegt hat - mögen sie nun süß oder bitter schmecken -; was aber den Herrn betrifft, saget, wo ist das Wesen, das da nicht ewig gutheißen möchte jegliches Seiner Worte, an deren Verständnisse wohl Ewigkeiten werden vollauf zu nagen haben!

[HGt.01_060,12] So ihr mich aber aus dem Herrn fraget, da glaubet es auch, daß ich aus dem Herrn rede; zweifelt aber jemand in seinem Herzen, da ist ja ohnehin Frage und Antwort unnütz, da er keinen Glauben hat und seinem eigenen Herzen mißtraut.

[HGt.01_060,13] Wie kann aber jemand liebefest werden durch seinen Bruder, wenn sein Herz in dem Herrn wankt?! Daher vertrauet dem Worte des Herrn, auf daß ihr liebefest werden möget!

[HGt.01_060,14] Es ist zwar der Sohn nicht über den Vater; wenn aber der Herr mit dem Sohne redet, dann ist der Sohn des Herrn, und es sollte der Vater sich nicht grämen der Stimme des Herrn im Sohne.

[HGt.01_060,15] Ich, Asmahael und Ahbel haben euch ja ohnehin kundgetan des Herrn Willen, was da ist ein Wunder für uns alle; wozu da noch eine Frage?! Sondern zu handeln in der Liebe und im Glauben an den Herrn ist hier des Rechtens; und was darüber, sei ewig des Herrn! Amen."

 

61. Kapitel

[HGt.01_061,01] Und als der Henoch solche Rede vollendet hatte, siehe, da erhob sich alsbald Seth wieder und sprach: ,Oh, was sind wir, und was vermögen wir? Nichts!

[HGt.01_061,02] So wir zwar reden menschlicherweise unteinander, so dünkt es uns weise; aber nun ist es mir klar geworden, daß alle unsere Weisheit vor Gott eine bare Torheit ist, woran Er sicher kein Wohlgefallen haben kann.

[HGt.01_061,03] Höret, war meine frühere Rede nicht eine, die nur dem edelsten Menschenherzen zu entstammen vermag?! Was ist sie jetzt? Nichts als eine eitle Torheit; und ich gleiche dadurch einem Verblüfften, der, mit seinen Gedanken in die ganze Welt zerstreut, in seiner Wohnung fragt nach seiner Hütte!

[HGt.01_061,04] Aber warum, warum konnten denn wir unsere eitle Torheit nicht eher begreiflich einsehen und gaben uns gar so entsetzlich bloß vor dem Herrn? Es ist, daß wir allesamt blind seien, sonst wäre es ja unmöglich, daß wir den lieben Henoch darüber noch haben mit einer ganz unnötigen Frage zwecklos beunruhigen können, worüber wir ja wahrlich doch schon ohnehin die wunderbarste Bestimmung von oben her durch Ahbel, Henoch, Enos, Kenan und endlich wunderbar durch Asmahael selbst bestätigt erhalten haben - und wollten eher den Worten Henochs mißtrauen als blicken in unsere eigene Blindheit! O der absurden Torheit! Wäre sie doch von uns nie begangen worden; denn wie unschicksam ist es jetzt, sich zu schämen als Vater vor den Kindern!

[HGt.01_061,05] Aber es ist nun einmal durchgehends nicht anders, und so sei es dem Herrn geopfert!

[HGt.01_061,06] Ich aber denke in meinem Herzen: Der liebevollste, heiligste Vater wird in Seiner großen Milde mir und uns allen unsere zu sorgliche Ängstlichkeit zuliebe halten und uns beraten in Seiner Liebe und nicht in Seiner Weisheit, gegen die wir gar zu außerordentlich nichts sind, und wird uns ansehen als schlafende Kinder, die da träumen, als wären sie wach, oder wenigstens mit geschlossenen Augen dafürhalten, daß, so sie nichts sehen, auch die Wachen nichts sehen müssen oder können!

[HGt.01_061,07] O du Henoch du, wecke du uns nur zu; es wird doch einst die Zeit kommen, daß wir auch sehen werden, was du siehst, und wir alle durch dich nun und einst!

[HGt.01_061,08] So wird es aber sein in der Zukunft, daß der Herr die Kinder zu Lehrern ihrer Eltern erwecken wird und wird geben den Eltern ein kindliches Herz. Und es werden dereinst noch Kinder kommen hinter uns, die in ihrer Ohnmacht Größeres tun werden denn wir in aller unserer Kraft. Und so wird allezeit des Herrn Wille geschehen!

[HGt.01_061,09] Und du, lieber Henoch, stehe auf und sage mir, ob ich also recht geredet habe, und erquicke dadurch unser aller Herzen! Amen."

[HGt.01_061,10] Nach dem aber lächelte der Henoch all die Väter gar liebefreundlich an und sagte: ,O liebe Väter, vergebet mir meine manchmalige scheinbare Härte; denn nicht ich, euer Sohn Henoch, wende da meine Zunge, Worte zeugend zu eurem Verständnisse, sondern der Herr wendet sie nach Seinem Wohlgefallen. Dafür kann aber ja das Werkzeug nicht, so es der Herr gebraucht nach Seinem Wohlgefallen! Und so ich da rede Dinge, deren Sinn verborgen liegt gleich dem Keime im Samenkorne, so lehrt das Benehmen und hier ja schon die wohlgeordnete Natur, daß auch der Keim aus dem Samenkorn nicht alsobald in vollreifer Frucht hervorbricht, so er erst kaum in die Erde gelegt wurde, - sondern da muß das Korn erst zunichte werden und verfaulen um den Keim; da wird erst das Leben frei und wächst nach und nach unter manchen Stürmen, unter Sonnenschein und Regen zur segensreichen, tausendfachen Frucht empor.

[HGt.01_061,11] Sehet, geradeso ist es auch mit jeglichem Worte des Herrn! Nicht also, wie es gegeben wurde, wird es fruchtbringend sein, - sondern so es gelegt wurde in das Erdreich unserer Herzen, so wird es gelegt in seiner wohlverwahrenden, harten Schale; wenn aber dann durch unsere Liebe diese harte Schale aufgelöst und verzehrt wird im Herzen, sehet, da wird dann der lebendige Keim oder das lebendige, werktätige Verständnis ans Licht der Sonne des Geistes hervorbrechen und unter manchen stürmenden Prüfungen, Lieberegen von oben und Gnadenlichte vom heiligsten, liebevollsten Vater wohlgedeihend reifen zur unschätzbaren Frucht alles Lebens und aller Liebe in der Weisheit Gottes, unseres Vaters!

[HGt.01_061,12] O Väter, sehet, so ist es der Wille des Herrn; und also sollen wir auch jegliches Seiner Worte ergreifen! Und so erst werden wir an den Tag legen vor dem Herrn, daß wir wahrhaft Seine Kinder sind, die das Wort des Vaters verstehen und wohl erkennen Seine Stimme allzeit. Amen."

 

62. Kapitel

[HGt.01_062,01] Siehe, das war eine rechte Rede, und doch war sie den Vätern noch nicht ganz klar, und so fragte Adam all die umstehenden Kinder, sagend:

[HGt.01_062,02] ,Kinder, habt ihr nun alle wohl verstanden die Rede Henochs?"

[HGt.01_062,03] Seth aber antwortete: ,O Vater, so nun der Same erst gelegt wurde, wie könnte es wohl sein, daß wir es völlig verstünden?! Wir haben zwar die Schale mit dem Keime und den Stein mit dem Leben empfangen; aber die Verwesung der Materie ist noch nicht erfolgt, auf daß das Leben geworden wäre. Aber ich vertraue fest, es wird die Zeit des Herrn das ihrige sicher tun und wird unsere Herzen umgestalten zu einem neuen Paradiese! Amen."

[HGt.01_062,04] Und es fragte Adam also den Enos weiter um das Verständnis. Dieser aber entgegnete: ,O Vater, ich sah einst einen Haufen unförmlicher, plumper Steine liegen; da war ihre Farbe ein und dieselbe. Es fiel aber bald darauf ein fruchtbarer Regen vom Himmel, und dieser Regen fiel auch über diesen Haufen Steine; diese Steine aber, da sie zuvor die Sonne gewaltig durchwärmt hatte, sogen begierig jeden Tropfen in sich und dampften, wonniglich scheinend ob solcher Erquickung, so zwar, daß ich sie nimmer zu sehen vermochte ob des gewaltigen Dampfens. Nun fing aber auch unter dem Regen ein kleiner Sturm an zu wehen; dieser trieb alsbald die Dämpfe von den Steinen, und ich konnte dieselben wieder schauen. Aber wie sah ich sie verändert!

[HGt.01_062,05] Die Einfarbe war zur Tausendfarbe geworden, und das eingedrungene Wasser hatte sie völlig durchsichtig gemacht, und einige davon zerfielen in einen weißen Brei; und ich vermochte dadurch, nur zu deutlich beinahe, zu erschauen ihren mannigfaltigsten Gehalt.

[HGt.01_062,06] So glaube ich auch jetzt einen solchen Haufen Steine vor mir und in mir zu erblicken, die durch die Gnadenstrahlen von oben gar gewaltig durchwärmt zu sein scheinen, und es ist noch gar wenig Unterschiedes zwischen ihnen; aber nun glaube auch ich fest, so der Regen, von Stürmen begleitet, kommen wird, da wird es mit meinen Steinen wohl werden wie mit den gesehenen, allwo die durchleuchteten gleichen werden den vollen Verständnissen und die zerfallenen der Verwesung, aus der ein neues Leben aus der Erde meines Herzens keimen wird, gleich wie dort aus dem weißen Brei sich alsbald ein üppiges, junges Gras erhob. Amen."

[HGt.01_062,07] Und sobald wurde desgleichen auch Kenan gefragt; da war seine Antwort folgende: ,O Vater, ich sah jüngst an einem schwülen, heißen Tage, daß sich ferne Gegenden mehr und mehr zu verlieren anfingen, und es half da kein Anstrengen der Sehe; kurz, sie verschwanden endlich ganz und gar, und das Licht der Sonne vermochte nicht zu hindern solches Verderben, stets näher und näher zu rücken. Und so wurden von solchem dunstigen Unding auch nach und nach unsere nächsten steilen, hohen Nachbarn verschlungen; mich bangte der Erde, und so floh ich in meine Hütte.

[HGt.01_062,08] Es kam in der Nacht ein Ungewitter. Blitze und Donner wetteiferten in ihren Mächten. Ein Sturm drängte den andern. Windsbräute tobten an meiner Hütte vorüber, und dem Himmel entstürzte ein Stromregen, dessen glühende Fluten an den Spitzen der Berge zerbarsten und dann donnernd und schaumbrausend in die tiefen Gräben und Täler dem Meere zu stürzten.

[HGt.01_062,09] O Väter, da schmachtete mein ganzes Haus in einer großen, betäubenden Angst und fürchtete sich vor Gott!

[HGt.01_062,10] Ich betete. Das Ungewitter verzog. Ruhig wurde es gegen den Morgen; da verließ ich eine Zeit vor dem Aufgange meine Hütte und blickte erstaunt und dankbar in die Ferne. Oh, es war der heiterste Morgen, und mein Auge entdeckte da in früher ungeahnten Fernen Dinge und sah sie in ein freundliches Dasein treten!

[HGt.01_062,11] Und so glaube ich nun auch fest, daß nach dieser meines Herzens Sturmesnacht ein gleich ruhiger und überaus heiter reiner Morgen in und durch die Liebe zu Gott, unser aller liebevollstem, heiligstem Vater, erstehen werde. Amen."

[HGt.01_062,12] Und es galt die Frage nun dem Mahalaleel, ob und wie er die Rede Henochs wohl verstanden haben mochte.

[HGt.01_062,13] Und er antwortete in seiner Wortkargheit: ,O Väter, unlängst an einem Morgen nahm ich mir vor, solange es ginge, die Sonne anzugaffen, um vielleicht in derselben gleichwie im Vollmonde etwas zu entdecken. Allein ich empfand bald die Strafe für meine Tollheit; denn als bald mein Auge nicht mehr vermochte, ferner zu ertragen die große, brennende Heftigkeit des Lichtes, sehet, da wandte ich meine Augen ab von der Sonne und bemerkte mit großer Angst, daß meine Augen nichts mehr zu erschauen vermochten; ja sogar ich selbst bin mir verlorengegangen, so daß ich die Erde und mich nur zu fühlen, aber nicht mehr zu sehen vermochte.

[HGt.01_062,14] Und so blieb ich den ganzen Tag über und merkte am Abende kaum, wie die Nacht sich allmählich über die Erde zu lagern begann.

[HGt.01_062,15] Meine Kinder geleiteten mich in meine Hütte; daselbst betete ich zum guten, heiligen Vater, daß Er mir das Licht meiner Augen gnädigst wiedergeben möge, das ich durch meine große Torheit eingebüßt hatte. Darauf schlief ich ein, und die Nacht spendete reichlichen Tau über meine Augenlider, und kühlende Lüfte wehten über die erhitzten Augen und fühlten den Sonnenbrand in meiner Sehe. Die Nacht verstrich, und - dem guten, heiligen Vater sei Dank und Ehre! - für mich erstand wieder ein ruhiger, heiterer, reiner und frischer Morgen. Meine Sehe ward gestärkt, aber nicht mehr zu einer neuen Torheit, sondern zu schauen die blumenreichen Fluren der Erde und zu achten darob, wie sich in zahllosen Formen und heitersten Gestalten das Leben aus den Verwesungen frei entwindet.

[HGt.01_062,16] Und so glaube auch ich fest: Ist nun auch mein geistiges Auge ob des zu großen Gnadenlichtes von der heiligen Höhe Gottes geblendet, so wird aber eine stille nächtliche Herzensruhe und der Liebe kühlender Tau, unterstützt durch ein stärkendes Liebeswehen von der Höhe des guten, heiligen Vaters, auch bald am großen Morgen des Geistes über den Gefilden meines Herzens ein wunderbares Leben aus den Verwesungen meiner harten Gedanken und Gefühle erstehen lassen. Amen."

[HGt.01_062,17] Und so kam nun auch die Reihe an den Jared, und dieser gab folgendes zur Antwort, sagend: ,O Väter! Was soll ich da für eine Antwort geben? Henoch ist zwar aus mir zunächst hervorgegangen, wie die Sonne aus der Erde hinter den Bergen hervorzugehen scheint; aber gar bald entsteigt sie überhoch den Tiefen der Erde und überstrahlt dann mächtig den endlosen Raum, und die ganze Erde badet sich dann geblendet in den übermächtigen Strahlen ihres Lichtes; und alles Leben weckt sie zur heiteren Regsamkeit und zahllosen, wunderbaren Entfaltung aus den Verwesungen der Nacht!

[HGt.01_062,18] So glaube ich denn auch fest und beharrlich: Henoch wurde erhoben gleich einer Sonne zur unermeßlichen Höhe über mir, und es wird nun mein ganzes Wesen von seinem großen Lichte geblendet. Aber es soll das heilige Licht nur wirken gleich dem Lichte der Sonne, und es soll meine Nacht mir zum Segen werden; denn so das Licht Leben wirkt und zieht den lebendigen Keim aus den Verwesungen hervor und formt und lenkt ihn dann wunderbar, da werde ich sicher, einer Pflanze nicht minder, in der stillen Ruhe meiner Demut vom Herrn bedacht werden. O Väter, dessen bin ich gewiß! Der Herr gebe jedem, was Ihm wohlgefällt! Amen."

 

63. Kapitel

[HGt.01_063,01] ,Und nun", sagte der Adam weiter, ,da mir bis auf Henoch alle geantwortet haben, Henoch aber ganz natürlich lange schon die lebendige Antwort selbst ist, so lasset uns am Ende noch sehen, wie alles dieses Asmahael aufgenommen hat; und es soll seine Antwort der letzte, sichere Beweis sein, daß er nach dem Willen Jehovas würdigst möchte aufgenommen werden in unsere väterliche Mitte.

[HGt.01_063,02] Und so gib nun auch du, Asmahael, dein möglichstes Verständnis von dir und zeige uns, wie du deinen dir bestimmten Lehrer erfaßt und begriffen hast; und so rede, was du vermagst! Amen."

[HGt.01_063,03] Und siehe, alsbald begann Asmahael folgende, sehr denkwürdige Antwort von sich zu geben, und zwar so getreu, als sie ihm von Mir eingehaucht wurde, sagend nämlich:

[HGt.01_063,04] ,Geliebteste Väter der Väter der Erde, zu schwer für euch Kinder des höchsten, des heiligsten Vaters war Henochs gar wunderbar Wort zu verstehen und voll zu erfassen dasselbe aus innerster Tiefe der Wurzel des Lebens! O Väter der Väter der Erde, das sollte ich nichtiger Wurm des Staubes euch deutend gar zeigen, - ja zeigen, wie weit das Unendliche sich mit dem Endlichen möglich möcht' einen, der Tod mit dem Leben, die Nacht mit dem Lichte, die Erd' mit der Sonne, wie zeitlich mit ewig, und wie die Geschöpfe mit Gott!

[HGt.01_063,05] O ihr Väter der Väter der Erde, wenn solches ich könnte, o wahrlich, dann würde die Erde nicht sparsam von einer alleinigen Sonne am Tage erleuchtet nur werden; o höret, aus jeglichem Worte, aus jeglichem Laute der Zunge entstünden dann Heere der Sonnen, die alle die Erde gar munter umkreisten!

[HGt.01_063,06] O Väter der Väter der Erde, ich meine, die Macht solcher Worte und so auch ihr endlich's Verständnis steht höher, unendlichmal höher, als daß ich, ein kaum noch dem Tod und der Nacht erst entrissener Sklave, schon möchte enthüllen das größte der Wunder, ein Wunder der Wunder im Worte!

[HGt.01_063,07] Ich habe gar oft schon gesehen gar weisliche Taten von Tieren verüben; es waren die Dinge fürwahr sehr erstaunlich, daß Menschen mit fleißiger Mühe desgleichen nicht möchten erzeugen; doch Worte, um das zu benennen, was da sie erzeugte, o höret, - die Worte, dies Wunder der Wunder, konnt' nimmer mein lauschendes Ohr von den Zungen der weisesten Tiere vernehmen!

[HGt.01_063,08] Da dacht' ich: Zu künden das Leben dem Leben vom Leben kann nimmer die weiseste Tat! Denn ich sahe oft Spinnen inmitten des kühnsten Gewebes ersterben, - ja selbst in den größten Palästen der mächtigen Städte der Tiefe hielt oft schon der Tod ein gar schauerlich Erntefest!

[HGt.01_063,09] Ja selbst Menschen gen Menschen, sie zeigten ohn' Worte vom Leben wohl schwerlich sich mehr, als ein Stein es vermag zu dem Steine!

[HGt.01_063,10] Doch Worte, o höret, die Worte, entstammend dem Leben, die zeigen uns wieder das Leben! Und konnte das Leben ursprünglich sich anders als einzig allein nur im Worte sich finden?!

[HGt.01_063,11] Im Worte ist Leben; das Wort ist das Leben, und Gott ist das Wort und das Leben. Es findet das Leben im Worte sich nur, und das Wort muß ja ewig in Gott sich selbst zeugend und findend als Leben vom Leben gar mächtig geredet und alles aus sich so gestaltet unendlich geschaffen auch haben!

[HGt.01_063,12] O Väter der Väter der Erde, wenn ich nun erfahre von Henoch des Wortes gar mächtiges Walten und all's durch dasselbe umstalten in mir, oh, da frage ich nicht mehr nach Leben! Fürwahr, solches habe ich treu ja im Wort schon gefunden; und wem nicht genüget dies Zeugnis vom Leben, o Väter, der dürfte ein andres wohl schwerlich je finden! Amen."

 

64. Kapitel

[HGt.01_064,01] Als aber der Adam und die übrigen Väter solches aus dem Munde Asmahaels vernommen hatten, siehe, da ergriff sie alle, mit der Ausnahme Henochs, hohen Wunders, und sie wußten nicht, was sie daraus machen sollten.

[HGt.01_064,02] Da sah alsbald der Henoch solche Verlegenheit der Väter, daß sie ihn dauerten, und er fing unaufgefordert an, folgende lichtvolle Rede an sie zu richten, daß sich alle überaus erfreuten, sagend nämlich:

[HGt.01_064,03] ,Vergebet mir, liebe Väter, daß ich nun frei, unaufgefordert zu reden anfange, - aber nun muß ich's tun; denn jetzt tut euch allen ein helleres Licht von oben not, und so vernehmet: Was euch meine Zunge nun künden wird, wird sein ein Wort des Lebens, ein Wort aus der Höhe und ein Wort aus der Tiefe, - aus der Höhe voll Licht und aus der Tiefe voll Leben; denn in der Höhe ist Gott das Licht alles Lichtes und in Seiner Tiefe das Leben alles Lebens.

[HGt.01_064,04] Sehet, so aber ist dieser Grund zu verstehen: Wenn wir da einen Blick werfen in die Höhe und wieder einen hinab zur Erde, und das zwar ganz natürlich, so werden wir in der Höhe alles voll Lichtes und in der Erde und auf der Erde alles voll von allerartiger Regsamkeit erschauen. Da liegen zahllose Leben in sich bergende Samenkörner in den Furchen der Erde begraben, ebenso zahllose Samen der Tierwelt in ihren erwärmten Nestern, wie auch in den Eingeweiden der Tiere, und harren darin der Wärme und der Erstehung zum Lichte.

[HGt.01_064,05] Aber wahrlich, ehe nicht all die Furchen der Erde, all die Nester und all die Eingeweide der Tiere vollends durchwärmt werden, wird kein Leben erstehen in seinem Keime aus all diesen Kerkern und sich dann frei erheben hinauf zu den freien Räumen, die da sind voll Lichtes!

[HGt.01_064,06] Sehen wir aber nicht sommers und winters dasselbe Licht die Erde erleuchten - und doch nicht dieselbe Wärme die Furchen der Erde durchwärmen?! So aber das Licht die Wärme brächte, sehet, da müßte es ja allzeit warm sein unter denselben Strahlen der Sonne; daß es aber nicht also ist, lehrt uns der frostige, oft ganz starrkalte Winter.

[HGt.01_064,07] Nun fragt es sich dann freilich: Was und wo ist denn sodann die Wärme, da sie nicht am Lichte hängt und das Licht somit kein Träger der Wärme ist?

[HGt.01_064,08] Sehet, es ist aber die Wärme das verborgene, schlafende Leben selbst in der Tiefe und kann sich selbst nicht frei machen; wenn aber das Licht lange genug geleuchtet hat über den Tiefen der Erde, sehet, da erweckt es die Wärme aus dem Schlafe. Diese zerreißt dann ihre frostigen Behälter und tritt dann frei tätig heraus, verbindet sich dann mit dem Lichte und bildet dann ein Wesen, das seine Wurzeln noch im Urschoße des Lebens ausbreitet und darin seine Nahrung sucht, aber den lichtverwandten Teil über die Erde frei erhebt, um sein einmal gewecktes Leben fortwährend wach zu erhalten; und was bei den Pflanzen das Erweckende ist, das ist auch bei den Tieren einer wie der anderen Gattung der Fall, und es wird alles vom Lichte gezogen und von der Wärme getrieben.

[HGt.01_064,09] Aber alles dieses ist nur eine natürliche Erscheinung, und es gilt die verschieden geformte Regsamkeit als lebend nur für das Wesen, das ein Träger eines höheren Lebens ist.

[HGt.01_064,10] Wenn wir aber sehen, daß sich gleichartige Wesen anziehen und sich finden, ungleichartige aber sich abstoßen und sich fliehen, da lernen wir, daß in ihnen nicht einerlei Wärme und einerlei Licht ist, das sie treibt und zieht, - sondern da gibt es ein geraubtes Licht und eine gestohlene Wärme, wodurch alles Unkraut und Ungeziefer getrieben und gezogen wird; jedoch vermag alles dieses ein höheres, freies Leben zu gewahren!

[HGt.01_064,11] Nun fragt es sich: Wie aber vermag ein höheres, freies Leben dieses und warum? O Väter, da liegt der Hauptknoten, der da zu entwirren ist!

[HGt.01_064,12] So höret denn: Wie aber die Form aller Dinge in ihrer größten Verschiedenheit ist ein Ausdruck der natürlichen Wärme in der Verbindung des Lichtes und sich nur nach der Fähigkeit der Aufnahme von mehr oder weniger Licht oder mehr oder weniger Wärme unterscheidet, so ist auch die Sprache des Menschen eine gebildete Form der geistigen Wärme, welche die göttliche Liebe im Herzen ist, und des geistigen Lichtes, welches die göttliche Gnade im Menschen ist.

[HGt.01_064,13] Wie möchten wir verständige Worte sprechen, wenn sie nicht als ewige Formen des Geistes uns gegeben wären?! Da wir aber alle Dinge benennen können, sagt, wer lehrte uns das?

[HGt.01_064,14] Gott allein konnte das, da Er allein nur der ewige Inbegriff aller Formen ist, weil Er das Leben und Licht oder die Liebe und Weisheit Selbst und als die ewige, unzertrennliche Verbindung der beiden die Urform aller Formen oder das Urwesen aller Wesen oder demnach das ewige Wort Selbst ist!

[HGt.01_064,15] Wenn demnach jemand das Wort gefunden hat äußerlich und hat es verstanden und angenommen, so hat er ja kein Ding, sondern ein geistiges Leben im Vollbestande gefunden, da jegliches Wort eine Form ist, entstehend aus geistiger Wärme und geistigem Lichte. Was wundert uns dann die Rede unseres Asmahael?!

[HGt.01_064,16] Oder gleichen wir in solchen Fragen nicht den Fischen, die mitten im Wasser dasselbe nicht sehen, und wir, von der Luft umgeben, die Luft nicht, so wir in der Fülle des Lebens aus Gott uns erstaunen ganz betroffen über die wahre Empfindung Asmahaels?!

[HGt.01_064,17] O Väter, es hat aber alles seinen Grund! Sehet, das Leben haben wir zwar unzerstörbar im eigenen Worte selbst; aber es gleicht dieses Leben noch dem im Samenkorne verschlossenen! Wenden wir unser Herz der Welt zu, dann ist es bei uns Winter, und das zu kurz dauernde Gnadenlicht vermag da die Geisteswärme in uns nicht zu lösen; so wir aber unsere Herzen beständig nach oben zum Herrn kehren, da wird das lange, ja fortwährende Gnadenlicht die geistige Lebenswärme in uns bald entbinden, und wir selbst werden dann als lebendige Form oder lebendiges Wort uns erheben zum ewigen Wachsein im Lichte des Herrn.

[HGt.01_064,18] Wer aber desgleichen nicht tut, der ist ein Räuber und Dieb und wird sich gestalten zum Unkraute, Ungeziefer und zur greulichen Unform des Lebens gleich denen in der Tiefe.

[HGt.01_064,19] Wer also das Wort hat, der hat auch das Leben ewig; aber je nachdem das Wort ist, also wird auch das Leben sein!

[HGt.01_064,20] Das ist das Verständnis Asmahaels. Amen."

 

65. Kapitel

[HGt.01_065,01] Nach dieser großen Lichtspende Henochs aber erhoben sich alle und dankten stille im Herzen Mir für diese Gabe durch Henoch. Und Adam verlangte nach einer kleinen Leibesstärkung, welche ihm auch alsbald gereicht wurde; und da er sich gestärkt hatte mit etwas Honig, Milch und Brot, so dankte er für diese Gabe Mir und sprach dann zu seinen Kindern:

[HGt.01_065,02] ,Kinder! Dahier verlor ich einst alles durch mich selbst, - und wahrlich, tausendmal mehr, als ich damals verlor, hat mich der Herr, unser liebevollster, gnadenreichster, heiligster Vater, wieder nun dahier finden lassen!

[HGt.01_065,03] O Paradies, du schöner Garten, du lichter Ort, da ich noch in der Hand Gottes prangte gleich einer aufgehenden Sonne und in aller Fülle des Lebens mächtiger war denn der Zug aller Welten, da ich war dein übermütiger Einwohner und du mein schwacher Träger!

[HGt.01_065,04] Ich fiel einst, und du, schönes Augenblendwerk, vermochtest mir nicht aufzuhelfen! Des Mächtigen Fall hat dich gedrückt, und dein Flaumenboden wurde zusammengepreßt gleich einer frischen Wolle, die ein Wind dem Baume entreißt und dann fallen läßt zur Erde, auf daß sie zertreten werde von unseren Füßen.

[HGt.01_065,05] Durch meine genötigte Flucht bist ohne Last du zwar aufgeschossen zur eitlen Höhe deiner Schwachheit, es drückt dich zwar keines Mächtigen Fuß mehr; aber es ist auch nicht viel zu Rühmendes an dir außer der eitlen Erinnerung, daß du einst mein schwacher Träger warst.

[HGt.01_065,06] Allein der Herr sah in Seiner Erbarmung, daß für den fallsüchtigen Schweren dein Grund zu locker war; daher setzte Er Steine unter meine Füße, daß ihre Festigkeit mich bewahren sollte vor einem künftigen Falle.

[HGt.01_065,07] O des guten Bodens, auf dem jetzt meine Füße ruhen, der mich nun schon nahezu neunhundert Jahre vor einem neuen Falle gesichert hat, was zu tun du nicht einmal dreißig Jahre vermochtest! Dieser gute Boden machte nun auch oder war die demütigende Ursache, daß ich nun dein festerer Träger geworden bin, denn du einst als der meinige warst. Denn nun habe ich dich unendlichmal herrlicher in mir selbst aufgerichtet durch die große Gnade von oben und bin versichert, daß du in mir ewig zu keinem Falle gelangen wirst; und sollte es auch möglich sein, daß du fielest in mir, so wirst du mich nicht beugen und niederdrücken, sondern ich werde dich mit der Gnade von oben wohl aufzurichten vermögen, auf daß du ein beständiger Einwohner bleiben mögest dessen, an dessen Haare dem Herrn mehr gelegen ist als an der ganzen Erde, die ehedem deine wankende Trägerin war!

[HGt.01_065,08] O Kinder, traurig kam ich hier an, denn ich mußte meinen Verlust beweinen, wie ich ihn schon früher tausendmal beweint habe; aber es war diesmal der letzte Seufzer und die letzte Träne, die da deine kahle Wand befeuchtet hat. Von nun an werde ich dich nimmer betreten, du alte, hohle Nußschale eines ausgebrannten Lebens, sondern mein Fuß wird nun frohlockend wandeln auf eigenem Grunde, da die Frucht des ewigen Lebens auf selbem zur Reife gediehen ist!

[HGt.01_065,09] O Kinder, mir ist überaus wohl zumute, und dir, mein Henoch, sei mein ewiger Segen dafür!

[HGt.01_065,10] Kinder, hat jemand noch einen Zweifel, so behalte er ihn für meine Hütte auf den Nachmittag; und so lasset nun die Kinder zusammentreten, auf daß ich sie segne und ihnen sage, daß sie sich morgen wie allzeit vor dem Aufgange einfinden möchten am geheiligten Orte des Opferbrandes! Amen."

[HGt.01_065,11] Und siehe, als nun der Adam diese seine Lob-, Schmäh-, Dank-, Preis-, Abschieds- und Anordnungsrede vollendet hatte, da vollzogen seine Kinder alsobald seinen Willen. Da eilten alle Kinder jubelnd herbei, wurden dann gesegnet von Adam und sonach feierlichst geladen, zu kommen am Sabbat zur rechten Zeit. Nach dem wurden die Kinder im Frieden und unter Meinem Lobe wieder entlassen.

[HGt.01_065,12] Danach aber sagte Adam: ,Nun denn, meine Kinder, lasset uns gen Mittag ziehen und tun alldort dasselbe, was wir hier taten!

[HGt.01_065,13] Der Herr sei mit dir, Henoch, und mit uns allen und Asmahael und mit allen unsern hier und überall wohnenden Kindern!

[HGt.01_065,14] Der Herr führe uns und bereite aller Kinder Herzen auf unsere segnende Ankunft und Seine große Erbarmung und Gnade, daß sie morgen mit wohlbereitetem und verständigem Herzen erscheinen mögen zur Verherrlichung Seines Namens und zur Belebung ihrer Seele und Erweckung ihres noch schlafenden Geistes!

[HGt.01_065,15] Und nun lasset uns wandeln frohen Mutes gen Mittag! Henoch und Asmahael seien meine Führer, und die übrigen folgen mir nach der vorigen Ordnung. Doch, da die Sonne ihre Strahlen schon stark angespannt hat, so lasset uns einen schattigen Waldweg ziehen, auf daß unsere Glieder nicht ermatten vor der Zeit der bestimmten Ruhe nach der treu getanen Pflicht; auf dem Wege aber soll jeder schweigsam wandeln und wohl achten, wohin er seine Füße setzt, auf daß er nicht Schaden leiden möchte in seiner Geradheit.

[HGt.01_065,16] O Herr, Du bester, heiligster Vater, ziehe Dein mildes Auge nicht weg von uns allen! Amen."

 

66. Kapitel

[HGt.01_066,01] Und nun gingen die Väter ruhig einen schattigen Weg unter Zedern und Palmen hin gen Mittag und waren auf dieser Reise, die bei einer Stunde Weges dauerte, voll guter Dinge und lobten und priesen Mich in ihren Herzen; denn sie hatten nun vollauf zu schauen, da die Natur völlig durchsichtig für ihre durch Mein Wort gestärkten Augen geworden war.

[HGt.01_066,02] (NB. Auf die euch im Bereiche der Naturzeugnisse schon ein wenig versinnlichte Art!)

[HGt.01_066,03] Und als sie den halben Weg gegangen waren, siehe, da stutzte auf einmal Asmahael und getraute sich nicht, einen Schritt mehr weiter zu machen, und zitterte am ganzen Leibe.

[HGt.01_066,04] Henoch aber fragte ihn alsogleich: ,Asmahael, was ist dir, daß dir deine jungen Glieder den Dienst versagen? Zeige uns getrost an, ob eine Gefahr du siehst, oder ob ein anderes Übel dich befallen hat; denn siehe, wir wandeln auf dem Wege des Herrn, und der Herr ist mit uns, wie wir mit Ihm! Daher teile uns getreu mit, was dich ganz hemmend kümmert! Amen."

[HGt.01_066,05] Da erholte sich Asmahael und sprach, sehr beklommen noch: ,O Väter der Väter der Erde und du auch, mein liebweiser Henoch! Da sehet ein wenig nur fürbaß und schauet den mächtigen, grimmigen Tiger! Schon bleckt er gar lüstern die Zähne und spannet die tödlichen Krallen zum kräftigen Sprunge, um mich zu erfassen, zerreißen, zu trinken mein Blut und zu essen mein Fleisch! Denn der Wächter der heiligen Höhen ist nimmer zu sänften in seiner erschrecklichen Wut; ja des wachende, grausame Treue des Grimmes ist eine, dergleichen der Erde kein Ähnlich's gegeben mocht' werden!

[HGt.01_066,06] O Väter der Väter der Erde, damit ihr mit mir nicht zugrunde auch gehet, so weichet zurück und laßt mich denn als rettendes Opfer von diesem gar mächtigen Tiger ergreifen, damit euer heiliges Leben in Gott so verschonet möcht' werden! O rettet, o rettet euch, würdigste, mächtige Väter!"

[HGt.01_066,07] Und siehe, da blickten die Väter ein wenig fürbaß und sahen, was den Asmahael gar ängstlich machte.

[HGt.01_066,08] Adam aber sagte zum Henoch: ,Höre, lieber Henoch! Gehe hin und bringe den grimmen Wächter hierher, auf daß sich der furchtsame Asmahael befreunde mit der Kraft Gottes im Menschen, darob er zum Herrn der Natur gesetzt wurde und ihm gehorche alle Kreatur! Amen."

[HGt.01_066,09] Und alsogleich ging Henoch hin zum Tiger; der aber warf sich augenblicklich vor dem Henoch zur Erde und bebte in allen seinen Muskeln und Fibern.

[HGt.01_066,10] Henoch aber sprach mit starker Stimme zum Tiger: ,Stehe auf, du grimm- und muskelstarkes Tier! Gehe hin zu Asmahael und beuge deinen kräftigen Nacken vor deinem Herrn, auf daß er behutsam getragen werde von dir an meiner und Adams Seite, und zwar gen Mittag, dann Ruhe, - dann gen Abend, dann Ruhe, - dann gen Mitternacht, dann Ruhe, - und dann endlich zur Wohnung Adams, und dann gänzliche Ruhe, dein Lohn und deine endliche Bestimmung! Amen."

[HGt.01_066,11] Und siehe, alsobald erhob sich der mächtige Tiger in aller seiner kolossalen Größe, ging an der Seite Henochs gar demütig hin zu Asmahael und tat, wie ihm geboten war.

[HGt.01_066,12] (NB. Diese Riesengattung der Tiger findet sich jetzt nur noch in einigen Urwäldern, in des inneren Afrikas Hochgebirgen, wie auch äußerst selten in denen Asiens.)

[HGt.01_066,13] Da aber Asmahael solches sah, ward er völlig stumm vor Verwunderung und konnte nicht sprechen wie auch fast nicht stehen; denn nun ward es vor seinen Augen enthüllt, was ihm einst seine Mutter erzählte, was sie in einem Traume gesehen hatte. Denn seine Mutter war fromm in ihrer Art und mußte ihre Frömmigkeit samt ihrem Gatten gar schmählich mit dem Tode bezahlen, da sie sich geweigert hatte, den Lamech als den allerhöchsten Gott anzubeten, nachdem ihr zuvor die hohe Gnade widerfahren war, von dem geringsten Waffenknechte Lamechs gewaltig eine ganze Nacht hindurch auf die geilste und unnatürlichste Art beschlafen zu werden.

[HGt.01_066,14] Und da sich auch ihr Gatte solcher Danksagung ärgerlich weigerte, so wurden auch ihm bei lebendigem Leibe die Gedärme mit ehernen Haken aus dem Bauche gerissen.

[HGt.01_066,15] Woher aber Lamech solche Werkzeuge so bald erhielt, wird zur Zeit schon kundgegeben werden.

[HGt.01_066,16] Und siehe, da sich Asmahael nun ermannte, so sprach er voll Wärme: ,O mächtige Väter der Väter der Erde, nicht eure leibliche Größe und Stärke vermöchte zu bändigen solch ein gar riesiges, reißendes Tier; wahrlich nein, nur ein Gott, ja ein mächtiger Gott ist's, der solches durch eure geheiligten Herzen vermag! Dem sei Dank, Dem sei Lob, Dem sei Preis und die Ehre, ja heilige Ehre dem mächtigsten, heiligsten Vater so großer, erhabener, mächtiger Kinder! Amen."

[HGt.01_066,17] Adam aber lobte ihn ob seiner rechten Erkenntnis der Liebe zu Gott, und daß er Mir allein die Ehre gab.

[HGt.01_066,18] Henoch aber hob ihn auf den Nacken des Tieres, und dieses trug sorglich und behutsam seinen Herrn an der Seite Henochs.

[HGt.01_066,19] Und so ging der Zug weiter den duftenden, schattigen Weg entlang, und kein Hindernis stellte sich hemmend dem Zug mehr entgegen. Da sangen gar munter die Vöglein, auf Ästen sich wiegend, und sangen wohltönend prophetisch dem Menschen ein Liedchen, - ein Liedchen vom Menschen der Menschen, das sangen die munteren Vögelein Ihm.

 

67. Kapitel

[HGt.01_067,01] Und so kamen sie nun wohlbehalten bei den Kindern des Mittags an, welche, als sie solcher Ankunft ansichtig wurden, alsobald alles verließen und hinzueilten zum Empfange der Erzväter, um dieselben würdigst zu begrüßen.

[HGt.01_067,02] Jedoch als die zahlreichen Kinder des tragenden Tigers ansichtig wurden, ergriff sie eine große Furcht; denn sie kannten die grausame Beharrlichkeit dieses Tieres und hatten solche erfahren bei einer Gelegenheit, allwann sich einige Jünglinge zusammenmachten, um eine Reise nach Hanoch, von dem sie reden gehört hatten, zu unternehmen.

[HGt.01_067,03] Das Tier durfte ihnen zwar nichts zuleide tun, sondern sie nur durch seine grimmsprühende Gestalt und wutentbrannte Bewegung zurückschrecken und also abhalten von ihrer Torheit; aber es gab ihnen seine Muskelkraft doch dadurch zu erkennen, daß es einen Ochsen, das heißt einen aus dem Dickicht herbeigeeilten Riesenauerstier, vor ihren Augen mächtig anfiel und selben alsogleich auch verzehrte samt Haut und Haaren.

[HGt.01_067,04] Diese Szene brachte die wenigen Reiselustigen auch alsobald zum Umkehren und benahm ihnen auch die fernere Reiselust gänzlich, und das um so mehr, als der Anführer der kleinen Schar sogar mit einem tüchtigen Schwanzhiebe von seiten des Tigers gar kräftig bedient wurde.

[HGt.01_067,05] Daher hatten vermöge solcher Lektion diese Kinder auch einen ganz besonderen Respekt vor diesem Tiere und wunderten sich nicht wenig darüber, daß sie den Asmahael sahen auf dem Nacken dieses Tieres furchtlos sitzen und sich gar bequem tragen lassen.

[HGt.01_067,06] Da aber Adam alsobald merkte ihre Furcht, so sprach er zum Henoch: ,Siehe, die Kinder scheuen sich vor dem gewaltigen Träger Asmahaels; gehe hin und stärke sie im Namen des Herrn, auf daß ihnen benommen werde die Furcht und sie sich uns nahen mögen zum Empfange meines Segens! Amen."

[HGt.01_067,07] Und alsobald trat Henoch hin zu den scheuen Kindern und redete sie mit folgenden Worten an, sagend: ,Höret alle, ihr Kinder Adams, ihr Kinder voll Weisheit! Was ist's, das euch zurückschauern macht beim Anblicke eines mächtigen, aber doch wohlgehorchenden Tieres?

[HGt.01_067,08] Wozu habt ihr Seths Weisheit überkommen - und habet Furcht vor dem, was euch gehorchen soll?!

[HGt.01_067,09] Es ist aber, daß ihr irgendwann selbst aus dem Gebiete des Gehorsams, welcher die Grundfeste aller Weisheit ist, getreten seid und sodann zurückgewiesen wurdet durch die Macht des starren Gehorsams solches Tieres, sonst ließe es sich kaum denken, woher eure Furcht stammen sollte!"

[HGt.01_067,10] Die Kinder aber antworteten: ,Höre, Henoch, Großsohn Jareds, es ist so, wie du sagtest: Es versuchten sich fünf Junge im Ungehorsame gegen unsern Willen insgeheim, - denn ihr Auge hatte einen lüsternen Blick gen Hanoch gemacht; aber ihre Füße wurden alsobald von einem solchen Tiere in das Gebiet der Grundfeste der Weisheit zurückgewiesen.

[HGt.01_067,11] Da sie uns hernach aber kundgaben, welche große Stärke und Grausamkeit sie an solchem Tiere erfahren, so scheuen wir uns davor!"

[HGt.01_067,12] Henoch aber erwiderte ihnen: ,Oh, daß ich nicht wüßte, was eure Herzen lange schon bedrängt hat! Wohl euch von oben, daß nur eure Kinder es waren, in denen ein arger Same, von euch gelegt, Wurzeln fassen wollte, sonst wäre dieser Tiger ein übler Verräter an euch geworden, und der, den das Tier auf seinem Nacken trägt, hätte eure Weisheit zur großen Torheit gemacht!

[HGt.01_067,13] Nun aber gehet unerschrocken hin zum Erzvater Adam, auf daß er euch gebe, woran euch nun vor allem not tut; und so fasset im Namen des Herrn Mut, und folget mir ohne Furcht! Amen."

[HGt.01_067,14] Und sogleich folgte eine Schar der andern, sich hin zum Adam begebend, allwo sie niederfielen auf ihre Angesichter und Adam sie segnete.

[HGt.01_067,15] Da aber alle den Segen empfangen hatten, wurde Enos beauftragt, ihnen anzuzeigen, daß sie sich erheben sollten.

[HGt.01_067,16] Als solches nach alter Sitte geschehen war, da brachten sie dann alsogleich Früchte, Brot, Milch und Honig und reichten es dem Adam und seinen Großsöhnen. Und sie rührten alles an und lobten Mich für solche Gaben an die Kinder, hießen dann dieselben bei dreißig Schritte zurücktreten, damit nun wieder Henoch über diese Mittagsgegend einige Worte aus der Tiefe des Lebens in Gott reden solle.

[HGt.01_067,17] Allein als diese Kinder des Mittags eben zurücktreten wollten, fing der Tiger so gewaltig zu brüllen an, daß die Erde unter ihren Füßen bebte und all die Mittagskinder vor Furcht zur Erde sanken und gar ängstlich um Hilfe zu rufen anfingen.

[HGt.01_067,18] Adam selbst wandte sich zum Henoch und fragte ihn, was das bedeuten solle.

[HGt.01_067,19] Auch Seth und die übrigen taten desgleichen, da außer dem Henoch und Asmahael niemand solches Benehmen des Tigers verstand; denn Henoch verstand es aus Mir, und sein Jünger aber aus Henoch, darum er auch ohne alle Furcht auf dem Nacken des gewaltig brüllenden Tigers ruhig saß.

[HGt.01_067,20] Henoch aber wandte sich ehrfurchtsvoll zum Adam und sprach: ,O Vater, so du willst, so rühre an die Zunge des Tieres, und das Tier wird dir kundgeben, warum es also gewaltig brüllt!"

[HGt.01_067,21] Adam aber sagte: ,Henoch, ist mein Finger denn mächtiger denn der deine?"

[HGt.01_067,22] Henoch aber erwiderte: ,Vater, dein Finger ist aus Gott, meiner nur aus dir; darin liegt die Macht deines Fingers zur Verherrlichung des Namens Jehova!"

[HGt.01_067,23] Adam aber rührte die Zunge des Tieres an, und sogleich ließ das Tier folgende verständliche Worte gewaltig erschallen, welche also lauteten: ,Adam, du großer Schluß und Anfang aller Schöpfung aus der Hand Gottes! Siehe, die du zurücktreten ließest, haben einen blinden Gehorsam; aber ihr Wille frevelt in dieser Blindheit! Daher erwecke zuvor ihre Treue im Herzen, und mache bescheiden ihren Willen; dann erst sieh, welche Früchte dir der Mittag bringen wird. So du aber Mahlzeit halten willst im Geiste, da bescheide deine Kinder nicht zurück; denn so ich ein Mahl halte, da treibe ich meine Kinder nicht hintan - und bin doch nur ein Tiger! Amen; höre: Amen."

 

68. Kapitel

[HGt.01_068,01] Als aber der Adam solches vernommen hatte, ward er über die Maßen froh und sprach: ,O Kinder! Freuet euch alle mit mir; denn ich habe wahrlich das Wahrhafte des Paradieses gefunden! Neunhundert Jahre sind bereits verflossen in meiner Stummheit, in der ich nicht mehr verstanden habe das Geschlecht der Tiere; allein jetzt habe ich wohltuend wieder verstanden den scharfen Sinn des Tieres, und des freue ich mich über die Maßen!

[HGt.01_068,02] O Henoch, du Glücklicher, du Unsterblicher! Groß ist dein Licht und groß die Liebe in dir! Dem Herrn sei ewig Lob, Dank, Preis und Ruhm dafür, daß Er uns durch dich eine so große Barmherzigkeit erwiesen hat!

[HGt.01_068,03] Was wären wir alle ohne sie? Nichts als halbverständig bewegliche Maschinen, die am Ende ihr eigener Wahn verzehrt hätte, und der Herr der Natur wäre ein armseliger Mückensklave geworden, der beim Anblicke eines Laubfrosches, von großer Furcht getrieben, geflohen wäre wie ein Lamm beim Anblick eines reißenden Wolfes, da er nicht wüßte, was diesem oder jenem innewohnt, und am allerwenigsten, daß seine eigene Seele eine letzte und voll gebildete, unsterbliche Seele ist, ja eine Seele, in der alle Seelen der Kreaturen vereinigt sind! Und da er das unmöglich erfahren könnte als Dreivierteltoter aus sich, wie hätte er dann erst begriffen sein inneres Leben, seine Liebe, seinen Geist und die rein göttliche Abkunft desselben?!

[HGt.01_068,04] O Henoch, o Kinder! Des Tigers wundersam vernehmlich starkes Wort wird euch voll erschüttert haben und noch mehr die beschuldeten Kinder dieser Mittagsgegend; allein mich hat es erfreut. Denn einst stand ich nicht nur diesem Geschlechte vor, sondern aller Kreatur vom Größten bis zum Kleinsten wie vom Stärksten bis zum Schwächsten; ja, es standen alle Elemente unter meinem Worte, und Sonne, Mond und Sterne waren nicht stumm für mein Wort und Begehren!

[HGt.01_068,05] Doch es liegt wenig daran, daß ich solches nicht mehr vermag, und ich möchte auch nie mehr darüber trauern oder den Herrn bitten darum, daß Er mir solches alles wieder geben möchte; aber es liegt alles daran, daß wir recht verstehen möchten, den Herrn über alles zu lieben. Denn darinnen ist alles Leben verborgen, - wie in der früheren Macht und Wunderfähigkeit alle Versuchung und mit ihr der Fall.

[HGt.01_068,06] Ein Herr sein, heißt groß, weise und mächtig sein; wenn es aber dem demütig sein sollenden Menschen zuteil wird, ein Herr zu sein, wahrlich, dem wird die Demut sauer zu stehen kommen! Hat aber der Mensch seine Herrschaft vor dem Herrn niedergelegt und hat dafür die Liebe erwählt und sich dadurch kleinst gemacht vor dem Herrn, höret, da wird dem Kleinen die Demut leicht werden!

[HGt.01_068,07] Oder was soll der noch geben dem Herrn, der durch seine Demut und Liebe sich zum Eigentume des Herrn gemacht hat?! Sind wir aber nur einmal dem Herrn in der Liebe zu eigen geworden, was bedarf es da noch mehr einer Herrschaft?!

[HGt.01_068,08] Gehet denn nicht ohnehin die Stärke des Herrn über alles?! Sind wir aber der Liebe des Herrn, so werden wir wohl auch der Macht und Stärke des Herrn sein! Und so wird der Schwächste im Herrn stärker sein in allem denn der Stärkste aus sich, und würden ihm auch alle Elemente untertan sein!

[HGt.01_068,09] Was half mir solche Macht von Gott dereinst? Ahbels Schwäche im Herrn hat alle meine Macht aufgewogen! O Herr! Siehe, nun bitte ich Dich nicht mehr um Macht und Stärke, sondern um Schwäche bitte ich Dich, auf daß ich Dich in der demütigsten Vernichtung meines Selbstes über alles zu lieben vermöchte; denn habe ich nur Dich erfaßt im Herzen, o Herr, dann ist mir die ganze Welt und alle ihre Macht und Stärke gleich einem verdunsteten Tautropfen, der war und nun nicht mehr ist.

[HGt.01_068,10] O Kinder! Sehet, das ist es, darum mich heiter gemacht hat das Wort des Tieres; nicht darum, als daß ich dächte, der Herr hätte mir meine frühere Macht und Weltherrlichkeit wieder verliehen, o nein, sondern, daß ich in meiner demütigen Schwäche ein neues Eigentum der Liebe des Herrn geworden bin! Denn meine Schwäche zagte, zu berühren die Zunge des Tieres; aber das mächtige Wort des Herrn stärkte meines Fingers Spitze, und dieser löste dem Tiere die Zunge, zu sprechen Worte der Weisheit. O Kinder, das ist unendlichmal mehr, als zu verstehen die Natur aller Schöpfung; menschlich nur ist das erste, aber rein göttlich das zweite, und es ist nichts damit zu vergleichen!

[HGt.01_068,11] Und nun höret, Kinder! Zum Schlusse sei noch ein Wort an euch gerichtet. Damit der weisen Mahnung des Tieres Genüge werde, so lasset all die Kinder uns nähertreten und zuerst vernehmen ein Wort von mir, dann eines von Seth und endlich eines von Henoch; dann aber sollen Enos und Kenan ihnen den morgigen Tag verkünden, und sobald heute die Sonne sich gen Abend neigen wird, sollen sie von aller Arbeit ruhen.

[HGt.01_068,12] Bevor wir aber diese Gegend verlassen werden, soll auch Asmahael über diese Gegend von seinem Träger herab einiges sagen im Vergleiche zur Tiefe, damit den Kindern ein lebendiges Zeugnis ihrer Torheit gegeben wird; dann eine kleine Stärkung, darauf Segen und Abgang! Amen."

[HGt.01_068,13] Und alsobald nahte sich Henoch der Schar, ermutigte sie, und sie, die Kinder des Mittags, traten hinzu und erwarteten unter großer Furcht und großem Zittern, was da über sie kommen möchte.

[HGt.01_068,14] Als nun allesamt eine ordentliche, altersrangmäßige Stellung eingenommen hatten, da erhob sich Adam vor ihrem Angesichte und begann folgende denkwürdige Rede an sie zu richten, sagend nämlich:

[HGt.01_068,15] ,Kinder, die ihr bewohnet die Gegend, darüber, von meiner Wohnung besehen, die Sonne über die Mitte des Tages steht, saget oder bezeuget es mir, dem Stammvater der Stammväter, ob ihr wohl verstanden habt das Wort, das da war ein ungeheucheltes Wort aus dem Munde der unverdorbenen Natur der sonst sprachlosen Tiere!"

[HGt.01_068,16] Und die Kinder bejahten es und bekannten ihre Schuld unter gewaltigen Tränen der Reue. Und Adam fuhr fort zu reden, sagend:

[HGt.01_068,17] ,Wohl euch, daß ihr bereuet euren Frevel; denn der Herr nimmt es ernst mit Seinem Volke! Und ihr möchtet füglich gerichtet worden sein, und eure Schultern wären mit Unheil belastet worden, so euch das nicht gereut hätte, wovon euch eben dieses Tier abgehalten hat.

[HGt.01_068,18] Meinet ihr, euer Ungehorsam hat darob aufgehört, ein Ungehorsam zu sein und eure Sünde eine Sünde, dieweil ihr zurückgekehrt seid? Mitnichten, sage ich; denn nicht Furcht vor dem Herrn, noch weniger die Liebe zu Ihm hielt euch ab, zu vollziehen euer frevelhaftes Vorhaben, - nein, sondern die Furcht vor der Stärke dieses wider euch zeugenden Tieres!

[HGt.01_068,19] Und so wurdet ihr gerichtet vom Herrn durch dieses Tier zu eurer großen Schande; denn der Herr hat euch eure Herrlichkeit genommen und erfüllte dafür euer Herz mit großer Angst und Furcht vor dem, das euch fliehen sollte, des Herren ihr sein solltet!

[HGt.01_068,20] O sehet, zu welchen Sklaven euch euer Ungehorsam gemacht hat!

[HGt.01_068,21] Wahrlich, hättet ihr eure Freveltat nicht wohl bereut, dieses Tier wäre euch ein grausamer Richter geworden!

[HGt.01_068,22] Aber es ist nicht hinreichend, daß ihr eure Tat bereuet ob der großen Schande, mit welcher euch der Herr geschlagen hat, oder daß ihr eure Tat bereuet, weil euch der Herr entzogen hat einen großen Teil Seiner Gnade und euch gestellt hat an die Grenzmark Seiner Erbarmung, oder weil der Herr dieses Tier, euren Richter, euch gestellt hat zu einem Zeugen und es nun vollends wunderbar erweckt hat zu einem Redner wider euch, sondern: So ihr eure Tat oder euer Vorhaben wahrhaft bereuen wollet, so danket mit freudigem Herzen dem Herrn, daß Er euch noch behalten hat im Gerichte, und weinet darüber, daß ihr nur einen Augenblick Seiner so unendlichen, überheiligen Vaterliebe habt vergessen können, da euch doch täglich die Sonne vom hohen Himmel laut zuruft: ,Kinder, euer guter, heiliger Vater hat mich für euch geschaffen; erkennet Seine große Liebe!` - und der Mond euch zuruft: ,Kinder, höret, euretwegen schuf mich euer liebevollster, guter, heiliger Vater zum treuen Wächter und steten Begleiter der Erde, auf daß ich beständig euch ein Zeuge sei Seiner unendlichen Liebe!` Und all die Sterne rufen euch zu: ,O Kinder, unsere Zahl ist groß und hat kein Ende; wir sind zumeist Sonnen ferner Welten, die da alle entsprechen eurem Wesen teilweise, für jedes Atom einzeln, wie in der Vervielfältigung derselben bis ins Unendliche! Sehet, für euch sind wir gemacht, für euch die ganze Unendlichkeit! O sehet und erkennet, wie mächtig, groß, liebevoll, gut und heilig euer Vater ist!`

[HGt.01_068,23] Und die ganze Erde ruft euch zu: ,O Kinder, höret, ich und alles, was ich trage, ist für euch! Wie eine zärtliche Mutter muß ich euch tragen durch endlose Räume, euch täglich an meinen stets offenen Brüsten saugen lassen, muß mich wenden und drehen, auf daß euch Tag und Nacht werde, damit ihr, wie Kinder spielend, nach eurer Beschäftigung eine Ruhe habt! O Kinder, wer vermöchte sie zu zählen, die zahllosen Arbeiten, die ich in und außer mir euretwegen verrichten muß! Sehet, alles dieses hat euer guter, heiliger Vater aus übergroßer Liebe zu euch also angeordnet!`

[HGt.01_068,24] O Kinder, fraget das Wasser, - es wird euch dasselbe sagen; fraget die Täler, die Berge, - sie werden euch dasselbe sagen; fraget all das Gras, die Pflanzen, die Gesträuche, die Bäume, fraget die Tiere alle, - ihr werdet von überall ein und dieselbe Rede vernehmen; ja, jeder Tautropfen wird es euch laut verkünden und jedes Sonnenstäubchen zulispeln, daß Gott Jehova und Herr unser aller guter, liebevollster, heiliger Vater ist und uns gesetzt hat zur völligen Ausbildung unter lauter liebevolle, wohltuende Wunder Seines Vaterherzens, damit wir uns in der Liebe zu Ihm so befähigen sollen, stets größere und größere Wohltaten und Seligkeiten zu empfangen und endlich die unaussprechlichste selbst: das ewige Leben in Seinem Schoße!

[HGt.01_068,25] O Kinder, sehet, sehet, wie gut unser heiliger Vater ist; und wie konntet ihr auch nur einen Augenblick Seiner vergessen, und das noch dazu einer so nichtigen Sache halber!

[HGt.01_068,26] Und nun, so ihr euern Ungehorsam wahrhaft bereuen wollet, da ist es, darin suchet und erkennet den wahren Grund eurer Reue; denn alles andere ist eitel und unnütz!

[HGt.01_068,27] Wir alle sind der ewigen Liebe entsprossen und sind darob Kinder ein und desselben heiligen Vaters, der da wohnt in Seiner ewigen Glorie und Heiligkeit unendlich und in Seiner Liebe bei uns und wir bei ihm. Daher muß uns auch alles an Seiner Liebe gelegen sein. Denn nur in und durch die Liebe sind wir Seine Kinder; nur durch die Liebe können wir Ihn als Gott und Herrn würdig preisen; durch die Liebe können wir Ihn erkennen; in der Liebe können wir uns Ihm nähern und so nur, durch und in der Liebe, leben und das ewige Leben finden und erhalten.

[HGt.01_068,28] Gott in Seiner Heiligkeit ist unzugänglich, in Seiner Weisheit unerforschlich, in Seiner Gnade unermeßlich, in Seiner Macht über alles fürchterlich, in Seiner Stärke ewig unüberwindlich. Sein Licht ist ein Licht alles Lichtes und Sein Feuer ein Feuer alles Feuers. Und so ist Er in allem diesem ein unantastbarer, uns auch ganz fremder Gott, der uns nicht will und uns ewigdar von Sich stößt; aber eben dieser Gott ist auch die allerhöchste Liebe Selbst. Diese Liebe sänftet Sein Göttliches so sehr, daß Er uns will; und so wir Ihn lieben, so ergießt Er Sich dann aus allem Seinem Göttlichen durch die Liebe zu uns, macht uns zu Kindern und gibt Sich uns dann als der beste, allerliebevollste, heilige Vater in allem, was wir nur ansehen mögen, zu erkennen, mehr und mehr zu lieben, zu genießen und endlich im freien, ewigen Leben selbst als solcher vollends zu erschauen.

[HGt.01_068,29] Daher bedenket wohl, Kinder, wer und was Gott ist, - und wer und was unser heiligster Vater ist, und handelt danach getreu! Amen."

 

69. Kapitel

[HGt.01_069,01] Und siehe, als die Kinder solche Rede aus dem Munde Adams vernommen hatten, da schlugen sie sich auf die Brust und weinten ernste Tränen der Reue, daß sie kaum besänftigt zu werden vermochten. Denn sie sahen nun wohl ein, was sie verloren hatten; aber das Verlorene wiederzuerhalten, sahen sie keinen Weg und glaubten sich als schon vollends gerichtet.

[HGt.01_069,02] Als aber Adam sah ihre ernste Reue, sprach er zum Seth: ,Höre, mein geliebter Sohn, erhebe dich, öffne deinen Mund, und richte ihre Herzen auf voll Frieden und Liebe zu Jehova! Amen."

[HGt.01_069,03] Und alsobald erhob sich Seth und fing an, folgende sehr denkwürdige Rede an sie zu halten, sagend nämlich: ,Höret, Kinder, die ihr da vor unseren Augen und Ohren weinet gerechter Reue Tränen! Unser Gott und heiliger Vater ist zwar ein allergerechtester Herr, aber auch ein aller Liebe vollster Vater voll Erbarmung. Denket, daß wir keine Handlung begehen können, die Gott als Gott kümmern und zuwider sein könnte; denn welcher Unterschied wäre im Grunde, ein Sonnenstäubchen oder eine Welt zu zerstören?!

[HGt.01_069,04] In Beziehung auf Gott ist sowohl eines wie das andere ein pures Nichts, - wie auch wir alle zusammen nichts sind gegen Ihn. Wie aber könnte oder möchte das Nichts etwas begehen an dem Nichts, das da etwas wäre im Anbetrachte gegen Gott,

[HGt.01_069,05] ingleichen es auch uns nicht kümmert, was die fast gänzlich unsichtbaren Tierchen unter einem modernden kleinsten Blättchen, das ein leiser Hauch dem Moose entführte und mit einem daranhängenden Tautröpfchen ins Meer fallen ließ, machen! Jedoch ist dieser Vergleich fast eben gar kein Vergleich gegenüber dem, wie unendlichmal viel weniger eine ganze Welt samt uns gegen Gott ist. Und so sind wir und all unser Tun und Lassen soviel wie gar nichts gegen Gott.

[HGt.01_069,06] Aber höret! Eben dieser Gott hat denn eines, das Ihn gar sehr kümmert, und dieses eine ist eben Seine eigene, ewige Liebe selbst, durch welche wir - und alle Dinge unsertwegen - entstanden sind. Durch und in dieser Liebe ist Gott unser Vater und wir Seine Kinder. In dieser Seiner Liebe kümmert Ihn das Unbedeutendste wie das Allergrößte in gleicher Sorgfalt; und so gibt sich auch mit dieser Liebsorge in allen Dingen Seine unverkennbare Göttlichkeit und väterliche Liebe kund.

[HGt.01_069,07] Der Liebe Gottes ist es demnach auch nicht einerlei, wie wir handeln, ob so oder so. Wenn wir die Liebe zwar für selbständig betrachten, so ist auch diese so beschaffen, daß sie blind ist gegen alle Handlungen ihrer Kinder gleich einer zärtlichsten Mutter gegen ihren Säugling; allein, es wäre aber Gott ohne Liebe kein Gott, und die Liebe ohne Gott wäre keine Liebe. Und so sind Gott und Seine Liebe ein Wesen und ist Gott mächtig in Seiner Liebe und die Liebe heilig durch Gott. Und dieser also einige Gott ist samt und sämtlich unser liebevollster, heiligster Vater, wie wir nach Seinem Ebenbilde vollkommen Seine Kinder sind, da auch wir ein Herz und in ihm einen Geist der Liebe haben, wie in unserm ganzen Wesen eine lebendige Seele voll Verstand, daß auch da der Verstand ist gleich dem Wesen Gottes für sich und die Liebe des Geistes im Herzen mit ihrem freien Wollen gleich der Liebe in Gott. Und wenn aus der Seele und aus dem Geiste ein Wesen wird durch das freie Wollen, so sind dann auch wir vollkommen Gott in allem ähnlich und somit erst Seine Kinder.

[HGt.01_069,08] Wie aber Gott für uns in der Liebe nur Gott ist und unser aller liebevollster, heiliger Vater, so können auch wir nur in der Liebe Seine Kinder werden. Die Vereinigung Gottes mit Seiner Liebe ist aber gleich dem Gehorsame. Wenn wir nun in unserm fürwitzigen Verstande gehorchen den empfundenen Anforderungen des Geistes und vereinen somit das Licht mit der Liebe, so werden wir dadurch Kinder der Liebe voll Weisheit, voll Wohlgefallen Gottes und Kinder voll des ewigen Lebens.

[HGt.01_069,09] Nun sehet also, liebe Kinder: Da ihr im Fürwitze des Verstandes ungetreu geworden seid eurer innersten Liebe aus Gott in euch, so wurdet ihr ungehorsam in eurer Seele wie eurem Heiligtume, so auch der Liebe in Gott. Eure Liebe hat sich dann zurückgezogen; ihr lebtet nur in eurer Seele, nach äußerer Ausdehnung (wenn's möglich wäre ins Unendliche) strebend. Nun urteilet selbst und saget, was da fester sei: ein sich nach allen Seiten ausdehnender Nebel, wenn auch seine flüchtige Größe ganze Weltgegenden umhüllt, oder ein kleines, rundes, gleich einem Tautropfen durchsichtiges Steinchen! Sehet, darin auch liegt der Grund eurer Furcht und der Grund eurer Blindheit!

[HGt.01_069,10] Ist das Steinchen nicht also fest, daß es niemand zu zermalmen vermag und widersteht jedem Sturme, jedem Drucke, jedem Schlage?! Ja, ihr sahet zwar den Tiger einen mächtigen Stier plötzlich zerreißen in kleine Stücke; aber wahrlich, hätte dieser Tiger in ein solches kaum eigroßes Steinchen gebissen, um seine ärgste Waffe wäre es geschehen gewesen! Und hätte er es als Ganzes verschlungen, so würde er seinen Tod verschlungen haben, und in seiner Verwesung wäre das Steinchen unversehrt geblieben!

[HGt.01_069,11] Sehet Kinder, diesem Steinchen gleicht der Mensch in seinem Gehorsame, - dem Nebel aber als purer, äußerer Verstandesmensch! Geschieht es aber nicht, daß, wenn Winde Nebel an Nebel drängen, daraus Wassertropfen werden und, wenn mehrere und viele solcher Tropfen zusammenfließen, am Ende einen See ausmachen?! So aber die große Schwere der Wassermasse in der Tiefe sich sehr drückt, so ergreifen sich unter solchem Drucke endlich seine Teilchen und bilden einen durchsichtigen Stein, der dann ist ein fester Strahlenstein, einerlei mit Thummim, der da ein Sinnbild ist und ein großes Wahrzeichen des wiederkehrenden Gehorsams durch die wahre Reue.

[HGt.01_069,12] Sehet, ihr seid durch euren Ungehorsam zum Nebel geworden! Es kamen aber nun allerlei Winde und drängten und ängsteten euch von allen Seiten. Ihr empfandet den Druck und weintet Tränen des Schmerzes. Sehet, da ist der Regen! Aber es ist nicht genug, daß ihr zu Wasser wurdet gleich den einzelnen Tropfen, sondern ihr mußtet zu einem See werden in eurer Reue. Ihr seid es nun geworden. Es drückt euch zwar jetzt mehr denn früher in der Tiefe eures Lebens; aber höret und sehet und begreifet wohl: Durch eben diesen jetzigen letzten Druck hat sich euer zweifaches Leben gleich den Wasserteilchen wieder ergriffen, und ein neuer Stein des Lebens und der wahren Weisheit hat sich in euch gestaltet. Darum seid froh und voll heiteren Mutes; denn nicht, um euch zu verderben, sind wir gekommen, sondern daß euch ein neues Leben werde in der wahren Liebe zu Gott, unser aller heiligstem Vater. Amen."

[HGt.01_069,13] (NB. Höret, das ist der sogenannte Stein der Weisen, den die Welt nimmer zu finden vermag, noch je mehr finden wird!)

 

70. Kapitel

[HGt.01_070,01] Als nun die Kinder solche liebweise Rede aus dem Munde Seths vernommen hatten, da hoben sie ihre Häupter empor, blickten gen Himmel und dankten Mir und priesen Mich aus vollem Halse darob, daß Ich den Seth erweckte und durch seinen Mund ihnen solchen wunderbar heilsamen Trost verkünden ließ.

[HGt.01_070,02] Adam aber, mit gerührt, sagte: ,Da ihr nun empfangen habt von mir ein Wort der Weisung und von Seth ein rechtes Wort des Trostes, so bereitet euch denn vor und öffnet weit eure Herzen, zu empfangen auch ein Wort des Lebens aus dem Munde Henochs! Ihr seid durch mich ein gedüngter Acker geworden, welchen Seth aufgelockert hat mit seiner Zunge; aber es liegt der lebendige Same noch nicht in der Furche eures aufgelockerten Herzens. Henoch ist von oben zum Sämann bestellt; daher empfanget von ihm den Samen des Lebens! Amen."

[HGt.01_070,03] Und alsobald richtete sich Henoch auf, richtete sein Herz zu Mir und flehte Mich in seiner Liebe, die unbeschreiblich groß war, um die Erbarmung und Gnade an, auf daß Ich ihn erfüllen möchte mit Worten des Lebens, damit durch sie belebt werden möchten, die da getrauert und geweint haben in Meinem Namen, dem sie durch ihr eitles Unternehmen ungetreu geworden sind.

[HGt.01_070,04] Und alsbald erweckte Ich vollends Henochs Herz; er aber erkannte alsobald ein helles Licht in seinem Herzen lodern und sah zum ersten Male eine helle Feuerschrift in seiner Seele und erkannte wohl aus selber, daß es war ein lebendiges Wort aus Mir. Er dankte Mir inniglich, öffnete endlich seinen Mund und begann folgende, äußerst denkwürdige Rede an alle zu richten, sagend:

[HGt.01_070,05] ,O Väter und ihr Kinder im Mittage! Höret alle, was der Herr, unser Gott und heiligster Vater, spricht!"

[HGt.01_070,06] Und siehe, als aber die Väter solchen doppelten Aufruf vernommen hatten, nahm es sie ein wenig wunder, wie denn auch sie nun zu diesen Mittagskindern sollten hinzugezogen werden.

[HGt.01_070,07] Henoch aber sprach: ,O Väter, solltet ihr denn vom Leben ausgeschlossen werden, wenn diese Mittagskinder das Leben empfangen?! Denn nun rede durchaus nicht ich, sondern Der, der Leben hat und Leben gibt aus jeglichem Worte, das Seiner unendlichen Liebe entstammt, redet aus meinem Munde!"

[HGt.01_070,08] Seth aber richtete sich alsobald auf und sagte eilends: ,O Henoch, das sei ferne von uns allen! Höre, wir wissen es gar wohl, woran es uns gar gewaltig gebricht; daher rede du nur zu und gib uns, auf daß auch wir zum Leben gelangen möchten! Amen."

[HGt.01_070,09] Und so fing Henoch nun an, die eigentliche Rede von sich zu geben, sagend: ,Wahr ist es, gedüngt ist der Acker und gefurcht sein Grund; aber der Same mangelt noch in den Furchen. Woher aber sollen wir den Samen nehmen, um ihn zu leblegen in die Furchen, auf daß er in selben zur lebendigen Frucht gedeihe?

[HGt.01_070,10] O Väter und Kinder des Mittags! Der Same ist die Liebe; die Liebe ist das Leben, und das Leben ist das Wort. Das Wort aber hat von Ewigkeit in Gott gewohnt. Gott Selbst war im Worte, wie das Wort in Ihm. Alle Dinge und wir selbst sind entstanden aus diesem Worte, und dieses Wort vermag niemand auszusprechen denn allein Gott. Es ist aber dieses Wort der eigentliche Name Gottes, und niemand vermag diesen Namen auszusprechen, und es ist dieser Name die unendliche Liebe des heiligsten Vaters, und wir sollen diese Liebe erkennen in uns und mit dieser Liebe dann lieben aus allen Kräften und Mächten Den, dessen Liebe wir und alles das überfröhliche Dasein verdanken.

[HGt.01_070,11] Das aber ist das ewige Leben, daß wir es als solches erkennen in der Liebe zu Gott, das heißt: daß wir die Liebe mit unserer Liebe in Gott, unserm heiligsten Vater, erkennen und das ewige Leben in ihr.

[HGt.01_070,12] Wenn wir aber betrachten unser leiblich Auge und gewahren, welche großen Fernen wir mit ihm erreichen können, so ist es ja klar und wahr, daß uns solches Licht nicht zum Stehen, sondern zum Gehen und Tätigsein verliehen wurde. Wer aber vermöchte wohl zu zweifeln, daß jemand nicht möchte ein erschautes Ziel erreichen, da er dazu noch versehen ist mit zwei Füßen, die ihn ans erschaute Ziel zu bringen vermögen?!

[HGt.01_070,13] Wenn uns aber die innere Gefühlssehe ebensogut wie die Augen und Füße verliehen ist und wir erschauen mittels dieser Sehe die Liebe in uns, so haben wir dann ja auch gleich den Füßen des Leibes den freien Willen, vermöge welchem wir dieses Ziel alles Lebens kräftig verfolgen und sogestaltet unser ganzes Wesen zur Liebe hinbringen können, um es dann von ihr ganz ergreifen zu lassen, auf daß dasselbe lebend werde durch und durch.

[HGt.01_070,14] Und haben wir solches vollführt, wie sollte da das ewige Leben nicht unser sein, wie es das Licht der Augen des Leibes ist?! Oder meinet ihr, es sei dieses Leben ein Blendwerk? Da frage ich: Sind wir und all die Dinge, die wir schauen, uns denn gegenseitig ein solches?!

[HGt.01_070,15] So wir aber die Rinde schon für kein Blendwerk halten mögen, wem könnte es hernach noch beifallen, das Holz und das innerste Mark des Lebens für ein Blendwerk zu halten?!

[HGt.01_070,16] Oder meinet ihr, der Herr habe bloß nur lebende Maschinen zum Gras- und Fleischfressen erschaffen, um Sich etwa daran zu ergötzen?! O wahrlich, Seine allerhöchste Weisheit möchte wohl eines höheren Vergnügens fähig sein, als daß sie genötigt wäre, sich grasfressende Maschinen zu erschaffen, um dann vergnügt beobachten zu können, wie diese das Gras und noch anderes in den stinkenden Unrat verkehren! O der Schande des Unglaubens!

[HGt.01_070,17] Oder meinet ihr in der großen Beschränktheit eurer Ideen, so ihr etwas machet und hervorbringet ein beschränktes Werk - so in der Zeit wie im Raume -, auch Gott, der Unendliche, sei gleich euch beschränkter Ideen fähig?! Oh, welch eine Unart gegen die Heiligkeit Gottes!

[HGt.01_070,18] O zeiget mir an das Geschöpf, das ihr gänzlich zu vernichten vermöchtet! Zeiget mir etwas, das da nicht in sich enthielte Unendliches! Teilet im Geiste das kleinste Stäubchen, und zeiget mir dann die letzten Teile, an denen keine weitere Teilung mehr möglich sein sollte, - oder zeiget mir ein Samenkorn, das da nicht einer unendlichen Vermehrung fähig wäre!

[HGt.01_070,19] Da uns aber schon diese nichtigen Dinge die Unendlichkeit der göttlichen Ideen zeigen, wie töricht und überaus blind wäre es, nur zu denken, daß Gott mit jenen Wesen, die Er mit dem lebendigen Gefühle des ewigen Lebens in der Liebe zu Sich gar wohl versehen hat, eine zeitlich beschränkte Idee sollte verbunden haben, - Er, der Unendliche, der über alles Erhabene, der Heilige, Ewige voll Liebe und alles Lebens!

[HGt.01_070,20] O Väter und ihr Kinder des Mittages, höret diese Worte; sie kommen aus der heiligen Höhe des liebevollsten Vaters!

[HGt.01_070,21] Wir haben kein Gebot außer das des ewigen Lebens, welches ist die Liebe und lautet: ,Du sollst Mich, deinen Gott und heiligen Vater, lieben aus und mit aller der Liebe, die Ich dir gab von Ewigkeit her zum ewigen Leben und als ewiges Leben! So du Mich liebst, so verbindest du dich wieder Mir, und deines Lebens wird nimmer ein Ende sein; unterlässest du aber solches, so trennst du dich vom Leben. Dein Leben wird zwar darob nicht aufhören; auch werde Ich darum ewig nicht aufhören, dein richtender Gott zu sein; und wirst du auch, von Meinem Leben getrennt, fallen den ewigen Räumen Meiner Zorntiefen entlang, wahrlich, nicht außer Mir wird dein ewiger Fall sein! Mich, deinen Gott, wirst du nie verlieren; aber deinen liebevollsten, besten, heiligen Vater und mit Ihm ein ewiges, freies, wonnevollstes Leben, siehe, das wirst du verlieren!`

[HGt.01_070,22] O Väter und ihr Kinder des Mittages! Dies einzige Gebot haben wir; dieses ist jedem Kinde schon tief ins Herz geschrieben. Dieses Gebot ist der lebendige Same, den ihr alle in eure Herzen säen müßt, wollt ihr leben als Kinder eines heiligen Vaters, der da Gott ist heilig, heilig, heilig von Ewigkeit zu Ewigkeit.

[HGt.01_070,23] Ihr Väter habt zwar viel gesprochen vom Gehorsam und habt dadurch die Herzen dieser Kinder gar wohl aufgelockert; ich sage aber, wer da liebt, kann den Gehorsam wohl zu Rate halten. Ist denn der Gehorsam nicht der geistige Weg zur Liebe, welche das Ziel alles Lebens ist?! Hat aber jemand auf diesem Wege das Ziel erreicht, saget, wohin sollte er hernach auf diesem Wege noch wandeln?!

[HGt.01_070,24] Daher, so jemand dem Ziele noch ferne ist, der tut wohl, daß er so lange geht, bis er es erreicht hat; hat er es aber erreicht, da ergreife er es mit allen seinen Kräften und halte es fest, das heißt: er liebe Gott über alles, so hat er alles empfangen. Er hat den Vater des Lebens für ewig gefunden, und seiner Freiheit wird fürder kein Ende sein.

[HGt.01_070,25] Und so nehmet denn hin diesen teuren Samen des Lebens, ihr Väter und ihr Kinder! Gott Selbst hat ihn mir für euch gegeben. O Liebe! Du bist dieser lebendige Same; so belebe denn die Herzen der Schwachen und Toten! Amen, amen, amen."

 

71. Kapitel

[HGt.01_071,01] Und höre, es hatte aber diese Rede beinahe alle stumm gemacht; denn sie verstanden nun gar wohl die Rede Henochs und dachten nur bei sich über all die Irrtümer nach, von denen sie bis jetzt sämtlich so hart befangen waren. Und auch ihren Kindern gingen die Augen weit auf; sie erkannten sich wieder und Mich mehr und mehr durch ihre aufwachende Liebe in sich. Und es begriffen nun erst auch vollends von Adam bis Jared die Hauptstammkinder die Grottenrede Henochs und verstanden vollends den Sinn der Grotte. Und Adam dachte viel über den Aufgang der Sonne nach und verstand selben. Seth aber richtete sich auf, blickte gen Himmel und dankte Mir für dieses große Geschenk; und seinem Beispiele folgten alle, die zugegen waren, und lobten und priesen Mich über die Maßen in ihren Herzen.

[HGt.01_071,02] Es trat aber eines der Mittagskinder, die da waren aus der Linie Seths und Enos', hin zum Henoch, verneigte sich tief vor ihm und sagte: ,Henoch, sieh, hier vor dir stehe ich im Namen aller; mein Name ist Sethlahem (das heißt: ,Ein mit Weisheit hochbegabter Sohn Seths`).

[HGt.01_071,03] Mein erstes ist, durch dich abzustatten den allergebührendsten Dank an den heiligen Geber solcher hohen Gnade. Denn da du dem Herrn am nächsten bist und hast Sein lebendiges Wort, so ist es auch wohl am füglichsten, daß du das Mangelhafte unseres schwachen Dankes gegen den Herrn für eine so große Wohltat ergänzest. Denn da ich die Weisheit erhielt vom Herrn, so tat ich, was mich diese lehrte, und konnte auch nicht mehr tun, da meine Weisheit hinreichend fand, was ich tat. Allein was du hier lehrtest in deiner Lebenssprache, ist mehr denn alle Weisheit aller Menschen; es ist die Wurzel alles Lebens und der ewige Grund aller Weisheit, - ja, es ist Gott, den du hier verkündest! Und siehe, da reicht meine Weisheit nicht aus, um Diesem den gerechten Dank abzustatten; daher tue du an meiner Stelle, was Rechtens ist! Das andere aber, deswegen mich nach dir verlangte, ist, daß du mir gestatten möchtest, zu dir in die Schule zu kommen, damit du mich lehren möchtest den Weg, den du gegangen bist, daß dir geworden ist in einer solchen Tiefe das Leben aus Gott.

[HGt.01_071,04] O Henoch, verarge mir nicht diese Doppelbitte; denn meine Weisheit sagt es mir, daß du ein rechter Seher Gottes bist. Denn des Allerhöchsten Liebe hat voll gemacht dein Herz, und angerührt ward deine Zunge durch das Feuer, das da übermächtig dem Finger Gottes entströmt. Oh, so zeige dem Sethlahem, wie und wann dir solches geworden! Amen."

[HGt.01_071,05] Henoch aber erhob sich alsobald und sagte: ,Höre, Sethlahem, wozu des Rühmens?! Hast du denn die Weisheit darum erhalten, daß du mit ihr ausgingest zu rühmen, was des Rühmens nicht wert ist, und weißt nicht zu rühmen Den, dem doch nur allein aller Ruhm gebührt?! Oder meinst du, das Leben lasse sich auch erlernen wie solche Weisheit, die du erlernt hast mit kaltem Herzen, auf daß du ein Meister in der Weisheit würdest?!

[HGt.01_071,06] O Sethlahem, Sethlahem, siehe zu, daß du nicht erstickst in deiner eitlen Wißbegierde!

[HGt.01_071,07] Siehe hier einen Feigenbaum und da einen Baum voll schon halbreifer Pflaumen! Was meinst du, so der Pflaumenbaum in die Schule ginge zum Feigenbaume, um von ihm die Kunst zu erlernen, statt der Pflaumen auch Feigen zu tragen auf seinen Ästen gleich dem Feigenbaume, - wird solches wohl füglich je geschehen?

[HGt.01_071,08] Gewiß, so deine Weisheit zu irgend etwas nütze ist, muß sie dich augenblicklich überzeugend gemahnen, daß solches in alle Ewigkeit nicht angehen wird!

[HGt.01_071,09] Aber so jemand nimmt Reiser mit Samen vom Feigenbaume, beschneidet dann allseits den Pflaumenbaum, spaltet die Zweigrümpflein und steckt dann die Samenreiser hinein und verbindet sie sorgfältig mit Erde und Harz, so wird alsobald der Saft des Pflaumenbaumes in den Feigenreisern umgestaltet werden zum Leben des Feigenbaumes; und so werden dann nach nicht gar langer Zeit auf dem so umgewandelten Pflaumenbaume edle Feigen zum Vorscheine kommen.

[HGt.01_071,10] Solches zu tun lehrte dich schon lange deine Weisheit; wie ist's denn aber, daß sie dich nicht auch gelehrt hat, den Herrn aus allen Kräften zu lieben, auf daß du statt Pflaumen auch Feigen des Lebens zur Frucht gebracht hättest?!

[HGt.01_071,11] Ich sage dir aber, Sethlahem, siehe, Adam hat dich beschnitten wie alle deine Kinder und Brüder, Seth hat euch gespalten, und der Herr hat durch mich nun die Reiser des ewigen Lebens in euch gesteckt; nun suchet durch eure gegenseitige Liebtätigkeit frische Erde und Harz, und verbindet das Leben wohl in euch durch den Glauben, so werdet ihr auch alsobald finden, was du nun fruchtlos bei mir zu erlernen suchtest!

[HGt.01_071,12] Und nun gehe und handle, so wirst du leben! Amen."

[HGt.01_071,13] Als aber der Sethlahem solche Rede vernommen hatte, da schlug er sich auf die Brust und sagte: ,O Henoch, ich erkenne die hohe Wahrheit deiner Rede, allein es ist dir leicht, solche zu reden, da du sie schon hast; denn der Herr hat sie dir gegeben frei aus Sich heraus, ohne daß du darob desgleichen tun mochtest, was zu tun du mich angewiesen hast! O siehe, im Trockenen läßt sich gut ruhen und ohne Pfand leicht nehmen; allein also ist es nicht bei mir! Gar lange schon arbeite ich und ringe unaufhörlich nach dem, was dir ohne Mühe geworden ist; allein es ist umsonst! Für mich ist der Himmel mit Steinen verlegt, und es wäre leichter, in die Erde ein Loch zu graben, das da reichen möchte bis dahin, wo sie nicht mehr ist, als zu erlangen einfließend nur einen einzigen Tautropfen des Lebens der Liebe von oben.

[HGt.01_071,14] Daß es aber also ist, - so sieh nur hin auf die hohen Väter, auf daß sie dir zeugen für mich! Sind sie vermöge ihres Standes nicht alle höher denn du und somit dem Herrn auch natürlich näher denn du? Warum aber bleibt ihnen der Herr ferne und wandelt mit dir, Hand in Hand verschlungen?

[HGt.01_071,15] O Henoch, wäre all dieses in dir nicht als eine freie, keineswegs verdiente Sache von oben, vom heiligen Vater gegeben, wahrlich, du würdest bis auf diesen Augenblick reden gleich mir, klagend über den gewaltigen Seelendurst und -hunger!

[HGt.01_071,16] Oder meinst du, daß ich nicht wüßte, es vermöchte kein Baum von dem andern etwas zu erlernen? Siehe, dafür könnte ich deiner Rede Rat halten; so wir aber Kinder lehren müssen, was ihnen not tut - als: Gehen, Sprechen, Arbeiten -, um ihnen dadurch die Spur des allerhöchsten Gottes begreiflich zeigen zu können, - sage mir, sind wir denn mehr gegen Gott, als da sind unsere Kinder gegen uns?! Ich glaube, wir sind unendlichmal weniger gegen Ihn! Wie sollte und könnte uns denn der Weg anders als auf dem Wege des Unterrichts, wie es bei allen Kindern der Fall ist, gezeigt werden?!

[HGt.01_071,17] O Henoch, du glaubtest, mit mir leicht fertig zu werden, indem du mich zur Bruder- und Gottesliebe verwiesen hast; allein, es soll dir nicht so leicht werden, wie du meintest, meiner los zu werden! Zuvor will ich alles dieses erst an dir wohl gewahren, bis ich es annehme!

[HGt.01_071,18] Aber in deiner kurzen Abspeisung scheint eben nicht der höchste Grad der Nächstenliebe vergraben zu sein; wenn aber die Nächstenliebe ein Seitenstrahl der Liebe zu Gott ist, wahrlich, da weiß ich nicht, was ich von deiner Gottesliebe halten soll!

[HGt.01_071,19] Siehe zu, daß du dir nicht etwa bald selbst allein der Allernächste wirst!

[HGt.01_071,20] Ist es recht, daß durch jemands Rede ein anderer geärgert werde?! Siehe, wie sehr mich auch deine erste Rede erbaute, so sehr aber hat mich auch dein jetziges Wort geärgert! Denn ich weiß wohl, daß du ein Seher Gottes bist und das lebendige Wort hast - wüßte ich es nicht, nie käme ich zu dir und möchte lobpreisen ein solches Heiligtum in dir! -; daß du mich aber darob tadeltest, da frage ich: Wer hieß dich denn, solches auf deinen Kopf zu nehmen und mich darob zu tadeln?

[HGt.01_071,21] O siehe, es ist nicht fein, den hungrigen, durstigen und weinenden Bruder in Gott so kurz von sich zu weisen!

[HGt.01_071,22] Geduld ist das erste, und die Demut ist die Seele der Liebe! Henoch, ich weiß, daß du beider Meister bist; warum aber zeigst du mir die Stirne und scheinst das Herz vor mir verschlossen zu haben? Habe ich dir doch nie etwas zuleide getan! Kehre dich daher um, und sei mir ein Bruder in Gott statt ein kalter, trockener Wegweiser! Amen."

[HGt.01_071,23] Nachdem aber der Henoch solches von Sethlahem mit der größten, lächelnden Gelassenheit vernommen hatte, richtete er sich wieder auf und begegnete ihm mit folgenden Worten, sagend:

[HGt.01_071,24] ,Sethlahem, siehe, wenn es also wäre, wie du laut deiner Rede des Dafürhaltens bist, wahrlich, du hättest mich lange schon zu deinen Füßen weinend erblickt; allein, dem ist es nicht also!

[HGt.01_071,25] Damit du aber meiner nicht verstandenen Rede wegen nicht ungerecht dich ärgernd deine Hütte betreten möchtest, so besänftige dein Herz, und höre, was ich dir sagen werde: Sethlahem, sieh hin in die blaue Ferne, und sage mir an das Gras, die Pflanzen, Bäume und Gesträuche, welcher Art und Gattung sie sind, ob also wie hier, oder ob anders, -

[HGt.01_071,26] was für Gestein, was für Erde, und was für Quellen, ob also wie hier, oder ob anders! Von welchen lebenden Wesen ist es bewohnt? Gibt es vielleicht auch Menschen dort? Und was ist es, das sie jetzt verrichten?

[HGt.01_071,27] Höre, Sethlahem, dein Schweigen sagt es dir, daß du solches nicht weißt! Nun frage ich dich aber: Auf welchem Wege könntest du dir solche Kenntnis wohl am füglichsten verschaffen?

[HGt.01_071,28] Ich setze den Fall, ich selbst wäre schon dort gewesen und hätte daselbst alles beobachtet. Es möchte sich aber fügen, daß mich die Väter in deiner Gegenwart darüber fragten und ich ihnen enthüllte die blaue Ferne. So du aber solches vernähmst und nicht wüßtest, wie, woher und wodurch, sprächst du dann zu mir: ,Höre, was du nun geredet hast, gefällt mir ganz besonders! Auch ich möchte also sprechen über die Ferne wie du; siehe, ich will darob zu dir in die Lehre gehen, auf daß ich es von dir erlerne, solches zu reden!` So ich dir dann erwidern würde: ,Höre, solches läßt sich mit innerer Überzeugung nicht erlernen für den, der nach innerer Überzeugung trachtet, - und welch ein mühsamer Weg zur reinsten Erkenntnis wäre dieses und wie unfruchtbar!

[HGt.01_071,29] Aber siehe, da über diese Berge geht der nächste Weg dahin! Bemühe dich dahin, und sei versichert, in drei Tagen bist du wieder hier und wirst gleich mir darüber Reden voll Wahrheit führen können, wie solche zu führen mit innerer Lebenskraft du sonst in Jahren nicht erlernen möchtest!`

[HGt.01_071,30] Nun kämest du aber wieder zu mir und möchtest mich ob solches kurzen, aber wahrheitsvollen Rates des Mangels der Liebe beschuldigen! Sage dir selbst, wie verhält sich eine solche Beschuldigung als lieblos zu einem Rate, nach welchem du sicher in drei Tagen das erreichen kannst, was dir sonst wohl kaum Tausende von Jahren geben möchten?!

[HGt.01_071,31] Siehe, da hast du mit deiner Weisheit einen scharfen Hieb in den Wind gemacht!

[HGt.01_071,32] Der Weg ist dir gezeigt. Hast du den Mut nicht, ihn allein zu wandeln, so komme und prüfe mich, ob als Bruder ich dich mit aller Liebe geleiten werde oder nicht; ich glaube aber, darin möchtest du schwerlich je einen Klagegrund finden!

[HGt.01_071,33] Aber so ich dir tun möchte nach deinem törichten Verlangen, siehe, da müßte ich dir wohl eher Feind werden, auf daß ich vermöchte, in meiner Verworfenheit dich, meinen lieben, armen Bruder in Gott und Adam, zu betrügen!

[HGt.01_071,34] Siehe, das Wissen wird dir ewig nichts nützen zum Leben; aber so du handeln wirst nach der Wahrheit, so wirst du das Zeugnis der Wahrheit finden, und es wird sein das Zeugnis der Liebe - und die Liebe das ewige Leben in Gott! Amen, amen, amen."

 

72. Kapitel

[HGt.01_072,01] Und als der Sethlahem solche Rede vernommen hatte, fiel er vor dem Henoch nieder und sprach: ,O Henoch, deine große Weisheit hat mich zunichte gemacht, daß es mir nun vorkommt, als wäre ich nimmer vorhanden; aber ich merke, daß ich dich in meiner Vernichtung nun mehr verstehe als zuvor in meiner Weisheit! Und so nimm hin meinen Dank für solche deine große Geduld, die du mit mir hattest und wurdest nicht ärgerlich über meine große Torheit, die mich frech genug werden ließ, daß ich mich darob unterfing, dir unter dein liebeerhelltes Antlitz zu treten und mit dir zu rechten, der du ein lebendiges Werkzeug in der Hand des allmächtigen, heiligen Vaters bist!

[HGt.01_072,02] Siehe, meine Augen hast du zwar blind gemacht, und ich sehe noch nicht, was des Rechtens ist; aber ich nehme nun ein anderes Licht in mir wahr, das mir zeigt eine neue Bahn, zwar matt erleuchtet noch, aber eine Bahn, die mich in einem Augenblicke weiterbringen wird, als mich das fruchtlose Licht meiner Augen in vielen, ja schon in sehr vielen Jahren gebracht hat.

[HGt.01_072,03] O Henoch, sollte auf dieser neuen Bahn mein Fuß auf irgendeine sehr lockere Stelle treffen, dann lasse mich zu dir kommen, auf daß du mir zeigen möchtest, ob ich rechten Weges wandle.

[HGt.01_072,04] O Henoch, rufe mir zu, wenn du mich in meiner Blindheit wirst einen Irrtritt machen sehen! Amen."

[HGt.01_072,05] Und Henoch erwiderte ihm, sagend: ,O Sethlahem! Siehe, du hast einen redlichen Willen und bist voll guten Eifers, daß dir darob ein Lob gebührt; aber eines noch ist zu tadeln an dir, und das ist, daß du das, was nur allein Gott, unser aller heiligster Vater, Seinen Kindern geben kann, bei mir, einem ebenfalls nur schwachen Menschen, suchst und so auch das Werkzeug statt des Meisters lobst!

[HGt.01_072,06] Meinst du denn, ich sei erbittlicher denn die unendliche Liebe und Erbarmung des ewigen, heiligen Vaters?! O Sethlahem, lasse dich nimmer betören von der geheimen Torheit deines Herzens, und wende dich nie eher zu den Menschen, als bevor du dich im innersten Grunde gewendet hast voll Liebe und Reue zu Gott! Und solltest du unerhört bleiben längere Zeit, sodann denke erst, daß alle allerbesten Menschen gegen Gott eitel böse und lieblos sind, und daß Gott dir doch lange eher alles geben wird, bevor dich das mitleidigste Menschenauge auch nur eines Blickes würdigen wird.

[HGt.01_072,07] Was aber uns betrifft, so sind wir ja ohnehin auf Geheiß Gottes, unseres allerheiligsten, besten Vaters zu euch gekommen und werden zufolge Seiner Liebe in uns unsere Augen nimmer von euch wenden. Daher erhebe dein Herz nach oben und liebe den heiligen Vater aus allen deinen Kräften, so wirst du leben; denn solche Liebe wird dich in einem Augenblicke mehr lehren als alle besten und weisesten Menschen in vielen hundert Jahren. Siehe, nun hast du alles, was dir vorderhand not tut; handle und wandle in der Liebe zu Gott! Amen."

[HGt.01_072,08] Nach solcher Rede aber verneigte sich Sethlahem vor den Vätern und trat dankbar zurück und fing an, viel Freude in sich zu empfinden, und pries Mich darob im Herzen.

[HGt.01_072,09] Nach dem aber wendete sich Henoch zum Adam, sagend: ,Lieber Vater, sei nicht ungehalten, daß ich dich länger hier aufhielt, als du für mich vorgesehen hast; allein, siehe, der Herr richtet Seine Liebesgaben nicht nach unserm Zeitmaße, sondern, wann Er's geben will, gibt Er es, und allzeit sei Ihm, dem großen, heiligsten Geber, unser vollster Dank, Preis, Lob und Ehre! Amen."

[HGt.01_072,10] Adam aber erwiderte: ,O lieber Henoch, des sei ohne Kummer; wir wissen ja alle, daß das, was der Herr tut, allzeit wohlgetan ist! Amen."

[HGt.01_072,11] Und der Seth stimmte gleich laut ein und setzte endlich noch hinzu: ,Und allzeit zu der allerrechtesten Zeit! Amen."

[HGt.01_072,12] Adam aber erhob sich abermals und sagte, sich zum Henoch wendend: ,Henoch, nun lassen wir alsbald den Asmahael beginnen, auf daß auch er fürs erste seine Zahl erfülle und fürs zweite uns daraus kundgebe seine Ansicht über dieser Gegend schöne Form und endlich, wie er alles dieses aufgefaßt hat. Nach dem aber wollen wir uns alsbald zur Weiterreise anschicken und noch eine kurze Einladung an die Kinder des Abends und die der Mitternacht ergehen lassen und uns endlich nach Hause verfügen. Amen."

[HGt.01_072,13] Und Henoch hieß den Asmahael, zu beginnen seine Sache.

[HGt.01_072,14] Und siehe, alsobald trat das Tier mit seinem Reiter vor. Es sprachen aber die Kinder des Mittags verschiedenes etwas laut untereinander; das Tier aber brüllte sogleich dreimal so heftig hintereinander, daß darob alle ein gewaltiges Bangen ergriff und ihre Stimmen in das tiefste Schweigen versanken.

[HGt.01_072,15] Nachdem aber solche Ordnung hergestellt war, verstummte alsbald das Tier, und Asmahael begann, folgende überaus merkwürdige Rede gar fein klingend von sich zu geben, sagend nämlich:

[HGt.01_072,16] ,O würdigste Väter der Väter der Erde! Was soll und was könnt' ich, der finsteren Tiefe des Todes vor kürzlicher Frist kaum entronnen, nun reden auf diesen so heiligen Höhen, da alles - voll Wunder, voll Gnade, voll Lebens - das kräftigste Wort auf der bebenden Zunge erstarren mir machet?!

[HGt.01_072,17] Die herrliche Form dieser Gegend, o wahrlich, wer heilige Worte des Lebens aus sich nicht zu reden vermag, o wie sollte der Formen wie diese so wunderbar herrlich und schön, mit der stotternden Zunge zerlegend, darstellen?!

[HGt.01_072,18] O Väter der Väter der Erde, ich habe noch kaum mich getrauet, mein Auge erst vollends zu öffnen, daß mir zu schauen die Fähigkeit würde zuteile die Wunder der heiligen Höhen; nun sollte dieselben darstellen ich Armer, ich Blinder, ich Toter vor euch, die voll Gnade, voll Lebens, voll Macht und voll Stärke die Dinge von seltsamsten Formen schon lange durchschauet vom innersten Grunde wohl haben?!

[HGt.01_072,19] Was sind diese grasreichen Flächen, umrungen von himmelanragenden felsigen Wänden und Spitzen, wenn ihre gar große Bedeutung verborgen dem Scheine von Leben muß bleiben?! Stünd' nicht ein verwerfliches Steinchen unendlichmal höher im heiligen Range für mich und für jeden, der solches vom Grunde verstünde, denn alle Gebirge und Höhen der Erde und diese mit ihnen?!

[HGt.01_072,20] Wie leicht ist zu sagen: ,Man darf's ja nur sehen, daß dorten im Morgen ein dampfender, himmelanragender König der Berge, als müßt' er die Erde beherrschen, gar kühn sich erhebet!` O wahrlich, das Auge der Tiere mag solches auch sehen! Doch wenn ich mich frage: ,Verstehst du, Asmahael, solches gar mächtig Gebilde?`, da spricht's in der Nacht meines Herzens: ,Wie sollte der Tote den Toten begreifen?! Dein Leben ist Schein nur und Trug deiner Sinne! Die beugsame Zunge ist alles, daß du unterscheiden dich magst von den Tieren!`

[HGt.01_072,21] O Väter, wenn solches ich habe empfunden, da denket, wie gar unerforschlich d. Formen der heiligen Höhen mir sind!

[HGt.01_072,22] Seh' ich dort zwischen Morgen und Mittnacht auch einen noch herrlicher strahlenden Berg denn die Sonne am Himmel gar selbsten, da sie uns einfarbig die Strahlen nur spendet und dieser das Licht aller Sterne und Blumen in mächtigen Strömen, die Sonne beschämend, ausbeutet, - doch wenn ich mich frage: ,Wie das und woher und warum?`, o dann ruft mir das Gras wie auch alle die Steine mit wohl zu verstehenden Zeichen ins Ohr: ,O du Tor, warum sinnest du mühsam den Wundern des Lichtes wohl nach?! Ist das Licht denn zu schauen, geflossen aus Gott?!

[HGt.01_072,23] O du Tor, siehe, zum Leuchten nur schuf einst die Allmacht des Schöpfers die Sonne und nimmer, zu schauen dieselbe; und hast du empfangen die Fähigkeit, reiflich zu denken, so denke nicht über das Denken, was gleichet der Torheit, die Sonne zu schauen.

[HGt.01_072,24] Gedanken sind Lichter der Seele, erleuchtend das lose Gewirre des leiblichen Lebens, doch nimmer, als daß du sie einzig allein dazu nehmen und nützen nur sollest! Wie möcht'st du die außen erstehenden Wunder begreifen, solang' du dich selbst als das nächste der Wunder mußt fliehen?!`

[HGt.01_072,25] O sehet, ihr würdigsten Väter der Väter der Erde, o wenn man denn solches notwendig erfährt von der stummen Natur, o dann ruhet sich hart auf den Höhen des Lichtes!

[HGt.01_072,26] Ich ward nicht beschieden hierher, um zu leuchten, nein, nur um erleuchtet zu werden ward ich von dem glänzenden Ahbel zu euch hergeführet! Darum laßt nur hören mich euere Reden voll Licht und voll Leben; zu reden ist lang noch die Zeit nicht für mich! O wer könnte auch Worte noch finden, die heiliger klängen als jene voll Kraft und voll Leben von oben, der Zunge des Henoch enttriefend, da eines gewichtiger ist als der Erde schwer lastendes Wesen von Grunde zu Grunde! Denn wo das gesprochene Wort nicht nur einzig allein als wohltönender Schall zu vernehmen sich bietet gar üppiglich, sondern reichlich das Leben den tödlich verborgenen Tiefen im Menschen erfolglich und segnend entwindet, - o höret mich Armen: solch Wort ist wohl schwerer und größer denn alles, was möglich das Auge zu schauen vermag und zu wägen der leibliche Sinn!

[HGt.01_072,27] Und so lasset, ihr würdigsten Väter der Väter der Erde, mich Armen, mich Toten nun schweigen; denn es ist nicht füglich, als Toter zu reden zu denen, der'n Brüste ein Leben aus Gott in dem hellesten Licht in sich bergen, von da jedes Wort mit gesegneter Zunge das Leben ausstreuet also wie die Sonne ihr zitterndes Licht.

[HGt.01_072,28] Sonach lasset, o Väter der Väter der Erde, mich enden mein nichtig nur schallendes Wort; denn die Zeit ist für Bess'res gemacht denn für leeres Geplapper!

[HGt.01_072,29] Ist schön auch die Gegend als Rückstrahl des Lebens, - doch schöner ist, selbst nach dem Leben zu trachten! O wahrlich, wie ich es empfinde, ist schöner ein Tropfen des Lebens, im engesten Raume verschlossen, für den, der es treu hat gefunden, als wenn er mit schärfesten Blicken hinaus in die endlosen Räume voll Sonnen und Todes möcht' starren!

[HGt.01_072,30] O Henoch, mein weisester Lehrer durch Gnade und Liebe von oben, entschuld'ge mein leeres Geplauder und halte dem Toten die Blindheit zugute! Der Tote und Blinde bin ich, höre! Amen."

 

73. Kapitel

[HGt.01_073,01] Und als nun der Asmahael sein Wort vollendet hatte, siehe, da erhob sich Adam und belobte sehr den Asmahael, daß er so viel Demut an den Tag gelegt hatte, welcher mehr Weisheit zugrunde liegt als im Sethlahem und allen seinen Kindern; darauf aber wandte er sich wieder zu Enos und Kenan und bedeutete ihnen, die Kinder des Mittags für den bevorstehenden Sabbat zu laden, ,auf daß sie erscheinen mögen noch vor dem Aufgange der Sonne zum Morgenbrande des Opfers, das wir Jehova darbringen müssen, wollen und werden!"

[HGt.01_073,02] Und alsobald taten die zwei ihre Geschäfte. Nach dem aber brachten die Kinder Erfrischung und Stärkung den Hauptstammvätern; und diese nahmen, aßen und tranken und gaben auch dem Asmahael zu essen und zu trinken.

[HGt.01_073,03] Als aber das Tier die Hauptstammväter essen und trinken sah, ward es unruhig und fing an, mächtig den Rachen zu öffnen und mit dem Schweife um sich zu schlagen.

[HGt.01_073,04] Adam aber sagte zum Henoch: ,Lieber Henoch, sieh an das Tier; was soll das zu bedeuten haben? Beruhige es, sonst wird es nicht gut sein, mit ihm weiter zu reisen! Amen!"

[HGt.01_073,05] Henoch aber erhob sich alsogleich und sprach: ,Meinet ihr denn, daß solche Tiere von der Luft leben oder Gras fressen?! O nein, das alles ist ihrer Ordnung zuwider! Es will aber eine Nahrung; daher bringet drei unreine Tiere lebendig, auf daß es sich sättige!"

[HGt.01_073,06] Es wurden aber alsobald drei Böcke herbeigeschafft. Henoch aber sagte zum Asmahael: ,Siehe, ein Futter für dein Lasttier! Steige herab, und bringe es demselben zur Nahrung und zum Zeichen, daß du dem Wächter zum Verschlingen darbringest deine Unlauterkeit aus der Tiefe!"

[HGt.01_073,07] Und der Asmahael tat alsobald, wie ihm der Henoch geraten hatte im Angesichte der Väter.

[HGt.01_073,08] Als aber der Asmahael die drei Böcke dem Tiere vorführte, rührte dieses keinen derselben an, sondern schlug sie mit dem Schweife von sich und fing an, gewaltig zu brüllen.

[HGt.01_073,09] Es wurde aber allen bis auf Henoch bange, welcher noch nichts genossen hatte von d. dargereichten Erfrischungen, sondern sich dafür im Herzen mit Meiner Liebe labte und gar wohl stärkte.

[HGt.01_073,10] Adam aber redete noch einmal den Henoch an und sagte: ,O Henoch, sieh, daß du uns nicht täuschest; denn das Tier schlägt die von dir bedungene Nahrung von sich! Rate, wenn du magst, was da zu tun; denn mir wird's bange um den Asmahael! Wie schauerlich bäumt es sich, und wie donnernd brüllt es und stellt sich also grimmig an, als wollte es uns alle verschlingen! Daher schaffe Rat und Hilfe, so du magst und kannst!"

[HGt.01_073,11] Henoch aber trat alsbald hin zum Tiere und redete es folgendermaßen an, sagend: ,Beruhige dich, denn ich verstehe gar wohl deine Gebärde; doch damit es auch die verstehen mögen, so sei deine breite und lange Zunge gelöst! Und so gib denn kund dein Anliegen, und was dich zu solchen abschreckenden Gebärden nötigt!"

[HGt.01_073,12] Und alsbald trat das Tier dreist in die Mitte der Väter und ließ aus seinem weitgeöffneten Rachen folgende Worte deutlich vernehmen, welche also lauteten:

[HGt.01_073,13] ,Höret, ihr stumpfhörigen und blindsichtigen Menschen! Wahr ist, es hungert mich in jedem Haare schon, da ich mir drei Tage lang keine Nahrung habe erjagen können, und so werde ich auch das mir gebrachte unsaubere Futter in meiner Not wohl verzehren; aber es war mir solches bevor nicht möglich, bis es mir möglich gemacht wurde, euch allen, bis auf einen, anzuzeigen, wie es für euch im höchsten Grade unbillig und ungerecht ist, Gottes Gaben eher in den Mund zu stecken, als bis ihr dafür den heiligen Geber gebeten habt um den Segen und Ihm hernach gedankt habt in aller Demut und Liebe für solches große Doppelgeschenk.

[HGt.01_073,14] Wisset ihr Toren voll Blindheit denn nicht, daß auf der Erde kein reines Gras mehr wächst, das da tauge zur Nahrung der Unsterblichen, damit sie nicht verderben möchten?!

[HGt.01_073,15] Sollte es daher nicht euer sehnlichster Wunsch sein, daß der große, heilige Geber es allzeit reinige für euch und segne jegliche Kost zu eurer Lebenswohlfahrt?!

[HGt.01_073,16] O schämet euch, ihr nahen Zeugen der Allgegenwart des Allerhöchsten! Ihr seid berufen, von Ihm zu zeugen, und könnet Seiner vergessen, wo ihr euch Seiner am allermeisten erinnern solltet!

[HGt.01_073,17] O wie undankbar ist eure Freiheit voll Leben und wie bloß in Worten eure Liebe zu Ihm, daß sogar ich als eine reißende Bestie mit dem gerechtesten Unwillen erfüllt werde, so ich ansehen muß solchen Frevel bei den Kindern Gottes! Ihr möchtet fluchen der Tiefe; aber es steckt in eurer eigenen Tiefe so viel Undank, daß sogar ihr das größte Unheil in die Tiefe bringen werdet körperlich, so ihr euch des Dankes und der wahren Liebe in euren Herzen nicht mehr kümmern werdet!

[HGt.01_073,18] Die Unlauterkeit Asmahaels sollte ich verschlingen; ich aber sage und rate euch: Leget vielmehr die eures undankbaren Herzens auf die Böcke, damit ich nicht nur ein Träger Asmahaels, sondern viel mehr eures großen Undankes werde!

[HGt.01_073,19] Nun, Asmahael, bringe mir die Böcke, und tue, wie dir geraten die Väter, und belaste sie mit dem Fluche, damit die reuigen Väter gereinigt die Stelle verlassen mögen und du und ich mit ihnen; es sei!"

 

74. Kapitel

[HGt.01_074,01] Als aber die Väter solches Wortwunder aus dem Rachen des Tieres vernommen hatten, siehe, da entsetzten sie sich gewaltig und schlugen sich auf die Brust, bereuten ihren Fehler und gelobten Mir im Herzen, den ganzen Tag über nichts zu sich zu nehmen, weder Speise noch Trank. Bei einer halben Stunde baten sie Mich im Herzen um Vergebung, und außer dem Henoch getraute sich keiner, die Augen von der Erde zu erheben.

[HGt.01_074,02] Und eben diese Zeit benützte das Tier etwas seitwärts zu seiner Mahlzeit. Als das Tier nun fertig war mit den drei Böcken, kam es alsbald zurück, sprang zu einer nahen, frischen Quelle und kühlte sich alldort die Zähne und die Zunge, damit seine Wut gekühlt wurde und gemildert seine Blutgierde.

[HGt.01_074,03] Nach dem aber begab es sich wieder zum Asmahael hin und bot demselben gleichsam fürs fernere seine Dienste an.

[HGt.01_074,04] Henoch aber, die Väter anblickend, fragte leise den Adam, ob er noch etwas begehre, oder ob man sich zur Abreise anschicken solle.

[HGt.01_074,05] Adam aber entgegnete mit noch zitternder Greisenstimme: ,O Henoch, siehe, die Angst hat mir die Glieder gelähmt, daß ich mich nicht zu erheben vermag, und, wie du siehst, auch der Mutter Eva, - und wir müssen und sollen fort gen Abend! Wie aber werden wir es denn anstellen, daß wir weitergelangen mögen?

[HGt.01_074,06] Und siehe, lieber Henoch, auch den übrigen geht es nicht viel besser denn mir! Daher schaffe uns Rat aus deiner Liebe zu Gott, was da zu tun sein wird; denn wahrlich, ich empfinde tief den Frevel unserer Lauheit, aber auch ebenso tief die Schwäche meiner Glieder!

[HGt.01_074,07] O Wahrheit, o Wahrheit, wie furchtbar mächtig bist du! Dieses Tier ist ein treues Bild deiner Schonungslosigkeit. Du schonst keines Menschen, und mag er der erste oder der letzte Bewohner der Erde sein! Dir ist jedes Alter gleich. Du schlägst die Väter samt ihren Kindern und schonst ihrer schwachen Mütter nicht. Unsere Häupter drückst du zur Erde nieder, und die Gliedmaßen lähmst du zur Untätigkeit. Wo ist außer Gott noch ein Wesen, das da ertragen könnte die ganze Bürde deiner Schwere?!

[HGt.01_074,08] O sanfte, zarte, heilige Liebe! Wenn du mit der Wahrheit nicht Arm in Arm wandelst als heiligster Lebenssegen Jehovas, o dann ist die Erkenntnis der für sich allein stehenden Wahrheit wahrlich ein Tod den Menschen!

[HGt.01_074,09] O Kinder, suchet fürder ja keine Wahrheit für sich mehr, sondern einzig und allein nur die Liebe! Und soviel Wahrheit diese mit sich führen wird, soviel wird auch gerecht sein dem Menschen und frommend zum Leben.

[HGt.01_074,10] Wem aber der Herr mehr geben wird der Wahrheit denn der Liebe, den wird sie am Ende erdrücken, oder der Herr Selbst wird müssen sein Lastträger in der großen Wahrschwere werden.

[HGt.01_074,11] Daher lehret auch ihr alle eure Kinder in Zukunft in der Liebe die Wahrheit, und die Brüder aber in der Wahrheit die Liebe!

[HGt.01_074,12] Und nun, Henoch, tue, was du vermagst, und denke, höre und sieh, was die Wahrheit für sich allein getan hat an uns allen! O Henoch, vereine deine Bitte mit der meinen, damit uns der Abend nicht hier antreffe! Amen."

[HGt.01_074,13] Henoch aber kehrte sich in seinem Herzen zu Mir und ließ folgende stille Seufzer in seiner Brust auftauchen, welche also lauteten: ,O Du großer, heiliger, liebevollster Vater aller Menschen und über alles mächtigster Schöpfer, Gott der Unendliche und Ewige und Allerheiligste! Sieh gnädig auf uns arme, schwache Würmer im Staube von Deiner unermeßlichen Gnadenhöhe herab, und schaue aus der unendlichen Fülle Deiner Liebe auf unsere grenzenlose Schwäche, die wir, geschlagen von der großen Macht Deiner Wahrheit, hier im Angesichte Deiner Vatermilde schmachten!

[HGt.01_074,14] O lasse uns erheben von dem harten Boden der Erde mit neugestärkten Gliedern und voll fröhlichen Mutes, und führe uns nach Deinem heiligen Willen, wohin es Deine Gnade und Dein Wohlgefallen gut Rat hält, und lasse nicht zu, daß den Vätern irgendein Wehe begegne, sondern gib, daß wir alle beständig in Deiner Liebe und Gnade wandeln mögen!

[HGt.01_074,15] O heiligster Vater, erhöre mein stilles Flehen und Seufzen! Amen."

[HGt.01_074,16] Nachdem er aber solches gesprochen hatte im Herzen voll Liebe und lebendigen Vertrauens, siehe, da vernahm er alsbald in sich ein mächtig süßes, heiliges Wort, welches zu ihm sagte:

[HGt.01_074,17] ,Höre, Henoch! Ich habe dein Seufzen wohl vernommen und habe erhört deine Bitte! Tritt hin zu deinen Vätern, tröste sie voll Segens aus Meiner großen Erbarmung und versichere sie Meiner Verheißung, greife ihnen dann unter die Arme, und sie werden alle, von einer großen Kraft gestärkt, sich Jünglingen gleich erheben und werden voll Munterkeit vollenden die noch bevorstehende Bahn nach Meinem Willen!

[HGt.01_074,18] Das Tier aber lasse nicht betreten die Wohnung Adams, noch den Grund und den Boden, sondern nach vollbrachter Reise lasse es wieder in Frieden ziehen an den Ort seiner Bestimmung.

[HGt.01_074,19] Und nun gehe und übe, was dir geboten wurde, und erziehe den Fremdling Asmahael zu Meiner Ehre, amen; höre in aller Liebe, amen."

 

75. Kapitel

[HGt.01_075,01] Und alsbald dankte Mir Henoch im Herzen für ein so großes Stück Brotes aus dem wahren väterlichen Hause, begab sich dann in die Mitte der schwachen Väter und fing an, folgende Trostworte aus Mir an sie zu richten, sagend nämlich:

[HGt.01_075,02] ,O liebe Väter, ein kleines, etwas außergewöhnliches Wunder hat der heilige Vater und Herr aller Macht, um uns aus dem Schlafe angewohnter Lauheit zu erwecken, gnädigst zugelassen: Einem Tiere löste Er die sonst ewig stumme Zunge und ließ ein geringes Fünkchen der ewigen Wahrheit über die sprachungewohnte Schnauze nur gleiten. Wir vernahmen das gehaltschwere Fünkchen und entsetzten uns sehr darob, als wenn wir der ewigen, qualvollen Vernichtung im unerbittlichsten Angesichte gestanden wären!

[HGt.01_075,03] O der eitlen Furcht und halben Verzweiflung! Saget mir, liebe Väter, was darf der wahrhaft Liebende denn wohl fürchten?!

[HGt.01_075,04] Ist denn nicht die wahre, uneigennützige Liebe zu Gott die schützende Hand des heiligen Vaters, an unsere Brust gelegt, vor deren Macht alle Unendlichkeit in ihren tiefsten Fundamenten ehrfurchtsvoll gehorchend erbebt?!

[HGt.01_075,05] Trägt nicht derselbe Finger Gottes, dessen ganze Hand uns wohlschirmend erhält, das ganze unermeßliche Gewölbe der Unendlichkeit mit all den zahllosen Sternen, der Sonne und dem Monde, - und wir werden beinahe regungslos schwach über eine ungewohnte Kleinigkeit, während wir ein bei weitem größeres Recht hätten, schwach und gänzlich mutlos zu werden, so wir ein wenig über uns selbst nachdächten, wie dieses unerhörte Wunder der Sprachfähigkeit uns ununterbrochen also eigen ist, daß wir also reden können, daß es da beinahe kein sichtbares Ding mehr gibt, welchem wir nicht vermöchten mehr denn tausend Namen zu geben?!

[HGt.01_075,06] O sehet, das wundert uns nicht, und wir werden auch gar nicht schwach, so wir miteinander Worte wechseln!

[HGt.01_075,07] Wenn uns aber die unendlich größeren Wunder in Anbetracht unserer Fassungsfähigkeit nicht schwach machen, o wie töricht ist es hernach, vor dem Gezirpe einer Erdgrille ohnmächtig zu werden! Höret, da sieht noch viel mehr knechtische Furcht denn die eigentliche lebendige Liebe heraus!

[HGt.01_075,08] Kann aber wohl der durch und durch Lebendige selbst vor dem Tode erschauern oder, schwach werdend, zurückbeben vor ihm?!

[HGt.01_075,09] Wahrlich, wenn der Lebendige vor dem Tode bebt, trägt er selbst noch gewaltige Spuren des Todes in sich!

[HGt.01_075,10] Wurde der Mensch denn nicht gesetzt zu einem Herrn aller Geschöpfe im großen Weltenraume?! Wie ist es mit ihm denn geworden, daß er vor dem Gesumse einer rauhen Fliege zurückbebt, als hätte Gott schon ein halbes Gericht über ihn gehalten?

[HGt.01_075,11] O liebe Väter! Ich weiß, was daran schuldet; nicht etwa, wie ihr meinet, des Vaters und der Mutter erster Grundfall - denn dieser war selbst nur eine Folge davon -, sondern das ist es, daß der Mensch in seiner Freiheit sich groß und mächtig zu dünken anfängt und sich dann in diesem törichten Eigengroßdünkel so weit verliert, daß er meint, an jedem Haare hingen Sonnen und Welten. Wenn aber dann der liebevollste, heilige Vater das töricht schlafende und träumende Kind durch irgendeinen kühlenden Tropfen voll Liebe, Erbarmung und Gnade erweckt, dann schlägt es plötzlich seine Augen auf, erkennt seine Schwäche und Nichtigkeit und weint, da es nur ein schwaches Kind ist.

[HGt.01_075,12] Wenn es aber dann den starken Vater erblickt, da freut es sich, läuft in aller Liebe zu ihm hin, liebkost den starken Vater und bittet ihn um Brot; und wo ist der Vater und die Mutter, die da von sich stoßen möchten ihren Liebling?!

[HGt.01_075,13] Wenn aber das Kind trotzig ist, so weiß es der Vater zu strafen, auf daß es sanft werde; wenn sich aber das Kind nimmer möchte völlig erwecken lassen, wird da der Vater wohl auch nur ein Mittel unversucht lassen, um es wieder zu erwecken zum Leben?!

[HGt.01_075,14] Und hat das Kind wieder seine Augen aufgemacht und den bekümmerten Vater angelächelt, wird sich der Vater darüber nicht mehr freuen als über hundert Wache?!

[HGt.01_075,15] O liebe Väter! O sehet, wie eitel eure Furcht und Schwäche ist! Wachet auf in der Liebe, und sehet, wie der große, liebe, heilige Vater euch sehnsuchtsvoll und liebbekümmert zur Seite steht und harrt, wann ihr eure Augen der Liebe zu Ihm emporschlagen möchtet!

[HGt.01_075,16] O wachet auf! Er ist uns kein ferner Vater, sondern ein naher Vater ist Er uns und voll Liebe, Sanftmut und Geduld!

[HGt.01_075,17] Seid ihr jetzt auch noch schlafmatt und traumerschöpft, - wachet vollends auf, und ihr werdet gestärkt werden, daß ihr wie junge Hirsche vor Freuden springen werdet! Oh, so erwachet in der Liebe zum Vater! Amen!"

 

76. Kapitel

[HGt.01_076,01] Nach der Vollendung solcher Rede dankte Mir Henoch wieder im Herzen und streckte dann seine Hände aus, griff den Vätern unter die Arme, und zwar nach der Stammordnung. Und siehe, alsbald erhoben sich die Väter fröhlich und munter und durch und durch neugekräftet von der Erde und dankten Mir über die Maßen für solche Gnade und priesen laut Meinen Namen. Ja, es nahm die große Freude sogar ihre Füße in Anspruch, daß sie samt dem Adam und der Eva zu hüpfen anfingen; und der Seth aber war ob der zu großen Freude beinahe ausgelassen und hüpfte so hoch, als er es nur immer zuwege bringen konnte.

[HGt.01_076,02] Es begab sich aber, daß er in seiner Hüpferei fiel und sich ein wenig wehe tat am rechten Knie und sofort nicht mehr hüpfen konnte. Und sogleich ward er betrübt; denn er sah solches für eine Strafe an und wendete sich alsbald zu Mir und sagte in seinem Herzen:

[HGt.01_076,03] ,O Herr und unser aller bester, heiligster Vater! Sieh gnädigst herab auf mich Armen und gebrechlich Schwachen; siehe, ich war überfröhlich in Deinem Namen und bin gefallen in dem Unmaße meiner Freude!

[HGt.01_076,04] O heiliger, allerliebevollster, bester Vater! Hilf mir auf, - denn fürder will ich mich nimmer mit den Füßen, sondern desto mehr in dem Herzen mich freuen und Dich auch lieber desto mehr loben und preisen mit meiner Zunge und will die Füße gebrauchen nach Deinem Willen und die Hände nach Deinem Wohlgefallen; aber nur für diesmal, o heiliger, bester, liebevollster Vater, nimm den Schmerz von meinem Knie! Oh, erhöre meine Bitte! Amen."

[HGt.01_076,05] Und sofort vernahm er eine große Stimme, die da sprach in seinem Herzen: ,Höre Seth! Freue dich allzeit Meines Namens; freue dich deines Vaters, und freue dich über alles, was dich wie immer zu Mir erhebt! Aber laß dabei leibliche Anstrengung, die zu nichts nütze ist, sondern freue dich in der Stille des Herzens! Freue dich im Leben über das gefundene Leben, und ziehe nicht, was dem Tode eigen ist, mit in die Freuden des Lebens, so wirst du nimmer einen Schaden leiden, weder am Leibe und noch viel weniger am Leben des Geistes aus deiner und Meiner Liebe zugleich!

[HGt.01_076,06] Merke dir das wohl, und fasse es so tief wie nur immer möglich ins Leben, so wird deiner Freude nimmer ein Ende werden; und nun stehe auf, und wandle froh in Meinem Namen! Amen."

[HGt.01_076,07] Als aber der Seth solches in sich klar und deutlich vernommen hatte, da fing er an, vor Freude zu weinen, und dankte Mir laut für solche unerwartete Gnade.

[HGt.01_076,08] Es merkten aber nun die übrigen, daß mit dem Seth etwas Besonderes vorgegangen war, und sie wunderten sich bis auf den Henoch alle ob der augenblicklichen Ruhe Seths und seiner überfröhlichen Stimmung.

[HGt.01_076,09] Seth aber merkte solches und erbat sich, daß sie nun mit Fragen ihn in seiner Freude über das gefundene Leben aus Gott nicht stören möchten; am Abende würden sie es ohnehin erfahren in sich von oben.

[HGt.01_076,10] Nun wendete sich Adam zu den Kindern, dankte Mir, segnete sie alle, segnete die Kinder des Mittags und segnete die Gegenden und sagte dann:

[HGt.01_076,11] ,Und nun, Kinder, danket dem Herrn, und machet euch zur Reise gen Abend fertig, und zwar in der bekannten Ordnung: Asmahael in meiner und Henochs Mitte auf dem Tiere der Wahrheit! Amen."

 

77. Kapitel

[HGt.01_077,01] Und alsbald ordneten sie sich nach dem Willen Adams und machten sich auf die Reise zu den Kindern, die da im Abende wohnten.

[HGt.01_077,02] Es opferte Mir jeder sein Herz und lobte Mich in der Stille, so die Fortreisenden und so auch die noch dableibenden Kinder des Mittags.

[HGt.01_077,03] Und die dableibenden Kinder des Mittags verneigten sich vor den Hauptstammeltern und dankten ihnen für solche frohe Botschaft und priesen Meinen Namen und lobten Meine Liebe über die Maßen und wurden voll Freuden über Meine große Erbarmung.

[HGt.01_077,04] Und siehe, unter solchen guten Verhältnissen schieden hier die ersten Menschen der Erde von ihren Kindern.

[HGt.01_077,05] Der Weg war hier von Mittag an bis gen Abend ein sehr großartiger - es versteht sich, nur von menschlichen Augen betrachtet! -; er war das im höchsten Grade, was ihr unter dem Ausdrucke ,romantisch` verstehet.

[HGt.01_077,06] Der großen, jetzt nirgends mehr anzutreffenden Seltenheit wegen will Ich ihn euch ein wenig näher vor die Augen rücken; und so merket und malet es euch im Herzen aus!

[HGt.01_077,07] So aber hat die Gegend ausgesehen, durch welche der Weg gen Abend führte: Stellet euch vor sieben in einer Linie aufgestellte Kegel von graulichblauer Farbe, einen jeden siebentausend Fuß hoch, zuunterst ein siebentel Meile im Durchmesser! Denket, daß ein Kegel sich an den andern schloß, wie wenn jemand solche Kegel so aneinanderstellen möchte, daß sich dieselben an den Füßen berühren möchten!

[HGt.01_077,08] Wie aber die sieben Kegel in einer Front nebeneinander stehen, so - bildet es euch ein! - stehen hinter einem jeden Kegel noch zehn in stets abnehmenden Dimensionen und in den verschiedensten Färbungen. Aus der Spitze eines jeden Kegels springt eine reine Wasserquelle hervor. Vor der Hauptfront, ungefähr in einer Entfernung von hundert Klaftern, ist ein gerader Weg, der sich um tausend Fuß höher denn die Füße der Kegel über einen schnurgeraden Gebirgsrücken hinzieht, dessen nördliche Seite mit den schönsten Zedern und Palmen, Pappeln und Platanen bewachsen ist; aber auf der südlichen Seite ist außer den erwähnten Steinkegelgruppen mit ihren großen Winden gleich rauschenden Wasserfällen nichts zu sehen denn kahler, nur hie und da mit kleinem Grase und Moose überwachsener Steinboden.

[HGt.01_077,09] Nun, da ist eine kurze Beschreibung des Weges von Mittag gen Abend! Denket euch noch die unbeschreibliche Wirkung, welche durch die Strahlen der Sonne hervorgebracht wird, so sich diese in den zahllosen Wasserbogen brechen und obendrauf noch durch die Kegelspalten die allerbunteste Farbenpracht der hinteren, kleineren Kegelreihen schimmert, so habt ihr in aller Kürze alles, woraus ihr euch ein ziemlich deutliches Bild dieser Wegpartie gen Abend machen könnet.

[HGt.01_077,10] Auch dieser Weg war ein Lieblingsweg des Adam. Er wandelte allhier besonders an sehr warmen Tagen gern, weil da stets kühle Lüfte wehten, und überdies dienten ihm dieser Anblick auch stets zu großen Begeisterungen in den früheren Zeiten. Wenn er von da zurückkam, sprach er mit seinen Kindern in sehr erhabenen Worten über Meine Liebe, Gnade, Weisheit, Erbarmung, Heiligkeit, Größe und Macht; er nannte daher auch diesen Weg: ,Die Beschauung der sieben Mächte aus der Ewigkeit des großen Gottes Jehova`.

[HGt.01_077,11] Als nun die Väter zu diesem Wege gelangten und nach und nach bis zum mittleren Kegel vor gelangt waren, ließ der Adam den Marsch ein wenig innehalten, um sich ein wenig an der großartigen Naturszene weiden zu können.

[HGt.01_077,12] Und alsbald ließen sich alle Kinder nieder und ergötzten sich an dem stummen, mächtigen Walten der laut tobenden toten Natur.

[HGt.01_077,13] Nach einer kurzen Pause aber, in welcher Meiner wohl gedacht wurde, wandte sich Adam zum Asmahael und fragte ihn: ,Asmahael, sage uns, was du an dieser Szene findest, und wie sie dir gefällt!"

[HGt.01_077,14] Asmahael aber wandte sich ehrfurchtsvoll zu Adam und sprach: ,O Vater der Väter der Erde! Du fragst hier den Schwachen, allwo für den Stärksten zu groß und zu viel wird geboten; doch, wenn ich betrachte die hohen und steilen, bewässerten, spitzigen Säulen aus bläulichtem Steine, gestaltet vom mächtigen Finger des ewigen Gottes, da denk' ich im Herzen: Für Große ist Großes nicht groß, und für Kleine ist Großes unnütze! Was soll denn die Mücke aus Bergen wohl machen?! Was nützen der Fliege die Finger von unseren Händen?!

[HGt.01_077,15] Und so ich betrachte allhier diese mächtige Szene, o Vater der Väter der Erde, gewahr' ich gar klärlich, daß Großen nur Großes mag frommen; der Fliege jedoch soll zufrieden genügen ein sumsendes Paar leichter Flügel!

[HGt.01_077,16] Ihr Väter, ihr großen und mächtigen Kinder des Höchsten! Für euch sind so große, so herrliche Dinge vom mächtigen Finger der Gottheit gestaltet, - ihr könnet sie nützen, begreifen und loben; für mich sind die Berge am Rücken der Fliege gelagert.

[HGt.01_077,17] O Väter der Väter der Erde, was nun ich gesaget, ist alles, was ich euch zu sagen vermochte; o lehret mich anders, wo möglich, solch' Größe der Dinge im Geiste begreifen! Amen."

[HGt.01_077,18] Als aber der Adam solche demütige Bescheidenheit vernommen hatte, freute er sich überaus und sagte, zu den übrigen sich wendend:

[HGt.01_077,19] ,O liebe Kinder, höret! Der Asmahael kommt mir vor wie ein längere Zeit hindurch brachgelegenes Feld, welches zwar während der Brachzeit keine Früchte getragen hat - denn es war nur ein brachliegendes Feld -, wenn aber ein guter Same auf seine Erde gesät wird und dann eingefurcht in die Tiefe, so wird aus einem solchen Acker in kurzer Zeit hundertfältige Frucht zum erfreulichen Vorscheine kommen.

[HGt.01_077,20] So auch kommt es mir mit Asmahael vor; denn er ist noch nicht zwei volle Schattenwenden in unserer Mitte, aber wahrlich, mit unserer alleinigen Ausnahme möchte er wohl alle anderen Kinder auf den Höhen beschämen!

[HGt.01_077,21] Höret, liebe Kinder! Wenn die Armen der Tiefe allesamt nur dem Asmahael irgend nahekommen in seiner Fruchtbarkeit, wahrlich, es wäre ewig jammer und schade, daß wir ihnen nicht zu Hilfe kämen!

[HGt.01_077,22] Daher wollen wir uns heute in meiner Hütte beraten unter dem mächtigen Beistande Gottes, was in dieser Hinsicht zu tun sein soll.

[HGt.01_077,23] Der Herr aber möge uns bewahren vor jeglicher Eigenmächtigkeit! Amen."

 

78. Kapitel

[HGt.01_078,01] Als aber der Asmahael solches aus dem Munde Adams vernommen hatte, ward er zu Tränen gerührt und sprach mit zum Himmel erhobenen Augen:

[HGt.01_078,02] ,Oh, wenn es möglich doch wäre, zu retten die armen, die armen getöteten Brüder, o wahrlich, dann möcht' ich als nichtige Fliege zum mächtigsten Geier wohl werden und schießen im schnellesten Fluge hinab in die Tiefen, um alle die Brüder, die armen, die toten für Licht und für Leben daselbst zu erfassen und tragen so schnell nur und schneller, als jeder Gedanke zu eilen vermag, all' daher, daß sie sehend mit mir staunen sollen, wie bald und wie hehr auf den heiligen Höhen die mächtigen Kinder des Herrn all die wundererfülltesten Dinge den Schwachen und Toten gar weise belehrend enthüllen und zeigen in mächtigen Formen, aus heiligen Worten erbauet, die Wohnung des Lebens im Menschen - und, mächtiger noch als das alles, den mächtigsten, heiligsten Schöpfer der Welten und Sonnen als Vater der Menschen!

[HGt.01_078,03] Oh, wenn es doch möglich wohl wäre!

[HGt.01_078,04] O Väter der Väter der Erde, erschaut oft das Auge im staunenden Schauen hinaus in die endlosen Räume der glänzenden Schöpfung das nichtige Stäubchen auch nimmer, - doch wenn aber dieses so nichtige Stäubchen ins Auge des Sehers, vom Winde getragen, gefallen ist einmal, dann fängt sich der Große das schmerzliche Auge zu reiben und sucht zu entledigen sich, was da hemmend und brennend die Sehe ihm schloß! Und so ruft dann nicht selten der Bruder zum Bruder:

[HGt.01_078,05] ,O komme und such' mir das nichtige, lästige Ding aus dem Auge!` Und hat es der Bruder ersehen, begraben im tränenden Auge des Bruders, dann ruft er: ,O Bruder! Der nichtige Feind deiner Sehe ist schadlos geworden; er liegt nun in siegender Flut deiner Tränen begraben! Mitleidige Tränen dich werden zur heiteren Freude gar bäldlich von deinem gefürchteten, nichtigen Feinde befreien; denn ist erst das Stäubchen zur Träne gar selbsten geworden, wird's nimmer dir drücken die Sehe und hemmen dieselbe, zu schauen die leuchtenden Fernen der ewigen Schöpfung!`

[HGt.01_078,06] O Väter der Väter der Erde, ihr schauet mit heiligen Augen hinaus in die endlosen Triften der ewigen Lichter; doch unten, dort unten in finsterer Tiefe des menschlichen Elends, da wirbelt ein tobender Orkan den feindlichen Staub, eurer Sehe zur Hemme, nicht selten zur heiligen Höhe herauf!

[HGt.01_078,07] Wenn er Schmerzen euch machet, o laßt dann denselben von einer bekümmerten Träne ergreifen, und duldet, bis selber zur dankbaren Träne selbst wird!

[HGt.01_078,08] O vergebet mir Armem und Schwachem! Und kann auch die Fliege nicht brüllen gleich Tigern und Löwen, doch zeigt auch ihr leises Gesumse und saget: ,O Väter der Väter der Erde, auch ich bin der mächtigen Hand eures heiligen Vaters entronnen; darum gönnt ihr Großen mir Schwachem auch einen mitleidigen Blick!` Höret! Amen, o amen."

[HGt.01_078,09] Adam aber sagte, hocherfreut über die schönen Worte Asmahaels: ,Ich habe dein gerechtes Seufzen wohl vernommen und kenne gar wohl den argen Staub der Tiefe, diesen großen Feind alles inneren Schauens; jedoch bevor wir zu irgendeinem Wohlwerke schreiten werden, muß erst der Wille des großen Herrn genau erforscht werden. Denn von uns soll nie etwas unternommen werden ohne den wohlerkannten Willen von oben; daher nur noch eine kurze Zeit, und es soll heute noch entschieden werden, was da der große Herr über allen Sternen beschlossen hat, zu tun in den Tiefen der Greuel, und solches wird wohl das beste sein. Und möge es ausfallen für oder gegen, so geschehe allzeit auf das allerpünktlichste Sein allerheiligster Wille! Amen."

[HGt.01_078,10] Es stand aber alsbald Seth auf und sagte zum Adam: ,Lieber Vater! Sollte uns allhier nicht der Henoch eben auch wie in deiner Grotte eine kurze Deutung dieser Prachtgegend geben?! Siehe, mich dürstet gar sehr danach! Wie oft schon habe ich darüber nachgedacht, konnte aber doch ein für allemal nichts anderes herausbringen, als was die Augen sahen und meine Ohren vernahmen, nämlich diese himmelanragenden, gleichförmigen Steinspitzen mit ihren merkwürdigen Wasserstrahlen, welche in zahllosen Wasserperlen rauschend über die steilen Wände herab zur Erde stürzen und durch dieses harmonische Rauschen das Ohr auf eine wunderbare Art entzücken.

[HGt.01_078,11] Daher möchtest du wohl gestatten, daß darüber der Henoch uns allen kundgeben möchte eine wahre Deutung. Amen."

[HGt.01_078,12] Adam aber sagte, hoch- und wohlbilligend das Verlangen Seths: ,O Seth, du bist mir zuvorgekommen! Denn solches war lange schon mein eigener Wunsch; daher geschehe, wie du es gewünscht hast! Und du, lieber Henoch, tue und reiche deinen dürstenden Vätern einen kühlen, stärkenden Trunk aus deiner Liebe nach meinem und Seths Verlangen! Amen."

[HGt.01_078,13] Und siehe, alsbald erhob sich der Henoch und fing an, folgende sehr denkwürdige Worte an die Väter zu richten, sagend nämlich:

[HGt.01_078,14] ,O Väter! Im Schoße der weiten Unendlichkeit Gottes werden wohl noch größere und wunderbarere Naturszenen sich vorfinden und unaussprechlichmal erhabener sein denn diese siebenmal zehn wasserspritzenden Steinspitzen, da alle kaum einige tausend Mannshöhen vom Grunde aus betragen, was doch bei weitem nicht so viel ist wie das Verhältnis einer Blattklebmilbe zu uns; und doch ist es also, daß ein solches Tierchen in seiner Art größer ist denn diese ganze wasserspritzende Steingruppe!

[HGt.01_078,15] Es ist denn aber, daß eine solche großartig scheinende Szene ein stummes Wort aus der Weisheit des allerliebevollsten, heiligsten Vaters predigt, so ist dann nur der Sinn erhaben, aber nicht das stumme, leblose Werkzeug, - gleichwie auch kein Mund darum erhabener ist denn ein anderer, wenn er Worte auch von größter Erhabenheit gesprochen hat; denn das Erhabene liegt nicht am Munde, sondern am Worte.

[HGt.01_078,16] Also ist es auch bei dieser Szene. Nicht weil sie solches darstellt, daß wir daran erkennen in der inneren Entsprechung des Geistes die sieben Geister oder die sieben Mächte Gottes, und daß jede davon voll ist des lebendigen Wassers der Gnade, welche beständig über unser mageres Erdreich unserer Seele herabregnet und dennoch nicht viel mehr Früchte zeugt denn das stets bewässerte Erdreich um die Füße dieser Steinkegel, - noch weil die dahinterstehenden zehn Kegel darstellen die heiligen Pflichten der Liebe, die stets dieselben sind, weil die sieben Geister eigentlich auch nur ein Geist sind, was da bezeugt dieselbe Höhe, dieselbe Farbe, dieselbe Gestalt, dieselbe Masse, dieselbe Richtung, dasselbe Wasser und dasselbe harmonische Rauschen, - sondern die alleinige Erkenntnis daraus in uns selbst ist erhaben und würdig! An der Szene selbst ist wenig gelegen!

[HGt.01_078,17] ,Löset die Wunder vorerst im Herzen; wahrlich, dann erst werdet ihr mit Mir stimmen`, spricht der Herr, ,und sagen: ,O Herr, wer nur einen Tropfen Deiner Liebe verkostet hat, dem wird die Erde zum Ekel im lautesten Jubel über Gott des eigenen Herzens!` Amen."

 

79. Kapitel

[HGt.01_079,01] Nachdem Henoch diese Rede beendet hatte, verneigte er sich ehrerbietigst gegen alle Väter und dankte Mir dann im Herzen für die hohe Gnade, durch die er nun wieder vermocht hatte, soviel rein Gutes und Wahres aus Mir den Vätern zu verkünden.

[HGt.01_079,02] Adam aber erhob sich und sagte ,Amen!" und fuhr dann zu reden fort, indem er sagte: ,Mein vielgeliebter Henoch, diesmal sehe ich nun ganz klar, daß die Worte, die du nun gesprochen hast, nicht in deinem Leibe entstanden sind, sondern der Herr und unser aller allmächtiger Schöpfer und allerheiligster Vater hat sie dir zuvor getreu ins Herz gelegt!

[HGt.01_079,03] Denn wahrlich, liebe Kinder, welcher Mensch könnte das wohl aus sich schöpfen und diese Steingruppe in aller ihrer Wunderbarkeit also einleuchtend begreiflich enthüllen wie du durch die Macht und Allerbarmung des allerhöchsten Gottes?!

[HGt.01_079,04] Es ist wohl das allererste Mal, daß ich dich so völlig erfaßt habe, und das noch sozusagen vom Grunde der tiefsten Wurzel!

[HGt.01_079,05] Aber nur eines ist mir noch nicht erschaulich gewiß und einleuchtend, und dieses eine ist: daß ich es mir noch immer nicht recht vorstellen kann, auf welche Art du das heilige Wort, das du dann aussprichst, in dir empfängst und es hörst und dann alsogleich aussprichst, daß es dann klingt, als wäre es von dir, wo doch der endlos hohe Sinn erschaulich gerade das blankste Gegenteil bietet, ja ein so blankes Gegenteil wie eine ganz ruhige Wasserfläche, auf der da nicht die allergeringste Unebenheit zu entdecken ist.

[HGt.01_079,06] O lieber Henoch, nicht jetzt, sondern zu einer andern, gelegeneren Stunde, wenn es dem Herrn wohlgefällig ist, zeige und enthülle das uns allen, damit wir dadurch einen inneren Maßstab bekommen und danach zu beurteilen imstande sind, wie und wann jeder von uns in sich das heilige Wort vernehmen möchte, entweder für sich oder für alle.

[HGt.01_079,07] Ich sage dir aber noch einmal: nicht jetzt, sondern zu einer gelegeneren Stunde! Für jetzt aber danken wir alle dem Herrn, daß Er uns einer so hohen Lehre gewürdigt hat, und wollen uns danach zur Weiterreise anschicken, und zwar nach der schon bekannten Ordnung in dem Namen Jehova! Amen."

[HGt.01_079,08] Und alle taten in der innersten Tiefe ihres Herzens, wie es Adam geboten hatte.

[HGt.01_079,09] Als sie Mir nun völlig ihren Dank dargebracht hatten, da erhoben sie sich und machten sich zur Reise fertig.

[HGt.01_079,10] Bevor sie aber noch ihre Beine in Bewegung setzten, sagte Adam zu Seth: ,Höre, mein geliebter Ahbel-Seth, es hungert mich - meine matt werden wollenden Glieder sagen es mir -; doch du weißt das Gelübde des heutigen Tages, das ich mit euch allen dem Herrn gemacht habe, als der Rachen des Tieres uns fast samt und sämtlich erschauern machte.

[HGt.01_079,11] Was wird nun zu tun sein? Ich möchte den Henoch fragen; allein wahrlich, es ist das erstemal im Leben auf dieser Stelle, daß mich der Mut verläßt, ein Kind zu fragen - das noch dazu ist ein Kind der Kinder! -, womit ich meiner Mattigkeit, ohne das Gelübde zu brechen, begegnen soll!

[HGt.01_079,12] Gehe hin zu ihm, und frage ihn leise um seinen Rat! Amen."

[HGt.01_079,13] Sogleich machte sich Seth hin zum Henoch und sprach: ,Höre, lieber Henoch, unsern Vater Adam hat eine starke Mattigkeit befallen in allen seinen Gliedern! Es verlangt ihn gar gewaltig nach Speise, - allein das Gelübde gebietet ihm, nichts zu essen den ganzen Tag hindurch. Sage, wenn es dir möglich ist: Auf welche andere Art wird der Erzvater seine Mattigkeit loswerden können?

[HGt.01_079,14] O lieber Henoch, tue, was du vermagst! Denn obschon auch ich zum Leben gekommen bin, so fühle ich aber doch erst ein Leben der Schwäche in mir und nicht eines der Kraft; darum möchte ich dem Erzvater eine sehr schwache Stütze werden!

[HGt.01_079,15] Du aber hast es in der großen Fülle; so rate oder hilf! Amen."

[HGt.01_079,16] Henoch aber begab sich alsobald zu Adam und sagte: ,O Vater, so lasse dich nicht von der Versuchung übermannen! Der Herr Selbst ist es, der dir solches zukommen läßt, um zu prüfen die Stärke deines Bundes in dir.

[HGt.01_079,17] Da du noch nicht warst, vermochte dich der Herr wohl ins Dasein zu rufen, daß du wurdest ein freier Mensch und Geist, vollkommen nach Seinem Ebenmaße.

[HGt.01_079,18] Nun bist du lange schon ein freier Beobachter und Empfänger von unnennbaren Ausflüssen Seiner unendlichen Liebe, Erbarmung und Gnade; wie magst du dich denn von einem Kleinmut fangen lassen und beben vor dem hinfälligen Staube des Fleisches, wenn dessen gegliederter Tod dich mahnt, daß nicht das Fleisch, diese stets mehr und mehr alternde Hülle des inneren Lebens, sondern der Geist der Liebe, welche das eigentlichste, innerste Leben ist, zum Leben bestimmt ist in Gott?!

[HGt.01_079,19] Laß immerhin ermatten das Fleisch; und wenn es schwach werden wird bis hinein zur Wohnstätte des Lebens, so wird dasselbe um so leichter und eher sich in aller Fülle ergießen in alle Seele und wird durch diese auch bestens nähren jede Faser des Fleisches zum einstigen ewigen Leben.

[HGt.01_079,20] Denn der Geist wird dann das Leben des Fleisches in sich aufnehmen, und so wird dann der Tod nichts haben, das er erwürge, denn sich selbst, was da ist das leere Fleisch selbst.

[HGt.01_079,21] O Vater, in deiner Schwäche baue auf die Kraft Jehovas, so wirst du in deiner wiedererlangten Kraft in der Macht des Lebens frohlocken und sagen:

[HGt.01_079,22] ,O Herr, du bester, heiligster Vater! Ich war nicht, und Du hast mich ins Dasein gerufen; und ich war da in aller mutigen Kraftfülle des frohen, heiteren Lebens aus Dir. Es gefiel Dir, mich mit mancher Schwachheit zu prüfen; ich erkannte mit Deiner Gnade die neue Prüfung und brachte Dir in meiner Ermattung ein Opfer der kindlichen Liebe. Du hast nun wieder meine Müdigkeit angesehen, und ich lebe nun hoch frohlockend ein neues, erstaunlich wonnevolles Leben in Dir, o Jehova! Dir sei ewig aller Ruhm, Preis, Lob und Dank!`

[HGt.01_079,23] O lieber, aller Achtung würdigster Vater Adam! Glaube es mir, dem schwachen Henoch: Es wird keine Stunde der Schattenwende vorüber sein, so werden deine Glieder kräftiger sein denn die des starken Tigers; aber nur festhalten mußt du den Bund! Denn der Herr verachtet allzeit den treulosen Wankelmut des Herzens.

[HGt.01_079,24] Vorderhand aber laß dich bis gen Abend von mir geleiten und dir unter die Arme greifen, und du wirst des Herrn gar wunderbare Leitung bald vollends erkennen! Amen."

 

80. Kapitel

[HGt.01_080,01] Und als der Adam diese Trostrede des Henoch vernommen hatte, da ward er alsobald fröhlichen Herzens und ertrug seine zunehmende Mattigkeit mit großer Ergebung und ließ sich vom Henoch weitergeleiten.

[HGt.01_080,02] Und so ging der Zug, obschon etwas mühsam, dessenungeachtet mit noch ziemlicher Raschheit vor sich. Auf dem ganzen, beinahe halbstündigen Wege wurde keine Silbe gewechselt; aber ein jeder für sich bat Mich im Herzen inbrünstigst um die Stärkung und Erhaltung Adams. Vorzugsweise aber war Henoch voll unerschütterten Vertrauens und berechnete genau in seiner Liebe zu Mir, daß Ich sein unbeugsames Vertrauen auf Meine Erbarmung und Gnade gewiß und überaus sicher nicht werde zuschanden werden lassen.

[HGt.01_080,03] Denn sahen die übrigen auch ein, daß Mir kein Ding unmöglich ist, so zweifelten sie aber doch an Meinem Willen, da sie noch nicht die große Freikunst erlernt hatten im Herzen, auf dem unerschütterlichen Wege der reinen Liebe zu rechnen und wohl zu berechnen Meine ewige, über alles unaussprechliche Treue, - welche Kunst aber Meinem lieben Henoch schon zur größten Fertigkeit geworden war, so daß er darob auch allzeit höchst sicher war des unausbleiblichen Erfolges dessen, was er in seiner gerechten Liebe von Mir erwartete.

[HGt.01_080,04] Er war daher auch nie traurig und bedauerte niemanden, so ihm etwas Unangenehmes begegnet war. Denn sein Auge ruhte beständig auf Meinem Herzen, und so gewahrte er gar wohl die geheime Leitung Meiner Liebe, wie sie durch jedes noch so sonderbar scheinende Mittel allzeit am allerbesten versteht, die Kinder also zu führen, wie es für die Gewinnung des ewigen Lebens auch am allerbesten taugt. Ja, er ging in der Rechnung seiner Liebe zu Mir so weit, daß er sogar mit der größten Sicherheit bestimmte, wie, wann, wo und warum etwas zum Vorscheine kommen würde, und zu welchem Ende. Und so war er gewisserart auch der erste Prophet der Erde und Urgründer der bis zu Meiner menschlichen Darniederkunft sich erhaltenden sogenannten Prophetenschulen, welche einzig und allein darin bestanden, daß ihre Schüler beinahe von der Geburt an schon in Meiner Liebe erzogen wurden. Die Welt ward ihnen dargestellt als eine gefestete Unterlage Meiner Liebe, als ein großes Schulhaus, in welchem alle Menschen durch eine kurze Abgeschiedenheit von Mir durch den eigenen Antrieb ihres inneren Lebens eine große Sehnsucht nach Mir bekommen sollen. Ihre äußeren Reize sind nur der Versuchung wegen da, damit sich die Menschen selbst richten sollen nach Meiner Liebe. Und sobald jemand dadurch an der Welt kein Wohlgefallen mehr finden wird, sondern nur an der stets wachsenden Sehnsucht nach Mir, dem wird dann alsobald das innere Auge und Ohr erschlossen werden, und er wird, wenn auch noch im sterblichen, ebenso verführerischen Leibe, alsbald wieder den heiligen Vater hören und dann und wann zu sehen bekommen.

[HGt.01_080,05] Der Geist der ewigen Liebe wird ihn dann erfüllen; er wird schauen die Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit allörtlich, und des Leibes herbeigekommener Tod wird jeden mit einer unaussprechlichen Wonne erfüllen, da er da erst überklar zu schauen wird anfangen, daß der Tod des Leibes kein Tod, sondern nur ein gänzlich vollendetes Wachwerden zum ewigen Leben ist.

[HGt.01_080,06] Das und noch manches mit Meiner Liebe im engsten Bunde Stehende war das eigentliche Wesen der Prophetenschule, von welcher, wie schon bemerkt, Henoch nach Meinem Willen der Urgründer war.

[HGt.01_080,07] Die goldene Regel von ihm durch Mich war stets noch der Grund und das innere Fundament aller Prophetenschulen und lautete also:

[HGt.01_080,08] Du vermagst nicht zu glauben, daß es einen Gott gibt, wenn du Denselben nicht schon vorher geliebt hast aus allen Kräften eines kindlichen Herzens. Wer da sagt: ,Ich glaube an einen Gott!`, kann aber Denselben nicht lieben, der ist ein toter Lügner und hat kein Leben; denn Gott ist das ewige Leben Selbst, - Seine Liebe ist dieses Leben. Wie kann aber jemand das Leben anders begreifen denn durch das Leben?! Da aber die Liebe nur das Leben ist, wie in Gott ewig aus Sich, so im Menschen durch die Erbarmung aus Gott, wie kann da der Mensch sagen, daß er glaube an einen Gott, da er doch Denselben verleugnet tausendfach in seinem liebelosen Zustande, welcher kein Leben, sondern nur eine gewisse Regsamkeit der von Gott erschaffenen Natur ist, tauglich zur Aufnahme des Lebens der Liebe aus Gott.

[HGt.01_080,09] Der regsame Leib ist noch nicht ein Mensch, sondern ist nur gemacht, daß er ein Träger sei eines Menschen vermöge der ihm eingehauchten lebendigen Seele; nimmt aber diese beleibte Seele das Leben der Liebe aus Gott nicht in sich auf, so ist sie trotz aller Regsamkeit und Brauchbarkeit ihrer Sinne tot. -

[HGt.01_080,10] Das war also die goldene Regel. Daß mit ihr und aus ihr mit der Zeit noch andere entstanden sind, ist wohl so natürlich, wie natürlich aus der ersten Liebe, welche sich bei den Völkern nach und nach mehr und mehr allein in den Glauben verlor, die zehn Gebote und alle Propheten entstanden und aus diesen endlich wieder die reine Liebe durch Mich zu Mir und daraus zum Nächsten.

[HGt.01_080,11] So war auch die streng weltentsagende Lebensweise bis zur Zeit des empfangenen Lebensgeistes der Liebe eine aus dieser Regel hervorgegangene, von welcher Zeit an sich dann freilich das fernere irdische Leben nach der inneren Freiheit modifizierte, demzufolge dann auch jeder Prophet lebte, wandelte und handelte.

[HGt.01_080,12] Also war es somit mit den Prophetenschulen, welche, wie schon bemerkt, im Henoch ihren Gründer hatten, welcher jetzt auch schon mit dem Vater Adam glücklich bei den Kindern des Abends angelangt war.

[HGt.01_080,13] Aber wie erstaunt waren nun alle, als der früher so matt gewordene Adam an der Seite Henochs auf einmal wieder zu vollster Kraft gekommen war!

[HGt.01_080,14] Adam selbst aber war außer sich vor Freude und dankte Mir unter vielen Freudentränen für solche plötzliche Stärkung und sagte endlich zum Henoch, wie auch zu all den übrigen:

[HGt.01_080,15] ,O Henoch! O Kinder! Wie ein gar so überaus herrlicher Gott ist unser Gott! Wie gut, wie liebevoll und wie voll Erbarmung! Er, der kein Leiden kennt wie keine Unvollkommenheit, Er, der heilige, unendliche, ewige, über alles mächtige Gott kann aus Seiner endlosen Vollkommenheit dennoch unvollkommene Wesen erschaffen, nicht etwa, als vermöchte Er nicht, sie vollkommen zu erschaffen - das sei ferne von uns je zu denken -, sondern um den vermöge Seiner endlosen Weisheit unvollkommen Erschaffenen so recht aus aller Seiner innersten Gnaden- und Liebestiefe Seine väterliche Liebe von Ewigkeit zu Ewigkeit stets mehr und mehr angedeihen zu lassen, und um ihnen dadurch zu zeigen, daß Er nur der alleinige, allerwahrhafteste Vater aller Menschen und Geister ist.

[HGt.01_080,16] O Henoch, o Kinder, dieses sehe ich jetzt erst so ganz vollkommen ein! Wäre ich nicht matt geworden, wie hätte ich die unaussprechliche Wohltat der Stärkung je wahrzunehmen vermocht?!

[HGt.01_080,17] Der heilige Vater aber ließ mich recht schwach und matt werden, um mich dadurch desto empfänglicher für Seine unaussprechliche Liebe zu machen! Oh, der übergute Vater, wie gut erst muß Er sein gegen jene, die sich gegen Ihn nie versündigt haben, wenn Er schon gegen mich, der ich doch der größte Sünder bin, da ich in Seinem Angesichte gesündigt habe, so überaus gut, gnädig und barmherzig ist!

[HGt.01_080,18] O frohlocket, ihr Armen; denn ihr seid arm, um desto mehr zu empfangen! Frohlocket, ihr Schwachen; denn ihr seid schwach, um desto mehr Kraft zu erlangen! Frohlocket, ihr Traurigen; ihr seid traurig, um desto mehr Freuden zu empfangen! Frohlocket, ihr Hungrigen und Durstigen; ihr seid hungrig und durstig, um desto mehr gesättigt zu werden! Frohlocket, selbst ihr blinden Geister; sehet, der Herr hat die Nacht gemacht, daß sie empfinde das Bedürfnis des Tages! Wer hätte je am Tage das Bedürfnis des Tages empfunden, wenn der Herr nicht vor dem Tage hätte die Nacht gesetzt?! O Tod, wärst du nicht der Tod, so müßtest auch du frohlocken; denn deiner selbst wegen bist du nicht aus der ewigen Ordnung hervorgegangen! Wer weiß es, ob dich der Herr nicht darum entstehen ließ, damit aus dir dereinst vielleicht das allerhöchste Leben erstehen wird!

[HGt.01_080,19] Wahrlich, wahrlich, wo der Herr gibt, da gibt Er als Vater Seiner unendlichen Liebe gemäß; aber überglücklich sei der, dem der Herr etwas nehmen wird, denn der wird's unendlichmal wieder empfangen aus der Hand des ewigen Vaters!

[HGt.01_080,20] O Henoch, o Kinder! Ich, euer Vater Adam, bin überselig, da mich der Herr nun eine so große Gnade hat erfahren lassen, die größer ist denn mein ganzes Leben!

[HGt.01_080,21] Du, lieber Henoch, aber sei hochgesegnet; dein Same soll nicht aussterben bis ans Ende aller Zeiten, und dein Name soll am Ende aller Zeiten den Völkern so nahekommen, als wärest du mitten unter ihnen! Späte Sprecher des Herrn werden ihren Kindern deine Liebe zum Vater rühmen und sich selbst nach dir richten.

[HGt.01_080,22] So wie jetzt hast du noch nie gezeigt, wie sehr du an dem heiligen Vater hängst; denn dadurch bin ich gestärkt worden, daß du so überaus mächtig fest am Vater hängst!

[HGt.01_080,23] Dir aber, mein großer Gott, Herr und Vater, sei aller Preis, aller Ruhm, alle Ehre, aller Dank und alles Lob; denn Du allein bist würdig, solches von uns zu empfangen!

[HGt.01_080,24] Kinder, lobet alle den Herrn; denn Er ist gütig, liebevoll und überaus gnädig und barmherzig!

[HGt.01_080,25] Henoch, siehe, das unaussprechliche Dankgefühl in mir gegen Gott lähmt mir beinahe die Zunge, daß ich kaum mehr zu reden vermag! Daher, da wir schon zu den Kindern des Abends gelangt sind, so mache du mit dem Asmahael Anstalt, daß sie erfahren, daß wir hier ihrer harren, und daß sie sich darob hierher begeben sollen, um zu empfangen den Segen und die heilige Kunde des morgigen Sabbats; alles andere sollen sie hier erst erfahren und sehen! Amen."

 

81. Kapitel

[HGt.01_081,01] Als die Rede beendet und der letzte Wunsch vom Adam ausgesprochen, vom Adam gesegnet und von Mir dem Henoch nebenbei noch angezeigt war, da verneigte sich alsbald der Henoch vor den Vätern, desgleichen, dem Henoch nachfolgend, auch der Asmahael von seinem Träger aus.

[HGt.01_081,02] Alsdann eilten die beiden zu den Kindern des Abends und verkündigten dort mit lauter Stimme die Anwesenheit des ihrer harrenden Erzvaters Adam an der Grenze des abendlichen Gebietes. Als die Kinder solches vernommen hatten, da rafften sie sich alsbald zusammen, nahmen allerlei Früchte und andere Eßwaren mit sich und eilten dann ehrfurchtsvoll mit Henoch und Asmahael hin zum Erzvater Adam. Als sie in starker Anzahl in die Nähe des Adam gelangten, fielen sie auf ihre Angesichter und getrauten sich nicht eher aufzustehen, als bis ihnen vom Adam durch Kenan zum wiederholten Male angedeutet wurde, daß sie sich endlich aus ihrer übertriebenen Ehrfurcht vor den Vätern erheben sollten und empfangen den Segen vom Adam zur Rechtfertigung ihrer Gegenwart, um dann mit den geöffnetsten Ohren das heilige Wort der Einladung zum Opfer- und Brandfeste am morgigen heiligen Sabbate zu vernehmen.

[HGt.01_081,03] Nun erst erhoben sie sich voll Furcht und Angst und gebärdeten sich, als wenn ihr Gewissen so manches Nagewürmchen in sich verschlösse, welches unter der Sonne freiem Lichte nicht gar wohl fortzukommen vermöchte.

[HGt.01_081,04] Adam nahm solche Erscheinung etwas wunder; auch Seth und die übrigen Kinder bis auf Henoch und Asmahael konnten sich diese rätselhafte Erscheinung nicht gar wohl auseinandersetzen und verstummten endlich selbst in ihren Mutmaßungen.

[HGt.01_081,05] Adam aber erhob sich alsbald und beschied den Henoch und Asmahael zu sich und fragte natürlich vorzugsweise den Henoch - aber auch der Asmahael hatte hier die gegebene Freiheit zu antworten -: ,Henoch, was soll denn das mit diesen Kindern? Sie kommen mir vor, als wären ihre Herzen mitnichten frei, sondern gedrückt und gebunden mit allerlei Unding!

[HGt.01_081,06] O lieber Henoch, auch du, treufester Asmahael, saget oder erforschet zum wenigsten in euch, was es mit dieser Erscheinung für eine Bewandtnis haben mag!

[HGt.01_081,07] Ich meines Teiles behaupte, daß hier ein arger Same unter dem Weizen ist; und wenn es also ist, so dürfen wir nicht eher von der Stelle, als bis das reine Korn wieder aus der Spreu und dem Unkraute gefunden und dann in unserer väterlichen Liebesstrenge wohl verwahrt wird.

[HGt.01_081,08] Mir kommt es auch gar so sonderbar vor, daß das Tier diesen Kindern beständig den Steiß zuwendet und sie auch nicht einmal eines Blickes würdigt, während es doch die Kinder des Mittags mit weitest geöffneten Augen fürchterlich lebhaft anglotzte!

[HGt.01_081,09] O lieber Henoch! Mache, daß wir sobald als möglich ins klare und dadurch auch wieder in die erwünschte Ordnung kommen! Amen."

[HGt.01_081,10] Henoch aber erhob sich und sprach: ,Höre, Adam, und höret alle, ihr Väter, diese Kinder sind durch eine zu große Demütigung von unserer Seite gänzlich mutlos geworden; diese Demütigung hat ihnen die Liebe zu uns geraubt und erfüllte dafür ihre Herzen mit knechtischer Furcht.

[HGt.01_081,11] Wir sind ihnen nun kein Gegenstand der Liebe und kindlichen Hochachtung, sondern ein Gegenstand des Schreckens und heimlicher Verachtung sind wir ihnen geworden. Wenn die große Furcht vor unserer inneren Geisteskraft und -macht aus der Liebe des Herrn sie nicht abhielte, wahrlich, sie vermöchten mit uns allen dasselbe zu tun, was Cahins Eigenliebe mit Ahbel tat!

[HGt.01_081,12] O Vater Adam, siehe, darin liegt sie begraben und wohl geborgen, diese so sonderbare Erscheinung, an welcher niemand denn wir selbst die allermeiste Schuld vor ihnen und vor dem Herrn tragen; daher ist es nun freilich an uns, diesen Fehler wieder gutzumachen!

[HGt.01_081,13] Das Tier aber nahm deswegen eine solche Stellung ein, um uns dadurch anzudeuten, daß die Schuld in unserer Mitte wohnt, darum es auch uns ansieht und den Steiß gegen die Kinder hält; und es zeigt uns dadurch an, daß sie von uns verunreinigt worden sind.

[HGt.01_081,14] Ihr fraget mich im Herzen: ,Wann und wie verunreinigten wir denn diese Kinder? Und sollte es geschehen sein ohne unser eigentliches Wollen, wie wird dieser Fehler wohl wieder gutzumachen sein?`

[HGt.01_081,15] O Väter, die erste Fragehälfte, wie und wann sie verunreinigt worden sind, ist überleicht zu beantworten; aber desto schwerer die zweite!

[HGt.01_081,16] O Vater Adam! Siehe, darin liegt es, daß du durch deine frühere zu ängstlich strenge Gerechtigkeit aus viel mehr Furcht denn Liebe vor und zum Herrn solche Unterschiede zwischen den Kindern gemacht hast und hast die einen verurteilt gen Morgen, die da überglücklich sind, und hast die andern verurteilt gen Mittag, auf daß sie sich stets minder denken sollen denn die Lieblinge des Morgens, und hast diese verurteilt gen Abend, weil sie dir trägen Geistes vorgekommen sind, da sie sich öfter am Morgen vom Schlafe übermannen ließen, und hast endlich gar hart die letzten verurteilt gen Mitternacht darum, daß sie in manchen äußeren Gebräuchen nicht wollten deiner Meinung sein.

[HGt.01_081,17] O siehe, lieber Vater Adam, wärest du damals schon von der Liebe des ewigen, heiligen Vaters also wie jetzt belebt gewesen, sicher wären deine Urteile ganz anders ausgefallen! Allein die nackte Gerechtigkeit, wenn auch von allen Strahlen der Weisheit umflossen, ist drückend und hart, wenn aus ihrem Hintergrunde - sollte er auch etwas verborgen sein - nicht ein leiser Liebesstrahl wohltuend durchweht all die siebenmal zehn aus der Höhe wasserspritzenden Steinspitzen der fruchtlosen Weisheit.

[HGt.01_081,18] Siehe, gleichwie das aus der Höhe schwer fallende Wasser das Gras nicht belebt, sondern nur zerstört und tötet und unter seiner harten Traufe nichts denn harte, ausgewaschene Steine finden läßt, ebenalso ist auch die nackte Gerechtigkeit, fallend aus der unermeßlichen Höhe der Weisheit. Sie tötet und vernichtet das innere Leben. Und ist das Leben einmal ähnlich geworden einem toten, ausgewaschenen Steine unter der harten Wassertraufe, so wird es sehr schwer werden, aus einem solchen Steine irgendein lebendiges Pflänzchen zu ziehen!

[HGt.01_081,19] Denn der schwere, anhaltende Druck des Gerechtigkeits- und Weisheitswassers hat das früher sanfte und lockere Erdreich zum harten Steine gemacht und dann den totgemachten Stein hohlgewaschen. Was soll nun aus dem Steine werden?

[HGt.01_081,20] Wahrlich, bevor er nicht durch ein übermäßiges Liebesfeuer wieder zur lockeren Erde umgewandelt wird, wird auf ihm jeder gesäte Same verdorren und endlich gänzlich ersterben!

[HGt.01_081,21] Es ist aber über Steine nicht gut wandeln und über Steine springen gefährlich. Wer auf einen Stein fällt, der fällt hart und zerschellt sich; auf wen aber ein Stein fällt, den zermalmt er. Daher auch ist die zweite Hälfte der Frage schwer zu beantworten.

[HGt.01_081,22] Ich für mich bin der Meinung: Wenn diese Steinkinder und -brüder und -schwestern auf dem Wege der alles mächtigen Liebe nicht zu sänften und zu lockern sind, so wird eine noch größere Wassermenge selbst der weisesten Gerechtigkeit gar wenig mehr vermögen.

[HGt.01_081,23] Lernen wir aber von unserem ewig heiligen, liebevollsten Vater Selbst, wie Er alle Seine lebenden Wesen lenkt: Die Vögel des Himmels, groß und klein, sind nicht gebannt weder an den Morgen noch den Abend, noch Mittag und Mitternacht; die Tiere der Wälder durchstreifen dieselben nach allen Richtungen; selbst die Fische im Wasser und all das Gewürm haben keine Wände gezogen zur Hemmung ihrer Bewegung und Wohnung.

[HGt.01_081,24] Der Herr hat uns sogar kein Gebot gegeben, den Kindern Cahins zu fluchen; warum tun wir denn solches an unseren Kindern, Brüdern und Schwestern und bannen sie in Gegenden, auf daß sie unfrei sind und zu Steinen werden?!

[HGt.01_081,25] O Vater, löse die nutzlosen Bande der Gerechtigkeit und Strenge und verbinde sie mit dem allmächtigen Bande der heiligen Liebe, so wird dann die Weisheit aus der Liebe ihnen zu einem freien Wegweiser werden; und sie alle werden sich dann gar bald, von diesen neuen Strahlen erleuchtet, als Kinder ein und desselben heiligen Vaters erkennen und werden frohlockend sich selbst an dein Vaterherz schmiegen und dich mit von aller Liebe erglühten Armen umfassen und dich einen lieben Vater nennen!

[HGt.01_081,26] O Väter! In einem Tautropfen Liebe liegt mehr Kraft und heilige Macht denn in einer Welt voll weisester Gerechtigkeit, wenn diese nicht die Liebe zum Grunde hat! Daher lasset nun mächtige Winde der Liebe wehen, auf daß diese starren Eisklumpen auftauen mögen, um wieder zu befruchteten Tautröpfchen zu werden, und lasset die Steine selbst vom mächtigen Feuer der Liebe zerlockern, damit unser Same nicht vergebens in ihre Furchen gelegt werden möge! Amen."

 

82. Kapitel

[HGt.01_082,01] Als aber Adam solches vernommen hatte aus dem Munde Henochs, da erschauerte er im Herzen; denn die Anspielung auf Cahins aus schwarzer Eigenliebe verübten Brudermord riß ihm die alte Wunde auf, daß er darob fast kein Wort leichtlich über seine fiebernden Lippen zu bringen vermochte und somit schwieg und bebte.

[HGt.01_082,02] Es trat aber alsbald Seth zum Henoch und sagte: ,Lieber Henoch, das hättest du nicht tun sollen, daß du dem alten Vater Adam nun eine so gefährliche Angst und Trauer bereitet hast durch die etwas unbesonnene Anspielung auf Cahins Untat; gewiß hättest du ihm dieses alles auf eine ganz andere, unmerklichere Art beibringen können! Siehe, es ist das erste Mal, daß ich mich genötigt fühle, dir etwas zu verweisen; für ein künftiges Mal aber lege bei solchen Gelegenheiten deine Worte auf die Waage der Billigkeit, damit sie den Vater trösten, aber nicht betrüben mögen! Du selbst bist es, der uns allzeit Liebe und Sanftmut lehrt; aber befolge erst selbst recht genau, was du uns lehrst, - dann erst wird deine Lehre voll Segen, Kraft und Macht über unsere Herzen gewinnen! Amen."

[HGt.01_082,03] Henoch aber, der Mir still im Herzen dankte für das Wort, das er zu Adam geredet hatte, war hoch erstaunt über diese Zurechtweisung, - sagte kein Wort dagegen, sondern wandte sich alsogleich wieder zu Mir und bat Mich, daß Ich ihm anzeigen möchte, was da aus der kurzen Rede Seths werde zu machen sein.

[HGt.01_082,04] ,O heiliger, liebevollster Vater, der Du schaust im hellsten Lichte alle Finsternisse der Welt", fing Henoch an, im Herzen zu Mir zu beten und zu bitten, ,Du weißt es, daß ich Dein heiliges Wort ohne Zusatz und ohne Wegnahme getreu dem Adam verkündigte! Wie ist es, daß es der so würdige Vater Seth so uneben aufgefaßt hat?

[HGt.01_082,05] Konnte ich doch unmöglich anders sprechen, als Deine unendliche Liebe es mir gegeben hat!

[HGt.01_082,06] Auch war Seth eben erst Zeuge, wie Du, o Jehova, den Adam von seiner Mattigkeit befreit hast und hast ihn gestärkt in jeder Fiber seines Lebens!

[HGt.01_082,07] O heiliger Vater, der Du voll Liebe und Erbarmung bist, zeige meinem unbedingtesten Gehorsame gegen Deinen heiligsten Willen an, woher das rührt, und wie die Sache beim Seth wieder völlig gutgemacht werden möchte! Ich, Dein armer, schwacher Henoch, gelobe Dir in meinem Dich über alles hochliebenden Herzen, daß auch nicht ein Haar meines Hauptes sich rühren soll ohne Deinen heiligsten Willen! Amen."

[HGt.01_082,08] Alsbald aber erblickte Henoch eine Flammenschrift im Herzen, und da stand es geschrieben: ,O Henoch, warum sorgst du dich darum?! Das Herz ist noch nicht verständig in allem, wenn nicht das ganze Herz voll erfüllt ist von der ewigen Liebe; wenn aber diese kommen wird, dann wird auch der Seth die Steine und alles Gras, Pflanzen, Sträucher und Bäume wohlvernehmliche Worte miteinander wechseln hören.

[HGt.01_082,09] Du aber schweige vorderhand, und laß deinen Schüler für dich das Wort führen! Amen."

[HGt.01_082,10] Seth aber, da er auf diese seine Mahnrede den Henoch keine Miene zum Reden machen sah, fing sich selbst über Hals und Kopf im Herzen zu befragen an, was das doch sein möchte, daß nun alles wie verstummt geworden ist; aber auch sein eigenes Herz blieb stumm. Und so war der Seth genötigt, sich wieder an den Henoch zu wenden und ihn zu fragen, warum er ihm auf die frühere Einrede nichts erwidert hätte.

[HGt.01_082,11] Henoch aber sagte voll Hochachtung und Liebe: ,O würdiger Vater Seth! Hat wohl das Kind ein Recht, sich gegen die Ermahnung eines Vaters aufzulehnen?! Du hast mir das Wort Gottes zwar verwiesen, das ich habe aussprechen müssen; allein, wenn du mit mir redest im Namen des Herrn, kann und darf ich dir Frage, Antwort und freie Rede bieten! So du aber als Vater im Tone eines Lehrers mit mir redest, siehe, dann ist es meine kindliche Pflicht, dir unbedingt zu gehorchen, zu schweigen und im eigenen Herzen mich aber alsbald mit der Liebe Jehovas zu vereinen. Siehe ahnungsvoll, aber furchtlos hin auf den Redner, den das Tier trägt; denn so will es nun der Herr, daß dieser euch vorderhand meine Stelle vertreten soll! Frage ihn, und er wird euch die geziemendste Antwort geben im Namen Dessen, der ihn dazu berufen hat! Amen."

[HGt.01_082,12] Diese sehr bescheidene Äußerung Henochs machte den biederen Seth ganz verstummen. Aber dafür löste sie dem Adam wieder die Zunge, und dieser sprach zu Seth: ,Aber geliebter Sohn! Du, den mir Jehova an Ahbels Stelle gegeben zum Troste, sage mir, was mochte denn doch dein Herz also geblendet haben?

[HGt.01_082,13] Des Herrn heiliges Wort vermochtest du dem Sprecher Gottes zu verweisen - und hast dich doch erst kaum zehn Augenblicke vorher überzeugt, wie wunderbar es mich gestärkt hat!

[HGt.01_082,14] Das Wort aus dem Munde Henochs, ausgehend vom Herrn bezüglich der Kinder, hat bei mir ein neues Wunder gewirkt, welches höher steht denn Cahin und Ahbel!

[HGt.01_082,15] Wahr ist es, die Eigenliebe Cahins und die gleiche Versteinung dieser Kinder durch meine Schuld hat in der Rede Henochs mich stark verletzt; allein es war aber ja auch ebenso notwendig, daß es mich also verletzt hat, denn sonst wäre ich ja unmöglich je zur vollen Heilung der alten, stets brennenden Wunde gekommen wie eben jetzt! Denn wo der Herr verwundet, da heilt Er wunderbar; wo aber Menschen sich gegenseitig einen Schaden zufügen, - wahrlich, wenn der Herr Sich ihrer, wie jetzt meiner, nicht erbarmt, in Ewigkeit würden sie gegenseitig den Schaden nicht wieder gutmachen!

[HGt.01_082,16] Ich habe gesündigt an meinem treuen Weibe im Paradiese, und der Erstgeborene ward mir zur großen Wunde, - und bis jetzt vermochte ich die Wunde nicht zu heilen! Vor dreihundert Jahren schon hatte ich die Kinder hart gesondert und sehe erst jetzt ein, daß ich dadurch Gift in meine alte Wunde gestreut habe.

[HGt.01_082,17] Der Herr nahm mir jetzt das Gift und heilte mir die alte Wunde durch Henochs Wunderworte. Warum hast du dich denn eher an der Liebe vergriffen, bevor du ihren Wundersinn in deinem Herzen erkannt und erschaut hast?

[HGt.01_082,18] O Seth, o Seth, sieh zu, daß dir der Herr nicht wieder nimmt aus dem Herzen, was Er dir schon so herrlich gegeben hat! Für ein nächstes Mal aber höre zuvor jeder auf meine Stimme, und wen ich da zu meiner Unterstützung bescheiden werde, der komme und helfe mir! Allein bei Gelegenheiten, wie diese ist, wo der Herr doch so augenscheinlich mit uns zieht, ist es wohl durchaus nicht nötig, daß wir uns unaufgefordert helfen wollen, da doch die allerbeste Menschenhilfe soviel wie nichts ist gegen die wahre, unaussprechliche Hilfe des Herrn durch Sein allmächtiges Wort, welches nicht ist wie ein menschliches Wort, sondern welches da allzeit ist eine vollbrachte Tat für alle Ewigkeiten der Ewigkeiten.

[HGt.01_082,19] Und somit, lieber Seth, erkenne deinen Irrtum vor dem Herrn; falle hin zur Erde und bitte den Herrn um die Gnade und Erbarmung, auf daß Er dich wieder ansehen möchte! Amen."

 

83. Kapitel

[HGt.01_083,01] Seth aber verstand nun gar wohl die Rede Henochs über die Stummheit der Kinder des Abends und die entschuldigende Rede Adams und sagte endlich:

[HGt.01_083,02] ,O Vater, o Henoch, nun ist mir alles klar; ihr beide, du, geliebter Vater, und du, geliebter Sohn, werdet mir wohl vergeben meinen ängstlichen Irrtum; aber wird mir solches wohl auch der Herr tun, gegen dessen allerheiligstes Wort ich im eigentlichen Sinne des Wortes geeifert habe? Wie werde ich da Vergebung erlangen?

[HGt.01_083,03] Es war schon licht geworden in meiner Seele, und ich gewahrte schon gar deutlich ein neues, wahres Leben erstehen in meinem Herzen; allein nun gewahre ich nur zu gewiß wieder Nacht und Tod in meinen Eingeweiden!

[HGt.01_083,04] Wahrlich, es werden die Kinder des Abends und der Mitternacht zu reden anfangen, als wären sie aus der Sonnenmitte hervorgegangen; ich aber werde stummer sein denn ein Stein in der Meerestiefe, da ich meine Zunge verwendete zum Widerspruche, wo ich sie hätte zum ewigen Danke verwenden sollen! Nicht einmal der liebe Henoch sollte an mich Worte des Lebens aus der Höhe richten, sondern alles nur der Asmahael! O großer Gott, wie ungeheuer groß muß meine Sünde vor Dir sein, da Du sogar um meiner Hartnäckigkeit willen als der Herr alles Lebens dem Henoch vor mir nichts zu reden gebotest, sondern allein dem Asmahael, daß dieser mich belehre über alle meine Irrtümer!

[HGt.01_083,05] O wehe mir, so mich der Herr nicht mehr ansehen möchte in Seiner Erbarmung! Wer wird mich dann erretten aus der Nacht des Todes?

[HGt.01_083,06] O Herr, laß immerhin Deinen Asmahael Worte voll jugendlicher Kraft in aller Fülle des Lebens an uns, die wir voll Stumpfheit und toten Sinnes sind, richten, und das vorzugsweise an mich; aber nur laß darob die so hoch gesegnete Zunge Henochs nicht verstummen vor uns, und ganz besonders vor mir, damit niemand meinetwegen etwas verlieren möge.

[HGt.01_083,07] O Herr, Gott und Vater, sei mir armem Toren voll Blindheit barmherzig und gnädig! Amen."

[HGt.01_083,08] Nach dem aber erhob sich auf Mein Geheiß alsobald der Henoch und fing an, aus Mir folgende Kraftworte an den Seth und auch an alle anderen zu richten, sagend:

[HGt.01_083,09] ,O lieber Vater Seth, siehe, wo ist der Mensch, so ihn ein Irrtum gefangen hat, daß er sich möchte helfen in der Mitte des Irrtums?! Da er spricht, spricht er wie im Traume; da er handelt, handelt er wie ein Blinder; da er geht, geht er, als hätte er keine Knochen in den Füßen; da er stehen möchte, da fällt er wie einer im Wirbelschwindel; will er wieder erstehen, da vermag er seine Füße nicht zurechtzubringen; und will er sehen und hören, da sieht und hört er den Schatten statt der Sache und den leeren Schall statt des lebendigen Wortes.

[HGt.01_083,10] Siehe, also war und ist es noch bei dir! Du hast des Lebens und der wahren Liebe Schatten nur in dir im Mittage wahrgenommen; damit zufrieden, mochtest du wohl entgegentreten der ewigen Liebe, da du in dir heimlich dachtest, nun müsse schon jedes deiner Worte aus der Höhe kommen. Allein darum aber ließ es der Herr zu, daß du fielst, auf daß du nun wohl begreifen sollst, daß es ein Schwereres ist, sich des allerhöchsten Gutes der ewigen Liebe Jehovas zu bemächtigen, als in dreimal sieben Tagen all die Erdfrüchte ins Trockene zu bringen!

[HGt.01_083,11] Siehe, du irrtest dich, als du mir das Wort des Herrn verwiesen hattest! Warum irrtest du aber? Darum, weil du meintest, auch die Anforderung deines Herzens sei schon ganz rein von oben und gebe dir unbestreitbar das Recht, dich zurechtweisend über die Weisheit Gottes Selbst herzumachen, weil sie deinem lebenbeschatteten Herzen nicht einleuchten wollte und daher unrechtlich und tötend vorkam.

[HGt.01_083,12] Nun fehltest du aber wieder, da du fürs erste dem Adam und mir mehr Versöhnlichkeit zutrautest denn der ewigen Liebe Jehovas Selbst, dessen allereigentlichste Kinder wir doch alle ohne Ausnahme sind, ob gut oder voll Ungehorsams, und fürs zweite scheint dir nur an meinem Worte hauptsächlich zu liegen, ohne zu bedenken, daß das Wort des Herrn, auch aus einem Steine gesprochen, dasselbe heilige, lebendige Wort ist.

[HGt.01_083,13] Daher bitte nicht um meine Zunge, sondern um das lebendige Wort; achte nicht des Werkzeuges, sondern der Gnade, die da kommt durch was immer für ein Werkzeug vom Herrn, ob durch Henoch oder Asmahael; dann wirst du wandeln vollkommen gerechtfertigt vor der ewigen Liebe Jehovas, der allzeit am allerbesten weiß und sieht, welches Werkzeug für diesen oder jenen am allertauglichsten ist. So es aber dem Herrn wohlgefällig ist, auch durch Asmahael zu reden, saget, werden darum die Worte des Herrn weniger Worte des Herrn sein?!

[HGt.01_083,14] O Vater Seth, siehe, das aber ist des Herrn Wille, daß jeder unablässig trachten soll nach dem ewigen Leben der Seele und des Geistes im eigenen Herzen; aber dabei soll sich ja niemand verleiten lassen und der Meinung sein, daß man von einer Schattenwende zur andern auch schon alles erreicht habe!

[HGt.01_083,15] Hat aber jemand schon etwas erreicht vom Herrn, der tue damit den Kindern gleich, so sie einen verborgenen Schatz finden und denselben dann verbergen vor den Augen ihrer Alten sogar in der Furcht, er möchte ihnen wieder abgenommen werden!

[HGt.01_083,16] Es habe niemand eine zu große begierliche Freude daran, ein Werkzeug des Herrn zu werden, sondern jeder verharre in aller heiligen Stille und großen Demut und heimlichen Liebe! Denn es liegt keine Dankbarkeit und durchaus kein Verdienst darin, so jemand berufen wird vom Herrn, als ein Werkzeug zu dienen - denn der Herr vermag auch ohne Werkzeuge Seine großen Werke zu verrichten-; aber es liegt alles darin, daß wir nicht einen Herrn suchen, um ihm unsere eitlen Dinge aufzudrängen, um dadurch zu zeigen, als wenn wir auch etwas wären und vermöchten, sondern daß wir alle ein und denselben heiligen Vater suchen, auf daß Er uns gnädigst zu Kindern des ewigen Lebens aufnehmen möge durch die gnädigste und liebevollste Erweckung unseres schlafenden Geistes und durch die Erleuchtung unserer weltfinsteren Seele.

[HGt.01_083,17] Wen der Herr aber berufen hat, vor den Brüdern von Seiner unendlichen Liebe zu zeugen, der zeuge immerhin, aber stets in der allerhöchsten Demut seines eigenen Herzens, stets eingedenk, daß man nur ein allernutzlosester Diener ist, den der Herr nur gar zu leicht rathalten kann!

[HGt.01_083,18] Wehe aber dem, der darob glauben würde, er sei mehr denn seine Brüder, oder der Herr habe seiner nötig; wahrlich, ein solcher Frevler wird seinem eigenen Gerichte nicht entrinnen!

[HGt.01_083,19] Wenn wir aber dienen, so dienen wir in aller Liebe uns gegenseitig als Brüder und Kinder ein und desselben Vaters, und unsere allerhöchste Weisheit sei, den heiligen Vater über alles zu lieben. Keiner dränge dem andern eine Lehre auf, als wäre er dazu berufen wie ein Hund zum Bellen und ein Hahn zum Krähen! Wenn aber jemanden der Vater berufen hat, der tue es, - aber in der allergrößten Liebe und Demut; denn erst dadurch wird er zeugen, daß seine Lehre wahrhaft aus Gott als dem ewigen Urborne aller Liebe und alles Lebens ist.

[HGt.01_083,20] Wer da predigt, der sei geringer denn alle seine Brüder, so wird er zeugen, daß er wahrhaft ein Diener der Liebe ist!

[HGt.01_083,21] Wer das Wort des Herrn aus dem Munde eines Bruders vernimmt, der danke dem Herrn für die unaussprechliche Gnade; der Prediger aber bedenke bei sich, daß er der Allerunwürdigste ist, und halte jeden seiner Brüder für besser denn sich, so wird er sein Herz bewahren vor dem Hochmute, welcher ist des Todes Vater, und wird sein dem Herrn ein stilles Haus, das Ihm allein nur wohlgefällt!

[HGt.01_083,22] O Vater Seth, siehe, das ist es, was der Vater von uns will und verlangt! Daher trachten wir in aller Liebe und Demut, Ihm wohlzugefallen, so werden wir leben und uns nimmer von dem Schatten des Lebens trügen lassen! Amen."

 

84. Kapitel

[HGt.01_084,01] Als nun der Seth und all die andern diese Rede Henochs vernommen hatten, richtete sich eben Seth wieder auf und begann folgende Rede von sich zu geben, sagend:

[HGt.01_084,02] ,O wahr, ja nur zu wahr ist es, was der Herr durch dich, lieber Henoch, hat verkünden lassen vorzugsweise mir, der ich einen solchen Verweis am allernötigsten habe!

[HGt.01_084,03] O Vater Adam, o Kinder alle, danket an meiner Statt dem Herrn; denn ich bin nicht wert und bin zu schlecht, als daß ich es mir zu wagen getrauen könnte, mit der Zunge, die des Herrn heiliges Wort vor kurzem erst verunglimpfte, dem Herrn alles Lebens und aller Liebe ein unlauteres Lob darzubringen!

[HGt.01_084,04] Nun lasset den Asmahael mir predigen; denn nicht mehr wert bin ich, Henochs Wort zu vernehmen!

[HGt.01_084,05] Ja selbst Asmahaels Wort ist zu heilig für einen Toten! Laßt das Tier mir predigen, damit ich durch seine Schauderstimme möchte erweckt werden vom Tode zum Leben!

[HGt.01_084,06] O Vater Adam, heiße mich nimmer deinen Sohn; denn du bist aus Gott, ich aber aus der Fülle aller Widerspenstigkeit! Sieh, ich will nur dein Knecht sein, ja euer aller Knecht will ich sein, euch dienen wie ein Sklave der Tiefe und stumm sein wie ein Stein, um dadurch dem Herrn genugzutun dafür, daß ich mich in die Finsternis gestürzt habe, während der Herr so viel Licht in Wort und Tat um mich her ausgegossen hat!

[HGt.01_084,07] Danket, ihr Würdigen, dem Herrn für mich, den armen, schwachen und toten Seth! Amen."

[HGt.01_084,08] Adam aber erhob sich und sagte ein kurzes, weises Wort zum Seth, und dieses Wort heilte den Kranken, daß er dann wieder ward voll Liebe und Vertrauen gegen Mich und pries über und über Meinen Namen.

[HGt.01_084,09] Die Worte Adams aber lauteten also: ,Seth, Seth, du nimmst dir zuviel vor, was der Herr dir nicht gebeut! Siehe zu, wenn der Herr dich versucht und du dann noch schwächer wirst denn jetzt und fällst dann in deiner Schwäche, - sage, wer wird dir dann aufhelfen?

[HGt.01_084,10] Etwa Gott, dem du törichterweise genugtun wolltest, da Er doch unendlich und überheilig ist und du nur ein endlicher Staub der Erde vor Ihm?!

[HGt.01_084,11] Wer mag Gott genugtun?! Wer will rein und ohne Fehl zu Ihm beten und Ihm danken, Ihn loben und preisen ohne Sünde und zu Ihm ohne Makel der Seele als Kind den Vaterruf erheben?!

[HGt.01_084,12] Was haben wir denn, das wir zuvor von Ihm nicht empfangen hätten?! Was können wir Ihm geben, das Er nicht zuvor uns gegeben hätte, und was tun, das er uns nicht schon lange früher getan hätte?!

[HGt.01_084,13] Darum mache dir kein unnötiges Gebot, sondern beachte das eine nur, daß du Ihn mehr und mehr liebst in aller Demut deines Geistes und alle Brüder und mich zehnmal mehr denn dich! Alles andere überlasse nur dem Herrn; Er weiß es am allerbesten, welche Last du zu ertragen vermagst!

[HGt.01_084,14] Wenn es dir aber schon schwer wird, in der Tat das eine Gebot zu erfüllen, wie möchtest du dann wohl mit so vielen zurechtkommen?!

[HGt.01_084,15] Weißt du denn nicht, daß an jedem Gesetze der Fluch, die Sünde, das Gericht und der Tod hängen?!

[HGt.01_084,16] Fürchte dich daher vor jeglichem Gebote, - willst du leben! Leichter ist es, Gesetze zu geben, als denselben zu gehorchen.

[HGt.01_084,17] Was aber ist wohl mehr: Frei sein in der Liebe durch die Liebe, oder schmachten unter des Gehorsams hartem Joche nach der Freiheit der Liebe, welche da hart zu erringen ist und ewig sein wird, wo das vergeblich sich sehnende Herz unter den harten Schlägen der Versuchung lange wird bluten müssen?

[HGt.01_084,18] Siehe, die Kinder des Abends, wie sind sie zugrunde gerichtet auch nur durch ein leichtes Gebot; wie schwer wird ihnen zu helfen sein, so etwa ihr Herz durch den zu langen Druck verhärtet ist!

[HGt.01_084,19] Wir aber wollen dem Herrn allzeit danken und Seinen Namen lobpreisen, dieweil Er uns ein freies Herz für freie Liebe gab, und wollen Ihn auch allzeit bitten, daß Er uns vor jeglichem Gebote bewahren möge, auf daß wir allein Seiner ewigen Liebe leben möchten als freie Kinder.

[HGt.01_084,20] O Seth, es werden einst Zeiten kommen, da unsere späteren Kinder unter Bergen von Gesetzen leben werden und werden vergeblich schmachten nach der Freiheit gleich einem erhitzten Steine in der Tiefe der Erde! Und ihre Brüder werden die schwer Gehorchenden in steinerne Löcher stecken und sie aller Freiheit berauben. Da wird der Sünden sein wie des Sandes im Meere und des Grases auf der Erde!

[HGt.01_084,21] Daher stehe du ab von deiner Torheit und tue, was du kannst, und was dem Herrn wohlgefällig ist; alles andere überlasse dem Herrn, so wirst du leben! Amen.

[HGt.01_084,22] Nimm meinen Segen, und wandle wieder frei und gerecht vor Gott, vor mir und allen unseren Kindern! Amen."

 

85. Kapitel

[HGt.01_085,01] Als der Seth solche Rede vernommen hatte, sah er alsbald die kleine Torheit seiner Vornahme vollends ein, ward wieder ein freier Mensch und lobte und pries Mich über die Maßen in seinem nun neu belebten Herzen und freute sich sehr auf Asmahaels Rede, welcher nun nach dem Geheiße Henochs auch alsobald zu reden begann, und zwar über die Stummheit der Kinder des Abends. Was er aber sprach, sprach er aus Mir durch den Geist Ahbels in einer bündigen und gleich einem Bächlein fließenden Rede, welches also ruhig forträuschelt und -sprudelt über kleine Kiesel und Sandbänkchen und sich dann lächelnd ergießt in einen Strom, der mit offenen Armen den Liebling aufnimmt und ihn dann auf seinen breiten Schultern trägt in das Meer der Ruhe.

[HGt.01_085,02] Das aber war die so sehr berühmt gewordene Rede Asmahaels und lautete also:

[HGt.01_085,03] ,O Väter der Väter der Erde! Mein Auge schaut weinend die schmachtende Menge der herrlichen Kinder der Väter der Erde; sie liegen so stumm und so tot wie die Steine im Grunde der Meere und anderer großer Gewässer.

[HGt.01_085,04] Gebote, - o harte und schwere Gebote! O Menschen, ihr harten und lieblosen Menschen, wohin werd't die Brüder ihr bringen und machen zu was die unschuldigen Kinder durch all die nutzlosen Gebote,

[HGt.01_085,05] von denen ein jedes ein endloses Heer von ganz neuen Geboten notwendig nach sich ziehen muß!

[HGt.01_085,06] O fragt euch, ihr Väter der Väter der Erde, wie viele Gebote der ewige Herr allerbarmend euch allen zu halten hat weise beschieden!

[HGt.01_085,07] Ich weiß es und muß es euch sagen: Gar keines - als nur zu erkennen die ewige Freiheit in aller der endlosen Liebe des ewigen, heiligen Vaters!

[HGt.01_085,08] Sind wir denn erschaffen, um weltschwere Lasten von all den Geboten zu tragen?! Ist Gott denn ein schwächlicher Gott, daß darob Er den Menschen Gebote muß geben, um sie in der Ordnung gehärtetem Zaume zu halten?!

[HGt.01_085,09] O Väter, wie töricht wär' solches zu denken von einem allmächtigen, ewigen, endlosen, heiligen Gott, dessen leisester Hauch all die zahllosen Welten und endlose Heere von mächtigsten Geistern zunichte möcht' machen!

[HGt.01_085,10] Ein so übermächtiger Gott sollte drücken die Menschen durch nicht zu ertragende Lasten von toten Geboten, von steinfesten Sätzen, die Er Selbst am Ende zu lindern durch all' Seine Kräfte nicht möchte, wie auch nimmer dürfte; denn löst Er ein'n dieser geistigen Zwinger des Lebens, müßt' da Er nicht fürchten, am Ende von Seinen Geschöpfen gefangen zu werden und dann an Sich Selbst zu erfahren, ein Sklave zu sein den Geschöpfen, die all' doch gen Ihn nicht ein Stäubchen der Sonne ausmachen!

[HGt.01_085,11] O Väter der Väter der Erde, ihr könnt euch nichts Tolleres denken! Der Vater, der ewige, heilige Vater voll Liebe, der mächtige, freie, unendliche Gott sollte Wesen erschaffen, um sie dann zu töten gar grausam im härtesten Drucke der überweltschweren Gebote?!

[HGt.01_085,12] O wahrlich, mir wär' es viel leichter zu fassen, daß ich und mein grausamer Träger ein einziges Wesen voll Nacht und voll Lichtes inmitten der Erde ausmachten, als daß unser Gott, unser mächtiger, ewiger, freier und heiliger Gott nur ein Wesen entstehen könnt' lassen, um es durch Gebote zu drücken und zwingen, sich frei zu bewegen, was rein doch unmöglicher wäre, als wenn Sich der freieste heilige Vater und Schöpfer durch eherne Ketten gar Selbsten zum Sklaven der Sklaven der Lamechschen Tiefe möcht' machen!

[HGt.01_085,13] O Väter der Väter der Erde, wie ist's denn, daß ihr als die einzigsten Kinder des ewigen, heiligen Vaters voll Liebe von Seiner allweisesten, herrlichsten, freiesten Ordnung nichts wisset? Ihr predigt von Liebe zum Vater euch untereinander - und kennet dies ewige, heilige Grundelement, wie ich deutlich nun sehe, nicht weiter, nicht mehr, als daß selbes ihr mögt mit leer schallenden Worten zu nennen!

[HGt.01_085,14] O höret, die Liebe, die mächtige, heilige Liebe des ewigen Vaters ist ja nur die ewige, freieste Ordnung in Gott! Dieser ewigen, heiligen Ordnung gemäß und vollkommen gemäß sind ja alle die endlosen Heere der Geister, der Welten und ihr, Seine einzigsten Kinder, so frei wie Er Selbst von Ihm hervorgegangen.

[HGt.01_085,15] Doch um euch zu lehren, daß ihr so wie Er völlig frei euch sollt fühlen, gab Er aus der innersten Tiefe der Liebe als Vater euch Kindern - ich mag es Gebot nimmer nennen - nur einen höchst weisen, wohlwollenden Rat, euch an nichts anzulehnen und nichts zu berühren, das euerer Freiheit könnt' hinderlich werden; ihr aber, im vollsten Bewußtsein der göttlichen Freiheit und Fülle der Kraft, wollt't nicht achten des Rates des liebenden Vaters und griffet nach allem, was eurer noch ganz ungefesteten Freiheit und Leben mußt' hinderlich werden. Die Tat war der ewigen Ordnung der Liebe zuwider; nun mußte der heilige Vater die endlose Schöpfung umstalten, um euch in die Freiheit des Lebens von neuem zu setzen.

[HGt.01_085,16] Nun seid ihr in dieser so liebvollsten Stellung als Kinder des heiligen Vaters, seid frei und voll Leben und Gnade von oben; wie könnt ihr so blind doch die Kinder desselbigen heiligen Vaters zu nichts und für nichts in verschiedene Gegenden bannen durch Zwang eines finstern Gebotes, das sie nicht belebt noch erfreut, sondern tötet am Leibe und Geiste?!

[HGt.01_085,17] Daher löset die lange verrosteten Bande des toten Gesetzes von ihren gemarterten Füßen, und lasset sie bauen die Erde nach ihrem Gefallen - nur daß sie die finsteren Tiefen vermeiden -, so werden sie leben, Gott loben und preisen und lieben und euch anerkennen als redliche Väter und mächtige Kinder des Herrn, hört amen, hört amen, hört amen!"

 

86. Kapitel

[HGt.01_086,01] Nach der Vollendung der Rede Asmahaels trat eine ziemlich lange stillschweigende Pause unter die Väter; selbst Henoch hatte sich in eine lange Rechnung der Liebe verloren und dachte bei sich nach, ob es denn noch irgend möglich sein könnte, sich in der Liebe zu irren.

[HGt.01_086,02] ,Denn", sagte er bei sich selbst, ,Asmahael hat nur zu sehr recht in allem, was er ausgesprochen! Doch die ergreifende Liebe, die mächtige Liebe, die das Herz mit süßer, unüberwindbarer Gewalt nach aufwärts zum ewigen, heiligen Vater zieht, so daß da kein Vollergriffener mehr umhin kann und mag, von ihr los zu werden, - sollte - nein, nein, mir ist's nicht möglich, es zu fühlen und zu denken! -, sollte diese allmächtige Liebe nicht etwa ein ewiges Gesetz im Herrn Selbst sein, aus welchem, nach welchem und durch welches Er alles erschafft, ordnet und fortwährend erhält?!

[HGt.01_086,03] Und doch sagte gar so einleuchtend Asmahael, daß eben die Liebe die höchste Freiheit ist, wie in Gott, also auch in allen Seinen Kindern!

[HGt.01_086,04] Wahr und gewiß ist es übrigens auf jeden Fall, daß jedes Leben durch einen entsprechenden Grad der Freiheit bedingt ist, und daß diese Freiheit mit der Liebe stets gleichen Schritt hält; wo also die höchste Liebe waltet, ist auch das höchste Leben und somit auch die höchste Freiheit!

[HGt.01_086,05] Aber wie ist es hernach mit der Festsetzung der Ordnung, vermöge welcher jedes Wesen seine ihm gegebene Form beibehalten muß und sie nicht ändern kann nach freier Willkür? Der Schöpfer, unser heiliger Gott und Vater, hat es also eingerichtet - das ist und wird sein ewig wahr! -; aber sollte das, was bei den Wesen und Kindern die unabänderliche Form bedingt, bei dem Herrn nicht ein aus Sich Selbst gestelltes Gesetz sein, welches Er so lange bis auf den unendlich kleinsten Punkt beachten muß, als Seiner unendlichen Liebe die Wesen das bleiben sollen, als was Er sie aus Seiner ewigen Ordnung gestellt hat?

[HGt.01_086,06] Hier ist Gesetz! Wer kann es nun wieder leugnen und dagegen behaupten, als wäre es kein Gesetz, sondern die entbundenste, loseste Freiheit?!

[HGt.01_086,07] O Asmahael, Asmahael! Wer kann deine Rede fassen und leben?!

[HGt.01_086,08] O Väter, arme Väter, ihr habt mich zum Lehrer erwählt! Solange ich lieben konnte, konnte ich reden durch die unbegreifliche Gnade des Herrn; allein die Rede Asmahaels zeigte mir nun nur zu deutlich, daß ich meine Worte, die mir die ewige Liebe für mich und für die Väter einhauchte, noch nie auch nur im geringsten verstanden habe. Die freie, süße Liebe ist nun ein Doppelding geworden; sie ist die höchste Freiheit und zugleich aber auch das unabänderlichste, festeste Gesetz aller Gesetze, durch welches allem das Leben bedingt ist. In der Freiheit kann ich lieben und leben, - im Gesetz muß ich lieben oder sterben des ewigen Todes! Wie aber ist Freiheit, die vollste, loseste Freiheit, und anderseits das unabänderlichste Gesetz unter ein Dach zu bringen?!

[HGt.01_086,09] Wer kann mir nun überzeugend sagen, ob meine Liebe Freiheit oder Gesetz ist? Da ich liebe und lebe, ist sie Freiheit; da mich aber die Liebe zieht und mir unaussprechlich behagt, ist sie ein ewig richtendes Gesetz, durch welches ich, der lieben muß durch den unwiderstehlichen Reiz im Herzen zu Gott, tot, ja ewig tot bin und notwendig sein muß!

[HGt.01_086,10] O heiliger Vater, siehe, ich liege zugrunde gerichtet durch die Rede Asmahaels und kann mir nimmer helfen; so Du mir und den Vätern nicht hilfst und uns wieder aufrichtest, sind wir alle für ewig verloren!

[HGt.01_086,11] Nun sehe ich es erst ein, wie gar nichts der Mensch aus sich vermag; so Du, o heiliger Vater, ihn nicht beständig leitest, da hört er auf zu sein und ist, als wenn er nie gewesen wäre, voll ewiger Vernichtung! O Vater, lieber, heiliger Vater, errette uns von diesem Verderben, in welches uns alle die unmöglich zu fassende Rede Asmahaels gestürzt hat! Amen."

[HGt.01_086,12] Seth aber, als sich sein größtes Erstaunen gelegt hatte über die Rede Asmahaels, erhob sich und fragte den Vater Adam, sagend: ,Höre, geliebter Vater, Henochs Vorrede hat mir helle geleuchtet auf dem Wege so manchen Irrtums! Auf dem Wege schlief ich ein im Geiste. Du wecktest mich aus einem unnatürlichen Traume, und gar wohl bekam es mir, da du mich segnetest; aber was kann, was soll aus uns werden?

[HGt.01_086,13] Asmahael hat Worte ausgesprochen, deren Sinn ein natürlicher Mensch unmöglich je erfassen wird! Hat er ihn aber nicht völlig erfaßt, so ist er gleich einem Steine, der in sich voll Tod und Finsternis ist.

[HGt.01_086,14] Henoch getraue ich mich kaum zu fragen! Wenn es dir nicht geht wie mir und du Licht hast in dieser Rede, so teile es mir treulich mit, auf daß nicht Himmel und Erde ob meines großen Unverstandes zugrunde gehen, ehe wir noch unsere Heimat werden betreten haben! Amen."

[HGt.01_086,15] Adam aber blickte den Seth ganz verdutzt an und wußte nicht, was er als Vater, seine Ehre rettend, dem Sohne hätte darüber sagen sollen. Nach einigem Sinnen erst brachte er es dahin, daß er ihm bedeutete, zu harren bis zu einer schicklicheren Zeit; denn für jetzt hätte er an anderes zu denken.

[HGt.01_086,16] Enos aber zupfte den Jared und sagte ihm ins Ohr, ohne daß sich darob beide erhoben hätten: ,Höre, Jared, du bist ein weiser Lehrer deines Sohnes und hast ihm wohl gezeigt, Gott zu lieben im Herzen, daß die Liebe zu Gott gleichkommt der Liebe eines Menschen zu einem Menschen und heftiger sei denn des Mannes Liebe zu seinem Weibe und zu seinen Kindern. Siehe, er sieht nun unser aller große Verlegenheit; warum läßt er uns denn nun stecken?

[HGt.01_086,17] Mir kommt es geradeso vor, als wenn ihm der Asmahael vollends den Mut benommen hätte! Gehe hin zu ihm, und sage ihm, daß er uns jetzt nicht möge stecken lassen; denn nun ist es ja hauptsächlich nötig, uns, seine Väter, aus der größten aller Verlegenheiten zu heben durch seinen gesegneten Mund. Gehe, und bedeute ihm das, so du willst! Amen."

[HGt.01_086,18] Jared aber kratzte sich hinter dem Ohre und bemerkte endlich: ,Siehe, Vater Enos, wenn mich ein Strahl der Sonne sticht, da verlasse ich die Stelle und fliehe unter einen kühlenden Schatten! Mag nun der heftige Strahl ein Loch in die Erde brennen, wahrlich, es kümmert mich wenig; denn ich habe ja einen guten Schatten gefunden! Ich müßte aber von allen Sinnen sein, so ich meinen Schatten eher verlassen sollte, bevor die Sonne untergegangen ist!

[HGt.01_086,19] Daher lassen wir auch das die ausmachen und lassen sie über das ganze Firmament ein Zelt spannen, wenn sie die Sonne zu heiß dünkt; wird doch der Lehrer mit seinem Schüler zurechtkommen, so er ein rechter Lehrer ist! Und wird der Lehrling sein über seinen Meister?

[HGt.01_086,20] Wenn aber der Schüler Dinge spricht, welche das Herz des Lehrers nicht faßt, so ist es ja ungeschickt, daß man den zum Schüler macht, der den Meister und alle Väter an der inneren Weisheit so sehr übertrifft, daß diese darauf nicht einmal ein Wörtchen zu entgegnen wissen! Daher bleibe ich getrost unter meinem Schatten und begnüge mich mit den Lichtspritzern, welche durch die raschelnden Blätter blitzen, und lasse den der Sonne ins Angesicht starren, der eine ganz besondere Lust hat, vollends blind zu werden!

[HGt.01_086,21] Siehe, Vater Enos, daher will ich nicht, was du willst; denn meine Augen sind mir lieber als alles Verständnis in Dingen, die man eigentlich doch nie ganz verstehen kann, und ich sage daher unverrichteterdinge in aller Namen Amen."

[HGt.01_086,22] Auch zwischen Kenan und Mahalaleel entspann sich ein leises Gespräch folgenden Inhalts:

[HGt.01_086,23] Mahalaleel: ,Was meinst du, Kenan, werden wir heute wohl noch nach Hause kommen? Die Kinder des Abends liegen alle stumm wie die Steine auf der lieben Erde, und uns geht es nach der wirklich außerordentlichen Rede Asmahaels um kein Haar besser; selbst der liebe, gute Henoch kommt wenigstens mir vor, als wenn er sich in einer eben nicht gar zu geringen Verlegenheit befinden möchte!"

[HGt.01_086,24] Kenan: ,Weißt du etwas, so rede; und weißt du nichts, so tue wie ich, der ich auch nichts weiß! So viel ist gewiß, daß der Asmahael mehr weiß als ich und du! Was nützt es aber auch, den Tauben zu predigen und den Blinden zu zeigen?! Du kennst ja meinen Traum; der war gewiß wie nicht leichtlich einer! Ich habe ihn erzählt so gewissenhaft getreu, wie ich ihn geträumt habe. Seth und alle andern wußten mir am Ende geradesoviel zu sagen wie ich mir selbst, nämlich nichts! Da dachte ich dann: Vorher wußte ich nichts, jetzt weiß ich auch nichts und werde auch fortan nichts wissen. Und siehe, ich bin damit zufrieden!"

[HGt.01_086,25] Mahalaleel: ,Wenn du als feiner Redner das von dir sagst, da doch deine Sprache ganz der des Asmahael gleicht, was soll hernach erst ich sagen, der ich, wie du es am besten weißt, eine harte Zunge habe?! Aber meine Gleichgültigkeit fängt mich nun bei dieser allgemeinen Stummheit ein wenig zu verlassen an; denn wenn da nicht bald eine Lösung von oben kommt, Vater, ich sage dir, so werden wir hier im Abende sicher den Abend erleben und wahrscheinlich auch die Mitternacht, welche uns wenigstens geistig nicht gar zu ferne zu sein scheint!"

[HGt.01_086,26] Kenan: ,Lassen wir die Sache gut sein! Sollte es hier wirklich zum Übernachten kommen, so wird deswegen die Erde nicht wurmstichig werden und der feste Boden nicht zu Wasser. Der Herr weiß es am besten, warum Er unseren geschäftigen Zungen einen kleinen Rasttag bereitet hat! Ich sage aber allzeit: Es ist besser handeln, als immer reden und lehren. Ich höre zwar sehr gerne schöne Reden und Lehren, - aber wahrhaftig wahr: auf dieser Reise geschieht des Guten zuviel; man kann's nicht mehr verdauen, und die Rede Asmahaels ist gar ein Stein, höre, der möchte noch einige Ruhe nötig haben bis zur Verdauung! Daher lassen wir es nur gut sein und schweigen! Amen."

 

87. Kapitel

[HGt.01_087,01] Der Seth bemerkte aber, daß die Kinder heimlich miteinander Worte wechselten und dachte bei sich nach: ,Wahrlich, es hat sie alle ein Zweifel ergriffen, und sie können sich nicht raten und nicht helfen! O wie gern möchte ich euch helfen, wenn es mir gegeben wäre! Daß aber der Henoch über diese Sache so lange stumm ist!

[HGt.01_087,02] Die arme Mutter Eva leidet im stillen gewiß wieder gewaltig mit und muß vielleicht heimlich im Herzen unsere sämtliche Torheit beweinen!

[HGt.01_087,03] Wie wär's denn, wenn auch ich mich ganz heimlich mit einer Frage um ihr Befinden an sie wendete?!

[HGt.01_087,04] Wer weiß es, ob die stille Dulderin etwa nicht ein helles Fünkchen im Herzen birgt, welches, wenn es in unsere Finsternis käme, einen entschieden herrlichen Dienst leisten möchte?!

[HGt.01_087,05] Daher nur frisch gewagt; denn gefehlter kann es gewiß nicht sein denn jetzt, wo wir meines Dafürhaltens alle in der Finsternis sitzen und schwitzen und auch nicht ein kühlendes Tautröpfchen weder aus der Erde noch vom glühenden Himmel auf unsere schmachtende Seele fällt!

[HGt.01_087,06] Und siehe, der Seth redete die Mutter Eva also an, sagend: ,Geliebte Mutter, du scheinst traurig zu sein! O sage mir, ob nicht heimlicher Kummer nagt an deiner Seele!

[HGt.01_087,07] Siehe, Asmahaels Mund hat uns alle geschlagen mit dreifacher Finsternis, und wir können uns nicht helfen, wie du siehst! Allein was der Herr krumm macht, das wird Er wohl wieder ausgleichen zur Ihm wohlgefälligen Zeit! Daher, sollte dich ein Kummer drücken, so beruhige in der Liebe des Herrn dein Herz! Hast du aber irgendein Lichtchen in der Sache, die uns alle drückt, so verschließe es nicht zu tief in deinem Herzen; denn in einer wolkendurchwirkten, schwarzfinsteren Nacht erquickt auch ein winzigstes Fünkchen das lichtdurstige Auge des irrenden Wanderers!

[HGt.01_087,08] O Mutter, ich, dein geliebter Sohn Seth, bin es, der mit dir spricht; öffne dein Auge und Herz, und laß ihn in Kürze vernehmen den Kummer und, wo möglich es wäre, vielleicht auch ein leuchtendes Fünkchen von oben! Amen."

[HGt.01_087,09] Die Eva aber entgegnete etwas ernst alsogleich dem Seth: ,Lieber Sohn, von Gott mir gegeben an der Stelle Ahbels, siehe, an der Stille meines Wesens magst du wohl immer merken, daß die in sich gekehrte Mutter aller lebenden Menschen der Erde eben nicht die meiste Ursache haben möchte, ihr Herz vor Freude hüpfen zu lassen, besonders wenn sie merken muß, daß selbst ihr Liebling sich mehr schlauen als aufrichtigen Herzens ihr naht!

[HGt.01_087,10] Seth, mein geliebter Sohn, warum fragtest du mich um mein Befinden, da dir doch nur das Fünkchen am Herzen lag?

[HGt.01_087,11] Meinst du denn, eine gutmütige Schlauheit ist eine Tugend der Weisheit?

[HGt.01_087,12] O Seth, da irrst du dich stark! Siehe, gerade Offenheit - das Herz im Munde, und die Zunge im Herzen -, das ist aller Weisheit Grund! Was du möchtest, das verlange, was dir zuwider ist, das fliehe, auf daß du aufrichtigen Herzens Gott lieben kannst heimlich wie vor aller Welt, so wird nie Abend und Mitternacht in deinem Herzen werden!

[HGt.01_087,13] Siehe, dir ist Weisheit gegeben worden; warum gingst du nicht stets geraden Weges?

[HGt.01_087,14] Künstliche Wendungen, hochklingende Worte sind allzeit starke Verkünder der eigenen Schwäche, wodurch man gerne dem andern zeigen möchte, daß man noch außerordentlich stark ist, während es der Gerade schon von weitem sieht, daß der Starkseinwollende Krümmungen macht; daher, lieber Seth, weiche von deinen Krümmungen ab und wandle geraden Weges vor Gott und den Kindern, so wird dich nie ein Lichtmangel drücken!

[HGt.01_087,15] Denke, wenn du einen Kreis machst, daß der entfernteste Punkt der Kreislinie auch derjenige ist, der dem Ausgange und Anfange am allernächsten kommt; höre, aber ja keine Schnecke mußt du dir zur Lehrerin des Kreises machen, - da würdest du nimmer dahin gelangen, von wo du ausgegangen bist!

[HGt.01_087,16] Verstehe deine alte Mutter wohl, und sei ruhig im Herzen und in Gott! Amen."

[HGt.01_087,17] Als aber der Seth solches von der Eva vernommen hatte, ward es ihm angst und bange, da er dann bei sich dachte: ,Wie sonderbar hier im Abende! Jedes Wort ist ein Irrtum, jedes Mitleid unzeitig und am uneigentlichsten Platze; jeder besser scheinende Gedanke, der sich im Herzen noch deutlich ausspricht, ist nichts als der ordnungslose Flug eines Nachtfalters, der so lange um die Flamme kreist, bis endlich die lichtvolle Flamme ihn seiner leichten Schwingen beraubt hat!

[HGt.01_087,18] Mein Wille ist ein totes Wollen und gleicht vollkommen dem im Traume, durch den auch gerade das nur bewirkt wird, daß man das unbedingt wollen muß, was einem eine fremde, unerforschliche Macht heimlich zu wollen und zu handeln zwingt. Meine Liebe zu Gott kommt mir vor, als liebte ich die Luft und das Wasser. Ich vernehme das Rauschen des Windes; aber es fächelt kein auch noch so leiser Hauch um meine Locken. Ich habe Hunger und Durst, mag aber weder essen noch trinken. Ich bin schläfrig - und kann nicht einschlafen. Ich bin müde, und meine Glieder scheuen jegliche Ruhe. Ich bete zu Gott; aber mein Herz liegt gleich einem Steine unbeweglich auf der Erde. Ich blicke auf zu den lichterfüllten Höhen, - sie sind überdeckt mit schwersten Wolkenmassen. Ja, es kommt mir nun in mir und außer mir alles so ganz sonderbar vor! Ich bin, als wäre ich nicht; und alles, was ich ansehe, scheint nur ein halbes Dasein zu haben, oder es ist, als wenn es nicht wäre, oder als wenn es alsbald vergehen wollte.

[HGt.01_087,19] O Herr und Vater, laß uns nicht aus Deinen Händen, und erwecke uns wieder, und laß nicht zu, daß wir einschlafen möchten auf dem Wege des Lebens unter der lichten Zeit des Tages! Treibe uns hinweg, aus dieser Gegend treibe uns, und hebe auf die törichten von uns gemachten Unterschiede der Gegenden! Wahr ist es, daß im natürlichen Abende ebensogut wie im Morgen die besten Menschen wohnen können und auch sollen!

[HGt.01_087,20] Wir selbst haben mit Schmutz besudelt diese Gegend - und mehr noch die der Mitternacht. Nun haben wir selbst diese Gegend betreten, und der Schmutz fällt nun auf unsere eigene Brust und erstickt uns beinahe ganz und gar. O Gott, Herr und Vater, wir vermögen nun nichts mehr; hilf uns allen aus dieser großen Not, und laß uns nicht zugrunde gehen ob unserer großen Torheit! Amen."

 

88. Kapitel

[HGt.01_088,01] Bald darauf aber wurde wieder Henoch erweckt und begann folgende Wunderrede aus Mir an all die Väter zu richten, sagend nämlich:

[HGt.01_088,02] ,Höret, liebe Väter! Der Herr, Gott Jehova, unser aller liebevollster, heiligster Vater hat in Seiner großen Erbarmung die Trübsal unserer gedemütigten Herzen angesehen und ist gnädig geworden unserer Torheit, in welcher wir schon bei dreihundert Jahre hartnäckig verharrten, und will uns wieder erheben aus dem Schlamme unserer Not; aber es ist zuvor nötig, daß ein jeder aus seinem Herzen den törichten Unterschied der Gegenden verbannt, hernach aber werktätig!

[HGt.01_088,03] Höret, dem Herrn, Gott Jehova, unserm allerliebevollsten, heiligsten Vater hat es gefallen, den Asmahael zu erwecken, auf daß er uns allen zeige die Torheit des Gesetzes, wenn dasselbe nicht mit der göttlichen Ordnung im engsten Zusammenhange steht! Wir waren sämtlich außer der Ordnung und konnten daher auch nichts von allem dem erfassen; denn auf der einen Seite haben wir uns umstrickt mit des Gesetzes eherner Notwendigkeit und waren tot in jeglichem Worte, Gedanken, Willen und somit auch in jeglicher Verrichtung, - auf der andern Seite aber hatten wir das größte Bedürfnis stark fühlbar in unserm Herzen nach der wahren Freiheit des Lebens, ohne welche das Leben kein Leben wäre und auch ewig nie werden könnte.

[HGt.01_088,04] Wir waren ein Doppelding; wir waren tot und lebendig. Wir waren der Wahrheit auf der einen Seite unbegreiflich nahe, auf der andern Seite wieder unbegreiflich ferne; denn das Gesetz und die Freiheit haben für das Verständnis unseres Herzens eine unübersteigliche Kluft gebildet, über welche wir weder vom Gesetze zur Freiheit noch umgekehrt springen konnten und waren daher durch die eigene Not genötigt, Gott Selbst entweder von eigenem Gesetze gebunden oder in eine zunichte machende, absoluteste Freiheit zerfließen zu sehen, und waren daher tot links und rechts!

[HGt.01_088,05] Ich selbst habe es in mir empfunden und konnte trotz aller meiner stillen Herzensmühe Wasser und Feuer unmöglich in ein Gefäß bringen und vereinen! ,Denn`, dachte ich mir, ,das Gesetz der Ordnung ist doch ein Gesetz, welches Gott so lange beachten muß, solange Er beständige Wesen um und in Sich erschauen und haben will; wer aber Gesetze beachten muß, wie ist der denn frei?`

[HGt.01_088,06] Wieder dachte ich mir: ,Wer aber vermag Gott zu etwas zu nötigen? Tut Er es, so tut Er es ja nach Seinem höchst freien, heiligsten Willen und kann es alsogleich wieder zerstören und jegliches Werk vollkommen zunichte machen!`

[HGt.01_088,07] Wieder dachte ich mir: ,Woher rührt denn hernach die beständige Erhaltung?`

[HGt.01_088,08] Da meldete sich die Liebe und sagte: ,Ich bin der Grund aller Erhaltung!`, und weiter sagte sie nichts!

[HGt.01_088,09] Da dachte ich wieder: ,Wenn Du der Grund aller Erhaltung bist, für hochwahr, da bist Du Dir ja Selbst ein ewiges Gesetz, - wie hernach frei?`

[HGt.01_088,10] Und wie ich dachte, so auch dachte der Vater Adam. Und der Vater Seth dachte also zwar nicht, aber er empfand die unübersteigliche leere Kluft tief in seiner Brust und suchte und fand; aber in Ermanglung der tauglichen Werkzeuge konnte er mit dem Gefundenen keine Brücke bauen über die große Kluft. Und es dachten auch die anderen Väter in mehr oder weniger großer Lauheit darüber nach unter sich und brachten nichts denn eine geduldige Abwartung der Dinge unter sich hervor und mochten leise die Schuld hin und her schieben; allein es wollte darob doch nicht lichter und wärmer werden in der verirrten Brust.

[HGt.01_088,11] Die Mutter Eva zeigte dem Vater Seth wohl ein großes Licht, - allein der starke Schein in der Nacht erblindet das schwache Auge noch mehr denn vorher die Nacht selbst; und so ward eines jeden Unternehmung gerügt durch die darauffolgende dreifache Finsternis.

[HGt.01_088,12] Es ist aber kein weiserer Lehrer denn die Not selbst. In der Not wandten wir uns alle an den heiligen, liebevollsten Vater, und Er hat die Not der Kinder angesehen und kam zu ihnen herab mit Seiner Gnade. Wir sind die Kinder; Er aber ist unter uns und lehrt uns Selbst!

[HGt.01_088,13] Und Seine Worte sind ein lauter Ruf voll Liebe und Weisheit; denn also spricht der heilige, liebevollste Vater:

[HGt.01_088,14] ,Höret, Kinder Meiner Liebe, und begreifet es wohl in euren Herzen: Ich bin ein einiger, ewiger Gott, Schöpfer aller Dinge aus Mir und Vater Meiner Liebe und aller derer, die aus ihr sind.

[HGt.01_088,15] Ich bin ewig frei und ungebunden, und Meine Liebe ist die Seligkeit Meiner ewigen Freiheit selbst.

[HGt.01_088,16] Alle Geschöpfe sind keine Notwendigkeit, sondern nur den Geschöpfen sichtbare Zeichen Meiner allerhöchsten, vollkommen freien Macht und der daraus hervorgehenden Seligkeit aller Seligkeiten. Was sollte oder könnte Mich nötigen, also oder anders zu handeln?!

[HGt.01_088,17] Was ihr ,Gesetz` nennet, ist bei Mir die höchste Freiheit in aller Seligkeit Meiner Liebe; was ihr aber ,Freiheit` nennet, ist nur Meine freie Macht. Daher lebet der Liebe, lebet der ewigen Liebe in Mir, so lebet ihr wahrhaft frei! Und die Freiheit des Lebens wird euch erst vollständig belehren, daß das Gesetz der Liebe die allereigentlichste und allerhöchste Freiheit ist, und daß das Gesetz und die Freiheit gleich sind einem Kreise, der überall sich selbst begegnet und sich frei macht durch die Ordnung, in welcher er sich ewig baut in der unendlichen Vollkommenheit!

[HGt.01_088,18] Daher liebet, so ist das Gesetz euch untertan und ihr seid vollkommen frei wie Ich, euer Vater! Amen.`"

 

89. Kapitel

[HGt.01_089,01] Und der Adam erhob sich, faltete die Hände, hob die Augen gen Himmel, das Herz zu Mir und sagte in hoher Rührung und vollster Erhebung des Herzens zu Mir: ,O Vater, großer, heiliger Vater, o Du ewige Liebe! Wie kann, wie soll ich Dir denn danken?!

[HGt.01_089,02] Wir waren nicht, - Du ließest uns werden, auf daß wir uns hoch erfreuen über unser so überseliges Dasein in Deiner unendlichen Liebe, Erbarmung und Gnade! Du hast uns also erschaffen, daß wir gleich Dir schon leiblich fast jedes erdenklichen Genusses fähig sind, da wir hören, sehen, riechen, schmecken, empfinden, wahrnehmen und fühlen, ja sogar mit großer Kraft lieben können - Dich über alles und unsere Kinder wie unser eigenes Leben.

[HGt.01_089,03] Wir können gehen, stehen, liegen, sitzen und können uns wenden nach Belieben und beugen alle unsere Glieder tausendfach und drehen nach allen Seiten den Kopf und die Augen; und unsere Zunge hast Du gesegnet, auf daß sie führe eine lebendige Sprache der Liebe aus Dir zum gegenseitigen Verständnisse! Oh, wer könnte Dir danken nach Würde und Billigkeit; denn unermeßlich sind die großen Liebestaten an uns unendlich kleinen Empfängern!

[HGt.01_089,04] Oh, wie gar nichts wären wir aus uns; daß wir aber etwas sind, sind wir ja nur aus Deinen Liebestaten, und unser Leben ist Deine Liebe und all unser Wissen Deine Gnade!

[HGt.01_089,05] O Vater, überguter, großer, heiliger Vater! Unser gedemütigtes Herz, nun voll kindlicher Liebe zu Dir, sieh gnädigst an und nimm es an als den besten Dank, den wir Dir darzubringen vermögen; denn unsere Zunge hängt zu sehr ab von Deinem Segen, wenn sie etwas vollkommen Deiner Würdiges hervorbringen soll. Und bringt sie dann etwas zum Vorscheine, dann ist es nicht mehr unser, sondern allzeit nur Dein Werk; Dein Wort und Werk aber ist Dir ja ohnehin ewig das allergrößte Lob, ob an sich selbst, oder ob an unserer Zunge!

[HGt.01_089,06] Daher haben wir nichts, das du uns vollkommen zu eigen ließest, als die Liebe und die Sünde.

[HGt.01_089,07] O Vater! Hätte ich die Liebe nicht, was hätte ich dann denn die Sünde und den Tod? Könnte ich Dich auch in der Sünde loben und im Tode preisen?!

[HGt.01_089,08] Darum gabst Du mir die Liebe, daß nicht die Sünde und der Tod mein Werk seien allein, sondern auch die Liebe und ihre lebendigen Werke, damit sie seien aus der Liebe pur mein und aus Deiner Gnade und Erbarmung aber ganz allein nur Dein!

[HGt.01_089,09] O heiliger Vater, da ich allein die Weisheit hatte, konnte ich kein Werk verrichten denn das der Sünde und war genötigt, Dich zu loben und zu preisen mit meinen Sünden! Du nahmst damals das unreine Lob auf, als wäre es ein reines aus Deiner und dadurch auch meiner Liebe, während es doch nur ein unreines Werk der Sünde war!

[HGt.01_089,10] Ich schied die Kinder durch das gerecht scheinende Urteil meiner von Dir mir eingehauchten Weisheit. Und da ich des Glaubens war, als wäre die Weisheit mir zu eigen, so war mein Werk eine Sünde; und so lobte ich Dich in meiner Sünde und wäre daran zugrunde gegangen. Nun aber gabst Du mir die Liebe und nicht mehr Weisheit, denn soviel derselben die Liebe fassen kann, auf daß ich nicht mehr zerstreuen, sondern sammeln soll. Da in der Zerstreuung der Tod, in der Sammlung aber nur das Leben wohnt, so laß mich nun wieder sammeln in und durch die Liebe alle, die ich zerstreut habe durch die übel angewandte Weisheit.

[HGt.01_089,11] Ich danke Dir, lobe und preise Dich, heiliger Vater, daß Du den Henoch und den Fremdling uns gegeben hast, auf daß sie uns zuvor blind machten in der Weisheit, damit wir dann erst in der versammelnden Finsternis fähig wurden, das Feuer der Liebe aus Dir, worin allein das Leben waltet in aller Sammlung - wie in der Weisheit der Tod der Sünde durch die Zerstreuung -, aufzunehmen! O laß aber nun dieses Feuer zu einem gewaltigen Brande in uns werden, auf daß es verzehren möge alle unsere Torheit und verschlingen alle unsere argen Werke!

[HGt.01_089,12] Laß uns alle in Deiner Liebe und Erbarmung uns wiederfinden und versammeln in Deiner Erbarmung und Gnade, und laß uns morgen an Deinem heiligen Sabbate eine neue Feier der Liebe begehen, in welcher wir Dir, o heiliger Vater, einen wohlgefälligeren Dank-, Lob- und Preisdienst darzubringen glauben und in aller Liebe hoffen - denn früher in aller unserer vermeintlichen Weisheit und ungerechten Gerechtigkeit.

[HGt.01_089,13] O überguter, heiliger Vater, laß unsere Einladung den ersten Schritt sein, der uns alle wieder zu Dir führen soll jetzt und ewig! Amen.

[HGt.01_089,14] Und ihr, Henoch, Asmahael, Seth und Kenan, gehet hin zu den Kindern und erwecket sie in der wahren Liebe und wahren Freiung und ladet sie zur Sammlung des Lebens für morgen und tut mit ihnen, was euch die Liebe gebeut; was ihr aber tut, das tut im Namen Jehovas jetzt und allzeit ewig! Amen."

 

90. Kapitel

[HGt.01_090,01] Und alsbald erhoben sich die Benannten und verfügten sich zu den noch immer auf den Angesichtern ruhenden Kindern und richteten an dieselben das liebreiche Gebot Adams aus, das da war ein Gebot der Freiheit oder eines, das das Gefangene wieder frei macht, weil es ein Gebot der Liebe ist.

[HGt.01_090,02] Nachdem sie ihren Auftrag beendet hatten, erhoben sich alsbald die Kinder und lobten und priesen Mich, da Ich Adams Herz erweicht hätte, ohne welche Erweichung sie Adam nicht mehr angesehen haben würde und sie offenbar hätten verschmachten müssen, wenn sie noch länger wären vom Abende gedrückt worden.

[HGt.01_090,03] Als aber Henoch wahrgenommen hatte ihre im Ernste und in aller Wahrheit frommen Herzens dankbare Stimmung gegen Mich wie auch gegen die Erzväter, sammelte er sich alsbald im Geiste Meiner getreuesten Liebe und richtete folgende Worte aus Mir an die nun erwachten Kinder des Abends, sagend nämlich:

[HGt.01_090,04] ,Höret, liebe Brüder und Schwestern in Gott, unserm Gott, der da ist ein mächtiger Herr über alle Dinge und unser aller liebevollster, heiliger Vater, wie auch in Adam, der da ist ein geschaffener Erstling aus der allmächtigen, ewigen Liebe Gottes und ist unser aller Leibesvater:

[HGt.01_090,05] Das Gebot, das euch mit ehernen Banden hart geschieden hielt im lichtschwachen und liebekalten Abende, ist nun, als wäre es nie ein Gebot gewesen. Die große Wärme der ewigen Liebe Gottes hat die ehernen Bande zerfließen gemacht, wie der hohe Sommer das starre Eis auf den hohen Bergen, und gab euch nun ein anderes Gebot, ein Gesetz, daß ihr frei sein sollet, vollkommen frei, also wie ich und all die Väter vollkommen frei sind in der lebendigen Liebe zu Gott, der da Selbst die allerhöchste und allerreinste Liebe ist ewig, durchaus in und für Sich das Leben alles Lebens Selbst.

[HGt.01_090,06] So ihr Ihn mehr lieben werdet denn euch selbst, eure Alten und eure Kinder und alles, was die Erde trägt und gibt, da erst werdet ihr in euch erkennen, was das heißt: Frei sein in der Liebe zu Gott!

[HGt.01_090,07] Dann wird euch Gott erwecken. Und wie ihr bis jetzt waret voll Angst und Kummer unter des Gebotes der Weisheit hartschwerem Drucke und seid nun geworden voll Freude ob der Freiheit, da wir euch erweckten aus der blinden Ehrfurcht langem Schlafe auf das Geheiß Adams, - also, und zwar in einem unaussprechlich höheren Verhältnisse erst, werdet ihr jubeln, wenn Gott zufolge eurer großen Liebe zu Ihm euch selbst im Geiste und aller Anschauung der höchsten Wahrheit aus Sich zum ewigen Leben der Seele wie des Geistes vereint erwecken wird!

[HGt.01_090,08] Wahrlich, wer von euch heute beginnen wird, der soll morgen schon sich eines hochgesegneten Herzens erfreuen! Wer aber zögern wird in der Liebe und wird vielmehr beschäftigen seinen Verstand, bei dem wird auch Gott zögern und wird statt des Segens geben dem Verstande harte Steine zu kauen, die bei weitem eher Meister der schwachen Zähne werden als diese Meister der unzerkaulichen, überharten Weisheitssteine!

[HGt.01_090,09] Frage sich aber ein jeder selbst, was da leichter sei: Gott zu lieben, wie Er ist unser aller liebevollster, heiliger Vater, oder Gott zu erkennen, wie Er ist Gott von Ewigkeit in Seines unendlichen Geistes ewiger Macht, Kraft, Herrlichkeit, Weisheit, Heiligkeit, Ordnung und Liebe!

[HGt.01_090,10] So du aber deinen Bruder zwingst, auf daß er dir enthülle seines Herzens Geheimnisse, siehe, da verbirgt dein Bruder vor dir Forschendem sein Herz, und du erfährst nichts von ihm denn eine Rüge, die dich zurechtweisend ermahnt, deine törichte Begierde im Zaume zu halten und dich nicht zu kümmern um die Geheimnisse des Herzens deines Bruders, sondern um seine Liebe nur, ob es dich liebt, wie du es liebst; wenn du dich aber nicht kümmerst um das, was allein deines Bruders ist, sondern liebst ihn dafür zehnfach mehr denn dich selbst, - siehe, wenn dein Bruder solches merken wird aus deinem Herzen, da wird er auftun seines Herzens Türe vor dir und wird dich über alles belehren, was dir entweder nützen und dich höchst erfreuen oder dich doch zuallermindest voll Vertrauen zu deinem Bruder machen kann!

[HGt.01_090,11] Sehet, liebe Brüder, eben also ist es auch bei Gott! Wer vermöchte je Gott zu zwingen, daß Er Sich einem zeigen und enthüllen solle?! Und täte Er's, wer möchte es fassen und bleiben am Leben?! So ihr aber Gott liebet über alles, da wird Er euch führen und leiten in alle Weisheit und allerhöchste Erkenntnis von Ewigkeit zu Ewigkeit mehr und mehr - je nach der Fähigkeit und Größe der Liebe, die ihr zu Ihm in eurem Herzen heget!

[HGt.01_090,12] O liebe Brüder, daher forschet nicht und sorget nicht für den Verstand, sondern liebet Gott, unsern aller liebevollsten, heiligen Vater aus allen euren Kräften über alles, so werdet ihr in einem Augenblicke mehr empfangen, als euer Verstand in seiner größten Schärfe höchst unvollkommen in Jahrtausenden enträtseln möchte!

[HGt.01_090,13] Liebe ist die Wurzel aller Weisheit; daher liebet, wollt ihr wahrhaft weise werden! So ihr aber liebet, da liebet der Liebe und nie der Weisheit wegen, so werdet ihr wahrhaft weise sein!

[HGt.01_090,14] Ihr seid nun frei im Abende; aber die Liebe wird euch erst vollkommen frei machen im Herzen. Kommet morgen, kommet alle in der Liebe zur neuen Feier des Sabbats in der wahren, freien Liebe zu Gott! Amen!"

 

91. Kapitel

[HGt.01_091,01] Nachdem Henoch seine Rede beendet hatte, verneigte er sich gegen seine Begleiter und grüßte noch einmal die Kinder des Abends; Seth, Kenan und Asmahael aber sprachen ,Amen`. Und der Seth führte noch ein kleines Wort an die frei gemachten Kinder des Abends, welches also lautete:

[HGt.01_091,02] ,Kinder, ihr wisset es, daß ich es war, der euch vor dreihundert Jahren das Gebot von Adam überbrachte! Ihr seid darüber traurig geworden, und in eurer Traurigkeit habt ihr keinen Trost gefunden und habt daher den Schlaf gemacht zu eurem Freunde.

[HGt.01_091,03] Das Gebot war drückend, und ihr ertruget den Druck schlafend eine lange Nacht eures Herzens hindurch. Nun denn aber bin ich wieder zu euch gekommen in der Mitte solcher, die Gott geweckt hat im Geiste, auf daß sie empfangen können Seine höchste Gnade, welche ist die Liebe im Vollmaße, um zu reden Sein heiliges und lebendiges Wort voll Kraft und Macht. Daher haben weder der Adam, noch ich euch frei gemacht, sondern allein des großen Gottes heiliges Wort aus dem Munde Henochs und Asmahaels, den da trägt vor euch das starke Tier, und den Gott zu uns gesandt hat auf eine wunderbare Art dem eigenen Bekennen nach aus der Tiefe, von der ihr gehört habt, daß sie voll fluchbaren Argens ist. Ich aber halte dafür, daß er aus der Höhe ist; denn solche Rede wie er kann niemand führen, so er wahrhaftig aus der Tiefe ist.

[HGt.01_091,04] Weisheit ist in der stummen Tiefe sicher nicht zu Hause, und noch viel weniger die Liebe.

[HGt.01_091,05] Er aber erklärte uns das Gesetz und zeigte uns unsere große Torheit vor Gott, als wäre er ein Herr des Gesetzes. Er kam, um zu erlernen die Weisheit, und machte uns aber schon in einer Stunde alle zuschanden, daß darob sogar Henoch sich gewaltig betroffen fand!

[HGt.01_091,06] Habt ihr nicht ehedem vernommen sein Wort oder doch zum wenigsten seine überstarke Stimme?! Saget, kann jemand aus der Tiefe mit solcher Stimme reden, oder hat je jemand, solange die Erde trägt ein Menschengeschlecht, aus irgendeines Menschen Munde eine solche Rede vernommen?!

[HGt.01_091,07] Höret, nicht um auch etwas zu reden oder mir durch Plaudern zu verkürzen die Zeit, sondern um euch eure Freiheit in der Liebe Gottes voll zu zeigen, rede ich, wohin und wozu mir ein mächtiges Gefühl meine Zunge kehrt! Dieser anscheinende Fremdling, der da sitzt kleinlaut in seinem Benehmen und übergroßlaut im Worte, wird ein andermal sich von einem andern Tiere tragen lassen, und ein Volk der Erde wird dem auf dem Tiere Sitzenden mit aller Zerknirschung des Herzens zurufen: ,Hosianna Gott in der Höhe; gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, sitzend auf dem Rücken eines Füllens einer lastbaren Eselin!`

[HGt.01_091,08] Kinder, und auch du, lieber Henoch, und du, Kenan, könnet ihr mir widersprechen, so tut es; seid ihr aber belebt vom selben Gefühle, so dürfte es sich der Mühe lohnen, auf den so überaus wortmächtigen Fremdling das alleraufmerksamste Auge und ein allerdemütigstes Herz zu richten! Denn wer also erstaunlich wie er von Gott spricht, muß entweder aus der höchsten Höhe Gottes abstammen, oder aber er ist - - -

[HGt.01_091,09] Kurz, ich mag, kann und darf nicht weiter mich aussprechen!

[HGt.01_091,10] Ja, ja, wahrlich, wahrlich, das Heil ist uns näher gekommen in der Fülle alles Lebens, als wir es zu ahnen vermögen!

[HGt.01_091,11] So jemand will und glaubt, der wende sich zu dem Asmahael! Mein Gefühl sagt es mir: Wer nicht durch Ihn frei wird, wie wir alle durch Sein mächtiges Wort frei geworden sind nach einem kurzen Kampfe mit unserer einheimischen Finsternis, der wird ewig nie zur Freiheit gelangen!

[HGt.01_091,12] O Asmahael, Du teurer, erhabener Fremdling, der Du so mutig auf dem Tiere sitzest und in aller Sanftmut und Demut uns Würmer im Staube anhörst, als möchtest Du lernen von uns, während jedes bessere Wort unseres Mundes schon lange eher in Dir gewachsen ist in höchster Reinheit, bevor es erst von unseren Zungen verunreinigt wurde, mache uns frei und ewig lebendig in Dir!

[HGt.01_091,13] O verlasse uns nicht, und sei ewig unser Führer und wahrer Freimacher unserer Herzen! Amen, amen, amen."

[HGt.01_091,14] Nachdem aber Seth seine Rede beendet hatte, da bewegte sich alsbald Asmahael in die Mitte der drei und sagte folgendes zu ihnen:

[HGt.01_091,15] ,Höre, du, Seth, und du, Kenan, und du auch, Mein lieblicher, wertester Henoch! Das, was du, o Seth, hast empfunden und hast ausgegossen vor Kenan und Henoch und allen den Kindern des Abends, die es nicht erfasset noch haben, davon sollet ihr vor dem Adam und allen den übrigen Vätern noch schweigen; sie sollen nicht wissen und ahnen, wer unter der Hülle Asmahaels hauset!

[HGt.01_091,16] Daher müsset ihr schweigen, wollt länger ihr Mich zum Begleiter noch haben; auch müßt ihr Mich äußerlich anders nie kennen und nennen, als nur aus der Tiefe den Fremdling, den Adam ,Asmahael` nannte, nicht ahnend, daß Jehova Selbst es ist, der an der Stelle, die ,Morgen` ihr nennet, zu euch ist unkenntlich gekommen, um euch auf den Wegen, die Mir nur bekannt, Selbst werktätig zur Liebe und ewigem Leben zu führen!

[HGt.01_091,17] Hätt' Ich es gewollt, hätte Henoch schon lang' Mich erkannt, und der Seth wär' zuvor ihm wohl nimmer gekommen; doch wer, wie der Seth, eine schwerere Prob' muß bestehen und denkt sich in seiner Liebsorge, Ich sei ihm gar fremd noch und ferne - fürwahr, dem steh' Ich wohl am nächsten, und denen auch, die gleich dem Henoch Mich lieben!

[HGt.01_091,18] Ich bin -, wie der Seth es verkündet; doch jetzt müßt ihr schweigen von Mir! Insgeheim doch könnt ihr zu Mir kommen und nehmen den höchsten der Segen von Mir! So ihr zähmet der Zunge Begierde, will lang' Ich als sichtbarer Führer noch unter euch weilen; verratet Mich aber nur durch ein kleinwinziges Wort, ja dann werd' Ich gezwungen, euch alle sogleich zu verlassen! Hört amen, hört amen, hört amen, das sagt der Asmahael, amen, hört amen, hört amen!"

 

92. Kapitel

[HGt.01_092,01] Als aber die drei aus Asmahaels Munde solches Zeugnis über Ihn Selbst empfangen hatten, ward es ihnen angst und bange, und sie wußten nicht, was sie nun anfangen sollten. Sollten sie alsogleich vor Asmahael niederfallen und Ihn anbeten? Aber dann würde Er ja verraten sein, da die anderen Väter solches merken möchten!

[HGt.01_092,02] Oder sollten sie wohl glauben dem Zeugnisse? Denn also dachten sie sich: ,Glauben wir dem Zeugnisse, so sind wir gefangen vor Adam und den übrigen; denn unsere Ehrfurcht und übermäßige Liebe zu Asmahael wird den Vätern sicher auch verraten, daß hinter dem Asmahael sicher etwas Ungewöhnliches stecken muß, da wir Ihm so überaus hochachtend und über alles liebend zugetan sind und notwendigerweise auch sein müssen. Glauben wir aber dem Zeugnisse nicht, was sind wir dann im Angesichte Asmahaels? Nichts als öffentliche und offenbare Lügner und Betrüger unserer Väter, Brüder und Kinder, - oder wir sind unvermögend, auch nur ein Wort mehr über unsere Zunge zu bringen, so wir in der Wahrheit verharren wollen! Denn reden wir ein Wort nur über Gott, der unter uns ist, den wir aber ungläubig in unserm Herzen verleugnen, so sind wir - wie gesagt - Lügner und Betrüger, da wir die anderen möchten ungezweifelt glauben machen, es sei da etwas, wo unsere Augen auch nicht einen Schatten entdecken!

[HGt.01_092,03] Tun wir aber so ganz gewöhnlich, als wäre Asmahael noch ein Schüler Henochs, wie wird's uns da gehen? Auf der einen Seite werden wir uns allzeit vorwerfen müssen und sagen: ,Der Herr, unser großer Gott, unser liebevollster Vater, ist bei uns in der Schule!

[HGt.01_092,04] Was wird Er wohl lernen von uns Würmern des Staubes, da doch jedes bessere Wort unseres Mundes zuvor von Ihm in uns kommen muß, bis wir es dann erst auszusprechen vermögen?` Auf der andern Seite aber, so wir solches unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit doch tun, sind unsere Eltern, Brüder und Kinder dreifach geprellt: einmal durch jegliches unserer Worte, da wir notwendig anders handeln und anders denken müssen im Herzen; zum zweiten Male, daß wir einen andern Gott, der nicht und nirgends ist, vor ihnen zum Scheine predigen und anbeten müssen und sie auch nach ihrem Willen dazu ermuntern, den wahren, lebendigen Gott unter und mit uns aber offenbar verleugnen;

[HGt.01_092,05] und zum dritten Male, daß sie durch eine falsche Liebe zu einem Gott, der nirgends ist, auch von allem dem Verheißenen unmöglich je etwas empfangen werden und können, weil der geistige Empfang ja doch allzeit abhängt von der Liebe im Geiste und in der Wahrheit.

[HGt.01_092,06] Oder wird unsere Verheißung nicht sein gleich also, als wenn wir zu einem in stockfinsterer Nacht sagten: ,Höre, Bruder, so es dich hungert, gehe hundert Schritte nur vorwärts; da wirst du alsbald einen übervollen Feigenstrauch antreffen, der dich mit seiner Frucht sättigen wird zur Übergenüge!`, da wir doch nur zu bestimmt wüßten, daß an der angeratenen Stelle nie ein Feigenstrauch gestanden ist, noch jetzt steht und je stehen wird, da die Stelle in nichts denn in einem weitgähnenden Abgrunde von einer unermeßlichen Tiefe besteht, während wir aber den wahren Feigenbaum in unaussprechlicher Fülle hinter unserm Rücken bürgen!"

[HGt.01_092,07] Nach solchen Gedanken wurden sie aus- und inwendig stumm und wußten nicht hin und nicht her, nicht aus und nicht ein und nicht auf und nicht ab.

[HGt.01_092,08] Alsbald aber tat Asmahael Seinen Mund auf und sagte zu den dreien: ,Was zweifelt ihr in eurem Herzen? Soll es unrecht sein, zu tun Meinen Willen? Wie möget ihr denken, Ich hätte euch solches zu tun befohlen? Warum fraget ihr aber nun euer Herz und nicht Mich, da Ich unter euch bin, so ihr einen Zweifel habt?! Oder meinet ihr, nur derjenige Weg sei der rechte, den euer blödes Auge als solchen erkennt?

[HGt.01_092,09] Saget ihr nicht selbst, Meine Wege seien unergründlich und Mein Rat unerforschlich; wie könnt ihr dann noch zweifeln und denken lauter Irres in eurem Herzen?!

[HGt.01_092,10] Oder ist eure Liebe zu euren Vätern, Brüdern und Kindern denn größer denn die Meinige, die alle Dinge, sie und euch werden hieß zur ewigen Vollendung des Lebens in Mir und aus Mir?!

[HGt.01_092,11] So ihr aber glaubet, daß Ich, euer aller Schöpfer und heiliger Vater, es bin in der Hülle Asmahaels, wie möget ihr da noch fragen, ob das wohl gut und recht sein wird, was Ich euch zu tun rate?!

[HGt.01_092,12] Bin Ich denn nicht mehr denn Adam, den Ich gemacht habe, und alle seine Kinder, die Ich aus ihm erweckt habe?!

[HGt.01_092,13] Daher seid unbesorgt, und folget Meinem unerforschlichen Rate, so werdet ihr recht tun; denn eure Rede wird sein aus Mir, und eure Lehre an Mich wird sein eine Lehre für euch und eure Kinder, und eure Väter werden sich daran ergötzen und lauten Jubel schlagen.

[HGt.01_092,14] Nun aber muß auch Ich noch Adams Willen erfüllen! Amen."

 

93. Kapitel

[HGt.01_093,01] Nachdem der Asmahael ausgeredet hatte Sein zurechtweisendes Wort an die drei, da ermahnte Er den Seth, daß er die Kinder des Abends herbeirufen solle, und zwar besonders die Ältesten, damit sie nach dem Willen Adams auch von Ihm ein Wort der Freilassung empfangen und vernehmen sollen.

[HGt.01_093,02] Als solches der Seth kaum vernommen, da war er schon einem Winde gleich unter den Kindern und tat ihnen mit großer Lebhaftigkeit kund das überaus segnende Vorhaben Asmahaels und bedeutete ihnen, daß sie ja voll Aufmerksamkeit sein sollten, da sie solche Worte noch nie hätten reden hören, wie sie Der reden werde alsbald, der da sitze auf dem Tiere.

[HGt.01_093,03] ,Denn Der ist - - - höret - Der ist - kurz, Kinder, - Er übertrifft an Liebe und Weisheit uns alle bei weitem, - und jedes Wort von Ihm - ist größer denn die gan - - - das heißt - denn alle Worte von uns!"

[HGt.01_093,04] Und alsbald kamen die Ältesten dem Asmahael näher und waren voll Aufmerksamkeit und sehnsüchtigsten Harrens auf Asmahaels Rede.

[HGt.01_093,05] Als aber die bei hundert Schritte im Hintergrunde, das heißt hinter dem Rücken dieser vier stehenden Hauptstammkinder mit dem Adam merkten, daß hier etwas Außerordentliches im Anzuge sein müsse, weil die Kinder des Abends sich also um die vier zu drängen anfingen, sagte Adam:

[HGt.01_093,06] ,Höret, wie wäre es denn, so auch wir uns dahin begäben, um desto leichter zu sehen und zu vernehmen, was etwa der Asmahael alles zusammenreden wird; denn haben wir auch seine letzte Rede nicht so ganz aus der Wurzel erfaßt, so war sie aber doch voll Weisheit!

[HGt.01_093,07] Es ist nur wahrhaftig zum Verwundern, wie weit es dieser junge Mensch aus der Tiefe in der kurzen Zeit von kaum drei Schattenwenden bloß durch das Anhören unserer liebweisen Reden gebracht hat; wie weit wird er es erst bringen, wenn er längere Zeit um Henoch und uns sein wird und auch Zeuge sein wird und Mitgenosse der heiligen Feier des Sabbats Jehovas!

[HGt.01_093,08] Und so wollen wir uns denn auch hinzumachen; lasset uns alsonach gehen! Amen."

[HGt.01_093,09] Als aber die Kinder des Abends sahen, daß der Erzvater mit der Eva und den übrigen herbeigekommen war, machten sie ihm alsogleich Platz, daß er leicht zum Asmahael gelangen könnte und zum Seth, Kenan und Henoch.

[HGt.01_093,10] Als Adam nun vollends in der Mitte bei den Seinigen sich befand, fragte er alsogleich, was nun vor sich gehen werde, und ob der Asmahael auch schon etwas gesprochen habe.

[HGt.01_093,11] Seth aber grüßte ihn und sagte: ,Höre, lieber Vater! Zu den Kindern hat Asmahael noch nicht gesprochen, sondern nur zu uns hat Er vorher geredet; jetzt aber tut Er deinem Willen gemäß auch ein Wort an die Kinder richten. Denn da Er mit uns gehen mußte, so muß Er ja deinem Willen nach tun, was wir schon alle getan haben, - nicht wahr, lieber Vater?"

[HGt.01_093,12] Adam aber, voll frommer Neugierde, konnte nicht umhin, den Seth zu fragen, was denn der Asmahael vorher zu ihnen geredet hätte.

[HGt.01_093,13] Diese Frage setzte den armen Seth in eine gänzlich sprachlose Verlegenheit. ,Denn", dachte er, ,sag' ich es, so werde ich zum Verräter; sage ich etwas anderes, so werde ich zum Lügner; und sage ich nichts, so werde ich zu einem ungehorsamen Sohne und muß dastehen wie einer, der muckt oder den fragenden Vater einer Antwort nicht für würdig hält!

[HGt.01_093,14] Ich will aber Adam ein anderes Mal zur Anhörung der Antwort bescheiden, da die Zeit sehr kostbar ist, um den Asmahael nun nicht aufzuhalten in Seiner folgenden, gewiß unübertrefflichen Rede an die Kinder!"

[HGt.01_093,15] Solches sagte Seth auch in aller Sanftmut dem Adam; aber dieser wollte sich nicht damit begnügen und bemerkte dem Seth:

[HGt.01_093,16] ,Höre, mein geliebter Ahbel- Seth, ich merke, daß du dich vor mir verbergen möchtest! In deinem Herzen steht es anders! Warum errötetest du auf meine fromme Frage und wurdest verlegen und bei zehn Zahlen lang stumm?

[HGt.01_093,17] Ich, Adam, dein Vater, aber sage dir: Nicht eher soll Asmahael den Mund öffnen, bis du mir eine getreue Antwort gegeben hast!

[HGt.01_093,18] Höre, Gott und mir bist du Treue schuldig; daher rede ohne Verschub und Entschuldigung! Amen."

[HGt.01_093,19] Seth aber war außer sich vor Angst und konnte kein Wort hervorbringen.

[HGt.01_093,20] Es trat aber alsbald Henoch hinzu und sagte zu Adam: ,Vater, lieber Vater, hast du uns nicht selbst gelehrt, daß der gerade Weg der kürzeste ist? Ist nicht Asmahael unter uns? Warum soll Seth für Ihn antworten, da er doch leichter vielleicht etwas vergessen hätte, was Asmahael zu uns geredet, - denn der hei - - - Redner, das heißt, denn Asmahael Selbst?! Wende dich daher an den Urheber all - - - das heißt an Asmahael Selbst, und sei überaus versichert, daß wir jedes Seiner Worte getreust als vollkommen wahr bestätigen werden! Amen."

[HGt.01_093,21] Adam aber fragte auch den Henoch, sagend: ,Auch du gefällst mir nicht; denn deine Rede ist nicht frei wie sonst! Sage du mir, was dem Seth die Zunge lähmt! Sage mir, was Asmahael zu euch gesprochen hat; denn dein Gedächtnis ist offenbar stärker denn das des Seth. Rede also du an seiner Statt, und ich bin damit zufrieden! Amen."

[HGt.01_093,22] Henoch aber entgegnete: ,Vater, höre und verstehe mich wohl! Jedes Recht auf dieser Erde hat seine Grenzen wie die Erde selbst, und somit auch des Vaters Recht über seine Kinder.

[HGt.01_093,23] So du aber von Seth und mir eine Antwort verlangst, hast du wohl in der Tiefe bedacht, ob das Gebot, das Seths und meine Zunge für den Augenblick vor dir bindet, nicht höher steht denn die etwas unzeitige Forderung von dir?

[HGt.01_093,24] Und also auch verhält sich die Sache! Wir haben von Gott ein Gebot erhalten, darob zu schweigen vor dir bis zur Zeit Seines Wohlgefallens; daher wirst du uns fernerhin auch nicht zwingen, Gottes Gebot vor dir und Gott zu übertreten!

[HGt.01_093,25] Von allem aber genüge deiner frommen Neugierde so viel, daß du, o Vater, wissen mögest und auch sollst, daß uns Jehova näher ist, als du es nur zu ahnen vermagst! Daher zwinge uns nicht, in Gottes Angesichte zu sündigen, sondern höre selbst - das heißt: So du wissen willst, was Asmahael zu uns geredet hat, so wende dich, wie schon gesagt, nur an Ihn; denn Er hat - das heißt, Er hat von Gott meines Wissens kein Gebot erhalten, vor dir zu schweigen.

[HGt.01_093,26] Er ist ganz frei, - aber nicht also steht es mit uns; daher verschone uns vor der Zeit mit der Frage! Amen."

[HGt.01_093,27] Adam aber wurde es bei dieser Rede ganz sonderbar zumute, und es kam ihm vor wie zur Zeit seiner Nacktheit, als er sich nach der Sünde in der Höhle verbarg und Meine Stimme vernahm, die da fragte: ,Adam! Wo bist du?"

[HGt.01_093,28] Er war auf eine solche Veränderung nicht gefaßt; daher ward er auch ganz traurig und wußte sich nicht zu raten und zu helfen. Er ließ sich daher ganz stumm zur Erde nieder und weinte und trauerte bei sich im Herzen:

[HGt.01_093,29] ,Mein großer Gott und Herr, Schöpfer aller Dinge und heiliger Vater aller Geister und Menschen! Hast Du mich denn erschaffen, um mich zu quälen vom Anfange bis zur Stunde?

[HGt.01_093,30] Oh, wie sehr müßte ich mich dann in Deiner Liebe irren! Warum mußte ich selbstbewußt lebendig werden, um Dir zur ewigen Kühlung Deines großen Mutwillens zu werden? Wären tote Steine dazu denn nicht gut genug?

[HGt.01_093,31] Du belebtest mich mit allen Sinnen und hauchtest mir allerlei Begierden ein und gabst mir gegen dieselben Gebote, auf daß sie mich vor Dir verderben möchten und Du mich dann verdammen mögest!

[HGt.01_093,32] O Herr, so Dir irgend Liebe und Erbarmen eigen ist, so tue mit mir nun, was Du tun wolltest nach meiner Sünde, und vernichte mich auf ewig! Mache mich, als wäre ich nie gewesen; denn es ist ja unnennbar besser, ewig nicht zu sein, denn zu sein als ein sich frei bewußtes Wesen unter dem ewigen Drucke Deiner unbesiegbaren Macht und zu dienen Dir zum Spielzeuge, ja zum schnöden Spielzeuge Deines ewig unermeßlichen, Dich allein nur vergnügenden Mutwillens.

[HGt.01_093,33] Ein Gott bist Du und ein übermächtiger Herr; aber ein Vater bist Du nimmer!

[HGt.01_093,34] Sage, so Du willst und magst, ob ich als Vater mit meinen Kindern je solchen Mutwillen getrieben habe! Habe ich sie je gelehrt, vor Dir stumm zu sein?! Warum bindest Du ihre Zungen und Herzen vor mir?

[HGt.01_093,35] Wer oder was bin ich denn, daß Du mich quälst? Vernichte mich, und treibe Deine Lust mit Steinen und anderen Dingen!

[HGt.01_093,36] Bist Du ein heiliger Gott, - wie magst Du mir unheilige Begierde gegen Deine Heiligkeit einhauchen?!

[HGt.01_093,37] Bin ich Dein Werk, so vernichte mich; und bin ich's nicht, so laß mich, wie ich bin! Amen, amen, amen."

 

94. Kapitel

[HGt.01_094,01] Nachdem Adam mit seinen ärgerlichen Gedanken zu Ende war und sich sein Neugiersturm mehr und mehr gelegt hatte, erhob er sich wieder von der Erde und hieß den Henoch zu sich treten und fragte ihn wie folgt:

[HGt.01_094,02] ,Henoch, sage mir bis in die innerste Tiefe des Herzens gekränktem Vater doch wenigstens so viel, ob das an euch gerichtete Wort Asmahaels von großer Wichtigkeit war oder nicht! War es ein Wort des Lichtes und der Liebe, oder war es ein Wort aus der Tiefe aller Finsternis und alles Greuels?

[HGt.01_094,03] Und so es euch wahrhaft der Herr verboten hat, solches mir kund zu geben, so sage mir aus dem Herrn, warum solches der Herr vor mir verborgen und vor euch aber enthüllt hat!

[HGt.01_094,04] Lieber Henoch, enthalte mir solches nicht vor; sei aufrichtig gegen mich, der ich doch gegen euch alle nur zu offen, gut und gerecht war und euch nie etwas vorenthalten habe!

[HGt.01_094,05] Der Herr weiß es und muß es auch wissen, wie offen mein Benehmen allzeit gegen euch alle war! Alles, was euch nur immer frommen mochte, teilte ich euch mit, obschon ich als Vater vor euch eher das Recht gehabt hätte, Geheimnisse zu machen, denn ihr vor mir, eurem Vater!

[HGt.01_094,06] Ihr seid nun gegen mich verschlossenen Herzens geworden. Es kann immer sein, daß der Herr euch also gegen mich zu sein geboten hat und auch, daß Er uns näher ist, als ich es zu ahnen vermag, - und daß der Asmahael vom Herrn kein Gebot hat, vor mir zu schweigen, will ich ja recht gerne zugeben; aber ist es wohl in der Ordnung, daß die Kinder den Vater von sich weisen hin zum Fremdling, wo er das erfahren soll, was zu sagen seinen Kindern vorenthalten sein soll?

[HGt.01_094,07] Siehe, lieber Henoch, und denke recht tief bei dir nach, so wirst du es finden, wie schwer sich auf den ersten Blick ein solches törichtes Gebot mit der Liebe und Weisheit Gottes vereinen läßt! Denn wenn ein und dasselbe Wort von eurer Zunge verboten, von der Asmahaels aber gestattet sein soll, so kann ja an dem Worte ohnehin nichts oder doch nicht viel gelegen sein, und es liegt da weniger am Worte selbst, für welches eigentlich kein Verbot da ist, weil es Asmahael frei aussprechen darf, sondern alles liegt an der gebundenen Zunge.

[HGt.01_094,08] Warum ist für dasselbe Wort eure Zunge gebunden - und die des Asmahael frei?

[HGt.01_094,09] Wer kann solches vom Herrn denken, daß Er die Herzen der Kinder vor ihren Vätern verschließen sollte und öffnen die der Fremdlinge, damit dadurch zwischen Vater und Kind ein unheilbares Mißtrauen geweckt und genährt werden sollte?!

[HGt.01_094,10] Siehe, so Gott solches täte, wäre Er ja ein Urheber der Bosheit, aber keineswegs ein Urheber aller Gerechtigkeit, Gnade, Liebe und aller Erbarmung!

[HGt.01_094,11] Daher sei auf deiner Hut, und erforsche wohl, ob dieses Gebot eines guten oder argen Geistes Sprößling ist!

[HGt.01_094,12] Ist es von Gott, dann wehe uns allen; denn dann sind wir allesamt nichts denn ein eitles Spielzeug einer irgend frei waltenden, unerforschlichen Macht, welche zum Zeitvertreib Wesen aus sich ruft, um sie eine Zeitlang ergötzlich zu quälen, und sie des Lebens Süßigkeit kosten läßt zwischen zwei Unendlichkeiten, nämlich von der Geburt bis zum uns alle noch erwartenden Tode, wo dann wieder die endlose Linie der ewigen Vernichtung beginnt und wir dann alle gewaltig durchgequält wieder das werden, was wir waren vor der Geburt, nämlich ein unendliches Nichts!

[HGt.01_094,13] Ist solches Gebot aber von einem argen Geiste, dann wehe uns zweifach; denn fürs erste müßten wir schrecklich weit von Gott entfernt sein durch was immer für eine uns unbewußte Schuld, darum Er uns dann Seinem Zorn überließe zum Preise eines ewigen Rachefeuers, - oder die arge Macht hätte dem Vater den Arm der Liebe gelähmt, so daß Er dann nicht mehr vermöchte, uns zu helfen und zu retten entweder vom Tode oder vielleicht von noch etwas Ärgerem!

[HGt.01_094,14] Lieber Henoch, bedenke wohl, was ich dir jetzt sagte, und gib mir die verlangte Antwort! Ja, gib mir den Frieden wieder, so es dir möglich ist; denn siehe, ich bin betrübt bis in den innersten Grund meines Lebens! Um meine Seele ist es Nacht geworden; auch nicht ein Sternchen ist irgend zu erschauen aus dem Dickicht des Todes!

[HGt.01_094,15] Henoch, da ich satt war, durftest du mir Speise reichen vom Himmel; so tue es jetzt um so mehr, da ich danach hungere und dürste über und über! Hör' und tue! Amen."

 

95. Kapitel

[HGt.01_095,01] Als nun Henoch vernommen hatte die Frage und Rede Adams, erhob er sich alsbald und richtete folgende Worte aus Mir an den Adam, sagend:

[HGt.01_095,02] ,Im Namen des großen Gottes, der da mit uns ist auf allen Wegen sichtbar und unsichtbar - sichtbar allen Ihn wahrhaft Liebenden und unsichtbar den Weisen und allen, welche mehr nach der Weisheit denn nach der wahren Liebe trachten -, also im Namen dieses unseres großen, allmächtigen Gottes und über alles liebevollsten Vaters von uns allen sage ich dir, geliebter und hochgeachteter Vater, daß du gar gewaltig von dem Wege des Herrn abgewichen bist!

[HGt.01_095,03] ,Siehe, ich will, kann und muß es dir nun sagen, daß du dich gewaltig in deiner erzväterlichen Weisheit geirrt hast, da du den Herrn beschuldigt hast in deinem Herzen, als triebe Er einen Mutwillen mit uns und erschaffe uns bloß zu einem Ihn allein vergnügenden Spielzeuge!

[HGt.01_095,04] O Vater, könntest du ahnen, wie groß, ja wie unendlich groß dein Irrtum ist, dann möchtest du nicht im Ärger, sondern in deiner Reue den Herrn um deine ewige Vernichtung bitten; denn du würdest dich vermöge solcher gröblichen Anschuldigung selbst verdammen müssen und wünschen müssen, daß alle Berge über dich herfallen sollen, um dich zu verbergen vor dem Antlitze Dessen, der dir und uns allen noch nie so entsetzlich nahe und überaus unaussprechlich liebetätig war denn gerade jetzt, wo du Ihn dir am entferntesten denkst, und daher über Ihn losziehst, als wärest du ein Herr über Ihn.

[HGt.01_095,05] Meinst du denn, Vater, der Herr ist uns gleich unbeständig und wetterwendisch wie ein an einem Spinnfaden hängendes Wetterblatt, daß Er mit Seinen Werken täte, was die kleinsten Kinder mit ihren Spielereien zu tun pflegen, so sie ihrer satt geworden sind?! O Vater, welche Gedanken über Gott hast du in deinem Herzen aufsteigen lassen?!

[HGt.01_095,06] Siehe, wäre der Herr also, wie du Ihn zu sein beschuldigst, hätte Er deinetwegen nicht schon lange ein gar elendvolles Garaus mit uns allen gemacht?! Allein, weil Er aber durchaus nicht also ist, wie du in deinem Herzen argfälschlich über Ihn zeugtest, sondern dafür nur voll der unendlichsten Liebe, Langmut, Sanftmut, ja sogar von Seinem ganzen allerheiligsten Gottwesen überaus demütig und eben dadurch voll Gnade und Barmherzigkeit ist gegen uns, die Er gemacht hat aus Sich zu lebendigen Gefäßen, in denen durch Seine beständige Liebsorge sich ein Ihm vollkommen ähnliches, ewig unsterbliches, freies Wesen geistig ausbilden und reif machen soll, so sind wir noch alle am Leben, werden auf dieser Erde selbst noch eine längere Zeit fortleben und in Seiner Liebe und Erbarmung das Leben ewig erhalten und behalten!

[HGt.01_095,07] Siehe, lieber Vater, du hast es in deiner Weisheit fein angelegt, von mir die verbotene Frucht zu pflücken; aber glaube mir, es ist die feinste Weisheit gegen die bescheidene Liebe ein grober Strick, der zwar auch aus den feinen Fäden der Liebe zusammengedreht ist, aber die Fäden sind nicht mehr frei und daher nicht so innigst enge bindsam und auch nicht mehr so schmiegsam und fähig, sich auch in den kleinsten Räumchen zu bewegen.

[HGt.01_095,08] Der Strick der Weisheit ist nur tauglich, schwere, rohe Klumpen unordentlich für eine kurze Zeit aneinander zu heften; aber die zarten Fäden der Liebe umwinden das innerste, zarteste Leben und nehmen so dienend gar leichtlich der schauenden Seele allleiseste Schwebungen wahr!

[HGt.01_095,09] Da sitzt Er auf dem grimmigen Tiere; Der hat es geredet zu mir und zu Kenan und Seth! Ob an all dem Gesagten etwas Wichtiges haftet, nicht ich, sondern Er auf dem Tiere wird's treu dir verkünden, wie noch hinzu, aus welchem Grunde die Zunge vor dir mir von Gott ist gebunden gar worden.

[HGt.01_095,10] Beruhige dich, und fasse Geduld und Ergebung des Herzens, so wirst du alsbald der Wunder Gottes größtes erschauen! Amen, hör' amen."

[HGt.01_095,11] Als der Adam die unerwartete Antwort aus Henochs Munde vernommen hatte, schrie er laut auf und sagte:

[HGt.01_095,12] ,Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich erschaffen und nun so gänzlich verlassen?

[HGt.01_095,13] Damals, als ich, von Dir verworfen, Ewigkeiten hindurch gefallen bin, holtest Du, ewige Liebe, mich Armen ein, bautest für mich aus Deinem Worte die Erde und setztest mich, wie ich noch zum Teile bin, auf dieselbe; jetzt aber schreie ich in meinem Herzen zu Dir, daß Du mich vernichten oder retten möchtest, - allein Du willst meine Stimme nicht hören und lässest mich verschmachten vor Hunger und Durst und verbietest sogar meinen Kindern, zu reichen mir, wonach mich so sehr hungert und dürstet!

[HGt.01_095,14] O mein Gott, mein Gott! Warum bist Du so hart geworden gegen mich?

[HGt.01_095,15] Höret, Kinder, ich sage es euch: Tut, was euch gut dünkt, und der Asmahael möge seine Rede an die Kinder ergehen lassen, wie es ihm wohlgefällt; jedoch meinen von meinen Kindern ungestillten Hunger und Durst soll er mir nicht stillen! Denn von nun an soll der Magen meines Geistes Hunger und Durst leiden mein Leben lang; und ich will keine Brosame und keinen Tropfen aus fremder Hand mehr hinunterlassen, sondern was mir mein innerer, eigener Grund tragen wird, will ich zehren, aber niemanden mehr daran mitzehren lassen! Meine Neugier soll ersticken im Sumpfe meiner Schuld vor Gott, und späte Reuetränen sollen tränken das verdorrte Leben am Feuer meines blinden Eifers! Und wenn ich lange nicht mehr sein werde, möge Gott in der Nacht der Welt mein Kleid anziehen, um mich zu retten und mir zu heilen die gifttriefende Wunde, welche mir meines Herzens eigene Schlange zum Tode aller Menschen, die diese Erde betreten werden, in mein Fleisch gemacht hat mit ihren scharfen Zähnen!

[HGt.01_095,16] Kinder, behaltet dieses; denn fürder werdet ihr von mir wenig mehr zu behalten bekommen! Doch des Herrn Wille sei mit mir und mit euch ewig, amen; auch ich sage euch: Höret es! Amen."

 

96. Kapitel

[HGt.01_096,01] Als der Adam solches ausgeredet hatte und nichts mehr hatte und auch nichts mehr fand, was er reden möchte oder könnte, da dankten ihm die Kinder für diese letzte Mitteilung; denn bis auf Henoch dachten alle, Adam werde nun nichts mehr reden. Nach dem aber machte Henoch alsbald die Kinder aufmerksam auf die Rede Asmahaels, und alle richteten alle ihre Sinne auf den Mund Asmahaels, und der Seth sagte:

[HGt.01_096,02] ,O Herr, verleihe mir jetzt hundert Herzen und siebenhundert Ohren, auf daß nichts verlorengehe, was nun Dei - ja so! - dem Munde Asmahaels aus Dir wie ganz aus Deinem Munde entströmen wird! O Herr und Gott und Vater voll der höchsten Liebe und aller Erbarmung, blicke mich während Dei - ja so! - der Rede Asmahaels nur manchmal an, auf daß Deines Auges ernstmilder Blick erleuchte das Irrsal meines unreinen Herzens! Amen."

[HGt.01_096,03] Bei dieser Anrufung Seths öffnete Adam doch wieder seinen Mund und sagte: ,Lieber Seth, wie ich merke und aus deinem etwas verlegenen Ausrufe gar wohl ersehe, ist dir an der folgenden Rede Asmahaels viel mehr gelegen als an allen Reden Henochs, die doch auch aus Gott waren, und an allen meinen Worten, durch die du doch zuerst das Wesen Gottes erkanntest, wie es ist als Schöpfer aller Dinge und auch als Vater voll Liebe denen meiner Nachkommen, die Ihn über alles lieben; denn noch nie habe ich, wie jetzt, dich um hundert Herzen und um siebenhundert Ohren zur Aufnahme unserer Worte den Herrn anrufen hören!

[HGt.01_096,04] Doch ich will dich nicht mehr fragen, worin der Grund liegt; daher möge der Asmahael beginnen und machen, daß wir bald zu denen in Mitternacht gelangen! Amen."

[HGt.01_096,05] Und alsbald richtete sich Asmahael auf und begann Seine durch große Geduld und Langmut geprüfte Rede an alle zu richten, sagend nämlich:

[HGt.01_096,06] ,Höret alle und verstehet es wohl, ihr Kinder im Abende und ihr Väter und du, Adam, nicht minder: Wenn das Weizenkorn in die Erde gelegt wird, da verfault es, und aus seiner Verwesung wird ein neues Gewächs und bringt hundertfach das verfaulte Korn wieder. Also ist es auch mit jeglichem Worte aus dem Munde Gottes.

[HGt.01_096,07] Das Herz ist das Erdreich, die Liebe ist der Dünger, und die Liebe Gottes ist der fruchtbare Regen; das darauf folgende Licht der Gnade ist der warme Sonnenschein. Alle diese vier Dinge bewirken zuerst, daß das Korn verfault. Dieser Zustand ist gleich der Nacht oder dem fruchtlosen Winter. In dem Zustande weiß der Mensch nichts und versteht nichts und sieht nichts, und das Gefühl der Vernichtung ist sein Begleiter; wenn aber dann das Frühjahr oder der Morgen kommt, alsdann fangen aus der Verwesung Wurzeln ins Erdreich zu schlagen an, und wo sie in der Liebe in einem Bündel zusammenlaufen, da erhebt sich ein neuer Stamm voll Leben und baut sich kühn eine neue Wohnung zu künftiger Reife für ein hundertfaches Leben.

[HGt.01_096,08] Sehet an den Halm, an dem die frucht- und lebensschwere Ähre sich jubelnd wiegt, aus wieviel tausend und tausend Röhrchen er besteht, durch die die Ähre lauter Nahrung aus dem Schoße der Erde saugt! Sehet an die langen hängenden Blätter am Halme, wie schön und überaus zweckmäßig sie gebildet und versehen sind mit zahllosen kleinspitzigen Ausläufern, um durch dieselben aufzunehmen die Kost des Himmels, auf daß dadurch die aus der Erde selbst lebendig werden möchte! Sehet an die bräunlichen Ringe am Halme, die da gemacht sind, daß, je nachdem das Leben der neuen Frucht sich mehr und mehr erhoben und sich frei gemacht hat aus dem Schlamme des Todes der Erde, sich fürs erste das reine Leben verwahre vor unreinen Nachstellungen aus der Schlammtiefe und fürs zweite es sich die der Erde entnommene Nahrung verfeinere und veredle und vollkommen vermische zum Leben mit der allein belebenden Kost aus den Himmeln! Sehet an die vielen langen, spitzenübersäten sogenannten Gräten, wie sie sich alle sorgsam dem Lichte zuwenden, um die reine Gnadenkost von Gottes Sonne lüstern in sich zu saugen, auf daß die in neuen Hülschen eingeschlossene Frucht des Lebens von keiner andern Kost mehr genährt werden möchte denn allein von der der Gnade aus der Sonne! Sehet an die bald darauf folgende fleißig sich schwingelnde Blüte, die da reichlich versehen ist mit der aus den höchsten Himmeln gereichten Mannakost, die da wie ein feiner Tau anzusehen ist und der Frucht das eigentlichste sich fortpflanzende ewige Leben gibt! Sehet, wie alsdann, wenn solches alles vor sich gegangen ist, alles der Erde Entnommene des Halmes zu welken anfängt und gewisserart stirbt; aber je mehr das Irdische abstirbt, desto mehr festet sich und freiet sich das Leben in der ebenfalls sterbenden Ähre und in deren sterbenden Hülschen!

[HGt.01_096,09] So aber dann die Frucht reif geworden ist, da gehet ihr hin oder schicket eure Kinder aus, auf daß sie sammeln und bringen sollen in eure Wohnungen und Vorratskammern die lebendige Frucht.

[HGt.01_096,10] Sehet, also auch tut es der Herr! Ihr auch seid das Getreide; euer Leib ist der Halm, eure Seele ist die gereinigte Kost aus der Erde, euer Geist ist die Kost des Himmels, und Mein lebendiges Wort ist das Manna des allerhöchsten Himmels, das euch erst das wahre, ewige Leben bringt, so ihr es annehmet wie die Ähre und die Blüte derselben am welkenden Stamme der Welt. Doch, wie gesagt, es wird das Wort aber in euch zweimal gesät, und zwar zuerst lebendig ins Erdreich eures Herzens zur prüfenden und euch läuternden Verwesung. Dieses Wort findet schon ein jeder zum Teil in sich und zum Teil aber mündlich durch erweckte Lehrer und Sprecher. Wenn dieser Same aber verwest ist und die Verwesung neue Wurzeln getrieben hat zur Nahrung eines neuen Lebens, dann kommt das andere, lebendige Wort wie jetzt von oben über die Ähre eures neuen Lebens und macht dasselbe vollends reif und frei zum ewigen Leben. Daher werdet gleich dem Weizen, so werdet ihr gar bald erkennen, daß Der allein das Leben hat und gibt, der unter euch wandelt! Höret zum Leben! Amen."

 

97. Kapitel

[HGt.01_097,01] Nach dieser Rede Asmahaels aber erhob sich alsbald wieder der Adam und konnte sich nicht halten in seinem auf lebenslang ausgesprochenen Schweiggelübde, welches er ohnehin vorher schon mit Seth hinterging, sondern begann alsbald folgende Rede gleich einem Selbstbekenntnisse von sich zu geben, sagend:

[HGt.01_097,02] ,Höret ihr alle, Kinder der Linie wie der Seitenlinie: Ich habe schon neunhundertundzwanzig Steine niedergelegt, jährlich einen, sooft nach dem Winter die ersten Blümchen die nackte Erde zu schmücken angefangen hatten.

[HGt.01_097,03] Bis jetzt war es beständig mehr oder weniger Nacht in mir, und all mein vermeintliches Licht war kein Tageslicht, sondern nur des Mondes trüglicher, flüchtiger Schimmer, der kaum hinreicht, um durch ihn einen Gegenstand der äußeren Form nach zu erschauen; aber was die Farbe betrifft, die da ist ein erquickender Abglanz der göttlichen Wahrheiten und tiefsten Geheimnisse des inneren Lebens, so ist und bleibt nur eine getreu, nämlich allein die gelbe Farbe des Todes, - alle anderen sind vernichtet und umgewandelt, daß sie dann sind, als wären sie gar nicht.

[HGt.01_097,04] Wer möchte es zählen, was alles mir in meiner mit geringem Erfolge lange durchlebten Nacht aufgefallen ist, über wie vieles ich nachgedacht und oft auch fruchtlos geweint habe, wie oft ich zu meinem Gott und eurem Gott gebetet und geseufzt habe?! Euch gab ich Licht; ich selbst aber blieb beständig in dem betrüglichen Schimmer der unverweisbaren Nacht meines eigenen Herzens begraben. Nichts vermochte mich dauernd im Lichte zu erhalten. Die Reden Henochs und aller anderen, von gutem und wahrem Geschmacke, waren gleich den nächtlichen Blitzen, deren grelles Licht wohl auf Augenblicke die Fluren der Erde erleuchtet, aber gleich darauf das erstaunte Auge des Forschers mit der dicksten, undurchdringlichsten Finsternis straft. Und wahrlich, liebe Kinder, mir ging es nach jeder Rede um kein Haar besser! Denn ich verstand gerade das, was da gesagt wurde; so ich aber daraus vor- und rückwärts zu denken und zu forschen begann, da wollte der schwache Schimmer nicht mehr ausreichen, und mir ward der ferne Baum zu allem, was meine Einbildung aus ihm machen wollte, - nur zur bleibenden Wahrheit ward er mir nicht! Und um nichts besser war das Licht der nächtlichen Blitze. Ich glaubte oft, die Sache anfassen zu müssen; allein ehe ich mich noch selbst fassen konnte ob des plötzlich starken Glanzes, mußte ich denn alsbald wieder gewahren, daß nicht nur der Gegenstand, nach dem meine Hand greifen wollte, sondern auch die fruchtlos ausgestreckte Hand meiner Sehe in der undurchdringlichsten Nacht entschwunden war.

[HGt.01_097,05] Wahrlich, selbst die gestrige höchst unerwartete, allergnädigste Erscheinung des Herrn war, obschon sie begleitet war von dem unerhörtesten Liebes- und Gnadenlichte, für mich nicht viel besser als ein überaus starker Blitz in der finsteren Nacht!

[HGt.01_097,06] Solange der Herr unter uns verweilt hatte, glaubte ich alles zu verstehen; allein als Er uns wieder sichtbar verließ, war ich auch alsbald genötigt, mir von Henoch eine Erläuterung der unergründlich tiefen Rede Jehovas zu erbitten.

[HGt.01_097,07] Henoch hat es getan, und zwar aus dem Herrn Selbst; allein für meine Nacht war sein Fünklein zu schwach, und ich verstand - in aller Wahrheit zu reden - nach- wie vorher nichts als nur die Worte, aus der die schöne, herrliche Rede bestand.

[HGt.01_097,08] O Kinder, höret und freuet euch mit mir; diese lange Nacht hat bei mir nun ihr Ende erreicht!

[HGt.01_097,09] Kein Mondesschimmer, kein Blitzlicht mehr ist es, das mich nun für ewige Zeiten überhelle durchleuchtet, nein, - sondern Jehovas Sonne, des ewigen Lebens ewiger Tag ist in mir aufgegangen!

[HGt.01_097,10] O Asmahael! Asmahael! Wer Worte redet wie Du, die lebendig sind wie Gott Selbst, wahrlich, der ist kein Fremdling, sondern ist gar wohl zu Hause in eines jeden Menschen Herzen!

[HGt.01_097,11] Asmahael, vergib mir Schwachem vor Dir, daß ich es noch wagen mag, vor Dir meine Stimme ertönen zu lassen!

[HGt.01_097,12] Dein Wort ist kein eingegebenes Wort, sondern es ist Dein eigenes! Nun ist mir alles klar, warum die Kinder vor mir schweigen mußten!

[HGt.01_097,13] Mein Gott und mein Herr! Laß auch mich schweigen, auf daß Du uns nicht verlassen möchtest! Dein heiliger Wille! Amen."

 

98. Kapitel

[HGt.01_098,01] Nach dieser Bekenntnisrede Adams aber erhob sich auch alsbald der Seth und wollte zu reden anfangen; aber der Asmahael gab ihm ein Zeichen, daß er schweige, und setzte hinzu:

[HGt.01_098,02] ,Seth, weißt du denn nicht, daß die wahre Liebe stumm ist und die Weisheit nur dann das Wort führt, wenn sie zum Frommen anderer zu reden aufgefordert wird?!

[HGt.01_098,03] Hast du Liebe, so schweige mit dem Munde und rede allein im Herzen; und hast du Weisheit, so lasse dich vorher von jemand begehren, und so solches geschehen, dann rede wenig Worte, und rede aus dem Herzen und nicht aus dem Verstande, was da frommt dem Begehrenden!

[HGt.01_098,04] Es ist aber unvergleichlich vielmal besser, zu schweigen und das Ohr zu verhalten wie auch das Auge zu schließen, als beständig zu mundwetzen und zu brodeln gleich einem Wasserfalle und das Ohr zu legen an alle Straßenecken und das Auge einer Schwalbe gleich herumschießen zu lassen.

[HGt.01_098,05] ,Dem Munde drei Dinge, dem Ohre sieben und dem Auge zehn!` ist ja eure Regel der Weisheit; warum demnach überflüssige Reden, - statt sieben dem Ohre tausend, und dem Auge eine Unzahl?!

[HGt.01_098,06] Ich weiß aber, Seth, was du hast reden wollen; behalte es bei dir, und du wirst sehen, daß morgen die Sonne wie gewöhnlich um die bestimmte Zeit aufgehen wird!

[HGt.01_098,07] Und ihr übrigen alle tuet desgleichen! Keiner dränge dem andern ein Wort auf, sondern wer etwas erfahren möchte, der wende sich an einen, der da ist wohlverständigen Herzens, das heißt eines Herzens, das da allzeit in sich vernimmt die Stimme der ewigen Liebe und wohl versteht das Wort des Lebens aus Gott zur Zeit der nötigen Mitteilung. Wenn aber dann ein solches Wort sparsam gleich dem Golde der Erde gesprochen wird, so ist es an der Zeit, Ohr und Auge vom Herzen aus zu öffnen; höret und verstehet es wohl!

[HGt.01_098,08] Und nun, ihr Kinder, die ihr da wohnet, wo der Adam von seiner Hütte schaut den Untergang der Sonne, erhebet euch, seid freien, treuen und aufrichtigen Herzens gegen Gott, gegen eure Väter, gegen alle eure Brüder! Empfanget vom Adam den Segen; tuet heute und morgen, was euch geboten ist um Gottes Willen, und werdet Kinder des Aufgangs und der Liebe, aber nicht Kinder des Untergangs und der Nacht des Todes!

[HGt.01_098,09] Die Gegend, die ihr bewohnet, sei künftighin gleich der im Morgen, Mittag und Mitternacht; denn in der Zukunft werden nur die Gegenden des Herzens angesehen werden, und es werden gänzlich außer Betracht sein die Gegenden der Erde! Amen."

[HGt.01_098,10] Als aber der Adam solches vom Asmahael vernommen hatte, näherte er sich in der allerhöchsten inneren Ehrfurcht dem Asmahael und fragte Ihn:

[HGt.01_098,11] ,O Asmahael, wird es mir nicht zum Frevel gerechnet werden, so ich über Dein übersegenvollstes Wort noch meinen nichtssagenden Segen aussprechen möchte über die Kinder, die Du mit Deinem lebendigen Worte heimgesucht hast?

[HGt.01_098,12] Wahrlich, jetzt kommt mir mein zu gebender Segen gerade so vor, als so ich möchte Wasser ins Meer tragen, um dadurch dasselbe zu vergrößern und zu vermehren!

[HGt.01_098,13] O Asmahael, sei mir gnädig und barmherzig! Amen."

[HGt.01_098,14] Der Asmahael aber erwiderte dem Adam: ,Höre, Adam, wenn es dir also vorkommt, so tue in Meinem Namen, wie es dir vorkommt, und sei dessen gewiß, daß darob dem Meere kein Leid zugefügt wird; aber wisse, daß jede Gabe mehr dem Geber frommt denn dem Empfänger!

[HGt.01_098,15] Hast du aus deinem Herzen das Meer vermehrt um einen Tropfen, so hast du dein Herz erquickend erleichtert, und das Meer wird dir dankbar sein auch für den einzigen Tropfen! Denn Ich sage dir, du kennst weder den Tropfen noch das Meer; aber so es der gute Gebrauch erheischt, da tue du in deinem Herzen, was dir obliegt, und kümmere dich nicht des Meeres! Der aber die Tropfen des Meeres gezählt hat, wird deinen Tropfen nicht außer Rechnung lassen!

[HGt.01_098,16] Daher segne du nur immerhin deine Kinder, und Ich werde darob Meinen Segen nicht zurücknehmen! Amen."

[HGt.01_098,17] Und Adam vollzog alsbald den heiligen Willen Asmahaels und ward voll Freude.

 

99. Kapitel

[HGt.01_099,01] Nach dem aber brachten die Kinder alsbald Erfrischungen und körperliche Stärkungen, die da bestanden in allerlei Obst und altem und neuem Brote. Adam aber mochte nichts genießen, da das Gelübde vom Mittage her ihm noch seinen Gaumen band, und rührte daher alles das segnend nur an; desgleichen taten auch alle übrigen.

[HGt.01_099,02] Da aber doch alle schon der Hunger ziemlich stark angefaßt hatte, so zwar, daß sie alle - selbst Henoch nicht ausgenommen - mit sichtbarer Begierde und heimlicher Eßlust die Früchte und Brote anblickten und es sie einige Überwindung kostete, sich zu verleugnen und das Gelübde nicht zu brechen, da fragte Asmahael den Adam, sagend:

[HGt.01_099,03] ,Höre, Adam! Wer hat dir und deinen Kindern die Fasten auferlegt? Warum issest du nichts von der Frucht, so es dich hungert, und deine Kinder nicht, so es sie hungert?

[HGt.01_099,04] Hat Jehova solches euch anbefohlen? Oder welchen Dienst glaubst du Gott dadurch zu erweisen, so du, dich selbst strafend, fastest und ankämpfest gegen deine eigene Natur? Sage Mir und frage dich selbst zuvor, ob es Gott wohlgefällig sein kann, so ein Mensch, der es noch nie so weit mit seiner Selbstverleugnung gebracht hat, auch nur ein Gebot Gottes sicher und allzeit zu beachten, sich endlich darum, weil er zu schwach war, ein leichtes göttliches Gebot zu halten, noch dazu ein eigenes, viel schwereres Gebot auferlegt, welches zu halten ihm am Ende unmöglicher wird denn hundert göttliche, die aber doch allzeit mit der Natur des Geschöpfes im engsten Zusammenhange stehen, da Gott dem Geschöpfe nie mehr zu tragen geben wird und auch je geben kann, als es seiner Natur nach zu tragen imstande ist, weil Er es am allerbesten einsieht, wozu Er ein Geschöpf aus Sich frei entstehen hieß und ließ! Höre, darum sicher nicht, daß es aus leichtsinniger Vernachlässigung der göttlichen Ordnung zur Wiedergutmachung derselben sich selbst Gesetze vorschreiben soll, die es schon lange eher bereut aus Eigenliebe, als noch die zur Übertretung nötige Versuchung hinzugekommen ist, - sondern daß es leben soll der göttlichen Ordnung gemäß und soll essen und trinken nach nötigem Bedarf des Leibes und soll Gott erkennen und Ihn über alles lieben und seine Nebenmenschen als Kinder und Brüder aber wie sich selbst und der Liebe wegen, sage Ich, die fremderen zehnfach mehr denn sich und die eigenen Fleischeskinder.

[HGt.01_099,05] Siehe, das ist alles, was Gott von dir und euch allen verlangt, und Er gibt euch kein anderes Gebot denn das der Liebe, welcher alles Lob, aller Preis und alle Dankbarkeit zugrunde liegt, welcher Grund aber an und für sich die alleinig wahre Erkenntnis Gottes und somit auch das ewige Leben selbst ist.

[HGt.01_099,06] So du dich aber bindest, da Gott dich löst zur ewigen Freiheit, bist du nicht ein Tor, daß du dich bemühst, der ewigen Liebe Ihr Werk der Löse zu erschweren, und dich verkrüppelst durch deine eigene Torheit, statt dich wahrhaft frei zu machen in Meiner Liebe, Erbarmung und Gnade?! Daher löse dir selbst das Band deiner Torheit, und iß und trink, auf daß Gott dir helfen kann in dem, was in dir ist wider Seine Ordnung!

[HGt.01_099,07] Darum sage Ich: Wehe in der Zukunft den Gelübdemachern! Sie sollen ein doppeltes Gericht erleiden: das eine aus Mir und das andere aus sich um Meines Gebotes willen, das sie nicht gehalten haben und wollten dann durch eine noch größere Torheit Mir wohlgefälligermaßen die frühere Torheit wieder gutmachen, da sie widerstrebten Meiner Ordnung. Höre, also spricht der Herr, und also spreche Ich mit des Herrn Mund und Zunge:

[HGt.01_099,08] So du Mir tun willst ein wohlgefälliges Gelübde, da mache ein Gelübde in deinem Herzen, daß du nicht sündigest und kein anderes Gelübde mehr machest denn das: fürder nicht mehr zu sündigen.

[HGt.01_099,09] Wer aber ist unter euch, daß er sagen möchte: ,Höre, mein Gott und Herr, ich werde nicht mehr sündigen vor Dir!`

[HGt.01_099,10] Siehe, solches vermagst du nicht von dir zu geben, da du frei bist; wie willst du es aber dann erst anfangen, so du dir wider Meinen Willen ein unerträgliches Joch auf den Nacken bindest, das dich erdrückt und stumm macht gegen das göttliche Gesetz der Liebe und aller Lebensfreiheit in ihr und aus ihr?!

[HGt.01_099,11] Höre, darum iß und trink, und denke in deinem Herzen, daß Gott keine Freude hat an deiner törichten Knechtschaft, sondern nur an deiner Liebe und Freiheit! Höre, Adam, solches spricht der Herr aus Seinem Munde mit eigener Zunge; darum achte es, und sei frei! Amen."

[HGt.01_099,12] Nach dieser Gnadenrede aber griff Adam alsbald unter lautem Danke, Lobe und Preise nach den Früchten und Broten und aß und trank und hieß auch die anderen dasselbe tun. Und sie aßen und tranken alle und wurden gestärkt am Leibe, wie dann auch dankbar am Geiste.

[HGt.01_099,13] Und als sie sich nun gestärkt hatten unter Meinem Segen, erhoben sie sich und dankten Mir im Herzen und waren voll Freude. Und Adam sagte:

[HGt.01_099,14] ,O mein großer Gott und Herr, und wenn ich Dich ,Vater` nennen dürfte! Das einstige große, schöne Paradies war reich an allen Freuden des Lebens; allein sie wollten mir nicht frommen. Da ich reich war, habe ich mich von Dir entfernt; Du nahmst mir den Reichtum und belehntest mich dafür mit allerlei Armut. O Herr, jetzt erst danke ich Dir dafür und sage es laut:

[HGt.01_099,15] Wenn Du, mein Gott, mir tausend Paradiese gegeben hättest, wahrlich, ich wäre elender denn ein Wurm im Staube; denn jedes Wort von Dir ist ja mehr wert als tausend Erden und jede mit zehntausend Paradiesen!

[HGt.01_099,16] O Herr, Dein Wort und Dein heiliger Wille ist das wahre Paradies des Lebens! O Herr, laß mich ewig in diesem Paradiese sein! Amen."

[HGt.01_099,17] Es fingen aber Enos, Mahalaleel, Jared und auch die Mutter Eva nach der Danksagung Adams an, bei sich zu denken: ,Wie kommt es denn doch, daß Adam fürs erste sein Gelübde brach und aß und trank? Und wenn er nun redet, da redet er, als stünde Gott leibhaftig vor ihm!"

[HGt.01_099,18] Adam aber bekam Licht und sagte: ,Wundert euch das, so fraget euch selbst: ,Warum wundert uns denn das eigene Leben nicht?` Und die Antwort wird sein: ,Weil uns nun Gott näher ist und allzeit sein soll als unser eigenes Leben; denn nun leben wir alle in Ihm!` Höret es! Amen, amen, amen."

 

100. Kapitel

[HGt.01_100,01] Nach dem nahte sich Seth dem Adam und fragte ihn, ob nun hier noch etwas zu geschehen habe, oder ob man sich zur Abreise anschicken solle.

[HGt.01_100,02] Adam aber erwiderte: ,Seth, weißt du ja doch, wer unter uns ist! Wenn es Ihm wird gefällig sein, alsdann werden wir gehen; bis dahin harren wir in aller Liebe und Geduld! Amen."

[HGt.01_100,03] Es kam aber auch der Jared hin zum Henoch und fragte ihn insgeheim: ,Höre, du mein geliebter Sohn, mir kommt es nun so sonderbar vor! Dieser Asmahael, der dein Schüler sein und in meiner Hütte wohnen soll, hat nach meinem Verständnisse so viel Weisheit und Kenntnisse in allen Dingen, daß seine Rede die deinige ja bei weitem übertrifft! Ich will dir deswegen keinen Vorwurf machen - denn deine Reden sind ja Reden aus der Höhe, und da ist kein Wort umsonst, und jedes Wort bezeichnet den Sinn vollkommen gleich leiblich wie geistig, und es finden sich von allem, was du sagtest, lebendig entsprechende Formen in eines jeden Menschen Herzen -; aber alles dieses Guten und Wahren ungeachtet, wie auch vollkommen unbeschadet, ist doch ein großer Unterschied zwischen deiner und Asmahaels Sprache!

[HGt.01_100,04] Also aber merkte ich den Unterschied gewaltig: Bei deiner Rede entdeckte ich allzeit deutlich in mir, daß dein Wort ein rechtes Licht ist. Wer danach tut, kann und muß zum Leben gelangen. Auch gleicht dein allzeit mildes Wort der Morgendämmerung, die doch auch die sicherste Verkünderin des werdenden Tages ist, wie dein Wort der Verkünder des sicher folgenden Lebens.

[HGt.01_100,05] Aber bei der Rede Asmahaels merkte ich, daß sie schon Leben in aller Fülle gibt; und so ist und wirkt seine Rede soviel wie eine vollbrachte Tat!

[HGt.01_100,06] Er spricht Dinge von höchster Weisheit; wer möchte sie auf dem gewöhnlichen Wege begreiflich auffassen? Aber aus seinem Munde werden sie einem, als wäre man schon von Ewigkeit her als Mitgespiele mit ihnen aufgewachsen.

[HGt.01_100,07] Es könnte einem aber auch gar nicht in den Sinn kommen, sich darüber noch um irgendeine Erklärung zu bewerben; kurz, man wird auf der Stelle mit dem Wort eins und somit ein Leben.

[HGt.01_100,08] Nur das einzige Seltene und Unbegreifliche ist dabei, und zwar das, daß gerade dieser dein Schüler aus der Tiefe solches vermag, da er doch noch von dir keinen eigentlichen Unterricht erhielt!

[HGt.01_100,09] Nach seiner Angabe ist er ein Sklavenkind und durfte nicht reden je ein Wort daselbst bei der schauderhaftesten Strafe des Todes.

[HGt.01_100,10] Seine Alten wurden ihm getötet auf die grausamste Weise von der Welt. Er flüchtete sich zu uns und betrat heute morgen vor unser aller Augen den gesegneten Boden der geheiligten Höhen namenlos und voll argen Verdachtes. Du richtetest ihn auf vor Adam, Adam erkannte ihn, segnete ihn und gab ihm einen Namen, übergab ihn mir und dir, dieweil er sagte aus der lebendigsten Sehnsucht seines Herzens, daß er möchte suchen und finden Gott.

[HGt.01_100,11] Aber kaum durfte er nur den Mund öffnen, so war schon jedes Wort also abgemessen gut und wahr, daß uns allen am Ende nichts übrigblieb, als nur zu staunen über jegliches seiner Worte!

[HGt.01_100,12] Dem Adam, Seth und fast allen mochtest Du so manche Worte berichtigen; allein des Asmahael Worte waren noch allzeit über alle Berichtigung erhaben.

[HGt.01_100,13] Henoch, die Sache kommt mir nicht ganz richtig vor!

[HGt.01_100,14] Es ist in allem Ernste ganz merkwürdig mit dem Menschen, wie überzeugend schnell er nur mit unserm Gelübde fertig war!

[HGt.01_100,15] Wir aßen und tranken darauf, ohne daß sich unser Gewissen dabei auch nur im geringsten, wie sonst, gerührt hätte; und nun hat er's schon so weit gebracht, daß selbst Adam ganz von ihm abzuhängen scheint, wie auch du, der Seth und der Kenan!

[HGt.01_100,16] Das Merkwürdigste dabei aber ist, daß er fürs erste - meines Wissens wenigstens - noch gar nichts gegessen hat, und fürs zweite aber, daß er alle die früheren so unantastbaren Gesetze Adams gewisserart mit einem Hiebe vernichtet hat, und das noch ohne die geringste Widerrede Adams!

[HGt.01_100,17] Hätte solches ich getan, fürwahr, ich hätte ein Jahr lang Adams Hütte nicht anschauen dürfen!

[HGt.01_100,18] Allein Asmahael darf nur den Mund auftun, so ist schon jedes Wort, wie gesagt, so viel wie eine vollbrachte Tat!

[HGt.01_100,19] Henoch, ich sage dir: Wer sich das zusammenreimen kann, der muß mehr verstehen als wir beide und auch sicher mehr als wir alle zusammen.

[HGt.01_100,20] Hast du aber irgendein verborgenes Licht in der Sache, so laß deinen Vater nicht blind sein neben dir: Geht es dir aber nicht besser als mir in diesem Punkte, da wird es schier etwas schwerhalten, darüber je irgendwann ins klare zu kommen!

[HGt.01_100,21] Jedoch, so du mir etwas zu sagen weißt, sage es mit drei Worten, also aber, daß es Asmahael und die andern nicht merken! Amen."

 

101. Kapitel

[HGt.01_101,01] Henoch aber entgegnete dem Vater Jared: ,Höre, Vater! Deine Bemerkungen sind nicht ohne; du hast recht in allem! Als Asmahael heute morgen vor uns im Staube lag, hätte ich auch eher geahnt, daß die Mittagssonne alle Steine zu Wasser schmelzen werde, als daß dieser Mensch aus der Tiefe solche Wunder unter uns ausführen würde; aber es gefällt denn schon ein- und für allemal dem Herrn also, das Geringe auszuzeichnen, das Große aber dafür untergehen zu lassen!

[HGt.01_101,02] Also läßt Er die Sonne untergehen und an ihrer Stelle den Himmel von tausend und abermal tausend Sternchen erglänzen; wieviel erhabener und unendlichmal herrlicher aber ist doch der gestirnte als der besonnte Himmel! Wie zucken die herrlichen Sterne ein heiteres Leben in ihrem bebenden Schimmer, und wie mannigfaltig ist ihr Licht!

[HGt.01_101,03] Siehe dagegen den Himmel am Tage! Ist da der heiterste Tag nicht zugleich auch der einförmigste?! Wer mag ihn nach oben anschauen?! Überall straft ihn der Sonne brennend grelles Licht.

[HGt.01_101,04] Wenn nicht flüchtige, wenigsagende Neugebilde aus den Wolken am Tage den Himmel belebten und so manche gefiederten Bewohner der Luft denselben munter durchkreuzten, - fürwahr, wir würden die Augen gar selten zum Himmel der Erde erheben!

[HGt.01_101,05] Siehe, also wirkt der Herr beständig! Das Große achtet Er nicht und erhebt das Kleine und Geringe zu Seiner Liebe. Das große Mamelhud hat ein fast ewig dauern wollendes Leben. Es wandelt träge herum, als wäre es selbst eine kleine, totscheinende Erdmasse. Aber siehe dafür einen Ameisenhaufen an; wie bunt wirbelt da das Leben durcheinander!

[HGt.01_101,06] Und aus tausend solchen kleinlichen Erscheinungen läßt sich ja doch schon natürlich klar erschauen, wo der Herr am tätigsten ist und vorzüglich lebendig waltet. Gerade also ist es auch bei den Menschen. Die Geringsten und Unansehnlichsten richtet Er auf und zeigt durch die Schwachen den Großen und Starken der Erde Seine unendlich große Macht und ewig unbesiegbare Stärke.

[HGt.01_101,07] War es nicht also mit mir, daß ich jetzt schon fast zwei Tage lang den Vätern von Ihm nach Seiner Liebe predigen mußte, da ich doch der Geringste und Schwächste von allen bin?! Geringer und schwächer jedoch, denn ich je war und auch je werde sein und werden können, kam Asmahael aus der Tiefe zu uns.

[HGt.01_101,08] Sein Eifer war übergroß, Seine Liebe unbegrenzt; was Er bei uns suchte, hat Er schon in Seinem unendlichen Eifer in der höchsten Fülle mit Sich gebracht, daß es nun füglich ist, daß wir von Seiner Überfülle eher etwas empfangen können, als daß wir vermöchten, Ihn mit unserer Eiferarmut zu bereichern.

[HGt.01_101,09] Daher sei nun, lieber Vater Jared, nur unbesorgt und vollkommen ruhig; die Folge wird uns noch so manches Rätsel am und durch Asmahael enthüllen, wenn Er erst in unserer Hütte zu Hause sein wird! Freue dich darauf, lieber Vater Jared; höre, das werden Tage des Lebens und der höchsten Wonne werden! Amen."

[HGt.01_101,10] Jared aber entgegnete in aller Zufriedenheit: ,Du hast recht in aller deiner Antwort; es muß ja also sein! Denn wenn es nicht also wäre, wie könnte der Asmahael solche Tatkraftworte von sich geben?!

[HGt.01_101,11] Aber höre, wenn er bei mir einziehen und wohnen wird in meiner Hütte, und wahrscheinlich du auch wieder, da werden wir wohl so manches von ihm erfahren!

[HGt.01_101,12] Ich freue mich sehr darauf. Ich muß dir offenbar sagen, ist es recht oder nicht, aber mein Gefühl umfaßt schon jetzt den Asmahael offenbar stärker denn dich! Was aber erst mit der Zeit aus meiner Vorliebe zu Asmahael wird, kann ich dir jetzt noch nicht ganz bestimmt voraussagen; denn es hängt noch sehr viel davon ab, ob er sich fürder also getreu bleiben wird. Aber du darfst dir deswegen nichts daraus machen; denn deshalb wirst du bei mir, deinem Vater, dennoch nicht zu kurz kommen!

[HGt.01_101,13] Jedoch nun stille; denn er scheint unser Gewispel zu bemerken! Siehe, er bedeutet dem Tiere, und es trägt ihn gerade auf uns zu; daher nun stille, mein lieber Henoch, stille! Amen."

 

102. Kapitel

[HGt.01_102,01] Kaum hatte Jared sein letztes Wörtlein ausgesprochen, so war Asmahael auch schon zwischen beide getreten; denn vorher unterhielt Er sich mit manchen Kindern des Abends, da Er sie über manches befragte und auch wieder belehrte.

[HGt.01_102,02] Die beiden waren nun anfangs ein wenig verblüfft, faßten sich jedoch bald, und der Henoch fragte den Asmahael: ,Allergeliebtester Asmahael, was soll nun geschehen, - sollen wir noch verweilen oder uns zur Weiterreise anschicken?"

[HGt.01_102,03] Asmahael aber sagte: ,Darum kam Ich nicht zu euch, daß Ich dir nun diese deine Notfrage lösen soll, sondern darum kam Ich hierher, dieweil Ich unter euch beiden eine große Liebe zu Mir entdeckt habe!

[HGt.01_102,04] Jared, freue dich, daß Ich bei dir einziehe, und du, Henoch, auch, daß du Meine Liebe so hoch achtest! Denn wo Ich einziehe, da wird der Tod nie ein Erntefest halten; wo Ich aber nicht einziehe, wehe der Wohnung! Denn da wird des Jammers kein Ende werden, und der Tod wird hausen in all den Gemächern eines solchen Hauses, wo Ich nicht einziehen möchte.

[HGt.01_102,05] Wahrlich, Ich sage dir, Jared: Wer Mich zum Gaste hat, der hat alles; wer Mich aber von sich gewiesen hat, der hat alles verloren.

[HGt.01_102,06] Wenn dir der demütigst am Morgen aus der Tiefe zu euch gekommene Mensch auch etwas sonderbar vorkommt und du dir sein Wesen auch nicht ganz klar zusammenreimen kannst, so denke, daß auch Gott Sich das nicht recht zusammenreimen kann und will, wie die Menschen als Seine Geschöpfe sich größer dünken mögen, denn Gott Selbst Sich von Ewigkeit her über und über lebendig empfindet!

[HGt.01_102,07] Siehe, die Menschen richten eins das andere, während Gott doch tagtäglich über alles Seine Sonne aufgehen und über die ganze Erde Seinen Regen fallen läßt!

[HGt.01_102,08] Die Menschen machen Unterschiede und halten nicht alle ihrer Weisheit würdig; Gott aber, der große Lehrer aller Sonnen, Geister, Erden und aller Menschen, verabscheut es nicht und hält es nicht unter Seiner Würde, dem Wurme im Staube und der Schmeißfliege wie allem andern Getier, und möchte es noch so klein und unansehnlich sein, ein allerweisester Lehrer zu sein! Die Menschen halten ihre Wohnhütten für heilig und lassen ihre eigenen Kinder und Brüder auf ihre Angesichter vor denselben fallen, während Gott sogar das gemeinste Tier auf der Erde frei und ohne alles Aufs-Angesicht-Niederfallen umherwandeln läßt.

[HGt.01_102,09] Die Menschen fluchen denjenigen und strafen sie hart, die sich gegen ihren Willen in etwas versündigt haben; Gott aber segnet sogar die Steine und hat die größte Erbarmung gegen jeden Irrenden und flucht nicht und ist von größter Geduld, Sanftmut und überaus zurückhaltend in Seinen Gerichten.

[HGt.01_102,10] Wenn Menschen sich zu Gott wenden, da tun sie, als wenn sie selbst Götter wären. Wehe dem, der sie da beirren möchte oder nicht die allerhöchste Achtung hätte vor ihnen, wenn sie sogenannte Gottesdienste verrichten! Besonders wenn sie ihr Opfer verrichten, sind sie auch zugleich am allerbösesten, und zwar so sehr, daß, so da jemand käme und fiele nicht alsogleich auf sein Angesicht vor ihnen und dem Brandopfer nieder, er dann alsbald für alle Zeiten verbannt, wo nicht gar halb getötet werden möchte; verflucht würde er auf jeden Fall werden.

[HGt.01_102,11] So aber Gott zu den Menschen kommt, da kommt Er als ein Diener in aller demütigen Niedrigkeit und zeigt dann, daß Er an all solchen sogenannten Gottesdiensten kein Wohlgefallen hat!

[HGt.01_102,12] Siehe, wenn Menschen gewisserart gottesdienstliche Werke verrichten, da soll alles niederfallen und vor lauter Ehrfurcht zittern; aber wenn sie tagtäglich sehen, wie Gott vor ihnen und für sie die größten Wunderwerke verrichtet, da fällt vor dem wahren, großen Gottesdienste, den Gott Selbst verrichtet, kein Mensch auf sein Angesicht nieder, was Gott auch nicht verlangt und ewig nie verlangen wird!

[HGt.01_102,13] Siehe also, Jared, nicht allein dir kommt manches ungereimt vor, sondern auch für Gott gibt es eine Menge solcher Tatungereimtheiten von seiten der Menschen. Daher kümmere dich nicht um Mich, sondern sei froh und guten Mutes; denn du hast das Leben bei dir aufgenommen! Amen."

 

103. Kapitel

[HGt.01_103,01] Nachdem aber Asmahael ausgeredet hatte Worte des Lebens zu Jared und Henoch, entfernte Er Sich wieder und bewegte Sich hin zu Adam und sagte zu ihm:

[HGt.01_103,02] ,Adam, so du nichts mehr als nötig erachtest für hier, so sind wir fertig; heiße die Kinder nach Hause ziehen, - wir aber mögen uns weiter gen Mitternacht bewegen! Amen."

[HGt.01_103,03] Adam aber erschrak - denn der Anruf ,Adam` klang wie damals, als sich Adam nach der Sünde vor Mir zu verbergen suchte - und konnte sich nicht fassen und getraute sich auch nichts zu entgegnen als nur nach einer kleinen Pause die wenigen Worte: ,Herr, Dein heiliger Wille geschehe!"

[HGt.01_103,04] ,Adam", aber sagte Asmahael ferner, ,warum bist du zaghaft? Warum fürchtest du Den, den du über alles lieben sollst? Hast du etwas verloren? Sollte es sich denn nicht wiederfinden lassen?!

[HGt.01_103,05] Oder glaubst du etwa, noch etwas zu verlieren? Was solltest denn du noch verlieren, was du nicht schon ohnehin gar lange verloren hättest?!

[HGt.01_103,06] Siehe, Ich sage dir aber: So jemand aber alles verloren hat, da ist er fertig mit all dem, was er empfangen hatte, und kann nun nichts mehr verlieren; wer aber nichts mehr hat, was er verlieren könnte, und lebt doch noch bei dem Verluste, der lebt ja doch offenbar, auf daß er wieder gewinne, da er kahl geworden ist an allem, was er ehedem hatte.

[HGt.01_103,07] Noch sage Ich dir: In der fernen Zukunft werden deine Nachkommen, die da werden gewinnen wollen das ewige Leben, nicht nur alles der Welt, sondern auch das Leben verlieren müssen!

[HGt.01_103,08] Du lebst schon über neunhundert Jahre; es wird aber deinen Nachkommen kaum gestattet sein, den zwanzigsten Teil deines Lebens zu leben leiblich. Siehe, was alles die späteren Menschen werden deinetwegen verlieren müssen, auf daß ihr ewiges Leben möge gerettet werden, und sie werden nicht erschrecken dürfen vor ihrem Namen, so sie ihn werden von Mir aussprechen hören! Du aber hast dich erschreckt durch und durch, da du jetzt doch im beständigen Gewinne bist und nichts mehr zu verlieren hast, sondern nur zu gewinnen, und hast schon unendlich gewonnen; denn der höchste Gewinn steht nun vor dir!

[HGt.01_103,09] Erkenne Ihn, dann wirst du ewig ohne Furcht hier und einst ewig im Frieden der ewigen Liebe sein! Amen."

[HGt.01_103,10] Adam aber ermannte sich nun und faßte dieser Rede Sinn und sagte: ,Höre, o Du mein über alles nun geliebter Asmahael, Du siehst mein Herz und kennst meine Furcht! Es ist ja mein Schrecken ein Liebschrecken! Deine Liebe hat mich schwach gemacht, daß ich Dir darob nicht zu antworten pflegte und mochte; Du weißt es ja ohnehin, wie es kommt, daß der Überglückliche seines Wortes nicht mehr mächtig ist!

[HGt.01_103,11] O Asmahael, daher allzeit nur Dein Wille! So Du willst, so können und wollen wir ja gerne gehen, und also geschehe es!"

[HGt.01_103,12] Asmahael aber sagte: ,Also laß Mich unerkannt sein und mache, daß jene, die Mich nicht kennen, sich alsbald zur Weiterreise anschicken sollen! Doch bei der Reise lasset Mich euch folgen allein, dann du mit der Eva, und voran Henoch mit Jared; und also soll der Zug gehen durch den dichten Wald bis hin zur niedern Gegend gen Mitternacht! Amen."

 

104. Kapitel

[HGt.01_104,01] Alsbald berief Adam den Henoch und Kenan zu sich und machte sie bekannt mit dem Willen Asmahaels. Und sie gingen und grüßten die Kinder und luden sie noch einmal, zu erscheinen am Sabbate, bedeuteten ihnen dann, daß sie sich nun wieder nach Hause begeben und allda fröhlich ihrer Beschäftigung nachgehen könnten.

[HGt.01_104,02] Und alsbald auch erhoben sich die Kinder und die Ältesten, die früher die Väter umgaben und vernommen hatten jegliches laute Wort.

[HGt.01_104,03] Einer aber aus der Mitte der Ältesten fragte den Henoch: ,Lieber junger Sohn deines Vaters Jared, der da ist ein Enkel dessen, der mit dir ist, und dieser ein Sohn meines Bruders, sage mir, so du es magst und darfst, wer denn eigentlich der Jüngling, auf dem Tiger fest sitzend, ist, und woher er gekommen!

[HGt.01_104,04] Denn sonderbar ist sein Benehmen und übermächtig sein helles, wohlklingendes Wort, und überdies liegt im Tone jegliches seiner Worte eine solche zuversichtliche Bestimmtheit, daß man gerade nicht, ja unmöglich umhin kann und mag zu glauben, er müßte damit Berge zerbrechen können, und es müßte sein Hauch das Meer in eine Bewegung versetzen können wie tausend gleichzeitige allerheftigste Weltstürme.

[HGt.01_104,05] Siehe, darum möchte ich wohl erfahren dieses Jünglings Herkunft und wesentliche Beschaffenheit, - aber, wie gesagt, so du es magst und darfst, und also danach nur! Amen."

[HGt.01_104,06] Henoch aber entgegnete: ,Höre, lieber Vater Abedam, ich möchte es wohl, so ich es dürfte; aber verharre nur noch eine kleine Zeit, und es wird dir in der stets zunehmenden Liebe zu Gott gar bald klar werden, was es mit dem Jünglinge auf dem Tiger für eine Bewandtnis hat!

[HGt.01_104,07] Sein Name ist dir bekannt, und mehr forsche vorderhand nicht! In der allergerechtesten Zeit wird dir deine eigene Liebe zu Gott alles kundgeben; daher und nun und allzeit Gott mit euch allen! Amen."

[HGt.01_104,08] Abedam aber dankte mit sehr gerührtem Herzen dem Henoch, sagend: ,Lieber Henoch, ich danke dir! Ich bin vollkommen zufrieden; denn was ich wissen mochte, hast du mir nun zur Genüge kundgegeben; denn mehr zu wissen als nur, wo der Schatz liegt, und wo und wie er zu finden ist, wäre nur eine träge Lust. Das Suchen ist ja Sache des eigenen Lebens. Daher danke ich dir; denn du hast nun mein Herz also erquickt, wie es noch nie war! Daher dir noch einmal den herzlichsten Dank dafür und Gott all mein Leben! Amen."

[HGt.01_104,09] Nach dem aber grüßten sie die Kinder und Ältesten noch einmal und kehrten dahin zurück, wo die Väter schon ihrer harrten.

[HGt.01_104,10] Als sie da anlangten, segnete Adam noch einmal die Kinder, und sie ordneten sich dann zur Reise. Als sie nun völlig geordnet waren, da trat noch einmal Asmahael hervor zu Adam und sagte:

[HGt.01_104,11] ,Adam, ist es dir recht und lieb, so lasse Mich hier aus den Kindern einen Mir zur Gesellschaft mitnehmen! Amen."

[HGt.01_104,12] Adam aber sprach gerührt: ,O Asmahael, wie magst Du mich fragen?! Bin nicht ich und alles Deinem Willen freudig untertan?!

[HGt.01_104,13] Daher geschehe allzeit Dein Wille zu unser allerhöchsten Freude! Daher auch nur Dein Wille! Amen."

[HGt.01_104,14] Und Asmahael rief laut: ,Abedam! Abedam! Abedam! So du willst, magst du uns folgen und Mir zu einem Gefährten dienen; denn Ich habe geprüft dein Herz und deine Nieren und habe gefunden, daß in dir kein Falsch ist. Daher sollst du uns folgen, aber ohne alle Sorge, und Ich will dir dann den Schatz suchen helfen und ihn dir auch sicher finden machen - und höre, bald, recht bald, recht sehr bald!

[HGt.01_104,15] Denn Ich will dich heute töten, auf daß Ich dich morgen erwecke zum ewigen Leben! Amen."

[HGt.01_104,16] Als aber Abedam solchen Ruf vernommen hatte, kam er eilends herbei und sagte: ,Wohin Du willst, will ich Dir folgen! Töte mich tausendmal; denn je öfter Du mich töten wirst, desto mehr Leben wirst Du mir auch sicher wiedergeben!

[HGt.01_104,17] O Du, der Du sitzest auf dem starken Tiere, vergib mir, so ich Dir sage, wie ich fühle! Ich glaube, an Deiner Seite wird sich der große Schatz nicht schwer finden lassen!

[HGt.01_104,18] Es kommt mir vor, als ob, wenn man Dich hat, man jedes anderen Schatzes leichtlich entbehren könnte! Und mir kommt es auch vor, daß, wer Dich gefunden hat, leicht das fernere Suchen entbehren kann, da er den eigentlichen Schatz und den Tod und die Erweckung zum ewigen Leben schon gefunden hat!

[HGt.01_104,19] O Asmahael, nicht nur jetzt, sondern allzeit lasse den armen Abedam bei dir sein; aber nicht, daß er Dein Gefährte wäre, sondern Du der seinige zum ewigen Leben! Amen.

[HGt.01_104,20] O laß mich Dir stets folgen! Dein Wille, amen!"

[HGt.01_104,21] Und alsbald reihte Abedam sich überheiter an den Asmahael und folgte übergestärkt dem Zuge der Väter an der mächtigen Seite Asmahaels.

 

105. Kapitel

[HGt.01_105,01] Der Zug ging nun waldeinwärts und alles war still; nur der Jared konnte nicht schweigen und fragte den Henoch: ,Höre, mein Sohn, haben wir ein Gebot, auf dem Wege zu schweigen?"

[HGt.01_105,02] Henoch aber entgegnete: ,Ich entsinne mich keines, als nur eines Rates, daß man allzeit stille wandeln soll; allein ich nehme aber den Wandel als Leben, aber nicht das Gehen mit den Füßen!"

[HGt.01_105,03] Und Jared erwiderte: ,Wenn es also ist, dann hat auf dem Wege unsere Zunge, wie die Füße, kein hinderndes Band, und wir können ja reden nach Lust; und so gestehe mir, deinem Vater, was an dem Asmahael ist! Ist er ein verkörperter Engel, ausgerüstet mit aller Macht, oder ist er - halt, nicht weiter! - kurz, was du nun meinst, das sage mir! Amen."

[HGt.01_105,04] Henoch aber entgegnete kurz: ,Lieber Vater, ich sage dir: Er ist - halt, nicht weiter! - und so ist Er vorderhand ein Mensch wie wir, aber voll göttlicher Kraft und Macht - halt, auch da nicht weiter! - Amen; verstehe es! Amen."

[HGt.01_105,05] Und wieder begann Jared: ,Mein lieber Sohn Henoch, gut wäre es, wenn ich es verstünde! Aber das ist es ja eben, darum ich dich frage, weil ich es nicht verstehe und doch über alles gern verstehen möchte, was denn so ganz eigentlich an dem Asmahael gelegen ist! Denn siehe, ich war nach deiner früheren Rede ganz beruhigt und war zufrieden mit allem; aber nachdem Asmahael zu uns kam und zu Ende seiner Rede gewisserart herausbrachte, daß, wenn jemand ihn in der eigenen Wohnung aufgenommen habe, oder so er in jemandes Wohnung einziehe, der Ursache habe, sich überglücklich zu fühlen - denn wo er einziehe, da sei auch das ewige Leben eingezogen -!?

[HGt.01_105,06] Siehe, also in diesem Sinne hat er Worte besonders - wie ich es gemerkt habe - an mich gerichtet! Nun sage mir aber, lieber Henoch, oder begreife es selbst, ob ein aufrecht stehender Mensch nicht mit dem Kopfe auf der Erde herumhüpfen müßte, um solcher Worte Sinn nicht auf ein höher daseiendes Wesen auf der Stelle zu beziehen?!

[HGt.01_105,07] Welcher Mensch vermöchte solches auch nur gleichnisweise von sich, ja unabgesehen gerade von sich, auszusagen, gerade als wäre er unmittelbar Gott Selbst?

[HGt.01_105,08] Asmahael aber tut solches, ohne daß er es bezöge auf Gott, sondern gerade nur auf sich! Mag solches auch ein Mensch tun, ohne sich zu fürchten, die Erde müßte aus Zorn und höchster Verachtung den Frevler auf ewige Zeiten übel rächend verschlingen hinab in ihren großen Feuerbauch?!

[HGt.01_105,09] Siehe, du bist gewiß erleuchtet wie sonst keiner von uns allen; aber getraust du dich, etwas solches gerade von dir auszusagen?

[HGt.01_105,10] Sicher, du würdest eher den Mund mit Kot dir verstopfen, als daß du mit deiner Zunge möchtest solchen Frevel treiben!

[HGt.01_105,11] Wer also ist der, der von sich aussagen kann: ,Ich bin das Leben!`, oder: ,Wo Ich einziehe, da ist das Leben, ja das ewige Leben eingezogen!`?

[HGt.01_105,12] Henoch, ich sage dir, wer solches von sich aussagt, und die Erde zürnt ihm nicht, und der mächtige Tiger wird unter ihm zum Lamme, der ist und muß ja so gut, wie ich in meiner Furchtsamkeit ein Mensch nur bin, in seiner sich selbst bewußten Kraft und Macht Gott sein; sonst wäre die ganze Erde selbst nichts als eine zusammengesetzte Lüge, so sie einen Menschen tragen möchte, der sich also für Gott ausgäbe und wäre doch sonst nur ein schwacher Mensch gleich uns, - dessen Gegenteil gleichwohl Asmahaels lebendig machendes Wort schon zur Übergenüge bezeugt.

[HGt.01_105,13] Nun, so du kannst und magst, widerlege mir meine Aussage; ich aber glaube, solches wirst du gar fein bleibenlassen! Aber um des Wortes willen möchte ich nun von dir eine kurze Meinung vernehmen, und somit rede! Amen."

[HGt.01_105,14] Henoch aber entgegnete: ,Lieber Vater, wenn es also ist, wie du es glaubst, und wie es auch nicht anders sein kann vermöge deiner Erklärung, die auf bestem Grunde gebaut ist, alsdann ist ja jedes meiner Nachworte rein überflüssig! Oder sollte ich aus Asmahael das machen, was Er nicht ist, oder machen, daß Er das sei, was Er ohnedies ist? Siehe, solches wäre rein unnütze!

[HGt.01_105,15] Ich meine aber, wer Gott liebt im Herzen geistig und wahr, wie mag der sich kümmern, ob Asmahael Gott oder ob Gott mit Ihm ist?!

[HGt.01_105,16] Aber jeder kümmere sich, daß Gott mit ihm selbst sei durch die wahre, reine Liebe zu Ihm!

[HGt.01_105,17] So du aber Gott liebst, - des sei versichert, daß dir Asmahael nicht gram wird! Und liebst du aber den Asmahael Gott gleich, so wird Gott darob in Seiner Liebe dich nicht vergessen; des sei auch völlig versichert, - du verstehst es doch? Amen."

 

106. Kapitel

[HGt.01_106,01] Es hatten aber die beiden Folgenden, Kenan und Mahalaleel, vernommen von der Unterredung Jareds und Henochs; und also fing auch Mahalaleel den Kenan zu fragen an, sagend:

[HGt.01_106,02] ,Hörend Großes, staunend über Wunderbares, also bin ich am Ohre und an dem Auge; aber woher das Große, woher das Wunderbare unter uns?

[HGt.01_106,03] Höre, Vater Kenan, was ist es denn, darum mir so wundersam zumute wird? Dieser einförmige, wenig betretene Waldweg ist es gewiß nicht! Wäre es noch eine Adamsgrotte oder der weiße, dampfende Berg im Morgen, oder die sieben Wasserspritzer von Mittag gen Abend, oder sonst etwas Naturaußerordentliches; allein, von allem dem ist hier keine Spur!

[HGt.01_106,04] Unsere verkehrte Ordnung ist es auch nicht; denn es ist doch einerlei, ob ich bei dir oder du bei mir gehst, ob der Henoch rückwärts oder vorne, ob mit Jared oder Adam, oder ob - nein, das scheint mir nicht alles eins zu sein! - ob Asmahael hinten oder vorne, und mit wem er geht!

[HGt.01_106,05] Denn hier scheint eine gewisse väterliche Rangordnung zugrunde zu liegen. Daß Adam und die Mutter Eva hinter uns allen einherwandeln, begreife ich wohl; aber was der Asmahael mit dem Abedam ganz rückwärts noch hinter dem Adam bedeutet, sieh, Vater Kenan, das bringe ich nicht so ganz recht heraus!

[HGt.01_106,06] Jared und Henoch vor uns haben Wunderbares über Asmahael miteinander gesprochen, soviel habe ich entnommen; was sie aber eigentlich miteinander geredet haben, habe ich fürs erste nicht vernommen in klarer Deutlichkeit, und was ich noch vernommen habe, konnte ich nicht begreifen! Aber so viel ist gewiß, daß ich Großes vernommen und geschaut in mir selbst Wunderbares nach den sparsam vernommenen Worten aus dem Munde unserer behenden Vorschreiter!

[HGt.01_106,07] Ich bitte dich darum, mir, so es dir möglich ist, ein wenig aufzuhelfen in meiner Unkunde in dieser mir so ganz außerordentlich wunderbar scheinenden Sache; doch nur, so du es gerne willst, lieber Vater Kenan. Amen."

[HGt.01_106,08] Kenan aber erwiderte seinem Sohne Mahalaleel, sagend nämlich: ,Höre, mein lieber Sohn, bei dem großartigen Beginne deiner Rede an mich habe ich geglaubt, weiß der Himmel, was da alles für lauter Unerhörtes herauskommen wird!

[HGt.01_106,09] Aber ich sehe, daß du immer noch der alte Mahalaleel bist, der da allzeit anfangs den Mund öffnet, als wollte er Sonnen gleich Erbsen ausspeien; allein am Ende kommen nicht einmal Erbsen zum Vorscheine, sondern ein ganz gewöhnlicher Mundspeichel! Was soll's da mit der verkehrten Ordnung, so sie dir eins ist? Warum darob Worte? Wenn Asmahael nun vorne wäre, was würde Er denn nachher sein? Nicht wahr, dann möchte es dir vielleicht großartig vorkommen, dieweil Er nicht rückwärts ist?!

[HGt.01_106,10] Nun begleitet Ihn Abedam; ist denn das mehr, denn daß du neben mir gehst?! Sagtest du doch selbst, dich hochschwingend, daß es dir einerlei sei, ob du neben mir oder ob ich neben dir einhergehe! Siehe, wie du etwas willst und weißt am Ende nicht, was es sei, das du willst!

[HGt.01_106,11] Was hat dir denn Adams Grotte getan und der weiße Berg und die sieben abendlichen Wasserspritzer, daß du dadurch nichtssagend deine Rede zieren mochtest?

[HGt.01_106,12] Du sagst, es komme dir so wunderbar vor, nachdem du die beiden Vorschreiter ungehört und somit auch unverstanden miteinander hast - sage - bloß nur reden sehen; was ist es denn, was dir so außerordentlich wundersam während der bloß nur angeschauten Rede der Vorschreiter vorkam?

[HGt.01_106,13] Siehe, mein lieber Sohn, wenn du etwas möchtest, so berate dich zuerst genau, was es sei, das du möchtest, und nach deinem klaren Bedürfnisse erst frage dann danach, was du wissen möchtest!

[HGt.01_106,14] Wenn dir aber am Asmahael nun vielleicht etwas auffällt, so frage ich dich: Hast du denn zur Zeit Seiner Wunderreden aus Gott deine Ohren jemand anderm geliehen, daß du nun dem Anscheine nach von der Hauptsache nichts zu wissen scheinst und mir nun dafür lauter Nichtssagendes von ihm als Stoff deiner Hauptverwunderung anführst?

[HGt.01_106,15] O Sohn, du bist weit vom Ziele! Daher berate dich zuerst mit der Hauptsache, und werde mit dir eins, - dann komme und öffne vor mir dein Herz durch deinen Mund! Amen."

[HGt.01_106,16] Mahalaleel aber merkte recht genau, daß der Rede Kenans der Kern mangelte, und daß diese gewisse Strafrede nichts als eine väterlich kluge Ausrede war, und sagte ganz ehrerbietig dawider zum Kenan:

[HGt.01_106,17] ,Höre, lieber Vater! Mir scheint es, daß wir uns in unserer Rede aneinander um nichts überboten haben! Wer von uns beiden aber nun mehr ins Blaue gestochen hat, ist eine bedeutungsvolle Frage!

[HGt.01_106,18] Siehe, ich habe kein Wort aus dem Munde Asmahaels verloren, mochte es dir aber darum nicht erwähnen, da ich es doch voraussetzte, daß solches eine unnütze Zeitzersplitterung wäre, und du solches bei mir als dem Vater Jareds und Henochs sicher doch auch ungezweifelt voraussetzen wirst!

[HGt.01_106,19] Du sagtest nun, ich hätte meine Kinder bloß reden sehen; siehe, da hast du vor mir nur etwas verbergen wollen, was du selbst so gut wie ich mit beiden unausgeliehenen Ohren Wort für Wort vernommen hast! Wie möchte ich dir sagen, solche Reden machten in mir Wunderbares erschauen, wenn es nicht also wäre, - ansonst ich ja vor dir und Gott als ein schändlicher Lügner dastehen müßte?!

[HGt.01_106,20] Aber siehe, deine Rede sagte mir doch etwas, was du mir sicher nicht zu sagen gedachtest, und dieses ist, daß du vor mir eine gebundene Zunge hast und mir vorderhand nicht sagen darfst, was ich wissen möchte! Darum war es auch unnötig, daß du mir eine so lange Verneinung sagtest, die kernloser ist denn meine Frage; hättest du mir kurz gezeigt das göttliche Band deiner Zunge, so hättest du dir ja bei weitem nicht so viele Mühe gemacht denn durch so viele vergebliche Worte. Siehe, ich war dir ja stets ein überaus gehorsamer Sohn; warum hast du mich denn jetzt verkannt?

[HGt.01_106,21] Lieber Vater, behalte es sorglos, was du behalten mußt bis zur Zeit der Löse; aber nur halte mich für keinen Lügner und somit überblinden Forscher nach göttlichen Dingen! Denn nur meinen Leib hast du gezeugt; mein Geist aber ist dem deinen gleich aus Gott. Daher glaube ich, auch ein Vater sollte sich an dem Göttlichen seiner Kinder nicht vergreifen. Denn es ist ja schon genug, daß der Geist ohnehin durch die Last des Leibes gezüchtigt ist und an dessen Gebrechen teilnehmen muß; so aber der Vater den Leib seiner Kinder züchtigt, so hat der Geist das Seine aus der Hand des Zeugers schon empfangen. Mehr bedarf es nicht. Wenn aber dann der göttliche Geist des Kindes sich da wendet an den göttlichen Geist des Zeugers, dann sollen sich die zwei göttlichen Brüder nicht mehr züchtigen, sondern sich nur in aller Liebe als Brüder in Gott wiedererkennen und einander, sich freundlichst unterstützend, Hand in Hand und Herz an Herz führen hin zur Pforte, durch welche das ewige Leben aller Gnade, Erbarmung und Liebe ewig unversiegbar strömt.

[HGt.01_106,22] O lieber Vater, glaube ja nicht, als habe ich dir jetzt dadurch eine dir noch unbekannte Lehre beibringen wollen! O nein, sondern ich mußte mich nur insoweit rechtfertigen vor dir, auf daß wir nun wieder beide uns gegenüber und vor Gott gerecht fürder wandeln möchten; und also tat ich es mehr deinetwegen denn meinetwegen.

[HGt.01_106,23] Ich kenne dein Herz. Es ist rein wie die Sonne vor mir; aber deinen Mund und deine Zunge sah ich jetzt bestaubt und konnte unmöglich umhin, es zu unterlassen, als ein wahrer Sohn in aller Liebe dir einen Dienst zu erweisen und zu reinigen deinen Mund und deine Zunge von einem verderblichen Staube.

[HGt.01_106,24] Denn siehe, so dachte ich bei mir: ,Vater, deine Zunge schmückt ein erhabenes Band aus der großen, ewigen Hand der Liebe Gottes! Was soll der Staub dabei? Weg damit, was des Todes ist!`

[HGt.01_106,25] Nicht wahr, Vater, jetzt wirst du deinem Sohne nicht gram sein und seine Rede nicht ansehen, als wäre sie eine Halblüge, sondern du wirst erkennen, daß der Mahalaleel dir nicht törichterweise wird ein Band lösen wollen, höre, mit dem Gott deine Zunge geschmückt hat.

[HGt.01_106,26] Daher wirst du mir nicht zürnen, sondern mein lieber Vater sein in Gott fürder! Amen."

[HGt.01_106,27] Kenan aber ward durch diese Rede zu Tränen gerührt und sagte endlich zum Sohne: ,Mahalaleel, mein geliebter Sohn, ich habe dir unrecht getan, da ich dir deine erste Rede verstreute und äußerlich gar zunichte machen wollte, während ich innerlich nur zu sehr von ihrer wahren Tiefe überzeugt war!

[HGt.01_106,28] Du aber hast ein rechtes Licht, das größer ist denn das meinige. Was ich vor dir verbergen soll, wirst du noch eher finden, als ich es selbst ganz erfassen werde; daher sei mein lieber Sohn und mein geliebtester Bruder ewig, amen, hör' als Bruder in Gott ewig! Amen."

 

107. Kapitel

[HGt.01_107,01] Es wurden aber nach dem Zwiegespräch zwischen Kenan und dem Mahalaleel, und wie vorher auch nach dem zwischen Jared und Henoch, nun auch Seth und Enos heimlich schon stark begierlich, miteinander ein paar Worte zu wechseln; und diese Begierde erwachte hier zuerst im Seth und machte erst dann die des Enos locker, und zwar also und darum:

[HGt.01_107,02] Seth hätte gar überaus gerne gewußt, was alles der Enos für Mutmaßungen über Asmahael hegt; aber auch einen andern Grund noch hatte Seth, den Enos über Asmahael zu befragen anzufangen, und dieser Grund war kein anderer als eine Art Furcht, umgekehrt vor der Zeit vom Enos befragt zu werden.

[HGt.01_107,03] Denn also dachte er bei sich: ,Lasse ich es darauf ankommen, daß mein Sohn mich zu fragen anfängt, was will ich ihm dann für eine Antwort geben?

[HGt.01_107,04] Frage ich ihn aber zuerst, so muß er mir ja antworten, wobei ich dann lange gut und sorglos all den sicher nicht bedeutungslosen Mutmaßungen meines Sohnes zuhören kann, und es wird ihm dann sicher nicht einfallen, mich darüber noch mit einer Frage zu belästigen, - und auf diese ganz unschuldige und einfachste Art von der Welt bin ich jeder verratenden Gelegenheit enthoben; und daher gerade also amen bei und aus mir selbst!"

[HGt.01_107,05] Und alsomit fragte nun der Seth den Enos, sagend nämlich: ,Höre, mein lieber Sohn Enos, wenn unsere Vorgeher und gleichsam Führer miteinander über Asmahael Worte tauschen, warum sollen wir uns dessen enthalten, dagegen die andern meines Wissens kein Gebot haben?! Und so möchte ich von dir gar überaus gerne über den Asmahael etwas vernehmen!

[HGt.01_107,06] Was hältst denn du von ihm, und zwar schon seit seinem ersten Auftreten unter uns? Denn so gering scheinend auch sein erstes Auftreten in unserer Mitte war, so außerordentlich ist nun aber auch die Wirkung eines jeglichen seiner Worte, - was deinem ruhigen Geiste sicher nicht wird entgangen sein.

[HGt.01_107,07] Siehe, darum möchte ich denn nun auch dein Urteil über ihn von dir vernehmen; und somit kannst du reden! Amen."

[HGt.01_107,08] Siehe, Seths Schlauheit war zwar gerecht, da ihn nur die große Liebe zu Mir schlau gemacht hatte, - aber es ist die Schlauheit selbst an und für sich ein Ding, das nicht gut ist, dieweil es ein Doppelwesen und gegen die Ordnung der Liebe ist, wenn auch nicht geradezu gegen die Liebe selbst. Als Doppelwesen aber ist es in Leibeshinsicht gleich einer Doppelnatur in einem Menschen, den die Natur verschnitten hat, auf daß er zum Teile Mann und zum Teile Weib ist. Wer kann aber ein solches Mannweib ehelich pflegen, oder welche Jungfrau möchte empfangen von einem solchen Weibmanne, dessen Organe weder zum Zeugen noch zum Empfangen taugen?!

[HGt.01_107,09] Wie aber ein solcher Mensch doch auch liebt seine vollkommenen Nebenmenschen und diese ihn wieder, also ist er nicht gegen die Liebe; aber in der Ordnung der Liebe, die allein fruchtbringend ist, ist er nicht, - und so auch seine geistige Schwester, die Schlauheit, nicht. Denn durch sie wird weder jemand zum Leben befruchtet, noch kann eben sie selbst etwas für sich Befruchtendes fürs Leben bewirken, indem sie immer, wenn auch gewisserart schadlos und unschuldig, doch nur ein Betrug ist, durch welchen dann der Enttäuschte doch stets mehr oder weniger geärgert wird, da er dann alsbald sich und den Schlauguten fragt: ,Warum mußte ich denn, wenn auch zum Guten, durch List gefangen werden, und warum ward mein Bruder listig gegen mich fürs Gute? Ist denn das Gute nicht gut, daß es nötig war, darum durch List gut zu werden? Oder bin oder war ich denn selbst böse, darum ich erst durch List mußte fürs Gute gewonnen werden?"

[HGt.01_107,10] So aber die List dem Bösen zugänglich ist, so muß sie ja notwendig selbst böse sein; denn wäre sie gut, so wäre der Böse vor ihr geflohen!

[HGt.01_107,11] Siehe, also war auch die Art des Seth gegen den Enos, da er gedachte, die Sache recht gut zu machen, aber sich dadurch nur selbst also gefangen hatte, daß, so da Asmahael nicht ins Mittel getreten wäre, Seth vor seinem eigenen Sohne in einem ganz sonderbar verderblichen Lichte hätte erscheinen müssen, - was aus der ganz unschuldigen Antwort des Enos sogleich ganz klar hervorgehen wird, welche also lautete:

[HGt.01_107,12] ,Lieber Vater, wie fragst du mich, darum wohl ich füglicherweise dich hätte fragen mögen und sollen?! Wahrlich, lange schon hatte ich darum einen wäßrigen Mund und eine kaum im Zaume zu haltende Zunge und war schon völlig bereit, dir mit einer Frage über Asmahael zur Last zu fallen; allein du kamst mir zuvor.

[HGt.01_107,13] Jedoch aber, da die Nacht in dieser Hinsicht auf meiner Seite nun ist, aus welcher ich nicht einem Sterne gleich dir vorleuchten kann, der du doch meines Wissens und Empfindens über Asmahael im Tage oder doch wenigstens in der Morgendämmerung bist, so möchtest wohl du aus deinem Tage mir leuchten!

[HGt.01_107,14] Du sagst es ja selbst: Alles Licht kommt von oben. Wie soll denn ich nun von unten dir nach oben leuchten?!

[HGt.01_107,15] Oder sollte ich mit dir ein leeres, wertloses Geschwätz führen über etwas, das mir zum größten Teile noch völlig fremd und unerklärlich ist?!

[HGt.01_107,16] Siehe, Vater, da es der Mühe würdig ist, sich über Asmahael zu besprechen, daher bin ich so frei, die Frage umzukehren; und demnach sei du so gut, mir, deinem Sohne, der vor dir arm und bedürftig ist, dasselbe mitzuteilen, was du erwarten mochtest von mir!

[HGt.01_107,17] War es ja doch von jeher die Sitte, daß in außerordentlichen Dingen die Kinder von ihren Alten Belehrung erhielten, und so bin ich nun bei einer kleinen väterlichen Versuchung von dir gar nicht gesonnen, die heilige, alte Ordnung zu brechen, und bin darob in freudiger Erwartung, von dir, lieber Vater, in dieser Hinsicht die allergenügendste Aufhellung in aller kindlichen Dankbarkeit zu erhalten.

[HGt.01_107,18] O lieber Vater, enthalte sie mir nicht vor, und gib mir ein sicheres Licht! Amen."

 

108. Kapitel

[HGt.01_108,01] Als aber Seth statt der sehnlichst erwarteten Antwort eine Gegenfrage erhielt, ward er über die Maßen verlegen und vermochte lange Zeit kein Wort über seine Lippen zu bringen.

[HGt.01_108,02] Dies fiel aber dem Enos auf, so daß er dann fragte: ,Lieber Vater Seth, der du vollkommen bist ein Ebenbild Adams, wie Adam ein Ebenbild Gottes, sage mir doch wenigstens, dieweil du nun schweigst, darum ich dich gefragt habe! War es denn nicht recht, daß ich solches tat, da ich doch nichts wußte, das ich dir hätte mögen zu einer Antwort geben?

[HGt.01_108,03] Es war ja aber schon von allen Zeiten her gesagt worden, daß eine Frage an und für sich frei und die Antwort dann nur eine beliebige Erklärung der Frage ist!

[HGt.01_108,04] Wer aber sollte zu antworten gebunden sein oder der Frage ihr Verlangtes bieten, so er durchaus nichts hat, womit er erleuchten möchte der Frage Mitternacht?!

[HGt.01_108,05] Hast du mich gefragt um das, was mir noch lange nicht gegeben war, dir zu antworten, und ich mußte dir darum ein Lichtschuldner werden, so habe ich, wenn ich dich aus meiner Nacht nun das fragte, worüber ich dir hätte in einer guten Antwort dienen sollen, dadurch ja dir, lieber Vater, auch keine Notwendigkeit auferlegt, daß du mir darum eine Antwort bringen sollst, sondern du solltest mir nur zeigen, ob es unrecht war, daß ich deinem Beispiele folgte!

[HGt.01_108,06] Es ist aber ja lange schon unter uns Sitte, daß des Vaters Rechte übergehen auf seine Söhne und die der Mutter auf ihre Töchter, dieweil der große, heilige Schöpfer solches schon in die Natur aller Dinge gelegt hat; so ich demnach nun mich in diesem nötigen Falle solches gerechten Rechtes bedient habe, sage, lieber Vater, kannst du darob mir wohl gram sein?!

[HGt.01_108,07] Oder ist es wider die Ordnung, so dem Sohne gerade darin das Licht mangelt, worüber ihn der Vater fragt?! Kann ich wohl etwas dafür, daß ich deiner Frage nicht leuchtend Folge leisten kann?! Und fehle ich, so ich als Sohn mir von dir, meinem Vater, einen Rat erbitte?!

[HGt.01_108,08] Siehe, ich glaube, daß hierin kein Fehler verborgen ist, wohl aber eine rechtmäßige Handlung vor dir, vor Adam und vor Gott, sage, nicht verborgen, sondern offenkundig; und daher kannst du mich, so du willst, wohl irgendeiner zurechtweisenden, wennschon nicht einer erklärenden Antwort für wert und gerecht halten! Amen."

[HGt.01_108,09] Seth aber sagte: ,Lieber Enos, so warte doch nur ein wenig; habe ich ja doch nicht Henochs oder Kenans Zunge, auf daß ich also schnell könnte mit einer guten Antwort fertig werden! Gedulde dich nur ein wenig, - es wird dann wohl etwas herauskommen; ob Nacht, ob Licht, wirst du's wohl sehen.

[HGt.01_108,10] Brauchst darum mir ja nicht deine Rechte vorzusagen, die ich so gut kenne wie du, - auch nicht all die Sitten, die allzeit gerecht, gang und gäbe waren und bis ans Ende aller Zeiten bei den Vollkommenen also bleiben werden; denn alles dieses habe ja ich dich zuvor gelehrt! Aber was hier die Antwort auf deine meinem Munde entnommene Frage betrifft, so ist das nicht so leicht, als du es vielleicht meinst, sondern es gehört da wohl einiges Nachdenken dazu, bis man das Rechte kurz zusammengefaßt hat. Daher gedulde dich nur noch eine kurze Zeit, und, wie gesagt, es wird dann wohl etwas herauskommen, ob Nacht, ob Licht, wirst du's wohl sehen! Amen."

[HGt.01_108,11] Bei sich aber dachte nun Seth: Oh, welche Torheit habe ich nun wieder begangen! Warum fragte ich denn, schlau sein wollend, meinen eigenen Sohn und weckte dadurch eine Begierde in ihm, die an und für sich überaus gut ist; aber was nützt das alles, wenn ich sie an ihm nicht befriedigen darf.

[HGt.01_108,12] Was kann, was werde ich ihm für eine Antwort geben nach kurz und nur zu bald abgelaufener Wartefrist?

[HGt.01_108,13] Nichts zu sagen, ist nun rein unmöglich; denn solches wäre ja gegen alles göttliche Recht der sehnsüchtigen Erwartung auf eine Verheißung.

[HGt.01_108,14] Die Wahrheit darf ich nicht reden - und eine Unwahrheit noch viel weniger!

[HGt.01_108,15] O Asmahael, Asmahael, nun erst begreife ich es ganz, wie unheilbringend schon selbst ein so leichtes Gesetz ist, - wie dann erst ein größeres oder gar mehrere!

[HGt.01_108,16] O Asmahael, so du mir nun nicht wieder hilfst, so gehe ich abermals zugrunde! O laß mich nicht sinken in die dickste Nacht alles Verderbens! Amen!

 

109. Kapitel

[HGt.01_109,01] Unter solchen Gesprächen hatten die Väter nun auch den halben Weg zurückgelegt, und der Adam wünschte hier ein wenig auszuruhen; denn es war nach eurer Rechnung elf Uhr geworden, um welche Zeit die Sonne schon heiße Strahlen zur Erde zu senden begann.

[HGt.01_109,02] Und so war unter dem sehr kühlenden Schatten eines großen, schon vielstämmigen Bahaniabaumes eine kleine Rast für den alten Adam in leiblicher Hinsicht gar wohl erwünscht und am rechten Platze, und das fürs erste der Stärkung wegen und fürs zweite der Kühle wegen und fürs dritte wegen einer hier all den Vätern wohlbekannten, überaus frischen und reichlichen Wasserquelle, welcher Adam schon von jeher eine besonders stärkende Kraft zuschrieb.

[HGt.01_109,03] Hier also ließen sich die Väter nieder und lobten und priesen Mich aus ganzem Herzen, und es freuten sich, die Mich schon erkannt hatten, über all die Maßen, - nur den Seth etwas ausgenommen; denn sein Versprechen an den Enos ließ ihm keinen freien Pulsschlag zu und drückte ihm gewaltig das Herz zusammen!

[HGt.01_109,04] Es merkte aber bald der Adam, daß dem Seth etwas nicht gar fein zusammengehe, und er fragte ihn: ,Höre, mein geliebter Sohn, und sage mir, was dich beirrt.

[HGt.01_109,05] Denn siehe, du atmest wie einer, der da rechnet, wo es keine Zahlen gibt oder nichts, das er zählen möchte! Was ist es? Tue deinen Mund auf vor mir und dein Herz vor Dem, der unter uns wandelt! Amen."

[HGt.01_109,06] Seth aber wurde noch verlegener, da Enos ihm zur Seite war, und konnte auch nicht ein Wort herausbringen.

[HGt.01_109,07] Und nun erst trat der Asmahael in die Mitte und half also dem armen Seth aus seiner harten Klemme durch folgende Rede, da Er sagte:

[HGt.01_109,08] ,So jemand gefangen wird, entweder so oder so, durch Wort oder Tat, weil er nicht also geläufig ist wie ein anderer, der ihn gefangen, da liegt die Schuld der Gefangennehmung nicht an dem Gefangenen, sondern an dem, der ihn gefangen.

[HGt.01_109,09] Denn so ein Wolf behende fängt einen saumseligen Esel, dessen Beine von Natur aus langsamer sind denn die des leicht springenden Wolfes, wer möcht' es da dem Esel zur Schuld halten, daß er sich habe vom Wolfe fangen und verletzen lassen, da doch offenbar allein der viel schneller laufende Wolf der allein Fangschuldige ist, dieweil er am unrechten Platze seine Fang- und Schnelläufigkeit ausgeübt hat, während er sich nur mit Hirschen, Rehen und Gemsen messen sollte und anderen Schnellfüßlern der Wälder!

[HGt.01_109,10] Wenn aber ein Wolf sich eigenbelustigend fangen läßt von einem Esel und dieser dann in seiner Dummheit dem Wolfe mit seinem harten Hufe den Kopf zerschmettert, wahrlich, da ist der durch die Gefangengebung sich selbst belustigen wollende verletzte Wolf ja selbst schuld, daß ihn des Esels Dummheit zugrunde gerichtet hat! Seth, kennst du dieses Bild?

[HGt.01_109,11] Wie gefällt dir der Wolf und wie der Esel? Hast du aber Weisheit vor dir und für dich, was hat denn deine Füße umstrickt, daß du in deiner schlauen Vorlustberechnung nicht auch berechnen mochtest, was der Esel tun wird, so er den Wolf, der sich saumselig zeigt, erreicht?

[HGt.01_109,12] Siehe, nicht das Gesetz, wie du kläglich dachtest, sondern nur die Torheit straft sich also!

[HGt.01_109,13] Wer hieß dich den noch blinden Enos fragen nach dem, was zu sagen dir vorderhand von Gott verboten wurde?

[HGt.01_109,14] Siehe, in der List liegt kein Funke Weisheit; denn es ist etwas anderes an der bescheidenen Klugheit - und etwas ganz anderes an der Schlauheit. Die Klugheit geht ihren Weg sicher, während die List nicht selten der Dummheit sich ergeben muß.

[HGt.01_109,15] Für diesmal sei dir geholfen darum, weil du solches tatest aus Liebe; aber fürs Künftige siehe zu, daß dir dein Esel nicht mit dem Hufe zu nahe an den Kopf kommt, - sonst möchte es dir ergehen wie dem Wolfe!

[HGt.01_109,16] Und du, Enos, harre auf die Antwort bis morgen, und du sollst zuletzt es erfahren, weil du dich rechtfertigtest vor deinem Vater und machtest bange seinem Herzen; darum harre bis morgen! Amen."

 

110. Kapitel

[HGt.01_110,01] Nach dieser Rede aber stieg Asmahael vom Tiere und sprach zum selben: ,Hähära, entferne dich; denn dein Dienst ist zu Ende und du mit ihm!" (Solches nämlich besagt das fremde Wort.) Und das Tier verschwand im Augenblick!

[HGt.01_110,02] Es entsetzten sich aber darob alle Väter; selbst Henoch blieb nicht gleichgültig, und Abedam wußte nicht, ob er wache oder träume, da sie das Tier nicht davonspringen, sondern rein nur zunichte werden sahen.

[HGt.01_110,03] Asmahael aber trat nun zurück und überließ die Väter ihrer nachdenkenden Ruhe - und ganz besonders jene, die noch nicht wußten, wer eigentlich hinter dem Asmahael verborgen war.

[HGt.01_110,04] Alsbald aber zupfte Jared den Henoch und sagte leise zu ihm: ,Henoch, was sagst du nun dazu? Wohin ist das Tier?

[HGt.01_110,05] In die Erde ist es nicht, seitwärts auch nicht und in die Luft auch nicht! Es war schneller denn ein Augenblick unseren Augen entrückt und hat aber auch nicht eine allerleiseste Spur von seinem Dasein zurückgelassen, - und das alles durch ein Wort aus dem Munde Asmahaels!

[HGt.01_110,06] Nein, lieber Sohn, wer sich da nun noch auskennt, der - ja gewiß und dreimal wahr! - der kennt mehr denn du und ich!

[HGt.01_110,07] Siehe, so etwas solches dein Sohn Mathusalah und sein kaum etwas über vierzig Jahre alter Sohn Lamech mit gesehen hätten, da wäre Mathusalah sicher aus seiner Gleichgültigkeit geweckt und sein Lamech in seiner Überlebhaftigkeit gesänftet worden!

[HGt.01_110,08] Ich habe sie noch mitnehmen wollen! Freilich war mir Adams Wille dafür nicht wohl bekannt; auch hätte dein Weib ihren lieblichen Versorger vermißt, da du ohnehin zum Adam verlangt wurdest und mochtest darum nicht unserer allgemeinen Hütte vorstehen.

[HGt.01_110,09] Lamech hätte wohl mitgehen mögen; aber der Vater Adam mag ihn nicht wegen seiner beständigen Unruhe und allerlei albernen Geschwätzes, welches mir zwar nicht gar so sinnlos vorkommt.

[HGt.01_110,10] Kurz und gut, - ich meine, es wäre gut, so sie hier nun auch zugegen wären!

[HGt.01_110,11] Ja, das ist etwas! Ich weiß gar nicht, wie es mir ist; auch rede ich nun, wie es mir vorkommt, schon alles durcheinander!

[HGt.01_110,12] Was meinst du denn, wird es recht sein, daß ich heimlich die zwei bestellt habe, uns zu Mitternacht entgegenzukommen?

[HGt.01_110,13] Oh, wenn ich sie doch lieber hierher bestellt hätte mit irgendeiner Erfrischung für Adam! O Henoch, mir kommt nun alles so sonderbar vor! Ich bitte dich, sage mir doch etwas zu meiner Beruhigung! Amen."

[HGt.01_110,14] Henoch aber liebkoste seinen Vater darüber und sagte: ,Mein lieber Vater, welch ein gutes Herz hast du! Glaube mir, solche Herzen läßt der große, heilige Vater nie lange hungern; und wie es mir vorkommt, hat Er uns schon eine Freude gemacht!

[HGt.01_110,15] Siehe, wohin der Weg sich zieht weiter gen Mitternacht, von dort eilen schon unsere zwei Kinder daher, und siehe, siehe, Asmahael geht allein ihnen munter entgegen!

[HGt.01_110,16] O Vater Jared, nun ist alles erfüllt; meine Liebe zu Gott und dir ist aus ihren Schranken getreten, und so laß mich nun lieben den Herrn und meine Zunge schweigen vor Ihm und dir! Amen."

 

111. Kapitel

[HGt.01_111,01] Und also staunten auch alle anderen und wußten sich nicht zu raten und zu helfen. Als aber der Adam sah die beiden Nachkommen Henochs, vom Asmahael geleitet, zur Gesellschaft kommen, fragte er den Henoch:

[HGt.01_111,02] ,Wer hieß denn die zwei daher kommen, da ich nicht wollte, daß sie mit uns gehen sollen, dieweil der eine ist zu lau und der andere zu windig und kennt keinen Ernst?"

[HGt.01_111,03] Henoch aber antwortete: ,Siehe, Vater Adam, das eine tat die Vaterliebe Jareds an meiner Stelle, und die Hauptsache aber Der, der, in ihrer Mitte wandelnd, sie gen uns geleitet!

[HGt.01_111,04] So du Ihn aber kennst, wie magst du fragen, was es sei, das der Herr tut?!

[HGt.01_111,05] O freue dich mit mir darum, daß der große Gott - - solche große Freude hat an dem, was niedrig ist vor der Welt, und wohlgefällig ansieht das Kleine und also behende zu Hilfe eilt dem, was schwach ist vor unseren Augen!

[HGt.01_111,06] O gelobt sei darum ewig unser großer, überheiliger Gott und Vater! Amen!"

[HGt.01_111,07] Adam aber wurde zu Tränen gerührt und dankte, lobte und pries Mich in der Tiefe seines nun sehr gesänfteten Herzens.

[HGt.01_111,08] Asmahael aber brachte unterdessen seine Schützlinge zu den Vätern und begann folgende Worte an alle zu richten, sagend:

[HGt.01_111,09] ,Höret ihr alle, die ihr hier zugegen seid körperlich und geistig und in der Liebe und im Glauben, und ganz besonders aber höret es ihr, die ihr da Unterschiede machet zwischen diesen und jenen und saget: ,Das ist mir ein Liebling; denn er gehorcht allzeit meinem Herzen. Sein Leben ist wahrhaft aus mir, da es vollkommen sich verhält zu meinem Willen!` Aber wieder saget ihr: ,Dieses Kind oder diesen Menschen mag und kann ich nicht lieben, da es oder er sich nicht gemacht hat nach dem Verlangen meines Herzens und mein Wille ihm wie fremd ist und er nicht achtet vollkommen auf das, was mir wohlgefällt! Will ich Ruhe, da springt er; will ich wandern, da läuft er mir über den Pfad; so er aber reden sollte, da schweigt er, und wo er schweigen sollte, da redet er; wenn er aber wandeln soll, da legt er sich nieder; und wo er wachen sollte, da schläft er ein und bringt dann aus seinen Träumen lauter Faseleien zum Vorschein!` Und also nach diesem Maßstabe richtet ihr diejenigen, die euch nicht zu Gesichte stehen, und verbannet sie darum aus eurem Herzen, dieweil sie nicht entsprechen eurer Eigenliebe. Sehet doch, wie ungerecht eure Urteile sind!

[HGt.01_111,10] So aber Gott einen Menschen werden ließ, ließ Er ihn werden zum Fluche oder zum Segen?

[HGt.01_111,11] Hat Gott je einen Unterschied zwischen Menschen und Menschen außer dem natürlich geschlechtlichen geoffenbart? Oder hat Er euch je darüber irgendein Gebot verkündigen lassen, wodurch besagt worden wäre: Die Kinder und Menschen, die sich nicht also gestalten, wie es eurer Eigenliebe zusagt, müsset ihr verachten und nur diejenigen lieben und achten, denen kein anderer Wille denn nur der eures Herzens eigen ist?!

[HGt.01_111,12] O sehet, da ihr also tut und habt doch kein Gebot dafür, wie möget ihr denn fluchen der Sklaverei in der Tiefe, die da ist eine Unordnung der Nacht, entstanden aus euch, und machet aber zu Sklaven eure eigenen Kinder?!

[HGt.01_111,13] ,Bin Ich`, also spricht der Herr, ,denn nicht auch ein Vater eurer Kinder, so gut wie Ich der eurige bin?!

[HGt.01_111,14] Habe Ich demnach denn gar kein eigen Recht, auch den Kindern einen eigenen freien Willen zu geben?! Und habe Ich solches getan, worüber ihr euch ärgert, bin Ich schuldig, euch etwa gar noch Rechenschaft ablegen zu müssen?!

[HGt.01_111,15] So ihr Alten aber schon euern Kindern keine Rechnung eures Willens ableget, wie möget ihr solches in der Tat verlangen von Mir, der Ich euch doch alle mit gleicher Liebe umfasse, nicht aber also wie ihr einen mehr und den andern weniger oder auch wohl gar nicht?!

[HGt.01_111,16] Zeiget Mir eine Stelle der Erde auf ihrer Fläche, wohin noch nie ein Tropfen des Regens oder ein Sonnenstrahl gefallen wäre, und wo ein Tropfen weniger feucht gewesen wäre denn ein anderer!

[HGt.01_111,17] Wahrlich aber sage Ich euch: Es gibt keine härtere Knechtschaft als die des steifen Eigenwillens, wobei auf nichts als auf die Eigenliebe Rücksicht genommen wird, wobei alle also sein sollen, daß sie fröneten dem Willen eines einzigen!`

[HGt.01_111,18] So aber der heilige, ewige, allerweiseste, liebevollste Vater jedem gegeben hat einen eigenen, freien Willen wie ein eigenes Herz, ist es demnach nicht unbillig, so der Alte nicht und nimmer ansehen will die freie Lebenstätigkeit seines erwachsenen Sohnes?!

[HGt.01_111,19] Ich sage aber, obschon es dem Sohne besser ist, sein Leben lang zu gehorchen seinem Vater und demselben niemals in etwas zu widerstreben, so aber ist es doch dem Vater überaus angemessener, dem Sohne von der Geburt an eine solche Richtung zu geben, durch welche er fürder selbsttätig frei zu handeln vermag und als freier Mensch dann aus eigenem Liebestriebe zurückkehrt zum Vater und zu ihm sagt:

[HGt.01_111,20] O Vater, siehe, dein Sohn ist gekommen und möchte dich tragen auf seinen Händen!`

[HGt.01_111,21] Saget, ist solches nicht mehr wert, denn so ihr sagen müsset zu euern Kindern: ,Komme her und führe mich!`, und der Sohn kommt alsdann und tut deinen Willen, hätte sich aber nicht zu kommen getraut, so du ihn nicht geheißen hättest?!

[HGt.01_111,22] O sehet, wie sehr ihr euch noch unterscheidet, und wie wenig ihr noch Dem ähnlich seid, der euch zu Seinen ewigen Kindern machen möchte!

[HGt.01_111,23] Sehet die Blätter dieses großen Baumes an, die euch nun allesamt schützen vor den spitzen Strahlen der Sonne, und beratet es in euch, welches Blatt das andere an Wert überbietet!

[HGt.01_111,24] Ihr werdet sagen: ,Ob zuunterst oder zuoberst, das entscheidet nichts; so aber die Blätter wären eine wohlschmeckende Speise, da wären die größeren mehr wert denn die kleinen!`

[HGt.01_111,25] Also habt ihr geschätzt; aber was in euch war der Schätzmeister? Könnt ihr es anders berichten, als daß ihr von euch selbst treu gestehet und saget: ,Unsere viel genießen wollende Eigenliebe!`, ohne auch nur im geringsten auf den Schöpfer Rücksicht zu nehmen, ob Dieser vielleicht in die kleinsten Blätter nicht eine noch größere Bestimmung gelegt hat als in die eurem Bauche mehr zusagenden großen?!

[HGt.01_111,26] So ihr aber eine Leiter machet, warum machet ihr da die unteren Sprossen stärker denn die oberen?

[HGt.01_111,27] Ich sage euch aber - was euch schon bekannt ist -, daß die unteren Sprossen darum nicht zweckdienlicher sind denn die oberen, obschon diese schwächer sind denn die untersten und von diesen nach oben weit entfernt sind; so ihr aber dann eure Leiter an den Baum lehnet, berühren da nicht gerade die schwächsten die Frucht?!

[HGt.01_111,28] O wahrlich, Ich sage euch: Also werde auch Ich Mir eine Leiter bauen aus Menschen, und zwar eine Leiter, die Ich aufstellen werde zum Baume des Lebens, der da reicht bis in den Himmel alles Lebens vom Grunde der Erde aus! Glücklich werden die Sprossen sein, die Ich zuoberst nehmen werde; denn die nur werden das Leben erreichen, während die starken warten werden unter aller Last, was da des Lebens hinabgeworfen wird in die Tiefe!

[HGt.01_111,29] Verstehet es wohl und richtet darum eure Kinder nimmer nach eurer Eigenliebe, sondern nach der göttlichen Freiheit und Liebe! Amen."

 

112. Kapitel

[HGt.01_112,01] Als aber solche Rede der Adam vernommen hatte und neben ihm aber auch all die anderen Väter, ergriff sie fast alle ein Schauder, so zwar, daß sich niemand ein Wort dagegen zu sagen getraute und darum unter ihnen eine länger anhaltende Stummheit eintrat.

[HGt.01_112,02] Es verstanden aber die zwei neu Angekommenen nichts von allem dem, was da der Asmahael zu den Vätern geredet hatte, und dachten bei sich selbst,

[HGt.01_112,03] die Väter seien gewiß ärgerlich geworden, und zwar fürs erste ob ihres unzeitigen Erscheinens, und fürs zweite ob ihres unbekannten Vorführers Rede, woraus ihnen ungefähr so viel klar ward, daß er sie zu ihren Gunsten an die Väter gerichtet hatte.

[HGt.01_112,04] Und alsbald fragte Lamech ganz leise den Mathusalah: ,Vater, was sollen wir nun machen? Sollen wir uns wieder heimlich davonmachen und verlassen die Väter, die da unsertwegen heimlich zu zürnen scheinen, oder sollen wir bleiben und geduldig die Vorwürfe ertragen?

[HGt.01_112,05] Und wer etwa doch der junge Mensch ist, der uns gar so liebevoll entgegenkam und uns dann gar so mutig hierher zu den Vätern geleitete?!

[HGt.01_112,06] Sein Wort muß von großer Bedeutung sein, weil die Väter ihm mit einer gar so großen Aufmerksamkeit zugehört haben und sich jetzt nichts zu entgegnen getrauen, wie es mir vorkommt!

[HGt.01_112,07] O Vater, berate dich und teile es mir dann mit, so du es willst! Amen."

[HGt.01_112,08] Mathusalah aber fertigte seinen Sohn ganz kurz ab, sagend nämlich: ,Lieber Sohn, bedenke, ob wir nun durch was immer für eine neue Wendung die Sache besser machen können und mögen!

[HGt.01_112,09] Bleiben wir, da uns niemand fortschafft, so werden die Väter bleiben, was sie sind, nämlich unsere Väter - und wir beide ihre Kinder! Verlassen wir sie aber, ohne daß sie solches uns geböten, so werden wir dadurch das nicht aufheben, daß sie unsere Väter sind, und wir werden ihnen dadurch weder unsern Gehorsam, noch unsere Liebachtung an den Tag legen, da sie uns dann gram sein könnten so oder so, da sie unsere Väter sind, die uns bei dem allem doch mehr lieben denn verachten.

[HGt.01_112,10] Ich gehe stets von dem Grunde aus, der ein Grund meines Vaters Henoch ist, und also lautet: ,Liebe den, der dir gram wird, so wirst du ihn bald zu deinem Freunde haben!`

[HGt.01_112,11] Siehe, desgleichen tun auch wir, und die Väter werden mit uns sicher nicht unzufrieden sein; des sei du versichert!

[HGt.01_112,12] Doch, was den jungen, überfreundlichen Menschen betrifft, so ist es mir selbst rätselhaft, woher er ist, wer er ist, wie er in die Gesellschaft der Väter aufgenommen wurde, und was er eigentlich bei ihnen macht!

[HGt.01_112,13] Daß er weiser ist als ich und du, das hat er nun schon durch seine Rede gezeigt; und daß in seinem Worte eine ganz sonderbare Kraft liegen muß, das zeigen uns ja zur Genüge die entweder scheinbar oder wirklich stumm gemachten Väter. Und mehr zu wissen brauchen wir auch vorderhand nicht; und also können wir schon ruhig sein und geduldig abwarten und sehen und hören, was da kommen wird! Amen."

[HGt.01_112,14] Es trat aber alsbald Asmahael zu den beiden und sagte zu ihnen: ,Höret, wo Ich bin, ist gut sein, und es hat niemand etwas zu besorgen, noch zu fürchten; daher bleibet, dieweil Ich bleibe! Denn wer da bleibt, wo Ich bleibe, der ist wohl geborgen und hat eine bleibende Stätte gefunden bei Dem, dem jeder recht ist, der da ist eines gerechten Herzens!

[HGt.01_112,15] Was ihr jetzt noch nicht fasset, das werdet ihr ins Leben fassen, wenn ihr Mich erkennen werdet!

[HGt.01_112,16] Doch freuet euch, da ihr Mir nicht ferne seid; höret und verstehet es! Amen."

 

113. Kapitel

[HGt.01_113,01] Als die beiden ein solches Wort vom Asmahael vernommen hatten, fingen sie gar gewaltig sich zu wundern an. Und nachdem sich Asmahael von ihnen ein wenig entfernt hatte, sagte Lamech zum Mathusalah:

[HGt.01_113,02] ,Vater, was hältst du von dieser kurzen Rede dieses Jünglings? Wie es mir vorkommt, so scheint er heimlich große Stücke auf sich zu halten; daß es also ist, zeigt sich ja zur Genüge, da er sagt: ,Wo ich bin, ist gut sein!` Warum sagte er denn nicht: ,Wo Adam und die Kinder Gottes sind, ist gut sein?`

[HGt.01_113,03] Siehe, das, wie noch manches, ist mir rein unerklärlich! Sage mir daher doch, so du kannst und magst, wie dir dieses alles vorkommt, und was du von diesem jungen Menschen hältst, und wie er dir vorkommt! Amen."

[HGt.01_113,04] Es kam aber alsbald Henoch herbei und berichtigte die beiden, sagend nämlich: ,Höret, ihr meine Kinder, und sehet: So ich hier einen Stein in die Hand nehme und festhalte, einer aber kommt und fragt mich, sagend: ,Freund, was hältst du hier in der Hand?`, ich aber zeige ihm, daß es ein Stein ist, er aber fragt mich wieder: ,Was soll es denn mit dem Steine?`, werde ich ihm da nicht antworten: ,Was fragst du mich? So ich den Stein halte über der Erde, wie mag er dir zu einem Steine des Anstoßes werden?!

[HGt.01_113,05] Was kümmert dich aber das, was dir nicht zur Last ist?! So mir aber meine Bürde behagt, so hast du nichts, darum du ängstlich fragen möchtest?!`

[HGt.01_113,06] Kann aber jemand in der Hand einen harten Stein zu Staube machen? Gewiß, solches wird wohl jeder bleibenlassen!

[HGt.01_113,07] Ist es aber nicht füglicher, den Stein in der Hand zu tragen, als auf der Straße über denselben zu fallen und sich zu verletzen?! Wer aber ist der, der da fliehen möchte vor dem eigenen Leben?!

[HGt.01_113,08] So er aber das Leben hat, warum tut er denn, als hätte er es nie empfangen, und handelt blind in allen Dingen?!

[HGt.01_113,09] Was weiß denn der Mensch?! Ist denn nicht, was er weiß, aus Gott?! Wie denkt er denn hernach, als wollte er denken neben Gott als einer, der sich selbst genügt und nicht benötigt eines Rates aus Gott?! Da er aber dann zu raten anfängt, da ratet er dann so lange, bis er sich zugrunde geraten hat!

[HGt.01_113,10] Also fraget und ratet auch ihr! Wenn aber ich euch sagen möchte: ,Ich, Henoch, bin euer Vater!`, - was möchtet ihr von dieser Aussage halten?

[HGt.01_113,11] Könntet ihr mir vorwerfen, daß ich, da ich solches vor euch von mir bekenne, dann große Stücke auf mich halte?! Bin ich denn nicht das, was meine Zunge über mich aussagt?!

[HGt.01_113,12] Was wird aber erst dann herauskommen, wenn Blinde zu urteilen anfangen?! Wer am Tage nichts sieht, wie will der aber, daß ihm die Nacht zur Leuchte werden soll?

[HGt.01_113,13] So ihr aber schon Asmahaels Worte nicht zu fassen vermöget, wohin erst soll denn euer Urteil über Asmahael selbst den wankenden Fuß setzen?!

[HGt.01_113,14] So ich euch aber fragen würde: ,Was ist denn das Wachstum einer Rose, und was die Rose selbst?!` Ihr würdet verstummen!

[HGt.01_113,15] Wie fraget ihr euch denn, was da mit Asmahael ist? Ich aber sage euch: Verharret bis morgen, und es soll euch alles erklärt werden. Jetzt aber hanget am Asmahael und achtet überaus hoch jegliches Seiner Worte! Amen. Verstehet und höret es! Amen."

 

114. Kapitel

[HGt.01_114,01] Und nachdem der Henoch den beiden noch obendrauf ganz besondere Aufmerksamkeit empfahl für jegliches Wort aus dem Munde Asmahaels, entfernte er sich wieder und ging hin zum Vater Jared und harrte dort bis zum Zeichen des Aufbruchs zur Weiterreise gen Mitternacht, welches jedoch noch nicht gar zu bald gegeben wurde; denn der Tag war heiß, und den alten Vätern schmeckte zu sehr die kühlende Ruhe unter den breiten und dichten Bahahania- (auch wohl Bahania-)blättern.

[HGt.01_114,02] Die beiden aber hatten unter sich doch keine Ruhe, - und ganz besonders war der Lamech ein Ruhestörer, der alsbald wieder zu reden begann, sagend nämlich:

[HGt.01_114,03] ,Höre du, Vater Mathusalah, was war denn nun wieder das?! Was hat denn nun der Vater Henoch, den wir doch um keine Erklärung gebeten haben, mit dieser seiner Rede sagen wollen?

[HGt.01_114,04] Es geht nun alles so gespannt her; jedes Wort ist eine Predigt, und es redet der Vater mit dem Sohne, als wäre der Sohn seiner Rede nicht wert, und der Sohn scheint des Vaters Wort oft ganz zu überhören oder doch wenigstens nicht zu verstehen. Siehe, bei uns zweien ist's jetzt schon der Fall: Der Vater Henoch hat gesprochen und wenigstens ich habe ganz entsetzlich wenig davon verstanden, außer daß wir uns recht fest an den Asmahael halten sollen, und daß uns morgen alles klar werde.

[HGt.01_114,05] Was er aber da vom Steine geredet hat und vom Leben und vom Rate und Urteile, das alles, lieber Vater, ist für mich so gut, als hätte ich nichts vernommen.

[HGt.01_114,06] Hast du, lieber Vater, aber etwas verstanden, so teile es mir mit; jedoch, sollte es dir etwa gehen wie mir, da bleibt uns freilich wohl nichts anderes übrig, als schön ruhig dem Beispiele der Großväter zu folgen und im Namen des großen Gottes ganz geduldig zu harren bis zum morgigen Tage, allwo sich dann wohl zeigen wird, was alles für Lichtfrüchte für uns zum Vorscheine kommen werden. Also, so du etwas weißt, lieber Vater! Amen."

[HGt.01_114,07] Und der Mathusalah erwiderte dem Sohne: ,Mein geliebter Sohn, wer dir auf jegliche deiner Fragen eine Antwort geben müßte, der müßte auch dazu mit zehn Zungen und ebensoviel Lungen versehen sein; denn dein Leben ist nichts als eine große, langgedehnte Frage, - und auf der Erde wächst nun noch kein Baum, der da groß und stark genug wäre, daß auf ihm zur Reife gelangen möchte eine solche Frucht, die für deine Frage eine hinreichend große Antwort enthielte!

[HGt.01_114,08] Was soll ich reden?! Hast du denn nicht vernommen fürs erste das Wort Asmahaels selbst und hernach an meiner Statt das des Vaters Henoch?!

[HGt.01_114,09] Denke nur im stillen bei dir darüber nach, und so es des großen Herrn Wille ist, wird es dir schon nach und nach heller und stets heller darüber werden! Was ist alle unsere Hilfe, was unser Licht, wenn alles dieses nicht von oben gegeben wird?!

[HGt.01_114,10] Es ist aber alle Menschenhilfe zu nichts nütze, und der Menschen Licht ist nichts denn die allerbarste Finsternis. Wenn sich daher Menschen helfen, da beschädigt einer den andern nur; und wenn einer den andern erleuchten will, da verfinstert er den andern nur!

[HGt.01_114,11] Siehe, daher reinige nur im stillen emsig das heilige Liebeflämmchen in deinem Herzen, sodann wirst du bald aller fremden Erleuchtung leicht rathalten können; denn ein göttlich Fünkchen ist mehr wert als ein ganzer Himmel voll Sonnen, Monde und Sterne von schönster, hellster Art!

[HGt.01_114,12] Daher sei ruhig und stille nun und geduldig bis auf den vielverheißenden Morgen! Amen; höre, amen."

 

115. Kapitel

[HGt.01_115,01] Nach dieser Rede aber verstummte jegliche Zunge, und jeder dachte mehr oder weniger über die Ereignisse dieses Tages nach und lobte und pries Gott im Herzen für solche großen Gnadenerzeigungen. Und die aber den Asmahael schon erkannt hatten, hatten ohne Unterbrechung Herz, Aug' und Ohr auf Ihn gerichtet. Asmahael aber besprach sich im stillen unterdessen mit Abedam; es konnte aber niemand etwas vernehmen, was da gesprochen worden ist.

[HGt.01_115,02] Nach einer ziemlichen Weile aber schrie die Eva laut auf und wollte fliehen; denn sie entdeckte bei längerer Betrachtung der schön verschlungenen Äste und Zweige des Baumes gerade über ihrem Haupte eine außerordentlich große Riesenschlange.

[HGt.01_115,03] Als die Väter alle solches auch alsbald ansichtig wurden, sprangen sie auch eilends auf und wollten fliehen mit der Eva vor dem Untiere.

[HGt.01_115,04] Asmahael aber vertrat ihnen den Weg und gebot allen, zu bleiben und ihre Stellen ja nicht eher zu verlassen, bis Er ihnen solches andeuten werde.

[HGt.01_115,05] Und alle begaben sich wieder auf ihre früheren Plätze und harrten ruhig und mit wenig Furcht mehr vor dem Untiere auf das, was da folgen werde.

[HGt.01_115,06] Asmahael aber trat hinzu, da die Schlange sich hin und her und auf und ab wogte und ringte, und redete sie also an: ,Tier des Zornes und der Nacht! Was suchst du Verfluchte hier?"

[HGt.01_115,07] Die Schlange aber zischte antwortend: ,Den, der mich ewig verfolgt, auf daß ich Ihn verderbe!"

[HGt.01_115,08] Und Asmahael fragte weiter: ,Wer ist Der, den du der ewigen Verfolgung anschuldest und verderben willst?"

[HGt.01_115,09] Und die Schlange: ,Er ist Gott von Ewigkeit und Schöpfer aller Dinge, die Er mir gegeben hat, und wurde schwach, da Er sah meine Herrlichkeit, die größer war denn die Seinige, darob Er dann entbrannte in dem heftigsten Feuer Seines Zornes, mich verfluchte, mir die Herrlichkeit nahm und damit der Erde schändlich Gewürm schmückte, daß sie Ihm ähnliche Bilder wurden; mich aber belehnte Er dafür mit ewigem Fluche und gab mir diese allerschändlichste Wurmgestalt!"

[HGt.01_115,10] Und Asmahael wurde sichtbar ergrimmt und donnerte der Schlange folgende Worte zu: ,O Satan! Wie unermeßlich groß ist deine Lüge und wie unbegrenzt deine Bosheit!

[HGt.01_115,11] Wann habe Ich dich verflucht und verfolgt?! Als du eigenmächtig und eigenböswillig Mich flohst Ewigkeiten hindurch und kamst in das unantastbare Gebiet der unendlichen Heiligkeit Gottes, darinnen du für alle Ewigkeiten vernichtet worden wärest, wer streckte da Seinen langen und mächtigsten Arm aus, ergriff dich mit aller Liebe und setzte dich hierher und wollte dich Sich völlig gleichmachen?!

[HGt.01_115,12] Aber deine Hoffart konnte auch da verschmähen des ewigen, allmächtigen, unendlich heiligen, großen Gottes allerhöchste Liebe! Du verließest schändlich das von Mir dir geschaffene Haus und wolltest Mein Werk vernichten, du elender Lügner, und Mich, deinen Gott und Schöpfer, zuschanden machen, du böser Satan!

[HGt.01_115,13] Da sieh hin! Adam, ein Haus für dich, lebt noch ohne dich und wird ewig leben und alle seine Nachkommen; aber verflucht von nun an sei dein Same! Ich will von nun an zwischen deinem und des Weibes Samen eine unversöhnliche Feindschaft setzen, und dieser soll dich verderben in den Abgrund; ein Weib wird dir deinen Kopf zertreten, und dein Biß in ihre Ferse wird sie nicht verderben!

[HGt.01_115,14] Und nun weiche und verschwinde! Amen."

[HGt.01_115,15] Und alsbald verschwand das böse Untier.

 

116. Kapitel

[HGt.01_116,01] Jetzt aber war es aus bei all den Vätern, und sie wußten sich weder zu raten noch zu helfen. Die, welche da wußten, wer sich hinter dem Asmahael verborgen hatte, waren voll Lob, Dank, Preis und wahrer Liebe und höchster Achtung Gebet in ihrem Herzen; welchen es aber bisher vorenthalten wurde, denen gingen jetzt ganz gewaltig die Augen auf, und sie wußten nicht, was sie nun tun sollten. Sollten sie vor lauter Ehrfurcht vergehen, oder sollten sie beten oder ihren Augen trauen, die Sache für möglich halten oder zweifeln? Sollten sie die Väter darüber fragen oder den Asmahael selbst und sagen: ,Wer bist du, daß du also mächtig in deinem Worte bist und sprichst aus dir, was da geschehen soll, - und so du es ausgesprochen hast, ist auch schon die Tat vollbracht?`

[HGt.01_116,02] Oder was sollten sie tun? - Und als sie also dachten, ergriff sie alle heimlich eine bange Furcht; denn dies zweite Beispiel so plötzlicher Vernichtung hatte in ihnen ganz sonderbare Gedanken hervorgerufen.

[HGt.01_116,03] Als aber solches Hinundherdenken eine Zeitlang ohne Frucht dauerte, trat der Asmahael in die Mitte derer, welche noch nicht wußten, wie sie mit Asmahael daran wären, und sprach folgendes, sagend nämlich: ,Höret, die ihr da seid wüsten Rates über Mich; was habt ihr für Gedanken?

[HGt.01_116,04] Haben euch nicht Adam, Seth und Henoch oft genug durch kräftige Worte gezeigt, was alles der Mensch im Namen Gottes zu wirken vermag?! Ihr aber, allzeit taub am Geiste, am Ohr und blind am Auge, mochtet nicht merken, was das heißen solle, und welche Kraft jedem Menschen im Namen des einigen Gottes Jehova zuteil werden mag, wenn er ungezweifelt handelt und unerschütterlich ist in der Liebe und voll alles Vertrauens daraus.

[HGt.01_116,05] Statt solches zu beachten, fragt ihr euch untereinander: ,Wer ist der Asmahael, und was ist mit ihm, daß er solches wirkt?`

[HGt.01_116,06] O ihr Blinden und Tauben! Warum wurde euch denn gegeben ein Gehör und ein Gesicht geistig und leiblich? Etwa, daß ihr bloß schauen sollet das Gras und anderes Gedinge der Erde und des Firmamentes?! Und das Gehör, daß ihr nur hören möchtet den Gesang der Vögel und anderes Gesumse, Gebrülle, Getöse aus allen Weltgebieten? Oder wurde euch alles dieses nicht vielmehr gegeben, daß ihr es allzeit richten sollet nach innen, das heißt, daß ihr allzeit zuerst auf das merken sollet, was in euch vorgeht, und das, was ihr außerhalb sehet und höret, zu führen in euch zurück bis zur Wurzel alles Seins?!

[HGt.01_116,07] Liegt nicht der Grund aller Dinge lebendig in euch?! So aber jemand einem Dinge auf den Grund oder an die Grundwurzel gekommen ist und erfaßt da das Ding mit der in Gott durch Liebe und Glauben sich stützenden Kraft, wie oder was des Hindernisses sollte da noch eintreten, daß da etwas nicht also geschehen sollte, wie der rechte Mensch es sich in seiner Tiefe gedacht und in Gott fest gewollt hat?!

[HGt.01_116,08] Wer aber vermag etwas zu vollbringen? Wenn er es aber vermag, so vermag er es nur durch Gott; denn außer und ohne Gott ist keine Tat möglich!

[HGt.01_116,09] Tuet also, und fraget nicht zuvor, wer und was Asmahael ist, so werdet ihr den Asmahael, jeglicher für sich und für alle, in euch finden, da ihr wisset, was Asmahael entsprechend besagt! Amen."

 

117. Kapitel

[HGt.01_117,01] Nach dieser Rede erhob sich Adam und berief den Asmahael zu sich. Als der Asmahael alsbald Sich bei Adam einfand, fragte dieser Ihn:

[HGt.01_117,02] ,O Du, dessen Name meine Zunge nicht wagt auszusprechen, o Asmahael, wirst Du mir Schwachem doch nicht zürnen, so ich Dir nun kommen möchte mit einer Frage, deren Beantwortung eines ganzen Berges Last von meinem Herzen hinwegwälzen würde?"

[HGt.01_117,03] Und Asmahael entgegnete: ,Adam, so du kennst Asmahael, warum willst du Ihn denn das fragen, was dich drückt? Weißt du denn nicht, daß Derjenige, welcher den Mittelpunkt der Erde gemacht hat und das große Gewölbe des unendlichen Himmels ausgespannt hat wie eine Spinne ihr Netz, auch der Schöpfer deines Herzens ist und allzeit gar wohl weiß, was im selben vorgeht?!

[HGt.01_117,04] Darum frage nicht, so du Mich kennst; kennst du Mich aber noch nicht, wie magst du dann gedenken, Ich werde imstande sein, dir deinen Stein vom Herzen zu wälzen oder gar einen Berg, wo nicht die ganze Erde selbst?

[HGt.01_117,05] Was du aber hast, das bringe nur in deinem Herzen trauliebgläubig dem Asmahael in dir dar, und der Asmahael, der nun vor dir steht, wird dir durch den innern die allergetreueste, lebendige Antwort geben, die dich wahrhaft beleben wird, während jede äußere Antwort dich töten statt beleben möchte. Denn was immer äußerlich in den Menschen von wo immer her gelangt, ist für ihn tödlicher Art und Natur; das Leben aber geht allzeit aus von innen, also gleichwie Gott Selbst da wirkt von Seiner eigenen Liebemitte aus ewig und unendlich!

[HGt.01_117,06] Und so tue, wie Ich dir nun angezeigt habe, und dir wird werden, wonach dein Herz dürstet! Amen."

[HGt.01_117,07] Und Adam tat, wie es ihm geraten wurde. Und alsbald erglänzte sein Antlitz in der höchsten Freude, denn nun ward ihm über Asmahael jeder Zweifel benommen; und also frohlockte und pries er Gott in seinem Herzen, daß um ihn darob alles verklärt wurde!

[HGt.01_117,08] Es merkten dies aber alle Kinder um ihn und kamen herbei und fragten den Erzvater, was da denn schon wieder geschehen sei, darum um ihn nun alles so verklärt sei.

[HGt.01_117,09] Adam aber zeigte auf den Asmahael und sagte: ,O Kinder, fraget nicht mich; da steht der große Lehrer und unerforschliche Meister in allen Dingen! Suchet es nicht draußen, sondern in euch; denn also lehrt es Der, der das ewige Leben Selbst ist ewig!

[HGt.01_117,10] Wirklichkeit, Wahrheit und Leben sind inwendig im Menschen nur, allwo sie auch nur allein zu suchen und also auch zu finden sind; alles aber, was von außen eingeht in den Menschen, ist Schein nur, aber kein Sein, und ist tödlicher Natur.

[HGt.01_117,11] So aber jemand empfängt eine Lehre von außen und will einen Nutzen fürs Leben daraus gewinnen, muß er sich da nicht vorher töten lassen in seinem Willen und dann erwarten stummen Willens, was da aus dem Samen der Lehre für eine Frucht herauswachsen wird?!

[HGt.01_117,12] Wer sich aber wendet an das Leben des Lebens in sich und dadurch an Den, der heilig, heilig, heilig ist, ewig wahrhaftig und getreu voll Liebe, Erbarmung und Gnade, der wird es empfangen, wie ich es nun empfangen habe, und wird keinem Zweifel mehr unterliegen in irgendeiner Sache, deren frühere Ungewißheit ihm das Herz mit schweren Steinen belastete. Also fraget nicht, sondern tut, wie ich es getan habe, so werdet ihr alles finden lebendig in euch, was euch not tut! Amen."

[HGt.01_117,13] Und nach dieser Rede aber wandten sich alle an den Asmahael, sahen Ihn an und redeten aber kein Wort, sondern jeder dachte sich seine Zweifelsfrage und den Asmahael hinzu mit Ausnahme Henochs, Abedams und des Mathusalah und seines Sohnes Lamech. Denn die ersten zwei wußten nur zu gut, was Adams Rede besage, da sie es aus Mir wußten; die zwei Jüngsten aber wußten eigentlich noch gar nichts, sondern alles von ihrer Seite war Verwunderung über Verwunderung. Es wäre ihnen auch eben gar nicht unerwünscht gewesen, noch mehr dergleichen Spektakel zu schauen; ja, also war ihre lustige Verwunderung, daß sie darüber sich ferner nach Mir zu erkunden fast gänzlich vergaßen, was vorderhand auch für sie recht gut war.

[HGt.01_117,14] Aber der Seth, Enos, Kenan, Mahalaleel und Jared dachten sich noch immer mehr und mehr in ihre Frage neben dem Asmahael hinein; und siehe, es wollte ihnen keine belebende Antwort erscheinen, und da sie daraus die Unfruchtbarkeit ihrer Unternehmung gewahrten, kehrte sich einer nach dem andern zum Adam wieder, sagend und fragend:

[HGt.01_117,15] ,Vater! Sieh, es will in mir nicht werden nach deinem Rate! Wie steht es hernach um denselben und um uns?

[HGt.01_117,16] Ist entweder der Rat nicht voll, oder haben wir ihn unvollkommen aufgefaßt?

[HGt.01_117,17] Denn früher hatten wir doch wenigstens eine Dämmerung, jetzt aber völlig stockfinstere Nacht! Was ist nun zu tun? Bescheide uns, lieber Vater! Amen."

[HGt.01_117,18] Adam aber bedeutete ihnen liebeernst: ,Sagte ich euch denn nicht, wie ihr es hättet anstellen sollen?! Wo war euer Geist während meiner Rede?

[HGt.01_117,19] Da vor euch steht Asmahael! Ist denn das alleinige Denken schon hinreichend?! Was ist der Gedanke ohne die Volliebe, ohne das Volltrauen und ohne den Vollglauben? Nichts als ein wesenleeres Scheinen, an dem ebensoviel Leben hängt wie an einer geträumten hundert Jahre alten Schneeflocke auf einem glühenden Steine!

[HGt.01_117,20] Darum tuet, was ihr tuet, ganz, wollt ihr zur Frucht gelangen! Da aber, wie gesagt, steht Asmahael; verstehet es wohl, ihr Kinder, Asmahael ist in eurer Mitte! Amen."

[HGt.01_117,21] Und die fünf wandten sich alsbald an den Asmahael. Dieser aber sagte: ,Soll Ich euch anders lehren denn der Adam, der es von Mir empfangen hat?! Das sei ferne von Mir, sondern tuet danach, so werdet auch ihr dahin gelangen, wohin der Adam gelangt ist; denn jeder von euch ist zum Leben berufen.

[HGt.01_117,22] Aber wenn ihr nicht tuet des Rechtens, da ist alle Frage vergeblich zum Leben; denn der Lebendige antwortet nicht den Toten, sondern nur denen, die da sind lebendigen Herzens! Amen. Verstehet es, amen!"

 

118. Kapitel

[HGt.01_118,01] Als die fünfe aber solches aus dem Munde Asmahaels vernommen hatten, erhob sich Seth unter ihnen und sagte: ,Kinder, das ist die Wurzel des Lebens wie das einzige sichere Kennzeichen desselben in uns, daß wir dasselbe wahrhaft in uns besitzen und somit nicht mehr dem Geiste nach tot sind, so wir nach dem heiligen Worte Asmahaels den Lebendigen in uns lehrend und tröstend gar deutlich vernehmen.

[HGt.01_118,02] Wahrlich, ein Stein oder ein anderer toter Klotz vermag solches ewig nicht! Oder kann der Tote sich dem Toten offenbaren?!

[HGt.01_118,03] Wie wird da der eine lehren mit verständlichen Worten und der andere Tote dieselben vernehmen und verstehen und sich endlich danach kehren?!

[HGt.01_118,04] So aber auch möchte der Lebendige Worte an einen Toten verschwenden, was werden sie ihm wohl nützen, da er sie unmöglich je vernehmen kann?!

[HGt.01_118,05] Wir haben zwar ein leibliches Leben. Allein dieses Leben ist uns nur gegeben als ein Weckhahn, auf daß durch denselben die ewig lebendige Liebe in unserm Herzen zu Gott erweckt werden möchte; denn obschon uns allen solche Liebe gegeben ist, so ist sie uns aber doch nur gegeben gleich einer schlafenden Braut, die wir zuvor in uns durch die unschätzbare Gnade des äußeren Lebens erwecken müssen, damit sie dann als das eigentliche, wahre Leben in uns erst vom Leben alles Lebens lerne, zu leben in aller Freiheit, Macht und Kraft, unser äußeres Leben in sich aufnehme und wir somit dann mit und in ihr, wie sie in Gott, ein und dasselbe ewige Leben werden.

[HGt.01_118,06] Im äußeren Leben können wir nach den bestehenden Formen denken, und zwar von Bild zu Bild und von einer Sache und Handlung hin zur andern. Aber all dieses Denken ist nicht unser Werk; denn also hat ja der Herr unser Wohnhaus eingerichtet, daß im selben allerlei anzutreffen ist. Was aber da ist, empfinden wir ja deutlich durch unsere Gedanken! Aber ist solches fürs Haus allein oder fürs Leben des Geistes uns gegeben?

[HGt.01_118,07] Sehet, das ist eine ganz andere Frage! Ich halte aber die Gedanken gleich den Suchern, die da beständig suchen und gewöhnlich nichts finden, wenn sie sich zu weit entfernen von dem Orte, wo das Leben verborgen ruht.

[HGt.01_118,08] Die rechten Gedanken sollen nicht auffliegen gleich einem Geier, sondern sollen einer Grasmücke gleich das leuchtende Würmchen suchen unter den grünen Blättern der Pflanzen; und wo des Grases grüner Schatten am dichtesten wird oder das Vertrauen am festesten, da wird das Würmchen sicher weilen und allda auch zu finden sein.

[HGt.01_118,09] O Asmahael, siehe, also habe ich es aufgefaßt! Wenn ich also glaube, werde ich wohl das Leben finden und die Kinder mit mir? So es Dein Wille ist, magst Du es mir ja bescheiden! Amen."

[HGt.01_118,10] Asmahael aber fragte darauf alsogleich den Seth, sagend: ,Höre, Seth! So du aber nun recht gesprochen hast, sage Mir, woher dir solche Rede kam! Glaubst du dich dabei aber in der Irre, wozu quältest du deine Lunge und Zunge so lange vergebens?"

[HGt.01_118,11] Seth aber entgegnete: ,O Asmahael, wer vermag wohl ohne Dich auch nur ein Wort über seine Lippen zu bringen?!

[HGt.01_118,12] Du vermagst auch aus Steinen und aus reißenden Tieren Worte des Lebens zu verkünden; wie solltest Du dann solches nicht durch meinen Mund, den Du dazu erschaffen hast?

[HGt.01_118,13] Aber ich meine, es ist nicht ein und dasselbe, zu reden und, was man geredet hat, auch schon vollkommen zu verstehen, da Du auf dem Wege vom Mittage gen Abend uns doch allen hinreichend liebreichst zu verstehen gabst, wie wenig wir alle von dem verstanden haben, was wir uns gegenseitig schon die längste Zeit vorgepredigt haben.

[HGt.01_118,14] Daher glaube ich auch jetzt die vollste Wahrheit aus Dir ausgesprochen zu haben; ob ich sie aber auch also vollkommen verstehe, o Asmahael, das wirst Du sicher am allerbesten wissen! Daher sei gnädig und bescheide mich in Deiner Liebe und Erbarmung! Amen."

[HGt.01_118,15] Und Asmahael beschied den Seth also: ,Höre, Seth! Dein Wort ist ein wahres Wort; denn es ist ein Wort aus Mir. Jeder aber, der da ist demütigen Herzens und redet um Meines Namens Willen und tut solches nicht aus was immer für zeitlichem Beweggrunde oder eigennützigem Interesse, sondern allein aus Liebe zu Mir und daraus zum Bruder, - wahrlich, nicht ein Laut wird da über seine Lippen fallen, der da nicht wäre von Mir! Wer aber zwar auch redet in Meinem Namen, aber sein Auge dabei erhebt über das des Bruders und sein Herz aber versenkt in die Furchen der Erde habsüchtig, - wahrlich, der ist gleich einer Giftstaude, da er dieser gleich das göttliche Liebelicht und seine allbelebende Wärme in sich verkehrt in Verderbliches und Tödliches statt in Ersprießliches und ewig Belebendes!

[HGt.01_118,16] So du aber schon deine schlafende Braut geweckt hast, darum du solches zu reden vermochtest, so geht dir ja ohnehin nichts mehr ab denn allein die Handlung danach. Tue also danach, so wirst du eins werden mit dir und so auch mit Mir, und so auch alle, die also wie du tun werden! Amen. Verstehe es, amen!"

 

119. Kapitel

[HGt.01_119,01] Als aber der Seth solche Rede vernommen hatte, fing er alsbald an, in sich zu gehen und sich dadurch auch mehr und mehr zu erkennen. Und alles, was er auf diese Rede entgegnete, war ein stiller Dank in seinem Herzen, den er aber nicht laut werden ließ, wohl wissend, daß Ich auch das stille Herz belauschen kann und keiner Fiber Regung im selben Mir unbekannt bleibt.

[HGt.01_119,02] Es wollten aber auch noch einige andere über so manches zu fragen anfangen; allein es erhob sich alsbald der Adam und sagte: ,Kinder, höret es im Namen Jehovas: Wer da noch irgendein Anliegen hat in seinem Herzen, der behalte es bei sich und nehme es schweigend mit nach Hause; denn es wird zur gerechten Zeit jeder von oben ein helles Licht fürs lichtlose Kämmerlein seines Herzens empfangen! Für jetzt aber bedenket, daß wir noch nicht in der Mitternacht sind und noch viel weniger daheim, - daher es also auch nun vor allem nötig ist, daß wir uns wieder auf den Weg in der neubestimmten Ordnung machen, um die größte Anzahl der mitternächtlichen Kinder an den morgigen Sabbat zu erinnern und sie auch einzuladen zu der höchsten, lebendigen Feier dieses geheiligten Tages, den Gott Selbst zu einem Ruhetage gemacht und ihn gesetzt hat zu einem Gedächtnistage, auf daß wir uns am selben erinnern sollen, daß der Herr, unser großer, heiliger Gott Jehova, ist unser aller Schöpfer, Erhalter, Führer und allerliebevollster Vater und ist uns überaus gnädig und barmherzig!

[HGt.01_119,03] Daher, wie schon gesagt, lasset nun alle uns erheben durch den Namen Dessen, der da unter uns wandelt! Amen."

[HGt.01_119,04] Und alle erhoben sich von der Erde, verließen den schattenreichen Baum und richteten in der von Asmahael bestimmten Ordnung ihre Schritte durch einen dicht belaubten Waldweg gen Mitternacht.

[HGt.01_119,05] Auf dem Wege dahin aber konnte sich Jared an der Seite seines Sohnes Henoch nicht halten, selben um so manches zu fragen. Die ersten Fragen waren vorzugsweise dahin nur gerichtet, auf was für eine Art der Asmahael daheim aufs allerbeste möchte bewirtet werden,

[HGt.01_119,06] welche Früchte er etwa am liebsten esse und was für Brot und welches Getränk, - ob alleinige Milch oder ob Milch mit reinem Honig oder ob Saft, aus süßen Beeren gepreßt; oder wie er etwa am liebsten schlafe, auf was er am liebsten liege, und wie früh er etwa gerne aufstehe.

[HGt.01_119,07] Jedoch alle diese Fragen beantwortete der Henoch ganz kurz, sagend: ,Lieber Vater, du sorgst dich vergeblich! Asmahael wird uns nicht verhehlen, was Er von uns will; gewiß aber kannst du dessen sein, daß wir alle schon, bis jetzt nur gerechnet, von Ihm mehr empfangen haben, als wir durch alle ewigen Zeiten hindurch von unserer Seite ihm je auch nur ein Sonnenstäubchen groß werden zurückzuerstatten imstande sein!

[HGt.01_119,08] Daher, lieber Vater, sorge dich nicht um vergebliche Dinge; denn nur eines tut not, und das ist die wahre Liebe zu Gott, unser aller unaussprechlich liebevollstem Vater!

[HGt.01_119,09] Siehe, lieber Vater! Ich glaube, mit dieser Kost unter unseres Hauses Dache wird Asmahael vorderhand gewiß am allerzufriedensten sein, - sagte Er ja anfangs schon, bevor Ihm Adam noch einen Namen gegeben, was Ihn aus Seiner Tiefe zu unserer Höhe bewogen hatte!

[HGt.01_119,10] Der getreue Fremdling (für uns), suchend Gott (das heißt: unsere Liebe zu Gott)! Wenn solches besagt Sein Name, siehe, lieber Vater, da ist deine Kost-, Trank-, Schlaf- und Dachsorge wohl eine ganz außerordentlich vergebliche! Tun wir daher etwas Besseres und loben Gott in unserm Herzen und lassen Ihn da gnädigst einziehen; denn unser Herz bedarf des Asmahael mehr denn unsere Hütte! Amen."

[HGt.01_119,11] Jared aber entgegnete dem Henoch, sagend: ,Lieber Sohn, du hast recht in allem, und ich mag dir dagegen nichts einwenden; aber du sprichst nun vom Asmahael geradeso wie sonst von Gott Selbst, so zwar, daß ich nun gar nicht mehr weiß, von wem du eigentlich sprichst, ob von Gott oder ob vom Asmahael. Daher bitte ich dich: Erkläre dich darüber doch ein wenig deutlicher und sage mir, warum du solches tust!

[HGt.01_119,12] Denn siehe, so du sagst, daß wir lieber sollen Gott in unsere Herzen einziehen lassen, so ist das wohl verständlich; aber so du hernach sagst: ,Denn unser Herz bedarf des Asmahael mehr denn unsere Hütte!`, siehe, das ist hernach unverständlich! Denn was soll denn Asmahael in unserm Herzen, so er kein Gott ist und auch begreiflicherweise unmöglich je sein kann, da er nur als Mensch und das vollkommen als Mensch unter uns wandelt?!

[HGt.01_119,13] Ist seine Lehre auch groß und alles übertreffend und überaus tatmächtig, so kann sie aber ja auch aus jegliches Menschen Munde also sein, der von Gott dazu berufen würde; daher, so du magst, kannst du mich wohl berichigen, damit ich nicht an deiner Seite in der Irre wandle, anstoße, falle und dadurch gänzlich zugrunde gehe! Amen."

[HGt.01_119,14] Henoch aber sagte dem Jared darauf bloß nur, was zuvor der Adam befohlen hatte, und der Jared verstummte zufrieden.

 

120. Kapitel

[HGt.01_120,01] Aber auch der Enos gab dem Seth keine Ruhe und fragte ihn, sagend: ,Vater Seth! Ich habe es gar wohl bemerkt und auch so manches vernommen, daß und was du zuvor mit dem höchst merkwürdigen jungen Menschen Asmahael gesprochen hast; allein so außerordentlich hoch und überaus vielsagend seine Worte auch immer sind, so muß ich aber doch gestehen, daß er sich manchmal doch zu vergessen scheint und da große Stücke auf sich hält, und das zwar auf eine Art neben einer Tat, wie zum Beispiel neben der Vernichtung der großen Lügenschlange, daß er da alsbald zu sprechen anfängt, als wäre er durchaus kein Mensch, sondern unmittelbar Gott Selbst. Und nun spricht er schon allzeit von sich selbst aus und bezieht sein Wort nur höchst selten auf Gott; und wenn er es schon manchmal bezieht, da schmelzen und fließen aber dann er und Gott so enge zusammen, daß man am Ende nicht mehr wissen kann, von wem oder in welcher Beziehung da etwas gesprochen wird.

[HGt.01_120,02] Ob da spricht ein Mensch im Namen Gottes und darum überfüllt ist mit dem Geiste Gottes und aller Macht und Kraft daraus, oder ob - sonst - fürwahr - ich wenigstens könnte mir es unmöglich anders denken - - Gott und - Asmahael müßten gerade ein und dasselbe sein!

[HGt.01_120,03] Siehe, von solchen gewiß keineswegs gleichgültigen Sachen finde ich mich sehr bewegt und daher aus obigem Grunde genötigt, durch diese Frage dich, lieber Vater, zu verständigen, woran ich leide, und woran es mir nun am allermeisten gebricht! Beantworte es mir, was da ist mit dem Asmahael, soweit du magst und kannst, und auch insoweit dir's für mich nötig und ersprießlich und mit dem heiligsten Willen Gottes vereinbarlich dünkt! Amen."

[HGt.01_120,04] Und der Seth entgegnete seinem Sohne: ,Lieber Enos, gerecht bist du und deine Frage, und es kann auf der ganzen Erde keine gerechtere Frage und keine, die da nötiger wäre denn diese, geben wie auch keinen gerechteren Menschen als einen, der ernstlich nach Gott fragt, und vor dessen Auge Gottes Taten nicht unbemerkt vorüberziehen; aber jedoch größer als alles dieses ist: aus reinster Liebe zu beachten jedes Gesetz, das an jemanden aus der ewigen Ordnung Gottes ergangen ist!

[HGt.01_120,05] Siehe, ein solches Gesetz bindet meine Zunge über Asmahael vor dir; daher begnüge dich vorderhand mit dieser Entschuldigung, und glaube aber fest, daß du noch eher, als die Sonne den Morgen wieder besuchen wird, den Asmahael von Angesicht zu Angesicht wirst kennen lernen!

[HGt.01_120,06] Freue dich dessen; denn Asmahael ist groß! Amen."

[HGt.01_120,07] Und also begnügte sich auch der Enos und schwieg in sich gekehrt.

[HGt.01_120,08] Aber auch der Mahalaleel konnte nicht ruhen, sondern wandte sich an den Kenan und fragte denselben: ,Höre, Vater! Du weißt es, daß wir doch schon so manches erlebt und durchlebt haben unsere ziemlich lange schon andauernde Lebensbahn hindurch; aber kannst du dich wohl von irgendwann erinnern, daß aufs Wort eines Menschen ohne nur irgendeine Zutat mit seinen Händen etwas alsogleich geschehen ist?

[HGt.01_120,09] Du wirst mir vielleicht sagen: ,Sohn, siehe, du faselst! Hat nicht heute erst eben unser Henoch für Asmahael den Tiger gebändigt und Adam dem Rachen des Tigers durch die Anrührung seiner Zunge Worte entlockt?

[HGt.01_120,10] Oder seit wann sind all die Tiere nicht unserm festen Willen untertan gewesen, und alles Gras, alle Pflanzen, Gesträuche und Bäume, ja im Notfalle sogar alle Elemente?` Und ich sage darauf: O Vater! Alles dieses ist wohl alles ganz gewiß und wahr, und es kann weder dem einen noch dem andern Teile nach dem auch nur im geringsten widersprochen werden, - aber nicht ohne die Zutat unserer Hände oder manchmal auch der Füße mochte je von uns etwas bewirkt worden sein; und wenn dann schon etwas bewirkt wurde, so brauchte es doch immer einige Zeit, bis von der stummen Natur unser Wille, nicht selten von uns mit Händen und Füßen unterstützt, vollzogen wurde. Ist es nicht also bis auf ein Sonnenstäubchen wahr?

[HGt.01_120,11] Nun aber, wie verhält sich dieses alles beim Asmahael! Was ist in einem Augenblicke durch sein Wort aus dem mächtigen Tiger geworden, und wohin hat sein Wort in mehr denn in der Schnelle eines Gedankens die Schlange, sie ganz zunichte machend, geschleudert?

[HGt.01_120,12] Wer hat je dem Adam gepredigt, daß er sich dann gerichtet hätte völlig nach der Predigt? Wer zu ihm nicht bittend kam, der mochte wohl allzeit unverrichteterdinge wieder heimkehren; selbst Henochs Wort schien ihm mehr zu gefallen der Tiefe und Weiche wegen, aber dabei weniger als ein weiser Maßstab des wahren Lebens zu dienen. Wenn aber nun der Asmahael irgend etwas redet, anordnet und befiehlt, so weicht Adam auch nicht mehr um ein Haarbreit davon ab und gehorcht ihm in allem blindlings samt all den übrigen Kindern und der Mutter Eva!

[HGt.01_120,13] Nach allem dem sage mir doch, lieber Vater, was du denn bei dir selbst von diesem Asmahael hältst!

[HGt.01_120,14] Ich halte ihn unfehlbar für mehr denn bloß für einen Menschen, da seine Leistung alle menschliche bei weitem übertrifft; es kommt jetzt nur darauf an, für wen und was du ihn hältst! Amen."

[HGt.01_120,15] Und der Kenan erwiderte seinem Sohne kurz also: ,Mein Sohn, du hast in allem recht! Daß es also ist, hat wohl ein jeder gesehen; doch bleibe nach dem Willen Adams bis längstens morgen bei deiner eigenen Meinung, da du doch sicher nicht wollen wirst, samt mir dem Adam ungehorsam zu sein!

[HGt.01_120,16] Beschäftige dich im Herzen nur stets mit Asmahael, und du wirst Ihn bald enthüllt vor dir erblicken; denn fürwahr, Er ist dir nähergekommen, als du's glauben möchtest!

[HGt.01_120,17] Daher glaube, vertraue fest und liebe! Amen."

 

121. Kapitel

[HGt.01_121,01] Es fragte aber auch der sehr gern redende Lamech seinen Vater Mathusalah, sagend nämlich: ,Höre, Vater, so unsere Väter gar wohl miteinander heimlich Worte tauschen, während der Erzvater Adam solches doch gewisserart allen untersagt hat, was meinst du denn, - sollen allein wir dieses Gebot unverbrüchlich halten, oder auch die Väter?

[HGt.01_121,02] Wenn ich aber übrigens nur einigermaßen recht verstanden habe, so deucht es mich, daß der Adam darin keinen Unterschied gemacht hat. So aber dessenungeachtet die Väter dennoch miteinander reden und verstehen jegliches Gebot doch besser denn wir, so bin ich der Meinung, daß darob auch wir unbeschadetermaßen miteinander so ganz stille ein paar Worte wechseln könnten, und zwar namentlich wegen Asmahael.

[HGt.01_121,03] Denn siehe, es fängt mich nun gar gewaltig im Herzen zu jucken an, über diesen Asmahael mich zu besprechen; ja fürwahr, es kommt mir wohl gar vor, als müsse ich ohne Unterlaß von ihm zu reden anfangen!

[HGt.01_121,04] Ich sage dir, lieber Vater, dieser junge Mensch fängt an, mich ganz außerordentlich zu herzdrängen! Ja, er kommt mir immer unerforschlicher vor! Man sieht ihm so vom Gesichte gar nicht an, als wäre er so etwas Außerordentliches; aber wenn er zu reden anfängt und sein Wort dann schneller denn ein Blitz tatkräftig zu wirken anfängt, alsdann muß gewiß jedem ganz sonderbar zumute werden!

[HGt.01_121,05] Ich muß dir sagen, daß ich ihn schon so liebgewonnen habe, daß es mir nun auch schon gerade also vorkommt, als wäre mein Herz geradezu an das seinige angewachsen!

[HGt.01_121,06] Siehe, also möchte ich denn stets plaudern von diesem lieben, jungen Asmahael!

[HGt.01_121,07] Siehe, wie anspruchslos und wie überaus demütig bescheiden er doch hinter uns mit dem alten, aber doch noch sehr munter scheinenden Abedam daherschreitet! Und siehe, wie wunderbar leicht er nur geht; ja manchmal kommt es mir wahrhaftig vor, als berühre er den Boden mit seinen Füßen gar nicht!

[HGt.01_121,08] O Asmahael, du überholder, lieber Fremdling, wie unaussprechlich lieb bist du mir geworden!

[HGt.01_121,09] Möchtest du doch auch an meiner wie an Abedams Seite wandeln; wie unaussprechlich glücklich wäre dann ich!

[HGt.01_121,10] O Vater, vergib mir, so ich dir etwa schon lästig geworden bin mit meiner Zunge! Aber was kann da ich dafür?! Sagst du doch allzeit selbst: ,Wo's im Herzen brennt, da siedet es im Gefäße der Liebe, und im Munde fängt es dann an überzulaufen!` Siehe, also auch ist es nun bei mir!

[HGt.01_121,11] So du aber auch etwas reden möchtest, da rede nur zu, - ich will dir gar gerne mein Ohr leihen; aber nur vom Asmahael mußt du reden! Amen."

[HGt.01_121,12] Und der Mathusalah ermannte sich und sagte zu seinem Sohne folgendes: ,Mein geliebter Sohn Lamech, höre, obschon es zwar wohl in der Ordnung ist, daß ein Vater belehrt seinen Sohn, entweder so er sieht, daß der unerfahrene Sohn Unkluges und völlig Unbescheidenes tut, oder der Sohn kommt bittend zum Vater, um sich aus dessen Erfahrungsvorratskammer etwas ihm Dienliches zu holen, -

[HGt.01_121,13] aber sage und begreife es selbst wohl, was etwa dann zu machen sein möchte, so der Sohn kommt zum Vater und bittet ihn, daß er ihm etwas geben möchte aus der Erfahrungsvorratskammer, der Vater aber alsdann zum Sohne sagen muß: ,Lieber Sohn, siehe, in diesem Punkte sind unsere Kammern gleich alt, und es hat keine vor der andern auch nur irgendeinen allergeringsten Vorzug, da unsere Augen zugleich an diesem heutigen Tage ein und denselben Asmahael zum ersten Male auch ganz zu gleicher Zeit erschaut haben!

[HGt.01_121,14] Siehe, was du über diesen höchst merkwürdigen jungen Menschen zu reden weißt, ebendasselbe weiß auch ich; nur ist meine Zunge nicht also beugsam wie die deinige, um die inneren Gefühle über Asmahael dir gleich in wohlverständliche Worte zu wandeln und sie dann stromweise über die Lippen fließen zu lassen.`

[HGt.01_121,15] Damit du aber deinen Vater doch nicht ganz umsonst über Asmahael zu reden sollst aufgefordert haben, siehe, darum ist mir gerade jetzt ein guter Gedanke in den Sinn gekommen, und dieser lautet also:

[HGt.01_121,16] Gott hat dem Menschen zwar wohl zwei Augen gemacht und zum Schauen der Außendinge gestellt, aber dessenungeachtet sieht er mit zwei Augen nicht mehr als mit einem; beide aber erleichtern sich doch gegenseitig den Schaudienst. Also hat Er ihm auch gemacht zwei Ohren, zu vernehmen die Stimme der Außenwelt, und doch vermag niemand mit diesen zwei Ohren mehr zu vernehmen als mit dem einen; nur unterstützt da auch das eine das andere. Also auch steht es mit dem Geruchssinne. Eines hilft dem andern. Aber nur einen Geschmackssinn und nur einen Gefühlssinn hat Gott dem Menschen gegeben, damit er jedes für sich wohl unterscheidend schmecke und empfinde. Siehe, von diesen zwei letzten Sinnen steht jeder für sich unabhängig da! Also steht es auch mit dem Menschen. Das Schauen haben wir gemein wie das Hören und also auch die feinere Wahrnehmung oder den beschaffenheitlichen Eindruck, welchen die Dinge auf uns machen; aber was dann die Beurteilung eines Dinges anbelangt und die Empfindung, da hat ein jeder sein eigenes Feld, wonach sich dann auch die Beurteilung und die daraus entstehende Empfindung bildet und artet.

[HGt.01_121,17] Siehe, gerade also auch steht es mit uns zweien! Wir haben beide dasselbe gesehen, beide dasselbe gehört und auch sicher beide ganz dasselbe am Asmahael wahrgenommen und gleichen in diesem Punkte den Pflanzen und dem Grase, den Gesträuchen und den Bäumen, da alle auch dasselbe Licht, dieselbe Wärme und denselben Regen einsaugen. Aber wie sieht es hernach mit der inneren Verarbeitung und mit dem Produkte aus?

[HGt.01_121,18] Siehe, lieber Sohn, da waltet hernach ein gewaltiger Unterschied! Desgleichen steht es auch mit unserer inneren Auffassung, Beurteilung und Empfindung; sie kann gerecht, aber auch ungerecht sein, oder zeitig, oder aber auch zum öftesten unzeitig. Warum aber sollen wir uns vor der Zeit verderben, so wir uns anstopfen möchten mit unseren unzeitigen Urteilen und unähnlichen Gefühlen daraus?!

[HGt.01_121,19] Daher ist es vorderhand ja allzeit besser, daß wir diese neuen Pflanzungen in uns eher lassen zur vollen Reife gelangen und dann erst, so wir in uns eine Vollreife gewahren, sehen, ob die Früchte den anderen auch werden wohlschmeckend und dann gedeihlich werden!

[HGt.01_121,20] Wer da redet über ein Ding, das in ihm noch zu keiner Reife gekommen ist, der ist ein Tor; denn jede Rede ist eine Lehre, bald über dies und bald wieder über jenes. Welchen Nutzen aber wird ein unreifer Lehrer oder Redner stiften, oder wen wird er wohl nähren mit seinen unreifen Früchten?! Oder welchen Segen wird er verbreiten mit seinen unzeitigen Pflanzen, von denen er selbst durchaus noch nicht weiß und auch nicht wissen kann, ob es reine oder unreine sind, vielleicht gar voll tödlichen Giftes?!

[HGt.01_121,21] Siehe, wieder also steht es mit uns! Der Same Asmahael hat in uns erst kaum einige schwache Würzlein getrieben; noch kennen wir weder das Blatt noch die Blüte und am allerwenigsten die Frucht: und doch möchten wir uns schon gegenseitig belehren!

[HGt.01_121,22] O Sohn, bedenke, was da für eine Lehre herauskommen möchte! Daher lehre ein jeder, was er sieht und hört und irgend wahrnimmt, daß da oder dort etwas ist oder nicht ist, und er hat da genug getan; alles andere lasse er stehen bis zur Reifezeit, da Gott ihn dann schon berufen wird, so in seinem Herzen eine edle Frucht zur Reife gediehen ist, dieselbe auszuteilen an die Brüder. Und ist die Frucht unedel, so wird es auch Gott am besten wissen, wozu sie tauglich ist; denn von Gott aus sind alle Dinge gut. Und darum wollen auch wir vorher die Reife abwarten und dann erst reden! Amen."

 

122. Kapitel

[HGt.01_122,01] Nach solcher Rede Mathusalahs an seinen Sohn Lamech aber befand sich alsbald Asmahael in ihrer Mitte und begann folgende Worte an sie zu richten, sagend nämlich:

[HGt.01_122,02] ,Liebe Freunde, höret und verstehet es wohl, was Ich euch nun mitteilen werde über eure Tauschreden: Sehet und nehmet an, es wäre irgendein Mensch, der sich da wohl verstünde in mancherlei Weisheit und vielfacher Wirkung daraus. In seiner Umgebung aber wären Menschen, die zwar alle beständig nach der Weisheit trachteten und dadurch nach all den Wirkungen aus derselben, könnten aber oder vermöchten zu nichts Tüchtigem zu gelangen, dieweil ihnen noch ganz fremd ist die Wurzel aller Weisheit darum, daß sie sich verhängen lassen mit allerlei Weltbäumeästen die Augen und verstopfen ihre Ohren mit glatten Steinen, auf daß sie dann weder zu sehen noch zu hören vermöchten.

[HGt.01_122,03] Wenn denn nun dieser Mensch unter ihnen wirkete wunderliche Dinge aus seiner wahren Weisheit heraus, werden da die, die den Weisen umgeben, sich nicht alsbald untereinander zu fragen anfangen: ,Aber wie vermag er solches zu leisten, was uns Menschen rein unmöglich ist auch nur im geringsten zu begreifen - von etwas Gleichem tun kann ohnehin nie eine Rede sein! - ? Wer ist dieser Mensch? Ist er von unten oder von oben? Woher hat er solche Macht? Kein Wort ist leer, sondern jedes eine vollbrachte Tat. Er redet wie aus eigener Macht und scheint bei alledem große Stücke auf sich zu halten. Was ist also an dem Menschen, da er zwar nur ist wie ein jeder von uns, aber so er handelt, da handelt er ja rein, als wäre ihm vollkommen untertan alle Kraft und Macht Gottes?`

[HGt.01_122,04] Und nach solchen Fragen weiß dann keiner, was er aus sich und was er aus dem Weisen machen soll; soll er ihn fürchten oder lieben, soll er ihn fliehen oder ihm nachfolgen?

[HGt.01_122,05] Darunter sind dann einige voll Furcht, andere voll Liebe, andere wieder voll Neugierde und noch andere bei sich voll Zweifel und wieder andere voll Wunsch und Begierde, ähnliches zu tun, - aber ja nicht, ihm ähnlich zu werden in der Liebe und wahren Demut, was allein die wahre Wurzel aller Weisheit ist.

[HGt.01_122,06] Was meinet ihr denn aber wohl? So dieser Weise sich dann aus seiner unweisen Umgebung etwelche auserwählen möchte, - welche werden es wohl sein, die da sein mächtig Wahlwort für seine Schule begehren möchte?

[HGt.01_122,07] Ich sage es euch: die sicher nicht, denen es an Mut gebricht; die Spektakelfreunde auch nicht; und auch nicht, die da fragen: ,Was, wer und woher ist der, dem solche Dinge aufs Wort gelingen?`; und auch nicht, die da sind voll Zweifel und haben nirgends eine Festigkeit, weder in den Füßen, noch in den Händen, noch im Kopfe, noch im Herzen und in all den Eingeweiden und Gelenken; und wieder nicht die Blinden und Tauben im Geiste: sondern lediglich jene nur, die da sind voll Liebe und Demut gegen Gott und sogar gegen ihre Brüder!

[HGt.01_122,08] Sehet, das alles ist vor euren Augen, und ihr erkennet es nicht!

[HGt.01_122,09] Ich aber sage euch, der Ich bin, der vor euch steht: Glücklich seid ihr, da Ich unter euch wandle als Alleinweiser vor aller Welt!

[HGt.01_122,10] Du, Mathusalah, ziehe an die Liebe deines Sohnes, und du, Lamech, ziehe an die Geduld deines Vaters, so werdet ihr den Fremdling bald mit ganz anderen Augen erschauen! Amen. Verstehet es wohl, amen."

 

123. Kapitel

[HGt.01_123,01] Während der Rede Asmahaels gelangten die Väter an eine große steinerne Wand, welche durch die verschiedenartigsten Einriffungen die wunderlichsten Formen darstellte, also, daß darob die Väter ihr schon seit langen Zeiten her den Namen ,Verdorrte Hand der Erde` beilegten. Diese Wand schied die Kinder der Mitternacht von den Vätern, und man konnte von dieser auf natürlichem Wege unmöglich in die mitternächtliche Gegend gelangen. Wer hiernach dahin gelangen wollte, mußte sich einen größeren Umweg gefallen lassen; denn da mußte er die ganze abendliche Gegend durchwandern und von da einen kreisförmigen, langen Gebirgsrücken durchziehen, der sich dann nach einem weitbeschriebenen Bogen mit der mitternächtlichen Gegend von Nordosten her verband.

[HGt.01_123,02] Allein dieser Weg war für die Väter fürs erste zu weit, und dann war solches, da sie jetzt schon an die Wand gelangt waren, für diesen Moment so gut wie unmöglich; denn da hätten sie sich zuerst wieder gen Abend begeben müssen und von da erst über den weitgedehnten Gebirgsrücken.

[HGt.01_123,03] Allein die Väter waren nun einmal an die Wand gelangt und konnten nun keinen Schritt mehr weitermachen; daher fing nun, von Adam angefangen, einer den andern zu fragen an, was da wohl zu machen sein werde, um die Kinder der Mitternacht fürs erste über den nächst bevorstehenden Sabbat zu benachrichtigen, und fürs zweite ihnen die schon im Abende bewirkte Freiheit wieder zurückzugeben und sie auf diese Art wieder loszumachen vom harten Joche eines sie überstark drückenden Gesetzes.

[HGt.01_123,04] Hier war nun ein guter Rat unter den Vätern etwas teuer; denn für diesmal half auch das Hinabschreien und Steinwerfen nichts. Denn es fing soeben ein heftiger Wind an zu toben, wie es gewöhnlich auf hohen Bergen um die nahe Mitte des Tages zu geschehen pflegt zufolge der Sonnenstrahlenwende und der dadurch bewirkten Erdüberatmung, und da half also kein Schreien etwas. Und das Steinwerfen mußte als Signal der Gegenwart der Väter aus demselben Grunde unterbleiben; denn wozu wäre solches gut gewesen, wenn darauf an die dadurch aufmerksam gemachten Kinder kein vernehmbares Wort gerichtet werden konnte?!

[HGt.01_123,05] Und also standen die Väter da, nicht viel besser so wie die sogenannte ,Verdorrte Hand der Erde` selbst, und keiner wußte dem andern weder zu raten noch zu helfen, und keiner konnte sich in dieser Verlegenheit auch leichtlich erinnern, wie nahe ihnen Der war, dem alle Dinge gar überaus leicht möglich sind; nicht einmal der Henoch konnte sich zeitlich genug finden.

[HGt.01_123,06] Abedam aber fragte nach einer kleinen Weile den Asmahael in der Stille, sagend: ,Herr, der Du über jeden Namen, von einer menschlichen Zunge gebildet und ausgesprochen, zu unendlich erhaben bist und heilig, über alles heilig, kann ich allerschwächster Wurm vor Dir im Staube des Staubes nach Deiner allergnädigsten Zulassung etwas tun, o so gebiete es mir gnädigst; denn ich bin vollkommen bereit, auf Dein Wort über diese bei fünfhundert Mannshöhen hohe Wand zu den Kindern der Mitternacht hinabzuspringen und ihnen dann alles mündlich zu sagen, was immer die Väter an sie zu benachrichtigen und ihnen zu verkündigen haben.

[HGt.01_123,07] Denn siehe, Du unaussprechliche, ewige Liebe, Du mein Gott und Du mein Alles, Dein Wort trägt die ganze unendliche Schöpfung in all ihrer Größe und unendlichen Schwere; wie soll es mich zugrunde gehen lassen können, der ich doch nur ein allerwinzigstes Stäubchen gegen die Erde selbst bin?!

[HGt.01_123,08] Daher nur ein Wort von Dir, und ich bin vollkommen bereit, es zu erfüllen! Und sollte es mich auch des Leibes Leben kosten, so bin ich in meinem Herzen zu sehr überzeugt, daß es unendlichmal besser ist, in Deinem Worte am Leibe zu sterben, ja einen tausendfachen Tod zu erleiden, als ohne dasselbe eben tausendfältig zu leben!

[HGt.01_123,09] Doch, Herr, nicht mein, sondern allzeit und ewig geschehe nur Dein allerheiligster Wille! Amen."

[HGt.01_123,10] Nachdem aber Asmahael solch hohen Liebesantrag von seiten Abedams vernommen hatte, sah Er ihn gar liebevoll an und richtete laut folgende Worte an ihn, sagend nämlich:

[HGt.01_123,11] ,Abedam! Wahrlich, Ich sage dir: Auf der Erde gibt es keinen zweiten mehr, der dir gliche im Glauben und in der Liebe! Henoch ist groß in der Liebe und Demut und hat darin gefunden schon hier die Unsterblichkeit; doch größer ist der, der durch den Tod das Leben erwirbt, als wer dasselbe gewinnt durch das Leben selbst, - größer der, der sein Leben läßt zum Wohle seiner Brüder und Väter, als wer dieselben nur durch lebendige Worte aus Mir zu beleben strebt. Denn es ist leichter, andere zu unterweisen, als für andere sein Leben zu lassen.

[HGt.01_123,12] Wahrlich, wahrlich aber sage Ich dir, Abedam: Wer da je des Leibes Tod finden wird in Meinem Namen und in Meinem Worte, der hat das ewige Leben mit großer Heldengewalt an sich gerissen und ist vollkommen eins mit Mir geworden!

[HGt.01_123,13] Allein du, Mein lieber, starker Abedam, siehe, die Zeit, in Meinem Namen oder Worte des Leibes Leben zu lassen, ist noch nicht herbeigekommen, und so sei dir dein unerschütterlicher Wille als ein vollkommen vollbrachtes Werk angerechnet; denn du selbst hast es in deinem Herzen wie aus dir selbst im Glauben, Vertrauen und in aller Liebe zu Mir so gut wie völlig vollbracht. Und darum hast du Mich auch schon ganz gefunden und wirst von nun an ewig nimmerdar von Meiner Seite weichen!

[HGt.01_123,14] Aber nun siehe auch, lieber Abedam, Ich habe ja noch andere Mittel, um die schwachen Väter aus dieser Not zu befreien, und kann daher dein Opfer in der Tat leichtlich entbehren! Wohl aber dir, Abedam, daß du Mir treu in deinem Herzen ein solches Opfer gebracht hast! Ich sage dir, du hast Ahbel übertroffen, der nur einmal getötet worden ist, während du den tausendfachen Tod in Meinem Namen nicht verschmähen wolltest; daher sei dir ein tausendfaches Leben in Mir!

[HGt.01_123,15] Damit du aber auch ein Wort von Mir empfängst, nach deinem Willen etwas zu tun in Meinem Namen, so gehe hin zum Henoch und heiße ihn zu Mir kommen; denn Ich habe ihm etwas Notwendiges vor all den Vätern zu sagen. Denn so er Mich liebt, muß er ja doch eher zu Mir kommen, auf daß Ich ihn erst dann vollends aufnehmen kann und er dann eins werde in der Liebe zu Mir und allem Leben daraus, damit er dadurch erst werde ein Held gleich dir und vollziehe dann im Angesichte der Väter Meinen Willen. Amen."

[HGt.01_123,16] Und der Abedam ging hin zum Henoch und verkündigte ihm Asmahaels Willen.

[HGt.01_123,17] Henoch aber begab sich alsogleich hin zum Asmahael und sagte: ,O Herr! Siehe mich Schwächsten gnädigst an, und jede Fiber meines ohnmächtigen Wesens sei Dir, mein Gott und mein Herr und mein überheiliger, ewiger Vater, ewig willensuntertan! Amen."

[HGt.01_123,18] Und der Asmahael ergriff die rechte Hand Henochs und sagte dann laut zu ihm: ,Henoch! Der dir diese Hand geschaffen hat aus nichts, der stärkt sie dir jetzt im Angesichte der Väter. Gehe nun hin an die ,Verdorrte Erdhand` und belebe die tote, auf daß sie uns zur weichen Brücke werde und zu einem ebenen Pfade zu denen, die da unserer Hilfe am meisten bedürfen; denn nicht um der Gesunden, sondern um der Kranken willen bin Ich unter euch! Amen."

[HGt.01_123,19] Und der Henoch ging alsbald hin an die Wand und gebot ihr, zu weichen und zu werden zu einem ebenen Pfade zu denen, die da unten schmachten und der Hilfe am meisten bedürfen.

[HGt.01_123,20] Und siehe, alsbald stürzte die Wand zusammen, und der ebene Pfad war fertig!

[HGt.01_123,21] Es ergriff aber all die Väter ein tiefer Schauer vor des Asmahael unendlicher Macht. Jedoch Asmahael belebte sie von neuem, und alsbald fingen sie in ihrem Herzen an, Gott zu preisen, und lobten Seinen Namen ob solch großer Wundertat und reisten dann getrost weiter.

 

124. Kapitel

[HGt.01_124,01] Die Väter gelangten nun gar bald zur mitternächtlichen weit ausgedehnten Wohngegend. Adam segnete nach der Sitte dieselbe und dann all die Hauptstammkinder, worauf sich dann alle zu einer kurzen Ruhe niederließen.

[HGt.01_124,02] Als sie aber darauf schon bei einer halben Stunde gerastet hatten, siehe, da fing es sie alle überaus hoch zu wundern an, daß sich während dieser Zeit auch nicht eines der Mitternachtkinder erschauen ließ. Und alsbald beschied Adam den Henoch zu sich und fragte ihn um den Grund, sagend nämlich:

[HGt.01_124,03] ,Henoch, du, den der Asmahael also gekräftigt hat in unser aller Angesichte, daß sich die ,Verdorrte Erdhand` vor deines Wortes Hauche beugen mußte, siehe, es sind keine Kinder hier! Wo sind sie hin?

[HGt.01_124,04] Hat sie vielleicht die zusammenstürzende Wand begraben und also alle samt und sämtlich getötet? Oder sage, so es dir möglich ist, wohin sind sie gezogen, oder was mag da geschehen sein mit ihnen allen?

[HGt.01_124,05] Denn siehe, die Gegend sieht wahrlich aus, als hätte erst vor kurzem der schmähliche Tod unter ihnen ein allgemeines Erntefest gehalten!

[HGt.01_124,06] Ich möchte darüber wohl den Asmahael (Herrn) fragen; allein wahrlich, dazu fehlt mir mit manchen andern der Mut ganz und gar. Denn wenn ich bedenke, wer hinter dem Asmahael verborgen ist, und wieder, was und wer ich bin, da versagen mir alsbald die Zunge und Lunge ihren Dienst, und ich vermag dann beinahe kein Wort mehr herauszubringen. Überdies sagt mir aber auch noch mein Herz: ,Was willst du denn den allwissenden Gott fragen, als wenn Ihm etwa irgend etwas fremd sein sollte, das da insgeheim vorgeht in dir?! Hat Er nicht von Ewigkeit her deine Gedanken geordnet, lange zuvor schon, als Er dich noch zu einem gedankenfähigen Wesen aus Seiner unendlichen Liebe und Erbarmung bildete?!`

[HGt.01_124,07] Siehe, lieber Henoch, darum vermag ich nicht, was ich nun gar überaus gerne möchte! Tue daher du, was ich nicht mehr kann! Weißt du aus dir vom Asmahael aus etwas, so beruhige mich und all die übrigen damit; sieht es aber auch in deinem Herzen aus wie in meinem, da wende dich nur alsbald an den Asmahael, - Der wird uns alle sicher auch aus dieser großen Verlegenheit und Angst allergnädigst und überbarmherzig erlösen! Amen."

[HGt.01_124,08] Und als der Henoch solches vom Adam vernommen hatte, verneigte er sich vor ihm und wollte hineilen zum Asmahael und Selben von des Adam Anliegen benachrichtigen, da ihn die menschenlose Gegend selbst ganz gewaltig wundernahm. Allein er hatte noch kaum den ersten Fuß gehoben, so war den beiden auch schon der Asmahael zuvorgekommen und stand schon ganz wortfertig in ihrer Mitte und begann folgende Worte an sie zu richten, sagend:

[HGt.01_124,09] ,O Adam! Meinst du denn in deinem Herzen, worin dein sehr geschwächter Geist wohnt, der Herr sei wie ein König der Tiefe oder sei dir gleich, darum es dann viel Wesens bedürfe, um zu Ihm zu gelangen?! Siehe, Ich habe keine Wachen vonnöten und keine Türwärter und auch nicht rangmäßig geordnete, erstgeborene Hauptstammkinder, durch welche erst jemand bei Mir soll eingeführt werden; auch verlange Ich nicht, daß jemand vorher bei einer Stunde lang vor Mir auf seinem Angesichte liegen soll, auf daß er dadurch würdig werden möchte, sich alsdann aufzurichten vor Mir, seinem Gott und Schöpfer, sondern alles, was Ich liebend verlange, ist ein treues, zu Mir gewendetes, liebevolles und demütiges, durch Reue geläutertes Herz, und mit einem solchen hat vor Mir kein Mensch einen Umweg vonnöten, da Ich ihm ohnehin doch sicher allzeit noch dazu der Allernächste bin und sein muß! Und wäre es nicht also, wer vermöchte da wohl auch nur einen allerschnellsten Augenblick lang sein Leben zu erhalten, dieweil ja doch alles Leben zu allernächst und am allerknappsten aus Mir ist und auch ewig nimmer von irgendwo andersher sein kann!

[HGt.01_124,10] So du dich aber fürchtest, den allwissenden Gott um etwas zu fragen, wie ist's denn hernach, daß der Allwissende Sich nicht scheut, euch um so manches zu fragen eurer selbst wegen, auf daß ihr erwachen möchtet?!

[HGt.01_124,11] Ich meine aber, daß im Falle einer Unkunde der Unwissende mehr Ursache hat, sich fragend an den Allwissenden zu wenden, als der Allwissende an den Unwissenden.

[HGt.01_124,12] Wenn also Ich euch frage, die ihr Antwortlose seid, so wird es wohl auch nicht gefehlt sein, so ihr Mich fraget um das, was ihr nicht wisset, aber doch überaus gerne wissen möchtet!

[HGt.01_124,13] Siehe, Adam, Mir ist gar wohl bekannt deine Not! Du fragst nach den Kindern der Mitternacht und möchtest gar wohl gerne erfahren, wohin diese gekommen; allein für diesen Augenblick sage Ich es dir nicht, sondern du mußt sie suchen und suchen lassen. Und hast du dann niemanden gefunden, sodann erst komme zu Mir und frage Mich, und Ich werde dich dann zu den Kindern führen; denn das Verlorene muß zuvor gesucht werden! Amen."

 

125. Kapitel

[HGt.01_125,01] Adam aber erwog diese mächtigen Worte gar wohl in seinem Herzen, dankte Mir dann voll Reue und Inbrunst in seinem Herzen und berief dann alsbald mit Ausnahme des Seth, des Henoch und natürlicherweise des Asmahael alle anderen Anwesenden zusammen und sagte zu ihnen:

[HGt.01_125,02] ,Höret ihr alle, meine Kinder, mir gegeben von Gott dem Leibe und der Seele nach, doch jegliches mit einem freien Geiste aus Gott! Wir sind hierher gelangt sehnsüchtig, um ein neues, freies Leben zu bringen diesen Kindern, die da durch die hohe, tiefe und schauderhaft zerklüftete, weithin ausgedehnte ,Verdorrte Erdhand` von uns schroff geschieden waren, so daß wir darüber nicht zu ihnen und sie aber auch nicht zu uns gelangen konnten. Wenn wir dann und wann durch die Felsenriffe hinabblickten in die tiefen Ebenen, so entdeckten wir dieselben nicht selten wimmelnd von Kindern und Kindern; und so es windstille war, konnte Kenans starke Stimme ihnen meinen Willen sogar bekanntmachen, so daß dann die Ältesten den weiten Umweg nicht scheuten und kamen mit ihren Opferfrüchten noch vor dem Sabbate und seufzten dann vor meiner Hütte, daß sie mich nur einen Augenblick möchten zu Gesichte bekommen.

[HGt.01_125,03] Allein jetzt bin ich und noch Jemand Anders selbst auf eine wunderbare Art zu ihnen herabgekommen, und sehet, - auch nicht eine menschlich allerleiseste Spur ist irgendwo von ihnen zu entdecken!

[HGt.01_125,04] Daher ist es nun an euch alle von Gott aus mein Wille, daß ihr alsogleich nach allen Richtungen von hier wegeilet und sie suchet bei einer Stunde lang. Und habt ihr da jemanden gefunden, so bringet ihn alsbald hierher, damit er uns Kundschaft gebe von all den übrigen! Und habt ihr niemanden gefunden, alsdann kehret eben nach der zum Suchen bestimmten Stunde alsbald hierher zurück, auf daß wir alle dann eine höhere Weisung von dem Einen erhalten mögen, was da zu tun und fernerhin zu unternehmen sein wird!

[HGt.01_125,05] Und nun eilet und vollziehet, was euch nun bedeutet ward! Jehovas und mein Segen mit euch allen! Amen."

[HGt.01_125,06] Und alsbald eilten die Beorderten flugs hinweg nach allen Richtungen und fanden überall eine Menge leerer Wohnhütten mit allerlei hinterlassenen Gerätschaften, auch eine Menge freier Haustiere und allerlei schon geerntete und gesammelte Früchte, - aber neben allem dem auch nicht ein menschliches Auge, geschweige erst irgendeinen Menschen! Und als die Suchenden nach einem gut halbstündigen Suchen niemanden zu finden vermochten, fingen sie an, nach allen Richtungen überlaut zu schreien und zu rufen einen und den andern Namensbekannten bei seinem Namen. Allein es war alles eine vergebliche Mühe; denn sie vernahmen nichts als den fernen, sich an den Felsenwänden brechenden Widerhall ihres eigenen Rufes und das Hinabrauschen und -sausen desselben in die tiefen, finsteren Gebirgsgräben.

[HGt.01_125,07] Einige von ihnen bestiegen sogar einige näher liegende Hügel, um von da aus vielleicht irgendwo einen säumenden Flüchtling zu erspähen. Allein auch da war ihre Mühe rein vergeblich; denn an ihr emsig spähendes Auge gelangte kein Strahl irgendeines säumend flüchtigen Bruders, und auch ihre Ohren konnten bei allergespanntester Aufmerksamkeit nichts anderes erlauschen als nur das einförmige, dumpfe Getöse der durch die tiefen Gräben stürzenden Gebirgsbäche.

[HGt.01_125,08] Und also verfloß die kurze Suchstunde, und die Kinder kehrten traurig unverrichteterdinge nach Hause oder vielmehr dahin zurück, wo Adam sehnsüchtigst ihrer harrte.

[HGt.01_125,09] Als sie sich der Ruhestelle näherten, musterte Adam sorgfältig die Nahenden, um etwa in ihrer Mitte jemand Gefundenes zu erschauen; allein die immer näher und näher Kommenden konnten nur auch deutlicher und deutlicher also erkannt werden, daß sie die allein Zurückkehrenden waren.

[HGt.01_125,10] Da wurde Adam traurig und fing an, laut zu weinen und zu klagen.

 

126. Kapitel

[HGt.01_126,01] Und als die ausgesandten Suchenden unverrichteterdinge nun vollends wieder zurückgekehrt waren und allda erzählten, wie sie überall nichts als nur leere Hütten mit einigem Hausgeräte, mit Haustieren und fast allen Fruchtvorräten angetroffen hätten, aber nirgends eine Spur von einem Menschen, da schlug Adam seine Hände über dem Haupte zusammen und sprach mit lauter Stimme:

[HGt.01_126,02] ,Gerechter, großer, erhabener Gott! Wohin hast Du sie geführt? Oder hat sie die Erde verschlungen, oder was ist mit diesen meinen Kindern geschehen?

[HGt.01_126,03] Sind sie noch irgendwo? Oder sind sie gänzlich vernichtet? O Gott, Du Gott voll Liebe und Erbarmung, habe Mitleid mit mir, dem schwachen Urgreise der Erde!

[HGt.01_126,04] Hast Du sie getötet, so kannst Du ja auch wohl mein Herz töten, damit es nicht verschmachtend diese unerträgliche Trauerlast tragen muß, unter welcher es ohnehin erliegen muß, wenn da nicht Licht mir gegeben wird über die, welche meine große Torheit geschieden und hierher getrieben hat in diese mitternächtliche Gegend, in der sie offenbar zugrunde gegangen sind!

[HGt.01_126,05] O Asmahael, Asmahael! Wo bist Du, Mächtiger? Komme, o komme; denn noch nie, wie jetzt, hat sich mein Geist, der ich selbst es bin von Dir aus, nach Dir, Du Heiliger, gesehnt!

[HGt.01_126,06] O säume nicht, sondern komme alsbald zu mir schwachem Urgreise dieser Deiner weiten Erde und hilf mir in meiner großen Angst und übergroßen Traurigkeit! Amen."

[HGt.01_126,07] Und siehe, alsbald stand Asmahael vor Adam und fragte ihn ernst: ,Adam, du Blinder, was willst du, daß Ich dir tun soll?"

[HGt.01_126,08] Und der Adam erwiderte: ,O Herr, so ich blind bin, daß ich sehen möchte und sehen die, welche da verlorengegangen sind entweder auf die eine oder auf die andere Art und Weise!"

[HGt.01_126,09] Und der Asmahael erwiderte dem Adam: ,Siehe, du hast ausgesandt deine Kinder, zu suchen ihre Brüder, und sie fanden niemanden! Nun will Ich den Henoch aussenden, und wir wollen sehen, ob auch er leer zurückkehren wird; und sollte er das, alsdann will Ich Selbst als der letzte Bote ausgehen und alle die Schafe zusammenrufen, und du kannst versichert sein, daß die Schafe des rechten Hirten Stimme erkennen werden, zu Ihm eilen und dann freudig um Ihn einherhüpfen!

[HGt.01_126,10] Und du, Henoch, eile nun hinaus, und rufe mit starker Stimme: ,Brüder, höret! Euer Vater Adam ist zu euch herabgekommen, auf daß er euch mir gleich frei mache von jeglichem Joche und euch auch zeige eine neue, mächtige Brücke, über die ihr auf dem kürzesten Wege zu seiner geheiligten Vaterheimat gelangen könnet, um da schon morgen mitzufeiern den heiligen, freien Sabbat des Herrn!`

[HGt.01_126,11] Solchen Ruf laß dreimal ergehen! Wer darauf erscheinen wird, den führe hierher, und wer da nicht erscheinen wird, an dem werde erst dann Ich Meine Stimme versuchen, und wir werden dann zählen und sehen, ob noch jemand fehlen wird; und es wird dann dieses sein zu einem Zeichen, durch wen in der letzten Zeit der da kommenden großen Trübsal die Verspäteten sollen eingeladen werden ins heimatliche, große Vaterhaus!

[HGt.01_126,12] Und jetzt eile und tue, wie Ich dir geraten habe! Amen."

 

127. Kapitel

[HGt.01_127,01] Und der Henoch eilte hinaus und tat, wie es ihm geraten ward vom Asmahael.

[HGt.01_127,02] Als er zum ersten Male rief, da erschien alsbald ein alter Sohn Adams, aus irgendeinem Erdwinkel hervorkriechend, und fragte: ,Henoch, du Sohn Jareds, habe ich dich recht verstanden, so will ich dir auch folgen!"

[HGt.01_127,03] Und der Henoch entgegnete ihm: ,Also will es, der deiner und aller deiner Kinder harrt, und so ist dein Verständnis ohne Irre!

[HGt.01_127,04] Ich muß aber noch zweimal rufen, und du wirst dich dabei gar wohl von des ersten Rufes Klarheit überzeugen!"

[HGt.01_127,05] Und also rief der Henoch zum zweiten Male. Auch auf diesen Ruf erschien nur ein alter Sohn Adams und fragte den Henoch gleich dem ersten und bekam aber auch gleich diesem eine gleichlautende Antwort.

[HGt.01_127,06] Und bald darauf tat Henoch den dritten Ruf. Aber auch auf diesen letzten, stärksten erschien eben auch nur ein alter Sohn Adams und fragte den Henoch gleich den beiden ersten.

[HGt.01_127,07] Henoch aber entgegnete ihm: ,Folge meinem Rufe, und du wirst dich bald überzeugen, woher der Ruf und woher die Stimme zu deinen Ohren gedrungen ist!

[HGt.01_127,08] Die Stimme ist zwar die Stimme des Henoch; aber der Ruf ist von oben!

[HGt.01_127,09] Und nun forschet nicht weiter, sondern folget mir behende und saget es mir auch nicht, wo eure Kinder und Weiber sind; denn es wird sogleich nach mir ein anderer Rufer folgen, dessen Stimme alle eure Kinder und Weiber als die alleinig rechte erkennen werden.

[HGt.01_127,10] War auch mein Ruf ein rechter Ruf von oben, so war es aber doch eine fremde Stimme, die ihn rief; daher haben auch nur wenige sich danach gerichtet. Wenn aber da erschallen wird ein Ruf und ein und dieselbe Stimme des großen Rufenden, dieses echten Rufes Stimme wird dringen in die Tiefen der Erde; und da wird es keinen Toten oder Lebendigen irgend mehr geben, der da nicht alsbald die wahre Stimme des alleinig wahren Rufers als völlig wahr erkennen möchte, und es wird Ihn auch keiner fragen, wie ihr mich, sondern jeder wird folgen Seiner Stimme entweder so oder so.

[HGt.01_127,11] Und nun lasset uns eilen, da euer der Vater harrt! Amen."

 

128. Kapitel

[HGt.01_128,01] Und also eilten die vier behende zur bekannten Stelle. Und als der Adam den Henoch mit den drei alten Kindern herannahen sah, da fing sein Angesicht an, sich etwas aufzuheitern; und also fing er auch an, Mich zu lobpreisen und Mir überaus zu danken darum, weil sein Auge doch noch einmal von Mir gewürdigt worden war, zu schauen seine nach Cahin und Ahbel ältesten Kinder: den Jura, den Bhusin und den Ohorion.

[HGt.01_128,02] Und während der Adam also dankbar seufzte in seinem Herzen, waren die vier auch schon vollends bei Adam angelangt. Und der Henoch verneigte sich vor Adam, und die anderen drei aber fielen auf ihre Angesichter vor Adam, wie sie es schon von uralters her gewohnt waren. Allein der Adam beschied alsbald den Seth, sagend nämlich:

[HGt.01_128,03] ,Seth, mein Sohn, siehe deine ältesten Brüder und nun meine ältesten Kinder! Hilf ihnen von der Erde, und führe sie her an mein Herz, und sage ihnen auch zugleich: ,Der alte Vater Adam ist kein Gebieter mehr, sondern er ist nunmehr ein Vater, dessen Arme sogar imstande wären, liebend den Cahin ans Herz zu ziehen, geschweige erst seine alten Kinder und Mitgenossen arger Zeiten!`

[HGt.01_128,04] Sage ihnen auch, daß nicht nur das verlorene Paradies wiedergefunden ist, sondern unendlichmal mehreres, Größeres und unaussprechlich erhabener Herrlicheres! Und nun gehe und handle! Amen."

[HGt.01_128,05] Und der Seth begab sich alsogleich hin und richtete sie liebend auf und richtete ihnen das Wort Adams aus, worüber die drei alten Kinder vor Freude zu weinen anfingen. Und der Jura sagte zu Seth: ,O du mein geliebter Bruder! Wie unaussprechlich glücklich bin ich, und also auch wir alle drei, daß wir dich und unsern so hochgeliebtesten Vater noch einmal sehen dürfen!

[HGt.01_128,06] Siehe, lieber Bruder, wie alt und mühselig wir geworden sind seit der langen Zeit unserer schuldigen Verbannung!

[HGt.01_128,07] O Du großer Jehova, Dank, ja ewiger Dank sei Dir allein; denn Du allein hast es sicher also gemacht und unseres hochgeliebten Vaters Herz erweicht, auf daß wir nun wieder zu seiner Gnade allhier aufgenommen werden.

[HGt.01_128,08] Daher ewiger Dank und Preis Dir, o Jehova! Und so auch Dank dir, du lieber Bruder! Führe uns nun hin zum alten Vater!"

[HGt.01_128,09] Und der Seth führte sie hin, und der Adam segnete sie und drückte sie dann an sein Herz und sagte ganz gerührt: ,O meine Kinder, wie glücklich ist nun euer Vater Adam!

[HGt.01_128,10] O Asmahael! Wo ist der, der Dich zu preisen vermöchte; denn Deine Güte ist unendlich, und Deine große Liebe währet ewiglich!"

[HGt.01_128,11] Als aber der Adam sich ein wenig von seiner Liebe erholt hatte, da trat alsbald Asmahael zu ihm, sagend: ,Adam! Gewahrst du es nun, was mehr wert ist: das Gesetz oder die Liebe?"

[HGt.01_128,12] Adam aber konnte vor Rührung nichts sagen als: ,O Du, dessen Namen meine Zunge nicht mehr wagt auszusprechen, Du bist mehr, ja unendlichmal mehr, als alle Ewigkeiten zu erfassen vermögen! Dir allein sei Dank, Lob, Ruhm, Preis, und alle meine Dich ewig anbetende Liebe dafür! Amen."

 

129. Kapitel

[HGt.01_129,01] Nach diesen Worten Adams aber trat alsbald der Asmahael vor die drei neu Angekommenen hin und redete folgendes mit ihnen: ,Höret, ihr drei, - du, Jura, du, Bhusin, und du, Ohorion!

[HGt.01_129,02] Wer ist wie eine Fliege voll Kleinmut und voll Furcht wie eine Taube und ängstlich wie eine Erdmaus, darum er dann bei der leisesten Annäherung auf- und davonfliegt und bei dem geringsten Geräusche ins Dickicht der Wälder flieht und, so irgend ein paar Steinsplitter herabfallen ins Tal, sich ängstlich verkriecht in die Löcher der Erde?!

[HGt.01_129,03] Meinet ihr denn, Jehova sei so schnell mit dem Tode Seiner Kinder zur Hand, so Er irgend ein paar Steine übereinanderfallen läßt?!

[HGt.01_129,04] Hätte Er Freude am Töten, so hätte Er schon von Ewigkeit her solche gehabt; und wäre Er auf diese Art ein Freund des Todes, wahrlich, ihr könnet versichert sein, da hätte Er auch ganz sicher nicht nur keine Erde, keinen Mond, keine Sonne und keine Sterne mit all ihren großen Schöpfungswundern, sondern auch nicht einmal ein Sonnenstäubchen erschaffen!

[HGt.01_129,05] Da aber Jehova - wie ihr aus all dem, was euch umgibt, sehet - das nicht ist, sondern gerade nur das allerblankste Gegenteil, somit der größte Freund des Lebens, ja das also zwar, daß Er ganz allein das ewigste und allereigentlichste Leben Selbst ist, alles aber, was da lebt durch Seinen Odem, aus Ihm lebt - darum ist Er auch die ewige Liebe Selbst und zieht daher ewig alle Seine Werke nur zu Sich, und alle Geschöpfe haben ihre weise gerichtete Ordnung, die Kinder aber sind frei in ihrem Wollen und Tun und sind in nichts gebunden, außer daß sie leben müssen, und das darum, dieweil Jehova ein Freund des Lebens, aber nicht des Todes ist -, so ist auch besonders von der Seite Seiner Kinder hinsichtlich der schnellen Tötung nicht eben gar zuviel zu besorgen, besonders für jene, die den überaus guten, großen, heiligen Jehova treu lieben wie ihr und alle ihre Hoffnung auf Ihn gelenkt haben!

[HGt.01_129,06] Seid daher nun guten Mutes und habet keine törichte Furcht mehr; denn hätte euch Jehova töten wollen, wie wäret ihr so alt geworden, als ihr schon seid?!

[HGt.01_129,07] Allein es wird dereinst noch eine Zeit kommen auf der Erde, wo eure Nachkommen bis zum Ende ihres Probeleibeslebens auf der Erde nimmerdar so viele Jahre zählen werden wie ihr, und es werden noch viele sein unter ihnen, die den Jehova noch viel mehr lieben werden denn ihr jetzt. Ja, in jenen Zeiten werden den Eltern sogar Kindlein von der Mutterbrust genommen vom Jehova, und der Eltern werden darob viele trauern und in ihrer Traurigkeit doch dem Jehova lobsingen und Ihm alles aufopfern und dabei nicht denken gleich euch, Jehova sei einer, der da Freude hat am Töten!

[HGt.01_129,08] Sehet, solches war ein grober Fehler von euch; für die Zukunft aber schärfet euer Vertrauen und lasset wachsen eure Liebe zu Jehova, dann werdet ihr über brennende Weltentrümmer sicheren Fußes wandeln! Denn mächtig ist der Arm Jehovas, und die Er ergreift und führt, denen werden zugrunde gehende Welten nichts zuleide zu tun vermögen wie auch keine Macht, die Er preisgab bis zur bestimmten Zeit ihrer eigenen prüfenden Freiheit, welche ist die wohlbekannte Macht der Schlange.

[HGt.01_129,09] Nun aber verharret über ein Kurzes hier im Frieden, bis Ich wiederkomme; denn nun gehe Ich als letzter Bote, zu holen eure Kinder, um sie zu bringen hierher allesamt, damit auch sie erfahren und erkennen sollen, wie überaus gut und voll Liebe der von euch töricht gefürchtete Jehova ist!

[HGt.01_129,10] Ja, es ist fürchterlich der Zorngrimm Gottes! Dieser ist ein ewiges Feuer, das nimmer erlöscht; aber Gott hat dessenungeachtet doch alle Seine Macht gelegt in die Liebe, aber keineswegs in Seinen Zorngrimm, der da ewig untertan ist der ewigen Liebe, welche allein auch ist das ewige, freieste Leben in Ihm!

[HGt.01_129,11] Solches überdenket derzeit, bis Ich wiederkomme! Amen."

 

130. Kapitel

[HGt.01_130,01] Und alsbald verließ Asmahael die ganze Gesellschaft und eilte wie ein feuriger Blitz davon.

[HGt.01_130,02] Und als er entschwunden war ihren Augen, da fing ein jeder bei sich an, den großen Gott zu preisen. Die drei aber richteten ein Wort fragend an den Adam und sagten:

[HGt.01_130,03] ,O lieber, hoher Vater! Siehe, die Rede dieses soeben weggeeilten jungen Menschen hat uns einerseits überaus wohlgetan; andererseits aber war doch wieder ihre unbegreifliche Erhabenheit gleich einem Feuerbrande, welcher imstande wäre, die ganze Erde in Brand zu stecken! O sage uns, wer und woher dieser Mensch ist; denn solche Worte sind noch nie zu unseren Ohren gedrungen! Wahrlich wahr, dieser Mensch kann unmöglich von dieser Erde sein!

[HGt.01_130,04] Kann es sein, o Vater, so laß uns nicht in der Ungewißheit! Dein Wille! Amen."

[HGt.01_130,05] Und der Adam entgegnete: ,O Kinder, denket nach; Er hat es euch schon soviel wie Selbst gesagt! Auf weiteres harret Seiner! Amen."

[HGt.01_130,06] Und die drei dankten dem Adam und fingen nachher an, bei sich nachzudenken, konnten aber nichts Schickliches finden, womit sie ihr Herz befriedigen könnten. Der eine riet auf den Engel, der da dem Ahbel im Lande Euehip nach der Flucht das flammende Schwert übergab, der andere auf den Geist Ahbels selbst, und der dritte war unschlüssig, welcher Meinung er selbst beispringen solle. Und so war unter der Zeit eine große Stille unter allen hier Versammelten eingetreten, - teils, weil ein jeder in sich hinreichende Beschäftigung fand, teils aber im Erwarten, vielleicht etwa sehr aufmerksamen Ohres den Ruf Asmahaels zu vernehmen. Allein es war ein solches Erwarten eitel und völlig vergebens; denn der Asmahael wußte wohl, was Er tat und wie, und hatte nicht nötig, zu schreien gleich einem Plärresel, sondern Sein mächtiges Wort nur erschallen zu lassen in den Herzen der furchtsamen Verborgenen. Und die Verborgenen vernahmen gar wohl diesen herrlichen Ruf in sich, daß da nicht einer zurückblieb, sondern alles, groß und klein, alt und jung, eilte hin zum großen inneren Rufer, und jeder erkannte Ihn für Den, der da zuvor heimlich gerufen hatte in ihren Herzen.

[HGt.01_130,07] Asmahael war in drei Minuten umringt von siebenmal hunderttausend Menschen, die Er da alsbald mit Seiner Hand sichtbar segnete und dann alle alsbald hinführte vor Adam.

[HGt.01_130,08] Als aber der Adam samt den übrigen Kindern herannahen sah die großen, unabsehbaren Völkerscharen und an ihrer Spitze den Asmahael, da ward er völlig stumm und konnte kein Wort mehr über seine Lippen bringen.

[HGt.01_130,09] Sogar dem Henoch erschien diese außerordentliche Expedition also zurückschlagend wunderbar, daß er sich gar nicht fassen konnte. Dann sagte er bei sich selbst: ,Aber so viele Kinder in der Mitternacht?!

[HGt.01_130,10] Wenn da nicht mehr denn der dreivierte Teil darunter neu erschaffen worden ist, so weiß ich am Ende doch in allem Ernste nicht, wie ich daran bin; denn entweder träume ich, oder ich muß hundert für eins sehen! Denn wie des Sandes im Meere und des Grases auf der Oberfläche der Erde gibt es hier Menschen!

[HGt.01_130,11] O Asmahael, wer kann Dich ewig je begreifen?! Du bist unendlich in jeglichem Deiner Worte, und Dein Hauch bewegt die Welten wie der meinige eine unaussprechlich kleine Menge Sonnenstaubes über die Fläche meiner ohnmächtigen Hand. Du blickst die Sonne und all die leuchtenden Sterne an, und sie zittern vor zu unbegreiflich erhabener Ehrfurcht, dankbar leuchtend den hehren, obschon nur matten Abglanz Deiner unendlichen Augenmilde zur kleinen Erde herab. Und deine Ohren vernehmen - wie die meinen einen nahen Donner - schon jener Hauchwesen Begierden und allerleiseste Wünsche, welche vielleicht erst unter künftigen neuen Schöpfungen aus Dir hervorgehen werden. Und der Hauch eines allerunsichtbarst kleinsten Strahlentierchens in einem allerentferntesten Weltenraume wird von Dir also wahrgenommen, wie mein Ohr kaum vernimmt das Toben eines Orkans. Doch welch ein Unterschied in dem Vernehmen selbst! Dir ist alles die reinste Harmonie, - mir alles ein verwirrtes Chaos!

[HGt.01_130,12] Für Dich ist jeder plätschernde Laut irgendeiner hervorrieselnden Quelle ein tiefverständliches Wort. Du verstehst das Fächeln des Grases, und die Klage eines fallenden Blattes geht nicht unverstanden an Deinem Ohre vorüber.

[HGt.01_130,13] Das große Loblied der rauschenden Winde vernimmst Du, und das des tobenden Meeres bleibt Dir nicht fremd; und doch achtest Du des Würmchens im Staube, als vernähmst Du nichts denn allein das schwächste Gewimmer des bestaubten Würmchens!

[HGt.01_130,14] O Asmahael, Du großer, Du erhabener, Du heiliger, Du liebevollster, über alles mächtigster Gott und Herr! Dich begreifen wird nimmerdar ein endlicher Geist, und es wird sich jeder verlieren in die ewige Nacht Deiner Macht, der Dich wird erforschen wollen! Ja, schon ein Tautropfen Wasser wird ihn verschlingen in seine zahllosen, bodenlosen Tiefen, und der Verschlungene wird sich ewig aus sich nimmerdar finden im endlosen Ozean eines Tautröpfchens und seiner zahllosen Wunder!

[HGt.01_130,15] Daher will ich mein Leben lang nach nichts mehr forschen, sondern Dich, o mein Gott, allein nur lieben und bei jedem Weisheitstritte in aller Liebe und Demut bekennen meine Nichtigkeit und sagen: ,Bis daher, und um nichts mehr weiter!` Denn jeder Herzschlag soll untertan sein Deinem Willen; denn wer ist lebendig gegen Dich, da Du allein das Leben bist?!

[HGt.01_130,16] Ich lebe nur, insoweit ich Dich liebend lebe; daher ist für mich auch nichts lebendig denn allein Du! Oder sind nicht alle Dinge für mich wie tot?! Oder lebt für Dich der toteste Stein nicht mehr denn für mich der regsamste Vogel?! Denn der Stein ist nicht sprachlos für Dich; doch was ist für mich das Gezirpe der munteren Grille?!

[HGt.01_130,17] Daher ist dem Lebendigen alles lebendig und dem Toten alles tot! Und nun auch bis daher, und um nichts mehr weiter! Amen."

 

131. Kapitel

[HGt.01_131,01] Und nachdem der Henoch solches beachtenswerte Selbstgespräch in sich beendet hatte, war Asmahael mit Seinem gewaltigen Fange auch bei der allgemein bis zur Stummheit verwunderten Gesellschaft angelangt.

[HGt.01_131,02] Als Er nun vollends, bei dreißig Schritte noch entfernt vom Adam, vor die Harrenden gekommen war, da hieß Er die große Schar sich niederlassen und ging dann hin zum Adam, der sich von seiner Stummheit noch nicht erholt hatte, und sagte ihm:

[HGt.01_131,03] ,Adam, erwache und siehe, was die Stimme des wahren Rufers vermag, und dann zähle und beurteile, ob da keines abgehe, - und zuvor aber segne sie alle, amen!"

[HGt.01_131,04] Adam aber erhob sich und sagte ganz zerknirscht im Herzen: ,Asmahael, laß mich nur das letztere in Deinem Namen tun! Denn was Du, o Herr, gezählt hast, da ist die Zahl sicher allzeit übervoll; denn Du bist ja allzeit ewig und unendlich, und was Du tust, ist ja auch allzeit am besten getan!

[HGt.01_131,05] Ich und alle meine von Dir mir geschenkten Kinder aber können nun nichts tun, als Dich loben und preisen! O Herr, nimm unsere Herzen als warme Worte voll Dank und Liebe zu Dir allergnädigst auf, und tue alles mit uns allen nach Deinem Wohlgefallen! Amen."

[HGt.01_131,06] Und der Asmahael rief zu sich den Jura, den Bhusin und den Ohorion und sagte zu ihnen: ,Höret! Euer Vater ist schon nahezu zwei Stunden bei euch in der Gegend, und es hat ihm noch niemand eine Stärkung gebracht; daher sendet Boten nach Hause und lasset holen allerlei Früchte, Brot, Milch und Honig in hinreichender Menge, damit das alles wohl auslange für alle, die wir hier zugegen sind! Und nun gehet und tuet! Amen."

[HGt.01_131,07] Der Jura ließ sogleich die zwei Brüder gehen; er aber verweilte noch eine kurze Zeit beim Asmahael und fragte Ihn, sagend:

[HGt.01_131,08] ,Mächtiger Jüngling! Möchtest du mir denn nicht gestehen, wer und woher du bist? Ist Adam auch dein Vater? Oder gibt es auf dieser weiten Erde vielleicht noch irgendeinen mächtigeren Hauptstammvater, denn da ist unser Vater Adam, dessen Worten dereinst auch die Sonne und der Mond gehorchten?

[HGt.01_131,09] Dieweil er aber einmal fiel vor Jehova, so ist auch gefallen seine Macht, und wir alle sind nun Diener der Schwäche und vermögen uns nimmer zu erheben aus unserer Ohnmacht.

[HGt.01_131,10] Du bist aber einer in der Macht gleich dem Adam vor dem Falle vor Jehova; daher könntest du mir wohl sagen, was ich dich fragte, - doch, so du es willst! Amen."

[HGt.01_131,11] Und der Asmahael erwiderte: ,Jura, gerecht bist du und gerecht deine Frage; aber denke bei dir selbst nach, welcher Nutzen für dich daraus erwachsen wird, so du solches weißt, oder so du es vorderhand nicht weißt!

[HGt.01_131,12] Eine Unwahrheit ist Meinem Munde unmöglich, und für die Wahrheit bist du in deinem Herzen noch nicht reif, - vor der Reife aber würde sie dich töten; daher gedulde dich bis zur Reife, und liebe und fürchte Gott, so wird dir im Herzen eine Antwort kommen über Den, der dir nun solches rät!

[HGt.01_131,13] So viel aber wisse, daß Ich in keiner deiner Fragen Platz habe, und es ist daher jede deiner Vermutungen irrig; aber werde reif, so wirst du ein großes Licht erschauen, welches ist ein Licht alles Lichtes!

[HGt.01_131,14] Und jetzt aber gehe auch du, und tue gleich deinen Brüdern! Amen."

[HGt.01_131,15] Und der Jura ging und ließ mit den übrigen reichlich bringen Speise und Trank nach dem Geheiße Asmahaels.

[HGt.01_131,16] Als nun die Kinder der Mitternacht mit all dem reichlich beladen daherkamen und solches niederlegten vor Adam und den übrigen Kindern, da trat Asmahael hinzu und segnete alles und gebot allen, davon zu essen, und setzte Sich Selbst zuunterst an die Körbe und aß zum ersten Male mit ihnen.

[HGt.01_131,17] Adam aber bemerkte: ,O Asmahael! Wie magst Du zuunterst an den Körben sitzen, - gebührt Dir doch der erste Platz vor allen!"

[HGt.01_131,18] Asmahael aber entgegnete: ,Adam! Wo ist oben, und wo ist unten?! - Der erste Platz aber ist der der Demut! Doch weißt du denn nicht, daß, wo der Erste Sich hat gesetzt, auch Sein Platz ist gleich Ihm?! - Daher sorge dich nicht um Meinen Platz, sondern genieße nun ohne Sorge! Amen."

 

132. Kapitel

[HGt.01_132,01] Und der Adam stellte sich zufrieden mit diesem Bescheide, und alle Kinder mit ihm. Und also fing nach gemachter innerer, geistig wahrer Danksagung ein jeder nach Bedarf und Geschmack an zu essen und zu trinken.

[HGt.01_132,02] Es war aber der Fall, daß der Abedam, der Jura, der Bhusin und der Ohorion sich nicht getrauten, an der Mahlzeit teilzunehmen, also auch der Mathusalah mit seinem Sohne Lamech, und daß sie auch weder der Adam noch irgend jemand anders von den Hauptstammkindern dazu einlud. Da wendete Sich Asmahael alsbald zu ihnen und fragte sie:

[HGt.01_132,03] ,Warum esset und trinket denn ihr nicht mit uns?"

[HGt.01_132,04] Sie aber erwiderten: ,O mächtigster Asmahael, wie sollten wir uns getrauen, daran teilzunehmen?! Siehe, wo der Erzstammvater speist, welche Vermessenheit wäre das für uns, mit ihm in den Korb zu greifen und mitzuessen und aus dem Gefäße zu trinken, das da berührt hat des hohen Vaters erhabener Mund!

[HGt.01_132,05] Es ist ja aber schon ohnehin die größte Wonne, Freude und Sättigung für uns, daß wir nur zusehen dürfen, wie die erhabenen Väter sich fröhlich stärken. Daher, o Asmahael, sei nicht bekümmert für uns; denn wir haben ja in großer Menge nun, was uns über alle Maßen stärkt! Doch aber sei dir für deine wohltuende Sorge für uns Liebe und Dank! Amen."

[HGt.01_132,06] Abedam aber setzte endlich noch hinzu: ,Und, o großer, übermächtiger Asmahael, unter uns in meiner ahnungsvollen und allerhöchsten Achtung und Liebe vor Dir gesagt: In Deiner Nähe und nun in Deiner unbegreiflichen Gegenwart, wen sollte, wen könnte da hungern?! Bist Du doch die ewige Sättigung aller Dinge Selbst!

[HGt.01_132,07] O Asmahael, Du hast mich schon gesättigt für die ganze Ewigkeit; und wer sich an Dir fürder sättigen wird, den wird's wohl in alle Ewigkeit nimmerdar hungern und dürsten! Daher Dir allein Dank und Liebe! Amen."

[HGt.01_132,08] Als nun der Asmahael solche Entschuldigung vernommen hatte, sprach Er zu den vieren: ,Ihr habt also wohl geredet und eurer Rede Sinn hat wohlgeschmeckt Meinem Herzen; gerecht war jegliches eurer Worte, und deine Rede, du Abedam, für die ganze Ewigkeit wahr: allein, Meine lieben Freunde, jetzt seid ihr noch auf der Erde und habt einen Leib, der der Erde angehört; also ist es auch nötig, denselben zu stärken nach Maß und Ziel mit Speise und Trank!

[HGt.01_132,09] Ob Adam auch hier speist und trinkt, welch ein Unterschied ist denn zwischen Adam und Mir?!

[HGt.01_132,10] So Ich euch aber nun sage: ,Kommet her und esset!`, wer wird euch da ausschließen von der Mahlzeit, so Ich euch dazu lade?!

[HGt.01_132,11] Daher kommet her und setzet euch zu Mir, und esset und trinket ohne Scheu; denn sofort werden die Ersten die Letzten und die Letzten die Ersten sein! Amen."

[HGt.01_132,12] Und als die vier diese Rede vernommen hatten, verneigten sie sich vor den Vätern, priesen Gott und ließen sich endlich voll Freude und Wonne an Asmahaels Seite zur Erde nieder und aßen und tranken.

[HGt.01_132,13] Es freuten sich aber auch alle die Väter samt Adam; nur der Jared, Mahalaleel und Enos, diese waren zu ergriffen von der Großtat Asmahaels, als daß sie vermögend gewesen wären, sich annun zu freuen. Ob sie etwas aßen und tranken, wußten sie nicht; wer da geredet hatte und was, vernahmen sie auch nicht; und daß die vier mitaßen, sahen sie nicht; denn sie hatte die große Tat Asmahaels, wie noch keine frühere, sozusagen wunderstumm gemacht, - in welcher Stummheit sie lange verharrten.

[HGt.01_132,14] Der Henoch aber weinte vor Freude und übergroßer Liebe zum Asmahael und konnte sich endlich nicht mehr enthalten, aufzustehen und hinzueilen an Asmahaels Seite, um da seine vollste Herzensladung über Asmahael auszuschütten.

[HGt.01_132,15] Als aber der Asmahael merkte - was für Ihn gerade eben nichts Schweres war -, was den lieben Henoch trieb, stand Er auf und ging dem Liebeerfüllten entgegen, folgendes sagend:

[HGt.01_132,16] ,Wahrlich, Mein geliebter Henoch, wer wie du zu Mir kommen wird, der auch wird es erleben, daß Ich Mich sogleich aufrichten werde und werde ihm entgegenkommen mehr denn auf dem halben Wege!

[HGt.01_132,17] Wahrlich, Ich sage dir: Jetzt hast du das Leben gefunden, und aller Tod ist aus dir gewichen! Deine Augen werden nie schauen den Tag des Todes; ja deine Liebe hat sogar dein Fleisch besiegt und hat es mit Unsterblichkeit erfüllt, und wie du jetzt bist und lebst, so wirst du auch sein und leben ewig!

[HGt.01_132,18] Siehe, die von dir ausgehen werden, diese werden es sein, die Ich erhalten will bis ans Ende aller Zeiten, und an deinem Stamme soll einst dafür die große Verheißung in die vollste Erfüllung gehen! Amen."

[HGt.01_132,19] Und als nun der Henoch diese Worte vernommen hatte, da ward sein Herz also gebrochen, daß er nicht vermögend war, auch nur einen Laut über seine Lippen zu bringen.

[HGt.01_132,20] Asmahael aber stärkte ihn und sprach: ,Geliebter Henoch, sei ruhig, und aller Friede sei mit deinem Geiste! Ich weiß, was du Mir nun sagen möchtest.

[HGt.01_132,21] Wahrlich aber sage Ich dir: Wer so betet und dankt wie du nun in gänzlicher Zerknirschung deines Herzens, der ist es, der da betet im Geiste und in aller Wahrheit.

[HGt.01_132,22] Wer da noch beten und danken kann mit dem Munde, in dessen Leibe schlägt noch ein Herz, dessen Fasern noch vielseitig an den Ästen der Weltbäume hängen, und wenn da ein Wind kommt und zerrt an den Ästen der Bäume der Welt, da wird auch das Herz mitgezerrt.

[HGt.01_132,23] Ein Herz aber wie das deine ist gänzlich daheim, und wenn die Winde kommen, ist es ruhig und unbekümmert der Welt; aber es ist eben darum auch frei, um den Herrn über alles zu lieben und alles andere nur aus dem Herrn!

[HGt.01_132,24] Wer also liebt, der liebt recht, und der Herr wird mit ihm sein ewig! Amen."

 

133. Kapitel

[HGt.01_133,01] Nach diesen Worten wurde die Zunge Henochs locker, also daß er da gar wohl an alle folgende Worte zu richten begann, sagend nämlich:

[HGt.01_133,02] ,O liebe Väter und ihr auch, meine geliebten Kinder, sehet mich an, und erstaunet überhoch über mich Schwachen, der ich nun stark geworden bin in dem Herrn, der da ist mein Gott und euer Gott, mein allerliebevollster Vater und euer liebevollster Vater, mein Alles und euer Alles, ja mein freies, ewiges Leben wie das eurige! Sehet mich an und erstaunet über mich; denn also habe ich Gnade vor Gott, der da ist meine alleinige, höchste Liebe, gefunden, daß Er gesegnet hat meinen Stamm für die große Verheißung bis ans Ende aller Zeiten! Ja noch einmal rufe ich: Sehet mich an, und erstaunet über alles hoch über mich, der ich gemacht nun wurde dauerhaft und angetan mit einem unsterblichen Leibe, daß selbst mein Fleisch nimmerdar verwesen soll ewiglich!

[HGt.01_133,03] O Väter und Kinder! Solches hat der Herr nun an mir getan in euer aller Angesichte. Ihr wisset alle, daß wir den Tagen Steine legten wie den Vollmonden; und so ein Jahr verflossen war, da trugen wir die Tages- und Mondessteine auf einen Haufen zusammen und errichteten dadurch jedem Jahre ein bleibendes Denkmal. Sehet, hier ist mehr denn ein Tag, ein Mond, ein Jahr; daher erlaubet mir, dahier an dieser Stelle, an der ich jetzt stehe, am allerwürdigsten ein großes Denkmal zu errichten dem Herrn, der uns im Asmahael so herrlich, wunderbar und liebevollst heimgesucht hat, der nun unter uns ist und unter uns bleiben will bis ans Ende aller Zeiten; ja in alle Ewigkeit! Schon nahezu des Tages dritten Teil wandelt Er, uns so überaus liebevollst führend, mit und unter uns, und noch ist keinem eingefallen, Ihm ein größeres Lob darzubringen als sich selbst gegenseitig. O Väter und Kinder, wir laden auf den morgigen Sabbat all die Kinder zum Opfer, das wir dem Herrn darbringen wollen! Sehet, sehet, der Herr ließ uns auf Sich nicht warten und kam heute zu uns und war gestern bei uns und ist jetzt unter uns! Was aber ist denn mehr, - der Herr oder der Sabbat?!

[HGt.01_133,04] Wo der Herr ist, da ist auch der Sabbat mit Ihm! O Väter und Kinder, daher will ich hier jetzt Dem, der unter uns ist, einen Altar aufbauen und Ihm ein Opfer anzünden auf demselben; denn Ihm allein gebührt alle Liebe, aller Dank, aller Preis, alles Lob, alles Opfer und alle unsere Anbetung!

[HGt.01_133,05] Kinder, gehet und bringet mir flache und reine Steine, und helfet mir hier einen Altar erbauen, und dann holet mir Brandopfer; es sei ein sieben Monde altes Lamm und reines Zedernholz zum Brande! Gehet und tuet alles eilends!

[HGt.01_133,06] Du aber, mein über alles geliebter, heiliger Asmahael, wirst dieses Opfer ja gnädig als ein Dir wohlgefälliges annehmen und es mir in Deiner unendlichen Liebe nachsehen, daß ich, von meiner Liebe zu Dir getrieben, solches nun tue!

[HGt.01_133,07] Was sind Himmel und Erde gegen Dich und was der armselige Sabbat?! Wo Du wohnst und gegenwärtig bist, da ist ja die ganze Ewigkeit und die ganze Unendlichkeit, ja die unendlichste Herrlichkeit, Heiligkeit aller Himmel, Sonnen und Welten gegenwärtig!

[HGt.01_133,08] Du hast uns zwar untersagt, Dich eher offenbarlich zu bekennen, als es Dir wohlgefällig sein möchte, allein meine zu große, mächtige Liebe zu Dir, die aus Dir in mein Herz kam, hieß mich nun unausbleiblich solches tun. Denn es lautete:

[HGt.01_133,09] ,Siehe, Henoch, der Herr prüfte durch dieses leichte Gebot nur die Stärke deiner Liebe! Solange die Liebe sich noch in gemäßigten Kreisen dreht, vermagst du ein solches Gebot wohl zu halten; ist sie aber einmal im höchsten Grade entbrannt, da reißt sie alle Schranken nieder, bekennt und läuft mit aller Hast dem geliebten Gegenstande in die Arme.` - Und Du, der so hoch und nun von mir und uns allen über alles Geliebte, der Du Selbst es bist, wirst mir ja einen Fehler vergeben, nämlich den, für den ich nicht kann: daß mich nun die Liebe so mächtig ergriff, daß ich nicht umhin konnte, Dir meine Liebe vor dem Volke laut zu bekennen!

[HGt.01_133,10] O Asmahael! Nimm es von mir und uns allen gnädig auf, was wir Dir darbringen wollen, und weihe und segne Du den Altar, so wird er gesegnet und geweiht sein für alle Zeiten der Zeiten! Amen."

[HGt.01_133,11] Nach dieser Rede erhob sich abermals der Asmahael und sagte folgende Worte an alle die Väter und Kinder:

[HGt.01_133,12] ,Höret, also ist es; der Henoch wandelt rechten Weges! Wer also wandelt, der sucht sich den kürzesten Weg, um zu dem geliebten Gegenstande zu gelangen. Wahrlich, wer nicht also wandelt, der wird schwerlich zu Mir gelangen, und Ich werde ihm nicht entgegenkommen! Wenn aber jemand die Liebe hat, daß sie mächtig ist in seinem Herzen, wird der wohl die Tage zählen, um zum geliebten Gegenstande zu gelangen, oder wird er nicht jeden Augenblick für den geheiligten halten, um im selben zu ereilen, was seine Liebe erfaßt hat?!

[HGt.01_133,13] Sehet, wo ist der Sabbat der Bäche und Flüsse? Ist er nicht im Meere selbst? Und zuvor ist keine Ruhe und kein Sabbat! Hat aber ein Bach das Meer erreicht, oder hat sich das Meer bis zu ihm ausgedehnt, wird da der Bach nicht sobald Ruhe halten, als er erreicht hat das Meer?! Oder wird er da auf morgen warten, so ihm das Meer entgegenkam?!

[HGt.01_133,14] Also sage Ich hier: Ich kam zu euch; niemand kam Mir entgegen denn allein der Henoch. Ich gab euch ein Gebot; ihr habt es gehalten aus Furcht, Mich zu verlieren, ohne zu bedenken, daß die wahre, reine Liebe nie etwas zu verlieren hat, und am allerwenigsten bei Mir.

[HGt.01_133,15] Ihr habt den Unterschied zwischen Mir und euch nur matt erkannt; Henoch aber hat Mich erkannt. Darum segne Ich das Opfer deines Herzens und weihe den Altar, den du Mir errichtest, geliebter Henoch! Siehe, auf dieser Stelle wird dein Geschlecht einst errettet werden von den Fluten der Sünde, und ein Enkel aus dir wird diesen Altar wieder aufrichten und Mir darauf ein Dankopfer bringen! Und so sei du gesegnet für alle Zeiten! Amen."

 

134. Kapitel

[HGt.01_134,01] Nach diesen Worten Asmahaels, welche auch Enos, Mahalaleel und Jared gar wohl vernommen hatten, erhob sich auch der Adam und mit ihm alle übrigen und wollten hineilen zum Asmahael, teils von großer Ehrfurcht, welche vorherrschend war, teils aber von der mit der Ehrfurcht stets vereinten Liebe, welche besonders in Gegenwart des zu Achtenden selten abwesend ist, ergriffen. Allein der Asmahael hieß sie bleiben an Ort und Stelle und sagte folgendes zu ihnen:

[HGt.01_134,02] ,Höret, Ich will euch ein Gleichnis sagen; dieses sollet ihr beurteilen! Also aber lautet es:

[HGt.01_134,03] So die Sonne scheint auf ein gutes Erdreich, dann springt das Erdreich in tiefe und weite Spalten auseinander, um den Strahl der Sonne tiefer und inniger in sich aufzunehmen, und um erwärmt zu werden vom selben durch und durch; der Sand aber springt niemals auseinander und läßt sich nur an der Oberfläche erwärmen. Und ist der Strahl von seiner Fläche gewichen, so ist auch die sparsam eingesogene Wärme dahin. Also ist es auch mit dem Steine: er läßt sich zwar sehr heftig erwärmen; allein kommen dann kalte Winde, so läßt er alsbald alle Wärme und wird kälter denn die Winde selbst.

[HGt.01_134,04] Also auch ist es, wenn da der Regen fällt vom Himmel: Solange es regnet, solange ist auch alles voll Feuchtigkeit; hat aber der Regen aufgehört und kommen wieder die reinigenden und trocknenden Winde, so werden Sand und Steine alsbald wieder trocken, und nur das gute Erdreich behält die belebende Feuchtigkeit des Regens und tränkt damit seine Pflanzenwelt.

[HGt.01_134,05] O sehet in euch, ob es mit euren Herzen nicht etwa auch also steht wie mit dem Sande und mit den Steinen!

[HGt.01_134,06] Dieweil ihr Mich nun an Meinen Taten und Worten und aus Henochs Zeugnis erkannt habt, so seid ihr auch erwärmt und darum voll Achtung und Liebe zu Mir; allein wenn Ich euch wieder unsichtbar werde, saget, wird es da mit euch wohl sein wie mit der guten Erde?!

[HGt.01_134,07] Ich bin nun schon so viele Stunden unter euch; wer von euch aber hat Mir das getan, was Mir der Henoch tat?!

[HGt.01_134,08] Ja, ihr achtet Mich hoch, aber auch der Berge steinige Spitzen saugen zwar der Sonne ersten und letzten Strahl in sich, da sie lichtdurstig sind, - kommt dann aber auch die Wärme hinzu, so hüllen sie sich alsbald in dichte und düstere Nebel und Wolken, damit ihr ewiger Schnee und ihr ewiges Eis ja nicht schmelze und vergehe. Also auch ist eure Liebe gleich der Liebe der Kälber zum vollen Euter der Mutterkuh, zu dem sie hinzuspringen und mit dem Kopfe so lange darauf, d.i. auf dem Euter, herumstoßen, solange noch Milch im selben gewahrt wird; wollen aber die Zitzen durchaus keine Milch mehr geben, so verläßt das Kalb alsbald die Kuh, und dann ist nichts mehr zu erblicken am Kalbe, was der Liebe gliche.

[HGt.01_134,09] Ihr habt nun gesehen, wie der Henoch von Mir aufgenommen wurde; desgleichen möchtet auch ihr aufgenommen sein. Ich frage aber euch: Habt ihr Mich auch also aufgenommen wie der Henoch? - Sehet, der Henoch hat Mich aufgenommen aus reiner Liebe schon im Anfange; habt solches auch ihr getan?

[HGt.01_134,10] Ja, als ihr gesehen habt Meine Werke, da erst habt ihr Mich aufgenommen! Meinet ihr etwa aus Liebe?! O sehet, das tut die wahre Liebe nicht, wohl aber der inwendig verborgene Eigennutz! Weil Ich unter euch bin, so sehet ihr den großen Vorteil, was durch Mich sich alles bewerkstelligen ließe, und also flößt euch Meine unendliche Macht die hohe Achtung und der damit verbundene Vorteil die Liebe zu Mir ein.

[HGt.01_134,11] Als Ich aber aus der Tiefe und der Niedrigkeit als Mensch zu euch kam, da ließet ihr Mich im Staube vor euch liegen!

[HGt.01_134,12] Saget, wer hat Mich da in aller Liebe aufgenommen und hatte keinen Vorteil vor Augen?!

[HGt.01_134,13] Ihr habt zwar in Jehovas Namen die Vorladung der Kinder zur morgigen Sabbatfeier vorgenommen; meinet ihr etwa, solches getan zu haben aus Liebe zu Jehova? Oh, da irret ihr euch gewaltig; solches habt ihr nur getan aus sklavischer Furcht und daraus aus Hochachtung vor der unendlichen Macht Jehovas, und dann auch noch dazu aus furchtlicher und daher auch aus pflichtgenötigter Dankbarkeit, welche zumeist die Größe Gottes euch abzwang!

[HGt.01_134,14] Wo aber ist da die reine Liebe, die über alles dieses hinaus frei, durch nichts als durch die Liebe selbst genötigt, Gott über alles in sich selbst und so auch in jedem Gotteswerke treulich und unbestochen liebt?!

[HGt.01_134,15] Ihr möchtet Mir zwar sagen: ,Herr, wir glauben ja, daß Du es bist, der alleinig wahre, heilige, große, ewige, mächtige Gott voll Liebe und Erbarmung und Liebe und Gnade!`

[HGt.01_134,16] Ich aber sage euch: Wer da nicht glaubt in der reinen Liebe seines Herzens, dessen Glaube ist soviel wie nichts und hat vor Mir keinen Wert! Ihr möget zahllose Male ,Jehova!` rufen und sagen: ,Großer, erhabener, mächtiger, heiliger, barmherziger usw. Gott, Herr, Schöpfer aller Dinge, lieber Vater!` und so weiter, - allein wahrlich, Ich sage euch, es ist euch viel besser, in dieser Hinsicht zu schonen eure Lippen, Zähne, Zunge, Gaumen, Kehle und Lungen; denn alles solche leere Glaubensgeplärr wird nie zu Meinen Ohren gelangen!

[HGt.01_134,17] Wer nicht dem Henoch gleich zu Mir kommt und spricht, da ist alles umsonst; Ich werde ihn nicht ansehen ewig! Und so er beten wird, da wird sein Gebet an eherne Ohren gelangen, und alle Himmel werden vor ihm mit metallenen Riegeln verschlossen bleiben so lange, bis der letzte eigennützige Tropfen in was immer für einer Hinsicht aus seinem Herzen entschwunden sein wird.

[HGt.01_134,18] Wer Mich also liebt, der muß Mich lieben wie eine reine Braut ihren reinen Bräutigam, da sich nichts denn allein die Herzen anziehen; alles, was darunter oder darüber, ist der freien Liebe eine Last, darum sie sich dann auch nimmer erheben kann bis zu Meinem Herzen hinan. Denn was da ist unter der Liebe, das zieht das Herz in die schlammige Tiefe hinab; was aber da ist über der Liebe, das drückt sie zu Boden und beschwert das Herz so sehr, daß es dann zu schwach und kraftlos wird, um sich je wieder zu erheben.

[HGt.01_134,19] Also aber muß die Liebe rein sein, daß sie, durch nichts genötigt, sich frei erhebt und mit vereinter Kraft aus sich den frei gewählten Gegenstand erwählt, ihn umschlingt und ewig nimmer ausläßt.

[HGt.01_134,20] Gott erkennen ist Wachwerden der Liebe, aber nicht Gott lieben selbst; Gott lieben aber heißt völlig leben in Ihm.

[HGt.01_134,21] Die Erkenntnis aber wird niemanden je beleben und ihm öffnen die heiligen Pforten der ewigen Liebe und somit des ewigen Lebens, sondern - wohlgemerkt und -begriffen! - allein die reine Liebe zu Gott und in Gott ohne oben und unten und somit ohne den allergeringsten Eigennutz als allein den der reinen Liebe selbst.

[HGt.01_134,22] Prüfet nach dem nun eure Herzen, und dann erst erhebet euch und kommet zu Mir! Amen."

 

135. Kapitel

[HGt.01_135,01] Als der Asmahael solche Rede mit großem Eifer an die Anwesenden gerichtet hatte, siehe, da ergriff sie alle eine große Angst, und keiner vermochte dem andern mit irgendeinem Trostworte erheiternd beizukommen; denn die an jedem nur zu ersichtliche Wahrheit machte hier jede tröstende Ausflucht so gut wie ganz rein unmöglich, daher dann auch eine große Stille eintrat, in welcher ein jeder mit seinem Herzen rechtete und mitunter einen emsig entschuldigenden Trostgrund suchte. Allein das verarmte Herz konnte da kein Vermögen schaffen, woran es selbst an der größten Armut litt.

[HGt.01_135,02] Nach einer ziemlich langen Weile erhob sich endlich Adam und sagte in einem zwar sanft klingenden, aber dabei doch höchst ernstlichen Tone:

[HGt.01_135,03] ,Asmahael! Wer Du auch immer sein magst - sei es ein Mensch oder der allerhöchste, heilige Gott, siehe, wahrlich wahr, das gilt mir nun wie allzeit gleich! - siehe, ich bin einmal gefallen auf der schweren Bahn des göttlichen Willens und kann mich nun nicht mehr erheben! Ich wollte doch stets den rechten Weg wandeln, und soviel es mir nur immer möglich war, suchte ich auch jeden Stein des Anstoßes zu vermeiden; allein nicht ich habe die unebene, besteinte Erde gemacht, sondern sie ist ein Werk Gottes. Wenn ich nun bei aller Aufmerksamkeit hie und da als Erstling angestoßen bin, sage mir, wird oder kann jeder Anstoß mir allein zur tötenden Last gelegt werden?! Und so mein Herz entweder zum Sande oder Steine geworden ist, gibt es denn kein Mittel, dasselbe für bleibend wieder in gutes Erdreich umzugestalten?

[HGt.01_135,04] Und bin ich denn schon ein so ausgemachter Verbrecher, - sage, gibt's für solche im Gottesherzen keine Erbarmung mehr?

[HGt.01_135,05] Denn nach Deiner Mahnrede ist es außer Henoch wohl niemand mehr möglich, mit dem Leben vor Gott davonzukommen!

[HGt.01_135,06] Wie soll man denn Gott lieben und keine Idee fassen zuvor von Ihm, wie Er allzeit überaus groß, ja unendlich groß unterschieden auch von Seinen vollkommensten Geschöpfen ist?!

[HGt.01_135,07] Siehe, Du verlangst Unmögliches von uns! Siehst Du in Deiner Vollkommenheit auch diese Unmöglichkeit nicht ein, so kannst Du ja aber doch nicht umhin, um mir das zu widersprechen, was ich an mir selbst nur zu klar und überdeutlich wahrnehme!

[HGt.01_135,08] Wenn Du denn jetzt eine so große Forderung entweder im Namen Gottes oder als Gott der Allerhöchste Selbst an mich und alle meine Nachkommen machst, sage, ist es unbillig, Dich zu bitten, uns mit der Forderung auch die Mittel an die Hand zu geben und ins Herz zu legen, durch welche es uns allen ersichtlich möglich wird, Deinen Anforderungen unumstößliche Gewähr zu leisten?!

[HGt.01_135,09] Daß es uns allen nicht an dem guten Willen fehlt, wirst Du hoffentlich aus diesen meinen Worten wie aus meinem Herzen deutlich abnehmen können! Nimm, o mächtiger Asmahael, mir diesen notgedrungenen Ausbruch meines Herzens nicht ungnädig auf; der allzeit Mächtige kann sich helfen, so ihn etwas drückt, - doch dem ohnmächtigen Wurme im Staube bleibt nichts anderes übrig, als sich sterbend zu krümmen, wenn er vom Hufe des mächtigen Pferdes getreten und halb zerquetscht wird!

[HGt.01_135,10] O erwäge diese Worte und bedenke wohl, was das heißt: ein ohnmächtiges Geschöpf sein, sich selbst fühlend an der unsichtbaren Seite eines unendlich und ewig über alles mächtigen Schöpfers!

[HGt.01_135,11] Siehe, ein undenkbares, ein unaussprechliches Verhältnis: eine frei sein sollende Ohnmacht unter einer freien, unendlichen, ewigen Macht!

[HGt.01_135,12] Daher hilf uns, wenn uns überhaupt je möglich zu helfen ist, anstatt uns ohnehin überstark Getretene noch mehr zu treten! Besser wäre es, uns gänzlich zu vernichten - als stets mehr und mehr zu quälen! Amen."

 

136. Kapitel

[HGt.01_136,01] Nach diesen Worten erregte Sich der Asmahael ein wenig und richtete folgende ernsten und doch auch über alles liebevollen Worte an den Adam, wie auch zugleich an alle, sagend nämlich:

[HGt.01_136,02] ,O Adam! Adam! Deine Torheit ist groß und mächtig geworden! - Vor allem frage Ich dein Herz, da du Vater bist aller dieser Kinder und vieler anderer, die diese Erde bewohnen, - sage es Mir in deinem Herzen: was würdest denn du mit einem deiner Kinder tun, das dir bei einer großen und allerwichtigsten Belehrung über begangene gewaltige, freiwillige Fehltritte gegen deine weisen Anordnungen entgegnen möchte - wenn auch in einer an Wahrscheinlichkeit grenzenden, kühn gebauten Rede -:

[HGt.01_136,03] ,Was forderst du von mir, was ich nicht tun kann! Ist es unrecht, was ich tue? Was kann ich dafür?! Bin ich nicht aus dir, und hast nicht du mir ein so elendes, fehlervolles Leben gegeben?!

[HGt.01_136,04] Wenn ich nun fehle, so ist das ja nur dein Fehler, weil ich so und nicht anders und vollkommener aus dir hervorgegangen bin! Daher stelle dich zufrieden mit mir also, wie ich bin, und fordere nicht von mir, was nicht sein kann! Willst du mich aber durchaus anders, als ich bin, so kannst du mich ja vernichten und dann anders und besser zeugen - oder aber eine zweite Zeugung, wenn eine solche dir etwa unmöglich sein sollte, auch ganz stehen lassen; denn ich werde dir für ein so elendes gegebenes Dasein ewig nie danken!

[HGt.01_136,05] Lasse das, was nichts war, ewig nichts sein; denn es ist besser, ewig nie zu sein, als neben dir ein elendes, beschränktes Dasein zu fristen! Was willst du mich nun bessern, da ich schon einmal bin, wie ich bin?! Hättest du mich besser gezeugt, so wäre ich auch besser! Da ich aber nun einmal also bin, - ist es nicht deine Schuld, daß ich also bin?! Darum bessere dich zuvor und dann siehe zu, wie du mit meiner Besserung zurechtkommen magst und kannst!`

[HGt.01_136,06] Adam, sage Mir nun, wie es dir ums liebende Vaterherz sein möchte bei einer solchen Einrede eines deiner Kinder, und das dazu noch eines deiner allerersten Hauptkinder!

[HGt.01_136,07] Du hast verflucht den reumütigen Cahin. Sage, was würdest denn du mit einem solchen Kinde tun, das nicht nur eines Bruders Fleisch tötet, sondern dir selbst flucht und dir ertöten will deinen Geist?! Sage, sage Adam, was du tun möchtest mit einem solchen unverbesserlichen Kinde!

[HGt.01_136,08] Siehe, nun bist du still wie eine Maus, wenn sie eine Katze wittert, und mochtest Mir vorher als erstes Hauptstammkind doch auf ein Haar dieselbe Einrede tun!

[HGt.01_136,09] Gleich ist dir Gott und Mensch! Was soll dich auch das kümmern, wer nun mit dir spricht, ob ein Gott, dein Vater, oder ob ein Mensch deinesgleichen; denn du hast dich ja nicht selbst erschaffen, sondern ein dir unsichtbarer, völlig unbekannter Gott! Hat Er dich so elend und sündefähig zuwege gebracht, so soll Er Sich mit dir nun auch begnügen, wie du bist, weil Er dich nicht vollkommener gemacht hat, und soll von dem verpfuschten Werke nicht verlangen, vollkommener zu sein, als es sündhaft genug aus der Hand des übelgelaunten Schöpfers hervorgegangen ist!

[HGt.01_136,10] Siehe und gib acht auf dein Herz, ob es nicht also hadert!

[HGt.01_136,11] Du rücktest Mir die schwer zu wandelnde Bahn des göttlichen Willens auf uneben gemachter Erde vor und stelltest deinen guten Willen auf, treu zu wandeln, so es nur möglich wäre. Alle Schuld daran, daß du fielst, hast du auf Meine Schulter geladen, und Ich muß gefehlt haben, und gewisserart nicht im geringsten auch du, da Ich dich also und nicht anders geschaffen habe! Solltest du nun anders werden, so sollte es ein Mittel geben, durch welches es dir möglich würde, dem göttlichen Willen gemäß zu handeln!

[HGt.01_136,12] Siehe, wieder eine Äußerung, über die der überaus liebbesorgte, heilige Vater sicher keine Freude haben kann!

[HGt.01_136,13] Um Erbarmung rufst du. Was könnte Ich denn noch tun, als daß Ich als Mensch und Vater zu euch komme und euch mit eigenem Munde lehre die wahre Liebe und die wahre Weisheit und euch führe mit eigener Hand über die euch zur und für die einstige höchste Vollendung unterlegte prüfende Erde?! Bin denn nicht Ich Selbst die größte Erbarmung, die größte Liebe und das alleruntrüglichste Mittel?!

[HGt.01_136,14] Oder sollte Ich deinem Verlangen nach aus euch etwa belebte, das heißt bewegliche Maschinen machen?!

[HGt.01_136,15] O du blinder Tor! So du nur einigermaßen sehen wolltest, so müßte dir ja schon auffallen die große Vollkommenheit an dir, durch welche du so hoch über allen anderen Wesen stehst, daß du freiwillig fehlen, aber auch freiwillig fehllos wandeln und handeln kannst gleich dem Henoch! Und du wirfst Mir vor, als Pfuschwerk aus Mir hervorgegangen zu sein?!

[HGt.01_136,16] Siehe, siehe, Adam, wie weit du dich wieder verstiegen hast!

[HGt.01_136,17] Unmögliches, sagst du, fordere Ich von euch. Siehe hierher denn, siehe den Henoch, siehe die sechs an Meiner Seite, ja siehe diese ganze große Volksmasse, und frage sie alle, ob es sich so verhalte!

[HGt.01_136,18] Ich sage dir aber: Du selbst bist es, der nach eigenem Sinne irgendeinen unendlichen Gott sucht, ehrt und erfassen will, und der das gänzlich Unmögliche bei sich möglich machen, die ganze Ewigkeit auf den eigenen Nacken bürden, einen Gott suchen will, der für dich so gut wie nirgends ist; den Vater aber, der nun voll der allerhöchsten Liebe mit dir redet, willst du verkennen, verachten und fliehen!

[HGt.01_136,19] Wahrlich, neben einem Gott, wie du dir Ihn vorstellst und sabbatlich anbetend verehrst, wäre allerdings ein geschöpfliches Bestehen nicht nur das elendeste Sein, unendlich elender als das eines zertretenen Wurmes im Glühsande, - sondern, Ich sage dir, es wäre auch von deinem geträumten Gotte aus rein unmöglich; denn ein so unvollkommener Gott wäre nicht nur nicht imstande, ein Pfuschwerk hervorzubringen, sondern es ginge ihm wahrlich noch schlechter denn dir, der du aus dir auch nicht einmal ein Atom zu erschaffen imstande bist!

[HGt.01_136,20] Wenn Ich in euch rügte euer törichtes Forschen und unsinniges Streben nach einem Gott, der nirgends ist, und auf die alleinige Liebe des Vaters, der Ich Selbst von Ewigkeit zu Ewigkeit es war, bin und ewig sein werde, euch hinwies, sage, habe Ich als Vater da eine unbillige und unmögliche Forderung an euch Kinder gestellt?!

[HGt.01_136,21] Siehe, die kleinsten Kinder schon erfüllen auf das genaueste diese unaussprechlich leichte Forderung, da sie ihren Vater über alles lieben, ohne eine Rechnung von des Vaters Herzen scharfsinnig zu verlangen, warum sie ihn lieben, sondern sie lieben ihn, weil er ihr Vater ist! Sage Mir, Adam, Mein Sohn, hast du je mehr für dich von deinen Kindern verlangt?!

[HGt.01_136,22] Wenn Ich nun nichts mehr von dir und von euch allen als einzig wahrer, liebevollster Vater verlange und euch abhalte von allem, was euch nur im geringsten das Leben erschwert und nach und nach den unvermeidlichen Tod - der da ist eine stets auf eigenem Willen beruhende zunehmende Blindheit, die, weil sie unmöglich bei allen unendlichen Ideen je zu einem Ziele gelangen kann, sich endlich zornmütig entzündet und den Schöpfer einen gemeinen, launischen Pfuscher schilt und so sich noch stets mehr verfinstert und ertötet - nach sich zieht, bin Ich dann wohl also, wie du Mich in dir gefunden hast?!

[HGt.01_136,23] Daher lerne den Vater besser kennen und erkenne, wie Weniges und Überleichtes Er von dir verlangt; alsdann stehe auf und komme zu Mir und sage Mir, ob Ich ein unbilliger Gott und Vater bin! Für jetzt aber ordne dein Herz, und besinne dich eines Besseren; denn Ich bin kein Vater, der da dem Cahin flucht! Verstehe es wohl! Amen."

 

137. Kapitel

[HGt.01_137,01] Nach dieser Rede, die da nicht anders war für den Adam, als hätte man die Erde in das unermeßliche Feuermeer der Sonne getaucht, war Adam nicht nur - wie ihr zu sagen pfleget - zu Wachs geworden, sondern zum feinen, wohlgeläuterten Öle, das da ist ein köstlicher Balsam für Wunden jeglicher Art, daher er sich auch alsbald beim Asmahael die Erlaubnis erbat, nun vor all den Kindern ein neues Bekenntnis ablegen zu dürfen, - was alles ihm als leiblichem Urstammvater auch ohne alles Verziehen alsogleich von Asmahael wie von all den Kindern von ganzem Herzen gerne bewilligt wurde. Und also stand er auch alsbald auf und fing an, folgendes Bekenntnis in einer wohlgeordneten Rede von sich zu geben, sagend nämlich:

[HGt.01_137,02] ,O hoher, erhabener, über alles mächtigster, heiliger, liebevollster Herr, Vater, Gott Jehova, der Du im Menschen Asmahael uns nun sichtbar gegenwärtig bist, siehe, ich war es, der Dir den Namen ,Asmahael` gab, und Du warst fröhlich darob als weise vorgeblich Namenloser, daß Dir ward zuteil ein Name aus meinem Munde, ein Name der Kinder Gottes, die zu sein allein wir uns lange törichterweise träumten! Damals warst Du uns mehr oder weniger ein Fremdling, da uns an Dir fast nichts auffiel als allein Deine allzeit unbegreiflich wohlgeordnete Rede, welche zu erlernen Du freilich uns Blinden vom Geiste Ahbels, meines Sohnes, vorgabst; allein also sehe ich es jetzt:

[HGt.01_137,03] Aus der Nacht wird der Tag, und die Nacht sehnt sich nach dem Tage wie der Tag nach der Nacht. Wer aber vermag in der Nacht am Tage zu wandeln?! Wohl aber vermag jedweder am hellsten Tage seine Augen zu schließen, und dann ist die Nacht am Tage für ihn größer denn die wirkliche Nacht in ihrer dichtesten Mitte selbst!

[HGt.01_137,04] Solches war bei mir und nahezu bei uns allen der Fall, darum wir auch nichts sahen, nichts hörten, nichts merkten und also auch von allem nichts verstanden. In solcher unserer allgemeinen Blindheit gaben wir Dir fürs erste einen Namen, der wohl für uns alle am allerbesten getaugt hätte, wenn wir nicht blind und taub gewesen wären; denn wie möchtest Du für Dich Den suchen, der Du doch Selbst von Ewigkeit es warst, bist und ewig sein wirst?!

[HGt.01_137,05] Da Du von Dir aussagtest, daß Du aus der Tiefe kämest, siehe, wir alle verstanden es nicht, was da gesagt ward mit der Tiefe Lamechs!

[HGt.01_137,06] Jetzt erst habe ich und hoffentlich wir alle die schauerliche Nacht und Schlammtiefe in uns durch Deine Gnade - Dir ewig Dank dafür! - gar wohl erkannt! Da Du von Dir aussagtest, Ahbel habe Dich zu uns geführt und habe Dir gelöst die Zunge, - wie hätten die Tauben solche Weissagung verstehen sollen?!

[HGt.01_137,07] Jetzt erst, da Du in uns auch das Ohr unseres Herzens aufgetan hast, verstehen wir und sehen es ein, wie entsetzlich blind und taub wir damals, das heißt am heutigen schönen Morgen noch waren, darum das Wort Deiner so unermeßlichen Vaterliebe unverstanden an unsere Herzen schlug und wie eines Fremdlings Wort klang, während es von Dir aus mehr denn sonnenhelle an uns gerichtet war.

[HGt.01_137,08] Aber was ist dem Blinden des Tages hellstes Morgenlicht und dem Tauben der allerstärkste Donner?! Wahrlich, jetzt erst erkenne ich - und, wie gesagt, hoffentlich auch wir alle -, daß der zugleich Blinde und Taube so gut wie ganz arg tot ist! Hätte er das Gefühl der Haut nicht, da gliche er völlig einem Steine, an dessen harte Stirne die Winde unempfunden stoßen, und der, so er entweder wieder auf seinesgleichen oder auf weiche Erde oder ins Wasser fällt, nicht empfindet und unterscheidet, worauf er gefallen ist, und den auch nichts umzugestalten vermag denn allein des Feuers unerbittliche, unermeßliche Gewalt!

[HGt.01_137,09] Also waren auch wir nichts denn tote Steine, gefallen auf allerlei Grund und Ungrund. Du hast nun aus all den unempfundenen Truggründen uns gesammelt und hast uns gelegt ins große Feuer Deiner unermeßlichen Vaterliebe. Und siehe, wir Steine wurden auf diesem heiligen Grunde umgewandelt, wurden wieder voll Leben, wurden sehend und hörend und wohlverstehend! Und also erkennen wir nun, daß der Ahbel, das heißt die geringe Gottesfurcht und Liebe bei uns nach der Art Ahbels zu Dir, Dich geführt hat aus unserer eigenen sprachlosen Tiefe zu uns Toten und dem in uns die Zunge gelöst hat, das da nicht mehr vermochte, Dich im Geiste der Wahrheit und ewigen Liebe ,Vater!` zu nennen!

[HGt.01_137,10] O wie unendlich blind, taub, gefühllos und tot mußten wir doch alle sein, daß keiner auch nur ahnend zu gewahren imstande war, daß da die Sonne aller Sonnen, das Feuer alles Feuers, die Liebe aller Liebe, ja das Leben alles Lebens und die Macht und Kraft aller Mächte und Kräfte zu uns in unsere Mitte kam!

[HGt.01_137,11] O Kinder, höret nun: Der, den wir noch immer blinderweise ,Asmahael` nannten, ist und heißt ,Jehova, Gott der Ewige von Ewigkeit`, und für uns aber von jetzt angefangen ,Emanuel` und für jene, deren Herzen voll Liebe sind, ,Abba, lieber heiliger Vater`!

[HGt.01_137,12] O Du Emanuel, siehe, ich bin nicht wert, daß da mir geschehe gleich dem Henoch, der da erfüllt ist vom Grunde aus mit aller Liebe zu Dir! Jedoch eines gewähre mir gnädigst, und dieses eine ist: daß auch ich und wir alle Dich bis an das Ende unseres irdischen Lebens aus allen unseren Kräften stets mehr und unendlich mehr zu lieben vermöchten und Dir dann ewig allesamt, lebendig durch solche Deine Liebe in uns zu Dir, zurufen dürften und könnten: Abba, Abba, Abba!

[HGt.01_137,13] O Emanuel! Nimm gnädig auf dieses mein Bekenntnis und sei uns und bleibe uns Abba jetzt und in alle Ewigkeiten der Ewigkeiten! Amen."

 

138. Kapitel

[HGt.01_138,01] Und der Emanuel entgegnete dem Adam und somit auch allen seinen Kindern, sagend nämlich: ,Siehe, Adam, jetzt hast du wohl geredet, und das, was du geredet hast, ist lebendig wahr! Denke daran, daß Ich heute am Morgen zu euch kam und Mich, wie du es weißt und ihr alle an der Seite Adams, ausgab für einen stummen Sklaven aus der Tiefe Lamechs, der da entflohen ist mit der Hilfe Ahbels; verhielte sich die Sache nicht anders im Geiste der Wahrheit und aller Liebe, wäre Ich anjetzt nicht ein barer Lügner gleich dem Wurme der Erde, der da ist ein Vater und Fürst alles Luges und Truges?!

[HGt.01_138,02] Doch du warst, wie du nun treulich selbst bekanntest, blind, taub und gefühlsstumm; daher gewahrtest du auch nichts von den Dingen der ewigen göttlichen Ordnung. Siehe, wäre Ich zu euch gekommen als Emanuel, wo wäre nun euer Leben?!

[HGt.01_138,03] Darum aber kam Ich in der Gestalt zu euch, in der ihr innerlich selbst waret, damit ihr als kalte Asmahaele, an Mir erwärmt, den Abba Emanuel habet finden können!

[HGt.01_138,04] Zwar war Ich gestern am Abende bei dir und habe dir eine große Verheißung gegeben. Du erkanntest Mich aber nur wie im Traume; denn Sand und trockenes Gestein war um dein Herz gelagert. Und am Morgen schon blieb von Mir in dir nichts mehr zurück als kaum die nackte, kalte Erinnerung. Ich bereitete euch zum Dolmetsch den Henoch. Doch seine Worte bewundertet ihr nur; aber euer totes Herz verstand sie nicht. Ihr suchtet zwar alle, und doch wollte ein jeder dem andern ein weiser Führer sein, um ihm zeigen zu können, welch hohe Weisheit in jedes einzelnen Herzen wohne.

[HGt.01_138,05] Als ihr nun am Morgen alles zu vollenden wähntet, kam Ich als ein heller Stern zu euch, um euch anzuzeigen, im Staube vor euch kriechend, daß euer Herz auch also war im Sande tief begraben; allein der helle Stern wandelte von Morgen gen Mittag, vom Mittage bis gen Abend und vom Abende bis hierher, - und euer Herz hielt Mich heimlich stets noch für einen Lügner, und es vermochten wenige nur des Sternes hellsten Strahl vollends zu erschauen.

[HGt.01_138,06] Ein Tiger mußte Mich vor euch hertragen und euch dadurch sich selbst eurem Herzen entreißen!

[HGt.01_138,07] Sehet, wie helle der Stern leuchtete, und ihr mochtet nicht bemerken sein sanfthelles Strahlen!

[HGt.01_138,08] In der Gegend der sieben Steine, deren Spitzen Wasserbäche herab zur Erde gießen, lehrte euch der Sanfte die Demut. Ihr waret noch taub und blind, und das Leuchten des Sternes war ein vergebliches.

[HGt.01_138,09] Im Abend ließ der Stern hellere Strahlen von sich schießen. Es blitzte und donnerte gewaltig, und nur wenige Tote erstanden und lösten sich von den faulen Knoten los. Allein die vermißte faule Modergärungswärme tat den übrigen wehe, so daß da ein hartes Gezänke entstand. Und ein Weisheitsvorrecht kämpfte dann gegen das andere, weshalb noch viele nicht vermochten zu erschauen das hellste Licht des Sternes.

[HGt.01_138,10] Der Stern führte euch weiter. Seine Macht trieb euren Tiger von euch und machte verstummen euren Hochmutswurm, die alte Schlange!

[HGt.01_138,11] Da riebet ihr euch die Augen; denn das Licht des Sternes war euch zu stark und die Wärme seines Feuers zu mächtig, darum ihr Mathusalah und Lamech, die der Stern aufnahm, scheel ansahet.

[HGt.01_138,12] Wir kamen endlich an die steinerne Wand eures Herzens. Des Sternes Blitz und Donner machte sie einstürzen, und ihr kamet und sahet die große Verlassenheit eures inneren Lebens. Ihr riefet das Leben; es wollte sich nur wenig desselben wieder einfinden. Ich sah eure große Not, ging, rief und brachte euch des Lebens in großer Menge!

[HGt.01_138,13] Adam! Und noch war dir der Stern fremd; ,Asmahael` nanntest du noch immer Mich - und hast doch solche Zeichen gesehen!

[HGt.01_138,14] Siehe nun und merke wohl, da du Mir nun einen andern Namen gabst: Dieses letzte Zeichen wird das erste werden, und das erste das letzte; und es soll in der Zukunft deinen Nachkommen nicht gehen wie dir, wenn Ich wiederkommen werde!

[HGt.01_138,15] Wahrlich, die Blitz- und Donnergewohnten werden im Ärger den Tod finden, wenn Ich dann zuletzt kommen werde, wie Ich jetzt kam am Morgen! Verstehet es! - Und nun tuet alle, was da gebührt dem Emanuel Abba, amen; in euch aber, amen!"

 

139. Kapitel

[HGt.01_139,01] Nach dieser Erklärung Emanuels dankten, von der höchsten Liebe ergriffen, alle die Kinder samt dem überzerknirschten Adam dem Abba im Emanuel, und alle richteten nun ihre Blicke auf Emanuel und konnten sich an Ihm nicht satt sehen, obschon Er Seine vorige Asmahaelsgestalt nicht um ein Haar geändert hatte. Und ein jeder sagte bei sich selbst in größter Freude, selbst Henoch nicht ausgenommen: ,Da ist also nun Der, über den so oft schon geredet wurde, daß Er Gott der Ewige, der unendlich Mächtige, der Schöpfer Himmels und der Erde und aller Dinge auf ihr ist, und daß Er allein der wahre Vater aller Menschen und voll der höchsten Liebe und Erbarmung zu ihnen und übervoll der höchsten, unendlichen Weisheit ist!

[HGt.01_139,02] Wenn Er nur wollte, vergingen da nicht augenblicklich wir und alle Dinge, als wenn sie nie gewesen wären?!

[HGt.01_139,03] Und dieser Gott, allmächtig, ist jetzt unter uns, der unendliche, der ewige Gott! Also wahrhaft nun Emanuel!"

[HGt.01_139,04] ,Ja, ja," sagte laut der junge Lamech zum Mathusalah: ,Er ist es ganz bestimmt; ich möchte g'rad vergehen vor Liebe! Wie doch so überaus unbegreiflich lieb, mild, sanft, gut und dabei doch so voll hohen Ernstes Er aussieht!

[HGt.01_139,05] O Vater! Wenn ich mir getraute, so möchte ich nur hinfallen zu Ihm und Ihn dann vor lauter Liebe so an mich drücken und Ihn aber auch nie mehr auslassen mein ganzes Leben lang, daß ich darob sterben könnte und möchte!

[HGt.01_139,06] Meinst du, Vater, so ich solches täte, das wäre eine Sünde oder doch wenigstens eine grobe Unart?

[HGt.01_139,07] Ach siehe, wie Er Sich nun bald mit dem einen, bald mit dem andern so mächtig liebevoll bespricht! O wie unendlich lieb Er doch ist!

[HGt.01_139,08] Nein, Vater Mathusalah, jetzt halte ich es nicht mehr aus; ich muß, muß zu Ihm!

[HGt.01_139,09] Siehe, sogar die Steine, die wir jetzt hierhergebracht haben, hilft Er dem Henoch auf das herrlichste ordnen!

[HGt.01_139,10] O Vater, siehe, siehe: Der, der einst Himmel und Erde und alle Dinge auf ihr durch Sein mächtiges Wort erschaffen hat, Der - o welch ein Anblick! - Der hilft nun dem Henoch diesen kleinen Opferaltar erbauen!

[HGt.01_139,11] O Gott, mein Gott, mein lieber Vater, wie überaus gut bist Du; was für ein guter Vater bist Du!

[HGt.01_139,12] O wenn ich mich doch getraute! Aber Er kommt mir doch zu heilig vor! Ja, heilig ist Er, überheilig! Aber meine Liebe ist zu mächtig, als daß mich Seine Heiligkeit von Ihm nun mehr abhalten könnte!

[HGt.01_139,13] Wer weiß es, wie lange Er noch bei uns verweilen wird; darum nur mutig darauf los!"

[HGt.01_139,14] Bei diesen Worten wollte der Lamech auch davonspringen hin zum Emanuel; allein der Mathusalah hielt, ihn beim Kleide fassend, ihn zurück und sagte zu ihm in einer halblauten Sprache:

[HGt.01_139,15] ,Was tust du, unbändiger Junge! Bedenke doch nur, wer der Emanuel ist! Mein Herz ist ja eben auch brennvoll von Liebe zu Ihm! Aber man muß Gott nicht so lieben, wie man seinesgleichen liebt; sondern mit der allerhöchsten Hochachtung, allein stille im Herzen anbetend, muß man Gott lieben, - aber nicht auf eine so unbändige Weise!

[HGt.01_139,16] Hast du denn nicht vorhin gehört, wie Er Selbst es gesagt hat, daß Er auf nichts denn allein auf das Herz sehe und auf nichts anderes?! Daher tue das, was da recht ist nach Seinem eigenen Willen und vergiß nicht der hohen, heiligen Achtung, die wir alle nebst der höchsten, innersten Liebe Gott schuldig, ja ewig schuldig sind! Amen!"

[HGt.01_139,17] Und Lamech entgegnete dem Mathusalah: ,Vater, du magst das Amen noch tausend Male hintereinander aussprechen, so nützt es zur Stillung der Liebe in mir zum Asmahael für diesmal soviel wie gar nichts! Lamech, dein Sohn, ist dir noch nie ungehorsam gewesen, aber diesmal wird er den Gehorsam brechen und wird seine Liebe nimmer mäßigen, sondern tun nach seinem Herzen; denn wahrlich, tausend Väter wie du sind mir nun um einen Liebesblick Emanuels feil!

[HGt.01_139,18] Daher lasse mich tun, und halte mich nicht auf auf dem Wege zu meinem Gott und deinem Gott und zu meinem Vater und deinem Vater! - Und nun sage ich Amen!"

[HGt.01_139,19] Und alsbald riß sich Lamech los und sprang mit großer Hast davon und hin zum Emanuel.

[HGt.01_139,20] Als er aber vollends an den Emanuel kam, da stellte sich Emanuel, als wenn Er den Lamech nicht bemerkte. Und den Lamech ergriff ein Bangen, von höchster Liebe untermengt, so daß er sich doch nicht getraute, den Emanuel anzurühren, und er fing bei sich an zu denken, ob es etwa doch gefehlt war, daß er nicht gehorchte dem Vater Mathusalah.

[HGt.01_139,21] Doch aber wieder dachte er: ,Die Liebe, die reine, unbestochene, ohne allen Eigennutz im Herzen zu Gott emporgewachsene und gewaltig erstarkte Liebe, ist sie nicht frei und höher und heiliger und mehr, viel mehr, als alle menschlichen Ansichten und danach gestellten Forderungen?!

[HGt.01_139,22] Ja, sie muß mehr sein, ja unendlich mehr, weil der Gegenstand, den sie erfaßt hat, auch unendlichmal mehr ist als alle Menschen und menschlichen Väter auf dieser ganzen Erde! Daher -"

[HGt.01_139,23] Bei diesen Worten sah Sich Emanuel um, und der Lamech verstummte, vor Liebe weinend.

[HGt.01_139,24] Emanuel aber fragte den Lamech mit der höchsten Sanftmut: ,Mein geliebter Lamech, was fehlt dir, daß du nun dastehst und weinst?"

[HGt.01_139,25] Und der Lamech entgegnete überrascht: ,O Emanuel Abba, wie magst Du mich fragen, - Du, dem der verborgenste Gedanke schon um eine Ewigkeit früher bekannt ist, als er noch von jemand Erschaffenem gedacht wurde!

[HGt.01_139,26] O Emanuel Abba! Der Du die Not jedes Grases, jedes Sonnenstäubchens kennst, Du wirst ja auch die große, süße Not meines Herzens sicher nicht übersehen! O Emanuel Abba! Vergib mir, wenn Dir etwa meine unbändige Liebe zu Dir mißfallen sollte!"

[HGt.01_139,27] Und der Emanuel bemerkte darauf dem Lamech: ,Mein geliebter Lamech, siehe, dein Vater aber ist traurig um deines Ungehorsams willen! Sage Mir, ist es recht, den Vater zu kränken?"

[HGt.01_139,28] Und der Lamech entgegnete: ,O Emanuel, ich möchte sagen: Fluch dem Kinde, das da etwas zuleide tut seinem Vater! Und wie Du es weißt, habe ich diesen Fluch niemals verdient; jedoch jetzt, da Du, unser wahrer, ewiger, heiliger Vater, unter uns bist, ließ sich mein Herz aus zu mächtiger freier Liebe zu Dir nicht mehr bändigen, und so wurde ich aus dieser mir über alles heiligen Liebe zu Dir, meinem Vater, zum ersten Male ungehorsam, und das zwar in der sichersten Hoffnung, daß Du mir diesen Fehler ja nicht zu hoch anrechnen und ihn bei meinem Vater schon wieder gutmachen wirst!"

[HGt.01_139,29] Und der Emanuel sagte wieder zum Lamech: ,Lamech! Was würdest denn du nun tun, wenn Ich dir diesen Fehler denn doch sehr hoch anrechnen möchte, also zwar, daß Ich dich darum von Mir und Meiner Liebe und Gnade weisen möchte?"

[HGt.01_139,30] Und der Lamech, darauf etwas traurig gemacht, erwiderte in einem wehmütigen Tone, sagend: ,O Emanuel! Du allein nur siehst und kannst gerecht und richtig beurteilen, wie da beschaffen ist unser Herz! Ich kann gefehlt haben; allein ich bin blind und sehe den Fehler nicht - denn nur, daß ich aus Liebe zu Dir, wie ich's nun überklar empfinde, nicht nur meinen irdischen Vater Mathusalah, sondern, wie gesagt, tausend Väter mit der ganzen Welt verlassen möchte!

[HGt.01_139,31] Du kannst mich auch strafen, so wird meine Liebe zu Dir doch in ihrer Stärke von mir aus nicht eher vergehen, als bis ich selbst vergehen werde vor Dir, Du heiliger Vater!

[HGt.01_139,32] O Emanuel, siehe, ich verlange ja nichts von Dir als nur, daß Du Dich von mir möchtest lieben lassen! Du hast den Henoch für seine Liebe unsterblich gemacht. Siehe, ich verlange solche Gnade nicht von Dir und bin derselben auch nicht wert; so lasse mich sterben, - aber doch also, daß ich noch sterbend Dich lieben darf.

[HGt.01_139,33] O Emanuel, vergib mir meine Worte, weil ich nicht dafür kann, daß mein noch lebendes Herz solches zu sagen meine Zunge nötigt! Dein heiliger Wille! Amen."

[HGt.01_139,34] Hier bewegte Sich Emanuel, und Sein Antlitz wurde strahlend gleich der Sonne, daß alle darob zur Erde niederfielen; und also blickte Er auf zum Himmel und sagte:

[HGt.01_139,35] ,O Liebe, du reine, heilige, ewige Liebe, du hast gesiegt und wirst Siegerin bleiben ewig! Du Himmel, du Sonne, du Erde, ihr werdet vergehen, und es wird von euch keine Spur mehr übrigbleiben, ja es wird vergehen alle Majestät, Pracht und Herrlichkeit; allein du, heilige Liebe, du wirst bestehen und nimmer vergehen!

[HGt.01_139,36] Stehe auf, Lamech! Du hast gesiegt; ja Ich sage dir, du hast einen großen Sieg erfochten! Siehe, Mich, deinen Gott und Vater, hast du überwunden! Jetzt erst hast du Mich, jetzt darfst und kannst du Mich lieben aus allen deinen Kräften; denn du hast mit deinem Vater und mit Mir um Mich gerungen und wolltest sterben und vergehen um Meine Liebe. Siehe, jetzt bin Ich dein Siegespfand; nun erfasse Mich nach deiner Lust!"

[HGt.01_139,37] Hier umklammerte Lamech Emanuels Füße und sprach: ,O Emanuel Abba! Jetzt laß mich sterben, denn meine Liebe ist belohnt; denn nichts denn das verlangte mein Herz. Dein heiliger Wille! Amen."

[HGt.01_139,38] Und der Emanuel hob den Lamech empor und drückte ihn an das heilige Vaterherz, sagend: ,Lamech, meinst du, du könntest sterben in solcher Liebe zu Mir?! Wahrlich, Himmel und Erde werden vergehen, aber solche Liebe ewig nimmer; denn das ist das ewige, unvergängliche Leben, so jemand Mich liebt wie du!

[HGt.01_139,39] Dich aber segne Ich nun, auf daß der Henoch und alle sehen mögen, wie getreu Ich in allen Meinen Verheißungen bin.

[HGt.01_139,40] Einen Sohn werde Ich dir geben dereinst; dieser wird ein Retter des Volkes werden, und Tiere sollen verschont werden von Meinem Zorne, die er ansehen wird; und er wird Mir diesen Altar wieder errichten, den Mir jetzt der Henoch erbaut hat.

[HGt.01_139,41] Dafür, daß du aber nun für Mich aus Liebe sterben wolltest, siehe, solches werde Ich aus Liebe dereinst tun für dein Geschlecht und für alles Fleisch, damit sie alle gewonnen werden fürs ewige Leben!

[HGt.01_139,42] O du Mein Lamech du; du bleibst nun bei Mir und Ich bei dir ewig! Amen."

 

140. Kapitel

[HGt.01_140,01] Es sah aber Mathusalah, wie sein Sohn Lamech aufgenommen wurde, und freute sich dessen ungemein und ging darob hin zum Emanuel und dankte Ihm für eine so große Gnade, die da widerfahren sei seinem Sohne.

[HGt.01_140,02] Emanuel aber entgegnete ihm: ,Warum bedankst du dich für das, woran du keinen Anteil hast? Warte, bis an dich die Reihe kommen wird; dann erst komme und danke!

[HGt.01_140,03] Hieltest du nicht deinen Sohn am Rocke zurück, als er zu Mir wollte?! Und es hätte dir Freude gemacht, so Ich ihn von Mir gewiesen hätte! Allein da Ich solches nicht tat, sondern behielt den Lamech, so kommst du nun und dankst Mir wider dein Herz!

[HGt.01_140,04] Siehe, ein solcher Dank ist nicht frei, sondern notgedrungen! Wer aber Mir ein Dankopfer bringen will, des Herz muß frei sein also wie die Liebe, da er eine Blüte und eine Frucht der Liebe ist.

[HGt.01_140,05] Wer somit aber andersartig dankt, als er liebt, dessen Dank ist gleich einer hohlen Frucht, darin kein Kern des Lebens wohnt!

[HGt.01_140,06] Daher gehe zuvor hin und ordne dein Herz; dann erst komme und opfere deine Gabe, daß Ich sie ansehen und, wenn sie ohne Makel sein wird, auch annehmen werde! Amen."

[HGt.01_140,07] Es wurde aber darüber der Mathusalah traurig und sagte bei sich: ,O Emanuel, mit Dir ist hart und überschwer auszukommen; denn Du verlangst eine Reinheit des Herzens von mir, die da übersteigt alles, was je die höchste menschliche Weisheit ersinnen möchte!"

[HGt.01_140,08] Und der Emanuel sprach zu ihm: ,Mathusalah, jetzt hat dein Herz wahr gesprochen, und solches ist mehr wert denn deine unzeitige und wurmstichige Dankesfrucht!

[HGt.01_140,09] Wahrlich, die Weisen und Verständigen der Welt werden an Mir allzeit die größte Not finden und werden sich gewaltig an Mir stoßen! Aber die Kinder werden mit ihrem Vater spielen, und es wird das Spielzeug dem Vater angenehmer sein allzeit und ewig denn alle wenn auch noch so abgemessene Weisheit der sonst überaus trockenen Weisen der Welt!

[HGt.01_140,10] Verstehe es wohl, und gehe und tue, wie dir geraten! Amen."

[HGt.01_140,11] Und der Mathusalah ging und fing an, sein Herz zu durchsuchen, und fand es voll Unrat, daß er sich darob entsetzte, und wollte davonfliehen und sich verbergen in irgendeinem Winkel der weiten Erde.

[HGt.01_140,12] Da trat ihm aber alsbald der Emanuel in den Weg und sagte: ,Mathusalah, du willst fliehen vor Mir und dich verbergen vor Meinem Angesichte; Ich sage dir aber, du wirst keinen Ort finden in der ganzen Unendlichkeit, der da fremd wäre Meinem Auge! Gehst du ans Ende aller Welt, - wahrlich, du wirst Mich finden!

[HGt.01_140,13] Möchtest du dich versenken in die Tiefe des Meeres, meinst du etwa, daß Ich da nicht sein werde? Oh, du irrst dich gewaltig; siehe, auch die Kreatur des Meeres empfängt die Kost aus Meiner Hand!

[HGt.01_140,14] Oder wohin möchtest du fliehen, daß Ich auf deiner Flucht dich nicht verfolgen möchte von Schritt zu Tritt?!

[HGt.01_140,15] Siehe, daher ist dir alles umsonst; und also bleibe, wo du bist, und läutere dein Herz, damit Ich dir dann helfen kann! Amen."

[HGt.01_140,16] Und der Mathusalah blieb und beweinte seine Torheit.

[HGt.01_140,17] Im Verlaufe dieser Reden, welche bei all den Kindern eine große Änderung in ihren Herzen bewirkt hatten, wurde auch der Opferaltar fertig errichtet; und das Holz war auch schon übers Kreuz daraufgelegt, und ein Lamm als Brandopfer war bereitet.

[HGt.01_140,18] Und so näherte sich voll der inbrünstigsten Liebe der Henoch dem Emanuel und sagte: ,Herr, unser aller liebevollster Vater, siehe, es ist alles bereitet! Wie willst Du, daß zum sichtbaren Zeichen fürs sündige Fleisch Dir dieses Opfer soll dargebracht werden?"

[HGt.01_140,19] Und der Emanuel sagte: ,Das Holz ist gelegt, wie es sich geziemt, und das Opferlamm, wie es sich geziemt; aber Ich sehe, noch etwas geht ab! Daher, lieber Henoch, gehe hin und hole Mir das Abgängige; denn daran liegt Mir am meisten! Ich sage dir, ohne das hätte das Opfer keinen Wert; darum gehe, und hole es behende! Amen."

 

141. Kapitel

[HGt.01_141,01] Und der Henoch verstand gar wohl, was da noch abging. Und so ging er auch alsogleich hin zu den Vätern und richtete folgende Worte im Namen Emanuels an sie, sagend nämlich:

[HGt.01_141,02] ,O Väter, vernehmet ein Wort aus meinem Munde im Namen Emanuels! Es ist nun bereitet der Altar, der da ist heilig und rein vor Gott, da ihn Gott Selbst erbauen half meinen schwachen Händen.

[HGt.01_141,03] Es liegt auf ihm wohlbereitet und in gerechter Ordnung des Zederbaumes fettes Holz, und das Opferlamm ist bereitet und wartet auf die erhabene Bestimmung; und somit ist alles bereitet bis auf eines, und dieses eine seid ihr, Väter!

[HGt.01_141,04] Adam, du bist bereitet, und die Mutter Eva ist es mit dir; denn ihr seid ein Fleisch. Aber wo sind der Seth, Enos, Kenan, Mahalaleel, Jared und du, mein Sohn Mathusalah?

[HGt.01_141,05] Zwar seid ihr wohl gegenwärtig dem Fleische nach; aber es schlägt im selben noch ein abwesendes Herz. Dieses Herz sollte in der wahren, reinsten Liebe gegenwärtig sein, da die höchste Liebe des Vaters Selbst sichtbar gegenwärtig ist.

[HGt.01_141,06] O Seth, siehe, so ich je meinen Mund geöffnet habe, so warst du der erste, der da jegliches meiner Worte wie erwärmende Sonnenstrahlen im Winter überaus freudig aufnahm und auch jegliches derselben gar wohl und fest im Herzen behielt und dann sogleich auch sein Leben danach einrichtete; jetzt aber, wo der Herr Selbst unter uns wandelt und Worte lehrt und mit solcher Liebe redet, daß darob die härtesten Steine zum Öle werden könnten und jedes Gräschen, jedes Gesträuch und jeder Baum zittert vor übergroßer Wonne und Seligkeit vor Dem, der da unter uns wandelt und solche erhabenen Dinge lehrt, siehe, jetzt bist du also stille, als ginge dich die ganze Sache mitnichten auch nur im geringsten etwas an, sondern du gaffst nur voll Neugierde nach stets neuen, größeren Wundern, um dich dabei zu unterhalten! Daß du aber dem Herrn in deinem Herzen ein reines Liebesopfer darbrächtest, siehe, dazu bist du zu träge geworden; aber dessen wird Sich der Herr nicht rühmen mit dir. Daher stehe auf, bereite dein Herz, und dann eile hin zum Herrn, auf daß Er dich wieder aufnehme, also wie Er aufgenommen hat den Adam, den Lamech, den Abedam, den Jura, den Bhusin und den Ohorion und gar viele andere und - Ihm ewig Dank dafür! - zuletzt auch mich!

[HGt.01_141,07] Stehe auf, eile und versäume das Leben nicht; denn siehe, du bist tot! Darum eile, eile dem Leben der Liebe nach, solange es wandelt unter uns sichtbar! Wer es jetzt nicht ergreifen wird mit aller Hast gleich dem Lamech, wahrlich, der wird es verlieren auf ewig!

[HGt.01_141,08] Also des Herrn Wille, amen; Amen für dich, Vater Seth!"

[HGt.01_141,09] Und der Seth erschrak gewaltig, daß er aufsprang und hineilte zum Emanuel und sein Herz vor Ihm ausleerte und Ihn um Erbarmung und Gnade bat.

[HGt.01_141,10] Und der Emanuel sagte zu ihm: ,Seth, da Ich dich rufen ließ, so kamst du und magst auch bleiben. In der Zukunft aber werden nur diejenigen bleiben, die da ungerufen kommen werden und im Geiste und in der Wahrheit und Liebe zu Mir rufen werden: ,Abba, Abba, Abba! Dein heiliger Wille, amen!` Verstehe es wohl, und sei rein! Amen."

[HGt.01_141,11] Und als der Henoch seinen Ruf noch an die übrigen richten wollte, siehe, da sprangen diese eilends auf und sprachen einstimmig: ,O Henoch, rufe uns nicht; denn dein Ruf ist schrecklicher denn aller Tod!

[HGt.01_141,12] Siehe, wir sehen die ganze Masse unserer Schuld vor uns und sind unwürdig deines Rufes; aber gehe hin zum Heiligen, dessen Namen wir nicht wert sind auszusprechen, und bitte Ihn für uns, deine armen, toten Väter und deinen toten Sohn Mathusalah, daß Er uns möchte gnädig und barmherzig sein! Amen."

[HGt.01_141,13] Und der Henoch entgegnete ihnen: ,Was des Unsinns redet euer Mund! Glaubet ihr denn, so bei mir etwas zu vergeben wäre, daß ich euch eher denn der Emanuel erhören möchte?!

[HGt.01_141,14] O wie blind und taub ihr doch seid! Ich, die Unvollkommenheit selbst, ich, der nichts hat, nichts vermag, - ich, der ich kaum erst durch die unendliche Erbarmung des Herrn in der Liebe erstanden bin, und an dem alles Gute selbst noch dazu rein des Herrn, also ein freies, im höchsten Grade unverdientes Geschenk ist, - also ich, meinet ihr, ich werde barmherziger sein denn der Emanuel, Er, die allerhöchste Liebe, die allerhöchste Erbarmung Selbst, der da ist voll Sanftmut, Langmut und voll der höchsten Geduld mit jeglicher Schwäche?!

[HGt.01_141,15] O bedenket euch eines Besseren, und machet mich nicht zu einem neuen Sünder vor Ihm!

[HGt.01_141,16] Wahrlich, so es auf mich ankäme, so würde ich euch nur fluchen mit meiner größten Wohltat gegenüber dem, so euch der Emanuel nur mit einem Auge ansieht!

[HGt.01_141,17] Daher öffnet euer Herz, und eilet hin zum Vater! Denn nicht ich, sondern Er, der endlos besorgte, heilige Vater, Er, die höchste Liebe, läßt euch durch meine schlechte und matte Zunge rufen!

[HGt.01_141,18] Also gehet dorthin, wo Liebe, Leben und Erbarmung zu finden ist und ewig zu finden sein wird, und wendet euch nimmerdar an meine Vorbitte, sondern an Den, dessen unendliche Liebe euch rufen ließ! Amen."

[HGt.01_141,19] Und alle gingen voll Reue über ihre Torheit hin vor den Emanuel und bekannten ihre Schuld vor Ihm und schütteten ihr Herz vor Seinem Angesichte aus.

[HGt.01_141,20] Emanuel aber sah sie an und sprach: ,Kinder! Warum fürchtet ihr denn den allerbesten, liebevollsten Vater und habet doch keine Furcht vor Menschen, an denen alles Gute doch nur von Mir ist, und deren Eigenes eitel verderblich Böses und Falsches ist?!

[HGt.01_141,21] Glaubet ihr denn, Ich werde Mich von Menschen zu etwas bewegen lassen und dadurch zeigen, daß die Menschen barmherziger sind denn Ich?!

[HGt.01_141,22] Oder meinet ihr, daß der Henoch mehr Liebe hat denn Ich, durch die er Mich erst hätte bewegen sollen, euch zu erlassen eure Schuld?! O ihr Toren, die ihr doch selbst Väter seid und liebet eure Kinder, obwohl ihr voll Argens seid! Saget, wann hat je ein Fremder eure Kinder mehr geliebt denn ihr selbst, oder wessen Stimme möchtet ihr eher erhören: die des Kindes selbst - oder die eines unberufenen und unvollkommenen Vorbitters?!

[HGt.01_141,23] So aber ihr also handelt als Menschen voll Arg vor Mir, wie denket ihr denn also ungeraten von Mir?!

[HGt.01_141,24] Daher ändert eure Gesinnungen und denket in euch, daß nur Ich euer aller Vater bin, und ihr aber alle Kinder eines Vaters seid und durch die Liebe alle ein Recht auf Ihn habet! Amen."

 

142. Kapitel

[HGt.01_142,01] Nach dieser kurzen Mahnrede Emanuels erhob sich der Seth und brachte, durch und durch mächtig von der Liebe ergriffen, folgendes hervor, sagend nämlich:

[HGt.01_142,02] ,O Emanuel Abba, vergib uns allen unsere entsetzliche Lauheit! Denn siehe, ich und also wir alle sind durch Deine außerordentlichen Großwundertaten ganz gefühlsstumm geworden, und die Reden Adams, Henochs, dessen Begünstigung, Deine schnell aufeinanderfolgenden Feuerreden und liebeglühenden Lehren haben unseren von Natur aus etwas langsamen Geist überladen, und wir konnten nimmer folgen all den unaussprechlichen Herrlichkeiten aus Deinem heiligen Munde; daher erlagen wir unserer großen Ohnmacht und verließen uns heimlich auf den Henoch, daß er uns solches nachträglich schon wieder beibringen werde und wir es dann nach Zeit und Muße ganz bequem und leicht würden begreifen können.

[HGt.01_142,03] Doch ein ganz anderes heiliges Licht aus Dir zeigte uns allen nun, daß alle diese eben angeführten Gründe nicht also wirkten, sondern unser eigener träger Wille war es, der da alles solches ärgerlich Laue in uns bewirkte; daher, o Emanuel, erwecke unsern noch immer toten Willen und stärke mit Deiner Gnade unsere schwachen Herzen, auf daß wir das Gesagte aus Deinem heiligen Munde lebendig erfassen und danach unser Leben Dir wohlgefällig einrichten möchten! Amen."

[HGt.01_142,04] Und der Emanuel erwiderte dem Seth und also auch allen folgendes: ,Seth, siehe, Ich reinige euch um der Wahrheit deines Bekenntnisses willen! Allein eure Wahrheit ist nackt wie ihr selbst vor Mir; darum bekleidet euer Herz mit freier Liebe zu Mir, damit ihr lebendig werdet! Denn alles kann Ich euch geben; nur allein die freie Liebe eures Herzens zu Mir, diese kann Ich niemandem geben! Und so Ich solches täte, was wäre da eure Liebe?

[HGt.01_142,05] Ich sage euch, sie wäre nichts als ein fremder Trieb in euch, der euch nötigen möchte, wider euren Willen Mich zu lieben und somit auch anzubeten!

[HGt.01_142,06] Ich aber habe euch zu freien Menschen und Kindern erschaffen und habe einem jeden gegeben einen eigenen guten Anteil der Liebe, die da bewirkt das Leben in euch. Mit dieser freien eigenen Liebe müßt ihr Mich erfassen, so werdet ihr das Leben in euch erfassen!

[HGt.01_142,07] Ich habe jedem so viel gegeben, daß da sein Anteil ein ganz gerecht wohlgemessener ist, also wie da gelegt ist in jegliches Samenkorn ein der Liebe entstammender lebendiger Keim. Wenn der Same in die Erde gelegt wird, so sammelt sich der Liebe Tau um ihn. Dieser Tau zerstört das den lebendigen Keim einschließende Fleisch und macht frei den lebendigen Keim. Ist er nun frei, so fängt er an, begierig den ihn umgebenden Liebes-und Lebenstau in sich aufzunehmen und wächst allmählich größer und größer heran, bricht dann bald selbstkräftig über das Erdreich empor und erhebt sich frei, hinauf zum Lichte der Sonne strebend. In solcher Freiheit erstarkt er, und so wird endlich aus dem fast unsichtbar kleinen Keime ein mächtig starker Baum, über und über voll Leben und somit voll von tausendfacher Frucht; und alles Leben ist da ein dem Baume eigentümliches Leben, aus welchem es seinesgleichen tausendfach hervorbringt.

[HGt.01_142,08] Sehet nun, und fraget euch selbst, ob es nicht also auch sich verhalte mit der eigenen freien Liebe in euch, die da ist ein wahrer Keim des ewigen Lebens in eurem Fleische, welches da gleich ist der Materie des Samenkornes.

[HGt.01_142,09] Mein Wort und Meine Liebe zu euch ist der Liebestau und tut mit euch wie mit dem Samenkorne in der Erde. Also nehmet auf Mein Wort in euch, damit es zerstöre euer Weltliches und dann wahrhaft frei mache eure Liebe, welche da ist das wahre ewige Leben! Erst in diesem freien Leben werdet ihr dann nützliche Fruchtbäume werden und tun können, was des Lebens fürs Leben ist; jetzt aber ist eure Aufgabe keine andere, als euch lebendig und frei zu machen in der wahren Liebe zu Mir, damit ihr dadurch dann erst wahrhaft lebendig werdet in Mir und durch Mich, euren wahren, ewigen, heiligen Vater! Amen.

[HGt.01_142,10] Und nun gehet an die rechte Seite des Altars, und beachtet in euch das Opfer Henochs, und lasset an der geheiligten Opferflamme erwärmen eure noch liebeschwachen Herzen! Amen."

[HGt.01_142,11] Und alle taten nach dem Worte Emanuels und stellten sich an des Altars rechte Seite, die da war gewendet nach Mittag. An der Seite von Morgen her standen Emanuel, der opfernde Henoch, Lamech und die anderen Erweckten. Und die abendliche und mitternächtliche Seite aber war frei für alles Volk.

[HGt.01_142,12] Und als nun also alles wohl bereitet und geordnet war fürs Opfer, da trat noch einmal der Adam hin zum Emanuel und fragte Ihn voll der innersten, reinsten Liebe und allerhöchsten Achtung:

[HGt.01_142,13] ,Emanuel, Du wirst uns nach diesem Opfer etwa doch nicht alsbald verlassen, sondern noch gnädigst auch am morgigen Sabbate das Opfer auf der Höhe heiligen und es auch allergnädigst annehmen?! Denn siehe, die im Morgen, Mittag und Abend wohnenden Kinder haben Dich noch nicht erkannt! Oh, wie glücklich würden sie sein, so sie Dich in unserer Mitte auch ansehen und ein Wort des Lebens aus Deinem heiligen Munde vernehmen könnten!

[HGt.01_142,14] Allein, o Emanuel, nicht mein oder unser Wille, sondern nur allzeit Dein allerheiligster Wille geschehe jetzt und ewig! Amen."

[HGt.01_142,15] Und der Emanuel sagte darauf dem Adam: ,Siehe, du bist besorgt, und deine Sorge ist nicht eitel, da du ein Vater bist alles freien Blutes der Erde; aber eines bei deiner Sorge ist, das da grenzt an des äußeren Lebens Eitelkeit, und das ist das Sichtbare Meines Wesens in einer euch ähnlichen Person! Meinst du denn, Ich sei euch als unsichtbar weniger gegenwärtig und ein weniger hilfreicher Vater denn in Meiner Sichtbarkeit?!

[HGt.01_142,16] Siehe, das ist noch eitel; dir sage Ich aber, es ist jedem besser, Mich wesentlich nicht zu schauen, sondern nur durch die Liebe im eigenen Herzen! Denn Meine Sichtbarkeit ist euch eine Nötigung, Meine Unsichtbarkeit aber ist eures Lebens Freiheit; es kann aber durch die Nötigung niemand zum ewigen Leben gelangen, sondern allein durch die Freiheit, welche da ist die reine Liebe zu Mir!

[HGt.01_142,17] Zu dem Ich käme und bliebe bei ihm, der würde von Mir verschlungen; denn das Feuer Meiner Liebe ist zu unendlich, als daß es zu ertragen imstande wäre ein noch sterbliches, nur für die Unsterblichkeit erschaffenes Wesen. So aber jemand frei zu Mir kommt, nachdem er Mich zuvor gesucht hat in seinem Herzen, siehe, der hat sich gefestet und ist auch stark geworden, darum Ich ihn nicht mehr verschlingen, sondern aufnehmen werde zur ewigen Anschauung Meiner Unendlichkeit und zum ewigen freien Genusse der Ausflüsse Meiner unendlichen Liebe und Gnade!

[HGt.01_142,18] Jedoch werde Ich deiner Bitte zufolge auch morgen auf einen Augenblick allen deinen Kindern sichtbar und vernehmbar werden; verstehe es wohl! Amen."

 

143. Kapitel

[HGt.01_143,01] Und der Adam dankte mit vollster Inbrunst seines Herzens dem Emanuel für die verheißene große Gnade und stellte sich wieder rückwärts auf den schon früher eingenommenen Platz.

[HGt.01_143,02] Und nach dem aber trat der Henoch vor und sagte zum Emanuel: ,Siehe, Emanuel Abba, der Du bist heilig, überheilig! Also wäre alles bereitet; so es Dir wohlgefällig wäre, möchte ich nun Feuer auf den Altar legen und Dir für uns alle opfern das Lamm und die Früchte."

[HGt.01_143,03] Emanuel aber entgegnete: ,Henoch! Siehe, Ich bin weder hungrig, noch durstig, und du vermagst Mir mit dem Opfer keine Sättigung zu bereiten; das Mir angenehmste Opfer aber ist ein reumütiges, zerknirschtes, Mich suchendes und über alles liebendes Herz!

[HGt.01_143,04] Allein, da du schon den Altar erbaut, auf ihn das Holz gelegt und das Opfer bereitet hast, so kannst du ja dasselbe darauflegen und es Mir opfern! Amen."

[HGt.01_143,05] Und der Henoch tat alles nach den Worten Emanuels und legte zuerst das Lamm lebendig über das Holz, welches noch nicht brannte, und schlachtete es auf dem Altare.

[HGt.01_143,06] Es bemerkte aber der Adam, daß sich solches nicht gezieme, auf dem Altare das Blut des Lammes zu vergießen.

[HGt.01_143,07] Und der Emanuel entgegnete dem Adam, sagend: ,Adam! Kümmere dich dessen nicht, was der Henoch tut; denn nicht dir, sondern Mir bringt er das Opfer! Und siehe, Mir ist es recht! Warum sollte es dann dich ärgern?!

[HGt.01_143,08] Ich sage dir aber zum Zeichen Meines Wohlgefallens an der Opferungsweise Henochs, daß eben also der Allerhöchste dereinst dem Allerhöchsten das allerhöchste Opfer darbringen wird! Verstehe es wohl! Amen."

[HGt.01_143,09] Und der Adam entgegnete etwas verblüfft gewisserart fragend: ,O Emanuel! Gibt es denn außer Dir Allerhöchstem noch einen Allerhöchsten?! Oder wie ist das zu verstehen?"

[HGt.01_143,10] Und der Emanuel sagte: ,Ich sagte, und nun sage Ich dir: Jenseits des Fleisches gibt es noch vieles Verborgene; doch in deinem Fleische wirst du solches nimmer erschauen! Denn des Fleisches Lehrerin ist die Zeit; der Geist aber wird es erkennen, wenn er wieder dahin gelangen wird, von wo er hervorgegangen ist. Amen."

[HGt.01_143,11] Nun war das Lamm geschlachtet, und der Henoch nahm Steine und rieb sie gewaltig aneinander über untergelegtem, mit trockenem Harze bestäubtem, dürrem Stroh; allein ihm, dem sonst besonders geschickten Feuermacher, wollte diesmal seine Kunst nicht gelingen, darum er alsbald hinging zum Emanuel und sagte:

[HGt.01_143,12] ,Herr, Abba Emanuel! Siehe, ich bringe diesmal kein Feuer zuwege; o laß mich doch ein Feuer machen!"

[HGt.01_143,13] Und der Emanuel erwiderte dem Henoch: ,Siehe, Mein geliebter Henoch, so dir das Feuer nicht gehorcht, magst du ja zufrieden sein; denn es ist besser, ein Herr seines Herzens zu sein denn ein geschickter Feuerwerker! Also ist Mir auch angenehmer einer, der sein eigenes Herz zu Mir erhebt, als einer, der durch sein Wort und durch seine Feuerreden Tausende zu Mir gewendet hat, bei sich selbst aber ein kaltes Opfer geblieben ist, unter dem kein Feuer der Liebe lodert, sondern allein kalte Weisheit.

[HGt.01_143,14] So du aber kein Feuer zuwege bringst, siehe, dem soll bald abgeholfen sein! Gib das Feuerzeug dem jungen, kräftigen Lamech! Unter seinen kräftigeren Händen werden die Steine schon geben, was sie dir versagten; du aber bleibe bei Mir, und überlasse das Handwerk dem Lamech! Amen."

[HGt.01_143,15] Und alsbald übergab Henoch überfreudig die Feuersteine dem Lamech, und dieser rieb sie also gewaltig aneinander, daß daraus alsbald eine so große Menge Feuers entstand, daß sich nicht nur davon alsogleich das Feuerstroh entzündete, sondern das Feuer ergriff auch alsbald das Holz und das Opfer, das da plötzlich in hellen Flammen aufloderte.

[HGt.01_143,16] Es wunderten sich aber alle über die Geschicklichkeit des Lamech. Da aber der Lamech solches Wunderlob der Väter und des Volkes sah, wandte er sich hastig zu ihnen und sprach mit großem Eifer:

[HGt.01_143,17] ,O Väter und Brüder, seid ihr schon wieder von Sinnen und bringet mir ein Lob?! Wer ist denn der Emanuel? Wer hat und wer gibt da das Feuer?!

[HGt.01_143,18] Wäret ihr nicht meine Väter und Brüder, wahrlich, ich möchte euch blinde Toren schelten! Gebet Dem Lob und Ehre, dem solches gebührt! Wem aber gebührt alles Lob und alle Ehre? So ihr's noch nicht wissen solltet, so sage ich es euch, daß solches nur Gott allein gebührt, da Er allein heilig ist und war und sein wird ewig! Amen. Verstehet es wohl, amen!"

[HGt.01_143,19] Und alsbald wendete sich Emanuel zum Lamech und sagte zu ihm: ,Höre, Lamech, fast zuviel des Feuers hast du gerieben!

[HGt.01_143,20] Dir wäre nicht gut Blitz und Donner anzuvertrauen; denn unter deinem Regimente möchte die Erde bald ganz verglast aussehen oder also, allwo der Sonne hellster Strahl der tieferen Bäche Sand zerschmilzt und dann ihre Ufer überzieht mit einem zwar äußerlich durchsichtigen Glase, - aber eben darum, dieweil es äußerlich dann das Licht aufnimmt und durchläßt, wird es unter dem Glase dann finsterer und kälter denn da, wo noch der blanke Sand seine trockene Stirne den Strahlen der Sonne darbietet. Und höre: Auf dem Glase wächst ewig keine Frucht mehr!

[HGt.01_143,21] Daher nur sanft und gelassen und geduldig in allen Dingen und in jeglichem Worte und in jeglicher Tat; denn Sanftmut, Gelassenheit und Geduld sind der beste Dünger des Erdreichs! So dann jemand darein sät einen guten Samen, da wird er dann aufgehen und dir und Mir eine reichliche Ernte geben!

[HGt.01_143,22] Wer aber mit Schwert und Knütteln dreinschlägt und blitzt und donnert, der verwundet und tötet nicht selten, und es wird auf seinem Acker wenig Frucht zum Vorscheine kommen.

[HGt.01_143,23] Wer aber da ist allzeit voll Sanftmut, Gelassenheit und Geduld, der begießt die Pflanzen seines Ackers, so der Sonne mächtige Strahlen das Erdreich trocken machen.

[HGt.01_143,24] Nun, lieber Lamech, urteile selbst, auf welchem Acker da des Segens Fülle sichtbar wird schon in kurzer Zeit!

[HGt.01_143,25] Daher sei auch du allzeit sanftmütig, gelassen und geduldig gegen jedermann, so wirst du die Herzen um dich versammeln und des Lebens Segen streuen über sie! Verstehe es wohl! Amen."

 

144. Kapitel

[HGt.01_144,01] Und der Lamech erkannte seinen Fehler und ging hin zum Emanuel und darauf auch zu den übrigen Vätern und bat sie alle mit dem gerührtesten Herzen um Vergebung. Und all die Väter freuten sich dessen und ließen bei sich nicht unbeachtet die frühere feurige Mahnung.

[HGt.01_144,02] Nach diesem aber sah Emanuel Henochs Opfer an und segnete es, sagend: ,Ich, Emanuel Abba, habe zwar kein Wohlgefallen an diesem Brandopfer, sondern nur an dem, der es reinen Herzens Mir bereitete, - so segne Ich es aber doch zum frühen Gedächtnisse an ein Opfer, das dereinst zur Belebung aller Toten und Lebendigen dargebracht wird. Und so soll es denn auch fürder bis ans Ende aller Zeiten der Zeiten beim Lamme und Brote verbleiben! Amen.

[HGt.01_144,03] Wehe aber denen, die daran eine Abänderung treffen werden; wahrlich, Ich sage euch: sie werden nicht Mir, sondern dem Unrate der Welt ihr Opfer bringen und werden durch ihr Opfer werden gleich dem, dem sie ihr Opfer dargebracht haben!

[HGt.01_144,04] Und du, Henoch, siehe, also habe Ich dein Opfer gesegnet, daß es geworden ist zu einem lebendigen Opfer, darum dereinst erstehen wird aus diesem verbrannten Lamme ein großes, lebendiges, starkes Lamm der Welt, welches auf seine Schulter nehmen wird alle Schwäche der Erde und allem Fleische eröffnen wird des ewigen Lebens nimmerdar sich schließende Pforten! Amen.

[HGt.01_144,05] Ich gebe euch nun kein Gebot mehr, sondern frei mache Ich euch von jeglichem Gebote. Gebote taugen nur für faule Knechte; und wer da nach den Geboten lebt, ist ein toter Sklave, der da gerichtet sein will in all seinem Tun, und hat keine Freiheit im Herzen. Wo er arbeitet, da arbeitet er, weil ihm die Arbeit geboten war; denn ohne Gebot hätte er nie eine Tätigkeit für nötig befunden. Wo er liebt, da liebt er, weil ihm die Liebe geboten ward; aber sein Herz empfindet nicht die Notwendigkeit und Heiligkeit der Liebe und das ewige Leben aus ihr, sondern nur ihren, das heißt der Liebe Druck. Warum denn also? Dieweil er ist ein Sklave aus der Schlammtiefe in allen Dingen!

[HGt.01_144,06] Des freien Menschen Herz aber schlägt frei, und seine Lunge atmet frei, und kein lebenhemmendes Gesetz stört den munteren Kreislauf seines Blutes; denn die freie Liebe zu Gott macht ihn zum Kinde des Allerhöchsten.

[HGt.01_144,07] Wer aber da ist ein Kind des allerhöchsten Gottes, ist der noch ein Kind der Menschen?!

[HGt.01_144,08] Da er aber ist ein Kind Gottes, hat er da nicht in sich, was da ist allzeit heilig und völlig ähnlich Dem, der sein Vater ist, - also Göttliches und völlig Freies?!

[HGt.01_144,09] Darum sage Ich nun euch allen, die ihr ein freies Herz habet und Mich mit euren freien Herzen liebet, daß auch ihr Götter seid, wie euer heiliger Vater es ist von Ewigkeit frei aus Sich, aus eigener, ewiger, heiliger Kraft heraus!

[HGt.01_144,10] Sehet, darum also gebe Ich auch kein Gebot, sondern zeigte und zeige euch nur noch die wahre, freie, lebendige und allein lebendigmachende Liebe zu Mir als die Urquelle alles Lebens und Seins, damit ihr sie im Geiste und aller Wahrheit zu eurer vollkommenen Belebung als das einzige Bindungsmittel gebrauchen möchtet zwischen Mir und euch.

[HGt.01_144,11] Ich sage nicht einmal, daß ihr solches tun sollet, sondern frei möget ihr es tun, so es euch gefällt! Ja nicht einmal aus Liebe zum Leben sollet ihr solche Lehre befolgen, sondern lediglich aus freier Liebe zu Mir, allein der Liebe wegen und somit Meinetwegen, der Ich allein euer liebevollster Vater bin!

[HGt.01_144,12] Sehet, darum, weil Ich euch liebe, da ihr Meine Kinder seid, so sollet ihr auch Mich lieben, da Ich euer Vater bin!

[HGt.01_144,13] Wie ihr aber Mich liebet, eben also sollet ihr auch euch lieben als lauter Brüder und Schwestern untereinander! Es soll euch ja nie ein Mittel was immer für einer Art bestechen, sondern Bruder, Schwester, Vater, Mutter sei alles zur Erweckung der freien Liebe in euch!

[HGt.01_144,14] Was ihr Mir geben könnet für Meine ewige Vaterliebe zu euch, der Ich von niemandem etwas benötige, also auch sollet ihr sein in euren Herzen gegen Mich und gegen alle; dann werdet ihr sein gleich Mir lebendig aus euch durch den freien, gerechten Gebrauch Meiner freien Liebe in euch und werdet dadurch leben gleich Mir ewig und unvergänglich.

[HGt.01_144,15] So ihr also bleiben werdet, da wird fern bleiben der Schlange Macht, und kein Makel wird je bekleben und verunreinigen eure Herzen. Wer aber da will ein Sklave der Welt sein, der sei es immerhin; Ich habe kein Gebot für ihn!

[HGt.01_144,16] Aber nur das soll er wenigstens als Mensch wissen, daß Ich seinetwegen Meine ewige Ordnung nicht umstoßen werde! Das Leben ist allein nur in der freien Liebe zu Mir; sonst aber ist überall der ewige Tod!

[HGt.01_144,17] Und du, Mein geliebter Henoch, du sei nun Mein erster Priester, und deine Liebe sei die Gründung der ersten und reinsten Kirche dieser Erde!

[HGt.01_144,18] So du morgen also opfern wirst, werde Ich zu dir kommen und dir Worte auf die Zunge legen, die du sprechen wirst vor all den Kindern. Meine Liebe, Meine Gnade und Mein Segen mit euch! Amen." - Und Emanuel verschwand vor aller Augen.